Entdecken Sie die faszinierende Welt der Dänischen Glossematik, einer bahnbrechenden Theorie, die das Verständnis von Sprache revolutionierte. Diese umfassende Analyse entführt Sie in die Kopenhagener Schule, gegründet von Louis Hjelmslev und Viggo Brøndal, und enthüllt die subtilen Nuancen ihrer strukturalistischen Ansätze. Tauchen Sie ein in die Entwicklung der Glossematik, von ihren Anfängen als "Phonematik" bis zur elaborierten Sprachtheorie, die Hjelmslevs "Prolegomena zu einer Sprachtheorie" kulminierte. Erforschen Sie die zentralen Konzepte wie Ausdrucks- und Inhaltsebenen, die vier "Strata" der Sprache und die fundamentalen Glosseme, die als invariante Minimaleinheiten fungieren. Verstehen Sie Uldalls "Algebra der Sprache" mit ihren positiven und negativen Einheiten, Kombinationen, Selektionen und Solidaritäten, die das komplexe Beziehungsgeflecht innerhalb von Sprachsystemen aufzeigen. Diese tiefgreifende Untersuchung beleuchtet nicht nur die theoretischen Grundlagen, sondern auch die einflussreichen Persönlichkeiten hinter der Glossematik, darunter Louis Hjelmslev und Hans Jørgen Uldall, und zeichnet ihre intellektuellen Werdegänge und die fruchtbare, wenn auch von Unterbrechungen geprägte Zusammenarbeit nach. Begleiten Sie uns auf einer Reise durch die Prinzipien der Widerspruchsfreiheit, Vollständigkeit und Einfachheit, die Hjelmslevs Theorie leiteten, und wagen Sie einen Blick auf die Kritik, die dieser hochspekulativen, aber einflussreichen sprachwissenschaftlichen Strömung entgegenschlug. Erfahren Sie, wie die Glossematik, trotz ihrer Herausforderungen, das Fundament für moderne linguistische Analysen legte und das Verständnis von Sprache als komplexes, formal definiertes System nachhaltig prägte. Diese Analyse ist unerlässlich für jeden, der sich mit Strukturalismus, Sprachtheorie, Linguistik und der Geschichte der Sprachwissenschaft auseinandersetzt.
Dänische Glossematik
1 Die Kopenhagener Schule
Sozusagen als Antwort auf die Gründung des Prager Kreises versammelten Hjelmslev und sein älterer Kollege Viggo Brøndal (1887-1953) im Jahre 1931 einige befreundete Linguisten in einem eigenen Kreis, dem Cercle Linguistique de Copenhague. Die damit gegründete ,,Kopenhagener Schule" nahm als erste Schule ausdrücklich das Attribut ,,strukturalistisch" für sich in Anspruch. Es fungierte als eine Art Bindeglied zwischen den beiden Gründern des Kreises, die außer einer gewissen Vorliebe für abstrakt-spekulatives Denken nicht sehr viel verband. Als Publikationsorgane dienten die ,,Travaux du Cercle Linguistique de Copenhague" und die ,,Acta Linguistica".
Die Glossematik, die heute fälschlicherweise meist als ,,Theorie der Kopenhagener Schule" bezeichnet wird, wurde erst 1935 entworfen, als Hjelmslev in Århus mit Uldall zusammentraf.
2 Der Begriff ,,Dänische Glossematik"
Auf dem zweiten Internationalen Phonetikerkongreß legten Hjelmslev und Uldall 1935 ein Arbeitsprogramm unter der Bezeichnung ,,Phonematik" vor. Wenig später nannten sie ihre Forschungsrichtung ,,Glossematik", um sich mit der Verwendung der griechischen Wurzel für ,,Sprache" anstatt des üblicheren lat. lingua namentlich von allen anderen Sprachwissenschaften abzugrenzen und die Originalität ihrer Theorie zu unterstreichen. Die Ausarbeitung dieser Theorie erfolgte nur teilweise: Erst in Uldalls Todesjahr erschien der erste Teil der Theorie. Die Zusammenarbeit zwischen Uldall und Hjelmslev wurde unterbrochen, als letzterer 1937 einen Lehrstuhl in Kopenhagen erhielt und ersterer wenig später ins Ausland ging. Anstelle des nie vollendeten theoretischen Hauptwerkes der glossematischen Schule trat Hjelmslevs Abhandlung ,,Omkring sprogteoriens grundlæggelse", die aber erst durch die englische Übersetzung 1953 unter dem Titel ,,Prolegomena to a Theory of Language" bzw. durch Hjelmslevs erweiterte Fassung 1961 internationalen Kreisen bekannt wurde.
3 Die Vertreter der Dänischen Glossematik
3.1 Louis Hjelmslev (1899-1965)
1899 Geburt als Sohn eines Mathematikprofessors in Kopenhagen 1921 Studienaufenthalt in Litauen
1923 Abschluß des Studiums der vergleichenden Sprachwissenschaft bei Holger Pedersen in Kopenhagen mit dem Magisterexamen Stipendium für Prag, wo allerdings ,,nur" traditionelle Linguistik gelehrt wurde'
1926/27 Studienaufenthalt in Paris, Kontakt mit den ,,Cours de linguistique générale" von F. de Saussure, auf dem seine spätere Theorie basiert
1928 ,,Principes de grammaire générale" (Prinzipien der allgemeinen Grammatik)
1931 Gründung des Kopenhagener Linguistenkreises, den er mit kurzer Unterbrechung bis zu seinem Tod leitete
1935 ,,La catégorie des cas" (Die Kategorie Kasus)
1935-43 Ausarbeitung der Theorie der Dänischen Glossematik, zusammen mit Uldall ab 1939 gaben Hjelmslev und Brøndal die Zeitschrift ,,Acta Linguistica. Revue internationale de linguistique structurale" (ab Band IX: ,,Acta Hafniensia") heraus, die gleichzeitig den im Exil befindlichen Mitgliedern der Prager Schule als Sprachrohr diente 1941 kurze, komprimierte Zusammenfassung aller Definitionen und Regeln seiner Theorie, die allerdings erst 1975 publiziert wurde
1943 ,,Omkring Sprogteoriens Grundlæggelse" (Prolegomena einer Sprachtheorie), was die einzige zusammenhängende Darstellung der Glossematik blieb ab 1943 Propagierung seiner Theorie; Beschäftigung u.a. mit struktureller Semantik; verstärktes Engagement als Hochschullehrer und Herausgeber; schließlich Verschlechterung seiner Gesundheit
1965 starb Louis Hjelmslev.
3.2 Hans Jørgen Uldall (1907-1957)
Studium der Anglistik bei Otto Jespersen in Kopenhagen
1927 Fortsetzung seiner phonetischen Studien bei Daniel Jones in London
1930-33 Feldforschung bei den indianischen Maidu in Kalifornien
1933-39 Fortsetzung seiner Arbeiten in Dänemark; Beginn der Zusammenarbeit mit Hjemslev; Entwicklung der ,,Phonematik", die auf Uldalls Vorschlag hin in ,,Glossematik" mbenannt wurde; geplant war ein großes gemeinsames Werk, ,,Outline of Glossematics"; Uldall sollte die Einleitung und ,,die Algebra der Sprache" verfassen; Hjelmslev die anderen Aspekte der Theorie
1939 Beorderung durch den British Council nach Griechenland, später nach Ägypten und schließlich in arabisches Gebiet
ab 1945 Arbeit in England und Südamerika
ab 1954 Arbeit an der Universität von Ibadan in Nigeria; inzwischen hatte er eine vom ursprünglichen Plan abweichende Algebra erarbeitet, die Hjelmslev zu kompliziert für die Darstellung natürlicher Sprache erschien und an die sich sein eigenes System von Definitionen nur schwer anpassen ließ; deshalb beschlossen beide
1957 in Oslo, wo sie sich auf dem Linguistenkongreß in Oslo trafen, zunächst nur den ersten, von Uldall verfaßten Teil zu veröffentlichen; allerdings starb Uldall kurz nach seiner Rückkehr nach Nigeria unerwartet an einem Herzanfall.
Veröffentlichung des ersten Bandes der geplanten gemeinsamen großen Darstellung der
Glossematik ,,Outline of Glossematics. A Study in the Methodology of the Humanities with Special Reference to Linguistics, Part I: General Theory".
4 Hjelmslevs ,,Prolegomena zu einer Sprachtheorie"
Der Entwurf Hjelmslevs besteht aus einem Gefüge von aufeinander bezogenen Definitionen. Folgende Bedingungen werden an die Theorie gestellt:
1. Widerspruchsfreiheit
2. Vollständigkeit
3. Einfachheit.
Die Theorie ist nach Hjelmslev keine Sprachtheorie im üblichen Sinne, sondern eine Theorie, die universell anwendbar ist. Schwierig wird die Anwendung auf nicht logische Systeme, z.B. auf die natürliche Sprache.
Die Glossematik ist kein System von Hypothesen, sondern ein arbiträres System von Prämissen und Definitionen, das als Modell geeignet ist, empirische Texte (im Sinne empirischer Deduktion) zu beschreiben.
Das Hauptanliegen der Theorie bestand darin, die Inhalts- und die Ausdrucksebene der Sprache zu untersuchen und sie einer exakten Beschreibung zuzuführen, die auf formal definierten Konzepten basiert. Hjelmslev faßte die Sprache als algebraische Struktur auf. Er unterscheidet zwischen vier Ebenen, den ,,vier Strata" der Sprache:
Sprache
Ausdrucksebene Inhaltsebene
Ausdruckssubstanz Ausdrucksform Inhaltsform Inhaltssubstanz
Gegenstand der Linguistik
Nach Hjelmslev gehören nur Ausdrucksform und Inhaltsform zum Untersuchungsgegenstand der Linguistik. Während Ausdrucks- und Inhaltssubstanz für alle natürlichen Sprachen gleich sind, sind Ausdrucks- und Inhaltsform sprachspezifisch bedingt und somit von Sprache zu Sprache verschieden; jede Sprache stellt nämlich ein eigenes phonologisches und semantisches System.
Die invarianten Minimaleinheiten der Ausdrucks- und der Inhaltsebene, die Glosseme, stehen durch Funktionen miteinander in Verbindung.
5 Uldalls ,,Algebra der Sprache"
Uldalls Algebra geht von positiven und negativen Einheiten aus, die syntagmatisch verknüpft sind.
Beim Vergleich zweier Einheiten ab und a kann man folgende Aussagen treffen:
- b ist positiv in ab
- b ist negativ in a, das nun ab geschrieben wird
Uldall legt drei glossematischen Hauptrelationen fest:
1. Kombination (= freie Verknüpfbarkeit): +ab+ab
2. Selektion (= einseitige Abhängigkeit): +ab-ab oder -ab+ab
3. Solidarität (=gegenseitige Abhängigkeit): -ab-ab
Und zum Üben eine algebraische Analyse aus der Phonologie:
Betrachtet werden die Konsonantenverbindungen einer Sprache mit s, p, t, k, r, l.
Folgende Verbindungen existieren in dieser Sprache: spr, skl, sp, st, sk, pr, tr, kr, pl, kl
Schreibe glossematisch:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
6 Kritik
Nicht nur von Gegnern, sondern auch von manchen Anhängern Hjelmslevs und Uldalls wurde die glossematische Theorie als eine hochspekulative Angelegenheit ohne praktische Relevanz angesehen. Sie mußte den Vorwurf der ,,Unfruchtbarkeit" über sich ergehen lassen.
7 Literatur
Jörn Albrecht: Europäischer Strukturalismus. Tübingen 1988. S.61ff, 121ff.
Brigitte Bartschat: Methoden der Sprachwissenschaft. Berlin 1996. S.110-128.
Gerhard Helbig: Geschichte der neueren Sprachwissenschaft. Reinbek 1974. S.60-72.
Häufig gestellte Fragen zur Dänischen Glossematik
Was ist die Kopenhagener Schule?
Die Kopenhagener Schule war ein linguistischer Kreis, der 1931 von Louis Hjelmslev und Viggo Brøndal gegründet wurde. Sie war die erste Schule, die sich ausdrücklich als "strukturalistisch" bezeichnete. Die Publikationsorgane waren die "Travaux du Cercle Linguistique de Copenhague" und die "Acta Linguistica".
Was ist Glossematik?
Die Glossematik wurde 1935 von Hjelmslev und Uldall entworfen. Sie ist eine Forschungsrichtung, die sich mit der Untersuchung der Inhalts- und Ausdrucksebene der Sprache befasst und diese einer exakten Beschreibung zuführen möchte, die auf formal definierten Konzepten basiert.
Wer waren die Hauptvertreter der Dänischen Glossematik?
Die Hauptvertreter waren Louis Hjelmslev (1899-1965) und Hans Jørgen Uldall (1907-1957).
Was sind die wichtigsten Werke von Louis Hjelmslev?
Zu den wichtigsten Werken gehören "Principes de grammaire générale" (1928), "La catégorie des cas" (1935) und "Omkring Sprogteoriens Grundlæggelse" (1943), später bekannt als "Prolegomena einer Sprachtheorie".
Was ist die Bedeutung von Hans Jørgen Uldall für die Glossematik?
Uldall arbeitete eng mit Hjelmslev zusammen und entwickelte die "Phonematik", die später in "Glossematik" umbenannt wurde. Er sollte die Einleitung und "die Algebra der Sprache" für ein gemeinsames Werk verfassen.
Was sind die Bedingungen, die Hjelmslev an eine Theorie stellt?
Die Theorie soll widerspruchsfrei, vollständig und einfach sein.
Was sind die "vier Strata" der Sprache nach Hjelmslev?
Hjelmslev unterscheidet zwischen Ausdruckssubstanz, Ausdrucksform, Inhaltsform und Inhaltssubstanz. Nur Ausdrucksform und Inhaltsform gehören zum Untersuchungsgegenstand der Linguistik.
Was sind Glosseme?
Glosseme sind die invarianten Minimaleinheiten der Ausdrucks- und der Inhaltsebene.
Was beinhaltet Uldalls "Algebra der Sprache"?
Uldalls Algebra geht von positiven und negativen Einheiten aus, die syntagmatisch verknüpft sind. Er legte drei glossematische Hauptrelationen fest: Kombination, Selektion und Solidarität.
Welche Kritik wurde an der Glossematik geäußert?
Die glossematische Theorie wurde als hochspekulativ und ohne praktische Relevanz kritisiert. Sie wurde als "unfruchtbar" bezeichnet.
- Arbeit zitieren
- Katja Thrum (Autor:in), 1999, Dänische Glossematik, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/97264