T.H. Marshall unterscheidet in seinem Standardwerk „Bürgerrechte und soziale Klassen. Zur Soziologie des Wohlfahrtsstaates“ (Marshall 1949 (1992)) zwischen drei verschiedenen Arten von Citizenship. In einem historischen Dreischritt fand über die Jahrhunderte eine Entwicklung von bürgerlichen (18.Jh.), über politischen (19.Jh.) hin zu sozialen (20.Jh.) Rechten statt. Letztere beschreiben das Recht auf Mindestmaß an wirtschaftlicher Grundversorgung, Sicherheit, Bildung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Soziale Rechte werden als ein wichtiges Element zur Herstellung von Chancengleichheit angesehen. Dem Staat wird dabei eine aktive Rolle zugeschrieben, da Teilhaberechte immer voraussetzungsvoll sind. Wenn zum Beispiel Mütter ihr Recht auf Arbeit wahrnehmen wollen, so muss der Staat Kindergartenplätze bereitstellen. In dieser Argumentation wird die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt als Möglichkeit zur Erreichung von Gleichheit zwischen den Geschlechtern betrachtet. Doch „women make claims as workers, but also as members of families, and they need programs especially to compensate for marriage failures and/or the need to raise children alone.“ (Orloff 1993: 308) Herkömmliche Wohlfahrtsstaatsanalysen erweisen sich demnach als gender-blind (vgl. Duncan 1998:199), da Indikatoren wie Familie, Frauenerwerbstätigkeit oder auch kulturelle Besonderheiten nicht integriert und somit „mit Hilfe nicht expliziter partikularer Selektionskriterien bestimmte Tatbestände und Zusammenhänge von vornherein ausgeschlossen werden.“ (Kulawik 1996:52)
Feministische Forschung hat zum Ziel, den durch „Ausklammern von Aspekten der Steuerung und Organisation der Reproduktionssphäre“ entstandenen „blinden Fleck“ (Dingeldey 2002:5) durch einen „vollständigen Blick“ auf sozialpolitische Realitäten (vgl. Schunter Kleemann 1992:143) zu ersetzten. Ausgehend von der Typologie Gøsta Esping-Andersens (2.) soll in der vorliegenden Arbeit feministische Kritik vorgestellt werden (3.). Dabei lassen sich meines Erachtens zwei Richtungen identifizieren: Eine Gruppe von ForscherInnen gelangt mittels frauenspezifischer Indikatoren zu, mehr oder
weniger, von Esping-Andersen abweichenden Ländereinteilungen (3.1) und versucht damit eine Neuorientierung der Typologie.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Zur Regimetypologie Gøsta Esping-Andersens
- Das liberale Modell
- Das konservativ-korporatistische Modell
- Das sozialdemokratische Modell
- Feministische Kritik
- Alternative Wohlfahrtsstaatstypologien
- Das Familienernährermodell (Ostner/Lewis)
- Familienmodelle (Pfau-Effinger)
- Protestantische versus katholische Familienleitbilder (Siaroff)
- Rekonzeptualisierung von Esping-Andersen
- Gendering der Dekommodifizierungsdimension
- Gendering der Stratifikationsdimension
- Gendering der Staat-Markt Dimension
- Alternative Wohlfahrtsstaatstypologien
- Schlussbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht die feministische Kritik an der Regimetypologie von Gøsta Esping-Andersen. Sie zeigt auf, wie diese Kritik die Wohlfahrtsstaatstheorie neu orientiert und rekonzeptualisiert, um die spezifischen Bedürfnisse und Erfahrungen von Frauen im Kontext des Wohlfahrtsstaates zu berücksichtigen.
- Die Grenzen der traditionellen Wohlfahrtsstaatstheorie in Bezug auf die Geschlechterperspektive
- Alternative Typologien, die frauenspezifische Indikatoren einbeziehen
- Rekonzeptualisierung der Esping-Andersen-Typologie durch Integration von Gender-Aspekten
- Die Rolle des Staates in der Förderung von Gleichheit zwischen den Geschlechtern
- Die Bedeutung von Familienmodellen und Geschlechterrollen im Kontext des Wohlfahrtsstaates
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung stellt den Ausgangspunkt der Arbeit dar. Sie beleuchtet die Bedeutung von sozialen Rechten im Kontext der Citizenship-Theorie von T.H. Marshall und zeigt die Notwendigkeit feministischer Kritik an traditionellen Wohlfahrtsstaatstheorien auf.
- Zur Regimetypologie Gøsta Esping-Andersens: Dieses Kapitel präsentiert die grundlegenden Elemente der Esping-Andersen-Typologie. Es beschreibt die drei zentralen Faktoren, die die verschiedenen Wohlfahrtsstaatsregime bestimmen: Klassenmobilisierung, Klassenkoalitionen und das historische Erbe der Regimeinstitutionalisierung.
- Feministische Kritik: Dieses Kapitel analysiert die feministische Kritik an Esping-Andersens Typologie. Es untersucht zwei unterschiedliche Ansätze: Die Entwicklung alternativer Typologien, die frauenspezifische Indikatoren einbeziehen, und die Rekonzeptualisierung der ursprünglichen Typologie durch das Hinzufügen von Gender-Aspekten.
- Alternative Wohlfahrtsstaatstypologien: In diesem Abschnitt werden verschiedene alternative Typologien vorgestellt, die versuchen, die Rolle von Frauen im Kontext des Wohlfahrtsstaates genauer zu erfassen. Beispiele hierfür sind das Familienernährermodell, Familienmodelle und die Unterscheidung zwischen protestantischen und katholischen Familienleitbildern.
- Rekonzeptualisierung von Esping-Andersen: Dieser Teil des Kapitels beleuchtet die Rekonzeptualisierung der Esping-Andersen-Typologie durch Einbeziehung von Gender-Aspekten. Es werden drei Dimensionen diskutiert: die Dekommodifizierung, die Stratifikation und die Staat-Markt-Dimension.
Schlüsselwörter
Die zentralen Begriffe und Konzepte dieser Arbeit umfassen: Feministische Wohlfahrtsstaatstheorie, Regimetypologie, Gøsta Esping-Andersen, Dekommodifizierung, Stratifikation, Gendering, Familienmodelle, Citizenship, soziale Rechte, Geschlechtergleichheit, Reproduktionssphäre.
- Quote paper
- Melanie Füller (Author), 2004, Feministische Kritik an Gosta Esping-Andersen-zwischen Neuorientierung und Rekonzeptualisierung der Theorie, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/31780