Spätestens seit Einführung des Rechtsanspruchs Leistungsberechtigter auf
Gewährung eines Persönlichen Budgets zu Anfang des Jahres 2008 wird das
Thema „Persönliches Budget“ vor allem in Fachkreisen ausführlich und mitunter
recht kontrovers diskutiert. Worum geht es?
Mit der vorliegenden Arbeit möchte ich eine aktuelle und strukturierte Übersicht zum Persönlichen Budget geben.
Eingangs stelle ich die rechtlichen Grundlagen des Persönlichen Budgets dar, dann gehe ich auf die Hintergründe der Entstehung und die intendierten Ziele des Persönlichen Budgets ein. Anschließend fasse ich Informationen zu den konkreten Inhalten des Persönlichen Budgets zusammen: Wie werden die Leistungen finanziert? Wer kommt als Leistungsempfänger in Frage? Wer sind die Leistungsträger? Was sind budgetfähige Leistungen? Und wer erbringt diese Leistungen? Zuletzt schildere ich einige Probleme bei der Umsetzung des Persönlichen Budgets sowie offene Fragen und benenne kritisch zu bewertende Aspekte.
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung
2. Rechtliche Grundlagen des Persönlichen Budgets
3. Hintergründe der Entstehung und Ziele des Persönlichen Budgets
4. Inhalte des Persönlichen Budgets
4.1 Leistungsfinanzierung
4.2 Leistungsempfänger
4.3 Leistungsträger
4.4 Budgetfähige Leistungen
4.5 Leistungserbringer
5. Probleme bei der Umsetzung des persönlichen Budgets, offene Fragen und einige kritische Anmerkungen
5.1 Budgetberatung und Budgetassistenz
5.2 Budgetbemessung: Verpreislichung und Bedarfsfeststellung
5.3 Aspekt der Kostendämpfung
5.4 Weitere Umsetzungshemmnisse
5.5 Befürchtung bezüglich der gesteigerten Markt- und Wettbewerbssituation ...
6. Schlussbemerkungen
LITERATURVERZEICHNIS
1. Einleitung
Spätestens seit Einführung des Rechtsanspruchs Leistungsberechtigter auf Gewährung eines Persönlichen Budgets zu Anfang des Jahres 2008 wird das Thema Persönliches Budget vor allem in Fachkreisen ausführlich und mit- unter recht kontrovers diskutiert. Worum geht es? Kastl und Metzler haben die Grundidee Persönlicher Budgets kurz und griffig zusammengefasst: Menschen mit Behinderung erhalten einen Geldbetrag, mit dem sie selbst die erforderlichen Unterstützungsleistungen auswählen und diese finanzieren.1
Meine Motivation, mich mit dem Thema Persönliches Budget zu befassen, rührt aus meiner täglichen Arbeit mit psychisch kranken und behinderten Menschen im Rahmen der Beratungsarbeit eines Sozialpsychiatrischen Diens- tes sowie der Betreuungsarbeit im Betreuten Einzelwohnen - einer klassi- schen Sachleistung. Für einen Teil der Menschen, die ich berate und betreue, kommt die Inanspruchnahme eines Persönlichen Budgets theoretisch in Frage.
Bei meiner Literaturrecherche zum Thema Persönliches Budget bin ich auf nur wenige Bücher und einige Artikel in Fachzeitschriften gestoßen. Mit Ab- stand am meisten fachliches Material fand sich im Internet. Dort informieren unter anderem Organisationen der Wohlfahrtspflege, Sozial- und Rehabilitati- onsverbände und Vertreter politischer Institutionen über das Persönliche Bud- get und berichten von Erfahrungen mit dem Persönlichen Budget.
Mit der vorliegenden Arbeit möchte ich eine aktuelle und strukturierte Über- sicht zum Persönlichen Budget geben. Eingangs stelle ich die rechtlichen Grundlagen des Persönlichen Budgets dar, dann gehe ich auf die Hintergründe der Entstehung und die intendierten Ziele des Persönlichen Budgets ein. An- schließend fasse ich Informationen zu den konkreten Inhalten des Persönli- chen Budgets zusammen: Wie werden die Leistungen finanziert? Wer kommt als Leistungsempfänger2 in Frage? Wer sind die Leistungsträger? Was sind budgetfähige Leistungen? Und wer erbringt diese Leistungen? Zuletzt schil- dere ich einige Probleme bei der Umsetzung des Persönlichen Budgets sowie offene Fragen und benenne kritisch zu bewertende Aspekte.
2. Rechtliche Grundlagen des Persönlichen Budgets
Vor Inkrafttreten des SGB IX war die Erprobung einer dem Persönlichen Budget nahe kommenden Leistungsform bereits über die so genannte Experimentierklausel (§101a BSHG) möglich.3
Erst mit Inkrafttreten des SGB IX am 01.07.2001 taucht der Begriff Persönliches Budget im Gesetzestext auf (§17 SGB IX)4 und wird zu einer möglichen Leistungsform.
Vom 01.07.2001 bis zum 31.12.2007 ist die Gewährung eines Persönlichen Budgets eine Kann-Leistung, das heißt, der Rehabilitationsträger entscheidet auf Antrag über die Bewilligung eines Persönlichen Budgets nach pflichtgemäßem Ermessen5.
Der Gesetzgeber sah für diesen Zeitraum die modellhafte Erprobung Persönli- cher Budgets unter wissenschaftlicher Begleitung vor (§17 Abs.6, Satz 2 SGB IX). Dies geschah in Deutschland in acht Modellregionen in folgenden Bun- desländern: Bayern, Berlin, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen.6 Die Erprobung ambu- lanter Leistungen der Eingliederungshilfe in Form eines Persönlichen Budgets bildete hierbei einen zentralen Schwerpunkt.7 Die Diskussion der Ergebnisse aus den modellhaften Erprobungen, die hinlänglich dokumentiert wurden, soll hier nicht Thema sein, da das den Rahmen meiner Arbeit sprengen würde.
Seit dem 01.01.2008 besteht ein Rechtsanspruch auf die Gewährung eines Persönlichen Budgets (§159 Abs.5 SGB IX i.V.m. §17 SGB IX), das heißt, bei Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen müssen Anträge auf ein Persönliches Budget bewilligt werden.
Von Bedeutung sind des weiteren die zum 01.07.2004 eingeführte Budgetverordnung (BudgetV)8, in welcher Details zum Verfahren geregelt werden, sowie das Verwaltungsvereinfachungsgesetz9 vom 21.03.2005, das u.a. einige Änderungen der Wortlaute aus dem SGB IX beinhaltet.
Es sei darauf hingewiesen, dass das Persönliche Budget keine neue Leistungs- art darstellt, sondern nur eine alternative Form der Leistungsfinanzierung ist10. Die Leistungen können nunmehr als Geld- statt als Sachleistung gewährt bzw. es können Geldleistungen ergänzend zu Sachleistungen bewilligt werden.
In §17 SGB IX und in der Budgetverordnung sind die budgetrelevanten Leis- tungsarten (Leistungen zur Teilhabe), die Leistungsträger sowie Vorgaben zum Verfahren geregelt.11 Die Kernregelungen zur Ausführung Persönlicher Budgets in §17 Abs.2 bis 4 SGB IX sowie die Bestimmungen der Budgetver- ordnung sind für alle Leistungsträger gültig. Zugleich sind diese bei der Leis- tungserbringung in ihren Zuständigkeitsbereichen an die Bestimmungen der einzelnen Leistungsgesetze gebunden sowie an diesbezügliche Vorgaben zur Ausführung Persönlicher Budgets.12 Hierbei sind insbesondere zu beachten: §103 SGB III, §§ 2 und 11 SGB V, §13 SGB VI, §26 SGB VII, §§28 und 35a SGB XI, §§11,57, 61, 71 und 122 SGB XII und §7 ALG.13 Auf die einzelnen Leistungsträger wird später eingegangen.
3. Hintergründe der Entstehung und Ziele des Persönlichen Budgets
Im nun folgenden Teil meiner Arbeit stelle ich die Hintergründe der Entstehung des Persönlichen Budgets und die Ziele, die durch die Implementierung des Persönlichen Budgets erreicht werden sollen bzw. können, dar.
Entscheidenden Einfluss auf die Entstehung des Persönlichen Budgets hatte der sich schon seit langer Zeit eher schleppend entwickelnde Paradig- menwechsel in der Politik für behinderte Menschen, beginnend mit der Psy- chiatrie-Enquête14 im Jahre 1975. Deutlich wird dies unter anderem in dem national wie international sich verändernden Verständnis von Behinderung. Nach der Internationalen Klassifikation für Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der WHO15 ist Eine Behinderung [ ] nach diesem bio-psycho-sozialen Modell das Ergebnis der (negativen) Wechselwirkung einer Person, ihren Gesundheitspotentialen und Umweltfaktoren. Neben der Beeinträchtigung von Körperstrukturen und funktionen sowie von Aktivitä- ten manifestiert sich Behinderung demnach vor allem als Einschränkung der Partizipation in wesentlichen Lebensbereichen wie Kommunikation, Mobili- tät, Selbstversorgung oder soziales Leben.16 Demnach wird der Begriff Be- hinderung breiter gefasst und in größeren Zusammenhängen gesehen.
Dieses sich wandelnde Verständnis von Behinderung macht eine Veränderung des Verständnisses von Rehabilitation notwendig: Mit dem SGB IX tritt als Ziel aller Rehabilitationsleistungen an die Stelle des traditionellen Begriffs der Eingliederung der Begriff der Teilhabe.17 Dies wiederum bedingt eine neue Herangehensweise an Hilfeplanung und eine Umstrukturierung der Hil- fen. Es geht nicht mehr länger darum, Menschen mit Unterstützungsbedarfen nach einem paternalistischen Modell zu versorgen, indem besondere Hilfesys- teme einen Mangel an Partizipationsmöglichkeiten kompensieren. Vielmehr müssen negative Wechselwirkungen zwischen funktionellen Einschränkungen und Kontextfaktoren durch Leistungen der Rehabilitation aufgehoben werden. Um diese Passung von persönlichen Voraussetzungen und Bedingungen in der Umwelt zu erhöhen und langfristig zu sichern, müssen barrierefreie Infra- strukturen geschaffen und die Entwicklung und (Wieder-)Herstellung indivi- dueller Ressourcen und Handlungskompetenzen der benachteiligten Personen unterstützt werden. Welche Maßnahmen hierfür entscheidend sind, bestim- men Menschen mit Unterstützungsbedarfen selbst [ ].18
Im bisherigen sozialstaatlichen System zeichnete sich Rehabilitation vor allem dadurch aus, dass sie für Menschen mit Behinderung in sehr standardi- sierter Form, das heißt wenig individuell, konzipiert war und dem Leistungs- berechtigten kaum Wahl- und Mitbestimmungsmöglichkeiten ließ. Er bekam ein vorgefertigtes Leistungspaket, ob er daraus nun alle Bestandteile benötigte oder wollte oder nicht. Das bestehende System steht damit stets in Gefahr, einerseits den Subjektstatus behinderter Menschen zu ignorieren, andererseits Prozesse zu unterstützen, die Menschen in ihrer Hilflosigkeit eher bestärken (erlernte Hilflosigkeit).19 Dadurch können Ressourcen und Fähigkeiten behinderter Menschen verloren gehen, deren Einbringung in den Rehabilitati- ons- und Eingliederungsprozess von entscheidender Bedeutung hinsichtlich Motivation, langfristigem Erfolg und Zielerreichung sind. Der Perspekti- venwechsel von der angebots- zur personenbezogenen Unterstützung muss deshalb mit einer konsequenten Ressourcenorientierung bei der Planung und Gestaltung von Leistungen einhergehen.20
Durch den beschriebenen Paradigmenwechsel soll Menschen mit Behinde- rung mehr Mitbestimmungsrecht und Verantwortung zukommen, gleichzeitig wird auch mehr Eigeninitiative und Aktivität gefordert, was an das durch Hartz IV populär gewordene Postulat des Förderns und Forderns erinnert.
Mit dem Persönlichen Budget wird einigen grundlegenden Prinzipien der veränderten Sichtweise bezüglich Behinderung Rechnung getragen:21
Dem Prinzip der Normalisierung (Einbindung von Menschen mit Behinderung in normale Kontexte mit entsprechenden Partizipationschancen) Dem Prinzip der Deinstitutionalisierung bzw. Enthospitalisierung (Hilfen sollen vorrangig ambulant erbracht werden; gemeindeintegrierte bzw. gemeindenahe Einrichtungen, Hilfen, Wohnformen, etc.)
Dem Prinzip der Entprofessionalisierung (Reduzierung der Abhängigkeit Betroffener von professioneller Hilfe)
Dem Prinzip der Individualisierung der Hilfen (Abwendung von der herkömmlichen institutionszentrierten hin zur individuellen, nutzer- bzw. personenorientierten Hilfeplanung und -erbringung)
Diese Prinzipien stehen in engem Zusammenhang mit der EmpowermentBewegung und dem Verständnis von Betroffenen als Experten ihres eigenen Lebens, also auch Experten im Wissen um den Umgang mit ihrer Behinderung, ihren Wünschen und ihrem Hilfebedarf. Durch das Persönliche Budget soll die professionelle Definitionsmacht geschwächt werden.
An dieser Stelle ist auf das im §9 SGB IX verankerte Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten hinzuweisen, [ ] das ihre Partizipation am Lebensstandard einer Gesellschaft und an ihren Vollzügen nach ihren individuellen Zielsetzungen und Bedürfnissen ermöglicht.22
Das Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten fördert deren Eigenverantwortung und Selbstbestimmung. Es eröffnet den Budgetnehmern neue Dispositions- bzw. Entscheidungsspielräume:
Sachliche Dispositionsspielräume: Welche Hilfen will der Betroffene in Anspruch nehmen und wie sollen diese Hilfen gestaltet werden? Soziale Dispositionsspielräume: Von wem sollen diese Hilfen erbracht werden?
Zeitliche Dispositionsspielräume: Zu welchem Zeitpunkt und in welcher Frequenz soll die Hilfe geleistet werden?
Prioritätsspielräume: Die Erlangung welcher Ziele hat subjektiv welche Priorität?
Das Persönliche Budget ermöglicht dadurch passgenauere, individualisiertere, flexiblere und bedarfsgerechtere Hilfen als bisher, weil sie maßgeblich unter der Mitwirkung und Selbstbestimmung der Betroffenen ausgehandelt wer- den.23
[...]
1 Kastl, J.M., Metzler, H. (2005), S.13
2 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit meiner Arbeit habe ich mich durchgängig für die männliche Form entschieden. Selbstverständlich sind auch weibliche Personen damit ge- meint.
3 Vgl. Fuchs, H. (2005), S.1
4 Vgl. SGB IX (2008); Im weiteren Verlauf füge ich zum SGB IX keine Fußnote mehr ein.
5 Metzler, H. et al. (2007), S.28
6 Vgl. Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen (ohne Jahresangabe), S.12
7 Vgl. Metzler, H. et al. (2007), S.35
8 Budgetverordnung (2004); Im weiteren Verlauf füge ich zur Budgetverordnung keine Fußnote mehr ein.
9 Verwaltungsvereinfachungsgesetz (2005); Im weiteren Verlauf füge ich zum Verwaltungsvereinfachungsgesetz keine Fußnote mehr ein.
10 Vgl. Fuchs, H. (ohne Jahresangabe), S.3
11 Vgl. Metzler, H. et al. (2007), S.30
12 Metzler, H. et al. (2007), S.31
13 Vgl. Forschungsstelle Lebenswelten behinderter Menschen Universität Tübingen (2004), S. 6
14 z.B. unter http://www.dgppn.de/de_enquete-1975_39.html
15 World Health Organization (2005)
16 Metzler, H. et al. (2007), S.25
17 Metzler, H. et al. (2007), S.25
18 Wacker, E. et al. (2005), S. 11
19 Kastl, J.M., Metzler, H. (2005), S.14
20 Wacker, E. et al. (2005), S. 29
21 Vgl. Kastl, J.M., Metzler, H. (2005), S.15 f.
22 Wacker, E. et al. (2005), S.9
23 Vgl. Wacker, E. et al. (2005), S.33 f. und Kastl, J.M., Metzler, H. (2005), S.13 f.