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Bachelorarbeit, 2011
60 Seiten, Note: 1,3
1 Einleitung
2 Konfrontative Pädagogik
2.1 Begriffsdefinition und allgemeine Merkmale
2.2 Historische und aktuelle Entwicklung
2.3 Anwendungsbereiche
3 Boot camps
3.1 Gesellschaftliche und kriminalpolitische Hintergründe
3.2 Begriffsdefinition und allgemeine Merkmale
3.3 Entwicklung und Status Quo
3.4 Einrichtungsbeispiel
4 Konfrontative Pädagogik in der Schule
4.1 Normative Rahmenbedingungen
4.2 Grundsätzliche Strategien und Ziele
4.3 Ziele der Konfrontativen Pädagogik – Normative Vorgaben
4.4 Konfrontative Programme für die Realschule plus
5 Modellprojekt
6 Fazit und Handlungsperspektiven
7 Literaturverzeichnis
8 Abbildungsverzeichnis
Gegenstand der vorliegenden Bachelorarbeit ist die Konfrontative Pädagogik und ihre An-wendungsmöglichkeiten in der Schule mit dem Schwerpunkt der Realschule plus. Die Konfrontative Pädagogik ist eine Methode aus der Straffälligenhilfe und hat ihren Ursprung in den amerikanischen Bootcamps. Sie existieren seit 1983 und sind nach dem Vorbild militärischer Grundausbildungslager eingerichtet worden. In Deutschland wurden sie später in verschiedenen Feldern der sozialen Arbeit erprobt und findet heutzutage auch in anderen Bereichen, z.B. in der Schulpädagogik, Anwendung. Seit ihrem Bestehen polarisiert die Konfrontative Pädagogik. Sie sorgt in der Fachöffentlichkeit aufgrund ihrer Leitlinien für erhebliche Irritation und ihre Methoden und Wirkungen werden sehr unterschiedlich bewertet. Die in Deutschland in den letzten 10-15 Jahren drastisch angestiegene Jugendgewalt verlangte lautstark nach alternativen pädagogischen Lösungen und Methoden. Seitdem erfreut sich die Konfrontative Pädagogik wachsender Beliebtheit und ihr Ansehen ist gestiegen. In Deutschland existieren mittlerweile verschiedene Schulen, die konfrontative Ansätze in ihr schulisches Gesamtkonzept integriert haben und in enger Kooperation zu externen Institutionen wie der Jugendhilfe stehen. Anwendungsformen der konfrontativen Pädagogik sind beispielsweise das Anti-Aggressivitäts-Training (AAT), das Coolness-Training (CT) oder das Konfrontative soziale Training (KST). In meiner Bachelorarbeit befasse ich mich zu Beginn mit den Merkmalen der Konfrontativen Pädagogik und zeige auf, wo ihre Anwendungsbereiche liegen. In diesem Zusammenhang gehe ich ebenfalls auf ihre historische und aktuelle Entwicklung in Deutschland ein. Anschließend thematisiere ich ihre Ursprünge und erläutere vertiefend die Merkmale amerikanischer Bootcamps anhand exemplarischer Einrichtungen. Daraufhin erörtere ich die normativen Rahmenbedingungen, die im Hinblick auf eine Anwendung in der Schule bestehen. Kernthema und zugleich Motivation meiner Arbeit ist es herauszufinden, inwiefern die Ziele der Konfrontativen Pädagogik mit den Zielen der normativen Vorgaben der Schule übereinstimmen und inwiefern eine Anwendung in der Schule realisierbar ist. In diesem Zusammenhang stelle ich bereits durchgeführte Programme an der Realschule plus vor und entwickele ein Modellprojekt, indem die Inhalte der Konfrontativen Pädagogik unter Einhaltung der Rahmenbedingungen umgesetzt werden. Letztlich findet ein Ausblick statt, der zukünftige Möglichkeiten und Handlungsperspektiven aufzeigt.
Im Folgenden wird die Konfrontative Pädagogik hinsichtlich ihrer Begrifflichkeit, ihrer historischen und aktuellen Entwicklung analysiert und ihre Anwendungsbereiche vorgestellt.
Der Begriff „Konfrontation“ lässt sich anhand seiner Synonyme eindeutig erläutern und die grundsätzlichen Inhalte der Konfrontativen Pädagogik werden durch sie ebenfalls charakterisiert. Es wird von einer Konfrontation gesprochen, wenn zwei Personen gegenübergestellt werden, um einen Widerspruch oder eine Unstimmigkeit auszuräumen oder wenn jemand in die Lage gebracht wird, sich mit Unangenehmen auseinanderzusetzen. Diese Situationen umschreiben exemplarisch das grundsätzliche Ziel der Konfrontativen Pädagogik, nämlich den Klienten dazu zu bringen, sich direkt und ohne Ausflüchte mit dem eigenen Fehlverhalten zu beschäftigen. Dennoch beschreibt der Begriff "Konfrontative Pädagogik" ein unspezifisches Spektrum pädagogischer Prinzipien, da verschiedene Möglichkeiten und Ansätze existieren, jemanden zu konfrontieren. Der Begriff und die methodischen Grundlagen orientieren sich vor allem an einer Übertragung aus dem therapeutischen Kontext. Der Begriff wurde in Anlehnung an die kognitionspsychologisch orientierte „konfrontative Therapie“ (Corsini 1994 S.555f.) und die "provokative Therapie" (Farrelly / Matthews 1994, S.956f.) entwickelt (Vgl. Weidner 2002, S.42). Bei der „Konfrontativen Pädagogik“ geht es weniger um eine neue Form erziehungswissenschaftlicher Theoriebildung, sondern vielmehr um eine Wiederbelebung der konfrontativen Methodik in der Alltagspraxis sozialer Arbeit und Pädagogik. Die Konfrontative Pädagogik oder präziser formuliert die konfrontative Methodik in der Pädagogik versteht sich als eine Ergänzung, nicht als Alternative zu einem lebensweltorientierten Verständnis. Sie begreift sich als sozialpädagogische ultima ratio, also die letztmögliche Lösung bzw. das äußerste Mittel im Umgang mit Mehrfachauffälligen (Vgl. Weidner 1999, S.4f.). In diesem Zusammenhang spricht sie besonders die Mehrfachauffälligen an, die Freundlichkeit als Schwäche werten. Die Konfrontative Pädagogik ist eindeutig interventionistisch, d.h. sie greift ein und reguliert. Konfrontation stellt in diesem Zusammenhang nur eine von zahlreichen Interventionsformen dar. Die angewendeten Interventionsformen reichen von einem sensiblen verbalen Hinweis bis hin zu Sanktionen, die der Wiedergutmachung dienen. Es wird ein breites Spektrum an Interventionsmöglichkeiten eingesetzt, um die Vermeidungs- bzw. Neutralisierungstechniken der Klienten aufzulösen und um letztendlich Scham- und Schuldgefühle zu wecken. Interveniert wird dann, wenn non-direkte Gesprächsführung, einfühlsame Hilfe für den Einzelnen oder ein lebensweltorientierter Zugang allein nicht mehr ausreichen (Vgl. Weidner 2001, S.7). Im Alltag bedeutet das für den Pädagogen zu intervenieren, wenn er eine Störung sozial-kommunikativer Gruppenbezüge, Verletzungen individueller Freiheitsrechte oder eine Nichtakzeptanz der Unversehrtheit einer anderen Person durch einen Regelverletzer bemerkt. Der entsprechende Klient wird direkt nach seiner Regelüberschreitung mit seiner Tat oder aber mit den/der betroffenen Person konfrontiert (Vgl. Kilb u.a. 2006, S.45f.). Eine unmittelbare Intervention ist für den Erfolg der Methode relevant, denn nur so wird ein direkter Bezug des Klienten zu seinem Fehlverhalten hergestellt. Hinzu kommt die Notwendigkeit einer unmittelbaren Intervention, denn abwarten und gewähren lassen bedeutet, dass Opfer billigend in Kauf genommen werden. Dies gilt bei gewalttätigen Auseinandersetzungen, aber auch bei verbaler, repressiver Gewalt. Die Konfrontative Pädagogik orientiert sich am autoritativen Erziehungsstil. Dieser zeichnet sich durch emotionale Wärme und Zuwendung, aber auch durch verständlich begründete, klare Strukturen und Grenzen sowie durch entwicklungsgerechte Aufgaben und Herausforderungen aus. Er ist weder stumpf-militärisch, noch wird dem Klienten alles erlaubt. Die gezogenen Grenzen werden verständlich durch den Erzieher erklärt. „Der Betroffene soll Akzeptanz erfahren, jedoch nicht seine Taten“ (Weidner 2002, S.39). Es geht darum, „abweichendes Verhalten zu verstehen, aber nicht damit einverstanden zu sein“ (Weidner 2002, S. 42). Die Konfrontative Pädagogik ist ein Ansatz mit einem optimistischen Menschenbild und zielt primär darauf ab, die Selbstverantwortung des Klienten zu fördern. Gelingt dies nicht, wird auch eine sekundäre Veränderungsmotivation akzeptiert. Sie wird durch äußeren Druck erzeugt, der sich beispielsweise in Regelverschärfungen oder anderweitigen Sanktionen bemerkbar macht. Grundlage konfrontativer Pädagogik ist eine durch Sympathie und Respekt geprägte Beziehung zwischen Pädagogen und Klienten, in der abweichendes Verhalten kritisiert und auf eine Verhaltensänderung hingewirkt werden soll (Vgl. Weidner 2002, S.39). Sinnhaftigkeit und Gelingen der Konfrontativen Pädagogik stehen in einem normativen Bezug. Den normativen Maßstab bildet die Einhaltung der Grund- und Menschenrechte. Dieser fungiert im Zusammenspiel mit den Interaktionsregeln. Diese werden von den beteiligten Institutionen oder anhand eines demokratischen Prozesses, bei dem der Klient beteiligt ist, definiert. Beispielsweise wird ohne eine Interventionserlaubnis des Betroffenen nicht konfrontativ gearbeitet. Beides zusammen ergibt für alle Beteiligten eine „normative Mitte“ sowie klar benannte und einzuhaltende Grenzen. Diese zusammen kreierte Interaktions- und Kommunikationskultur ist für beide Parteien den situativen als auch individuellen Verhaltensbedürfnissen übergeordnet und hat immer Priorität. Die konfrontativen Elemente lassen sich gut mit einem demokratisch-partizipativ-partnerschaftlichen Erziehungsrahmen verknüpfen. Außerdem besteht die Möglichkeit, beispielsweise bei extremen Regelverstößen sowie bei stark grenzüberschreitendem Verhalten des Klienten temporär auf diesen Erziehungsrahmen zurückzugreifen. In beiden Fällen ist es im Kontext einer gelingenden Konfrontation wichtig, den anfänglich autoritären Rahmen möglichst bald durch einen demokratisch-partizipativ orientierten zu ersetzen (Vgl. Kilb u.a. 2006, S.46). Die Anwendbarkeit in Verbindung mit dem Laisser-Faire-Stil sowie einem autoritär-patriarchalischen Erziehungsstil ist hingegen schwer realisierbar (Vgl. Lenzen 2002, S.109). Inhalte wie akzeptierendes Begleiten, permissives Verständnis sowie die Ansicht, dass die Ursachen für abweichendes Verhaltens primär im gesellschaftlichen Kontext zu finden sind, sind nicht mit der Konfrontativen Pädagogik vereinbar.
Die Konfrontative Pädagogik hat ihren Ursprung in der Glenn Mills School, einer US-amerikanischen Jugendhilfeeinrichtung, die außerordentlich erfolgreich mit delinquenten Gang-Jugendlichen arbeitet. Sie gilt als Vorreiter-Institution der konfrontativen Methode. 1975 übernahm Sam Ferrainola die Jugendhilfeeinrichtung und reformierte bis 1980 die gesamte Einrichtung. In diesen 5 Jahren wurde das Gebäude renoviert und das gesamt Konzept umgestellt. Behandlungsgrundsätze, Programme, Personal, Organisationsstruktur und Finanzierungspläne wurden reformiert. Das erzieherische Fundament der Glen Mills School bildeten von nun an konfrontative Techniken. Der pädagogische Ansatz der Glen Mills School wird in Deutschland als Symbol einer Paradigmaverschiebung in der (Sozial-) Pädagogik vom akzeptierenden Ansatz hin zur konfrontativeren Pädagogik angesehen und mystifiziert (Vgl. Denz / Weidner 2003, S.1). Obwohl die Techniken der Konfrontativen Pädagogik seit den 1970er Jahren in der Bundesrepublik bekannt sind, lösen sie seitdem bei vielen Sozialpädagogen heftige Abwehrreaktionen aus (Vgl. Simon 2003, S.38f.). Diese sind einerseits dadurch zu begründen, dass die Leitlinien der Konfrontativen Pädagogik sich an einem kriminalsoziologischen Paradigma sowie einem pragmatischen Selbstverständnis orientieren und damit völlig abseits der Leitlinien deutscher Sozialpädagogik liegen. Diese sind in Deutschland seit den 1970er Jahren so selbstverständlich, dass sie nicht mehr in Frage gestellt werden und andere Ansätze und Methoden so nur schwer an Akzeptanz gewinnen können. Andererseits wird angenommen, dass die Konfrontative Pädagogik seit jeher für den Berufsstand der Pädagogen eine massive Kränkung darstellt. Bereits der Begründer der Glen Mills School machte keinen Hehl daraus, dass er von den Kompetenzen der Sozialpädagogen nicht überzeugt ist. Er vertraut lieber den Fähigkeiten ehemaliger Kriminellen, durchtrainierter Sportler und geschickter Handwerker, die sich alle nicht von dem teilweise aggressiven und expansiven Verhalten der Jugendlichen einschüchtern lassen (Vgl. Tischner 2004, S.25). Trotz einer in der deutschen Historie eher ablehnenden und skeptischen Haltung der Konfrontativen Pädagogik gegenüber hat sich mittlerweile sowohl die öffentliche als auch fachmännische Meinung zu ihr teilweise geändert. Hauptursache hierfür ist die drastisch angestiegene Medienpräsenz zum Thema Jugendgewalt in den vergangenen 10-15 Jahren, aus der sich eine Sicherheitsdebatte entwickelte. Obwohl Jugendgewalt bereits seit 1970 ein vertrautes Thema ist und sich insbesondere ihr quantitatives Vorkommen nicht nennenswert geändert hat, ist es umso bemerkenswerter, dass gerade in den letzten 10 Jahren deutlichere Reaktionen und Bewältigungsbemühungen stattfinden. (Vgl. Witte / Sander 2006, S.124). Dieser Umstand ist eventuell dadurch zu erklären, dass sich in den letzten Jahren die Hinnahme- und Verständnisbereitschaft der Bürger geändert hat und sich viele Bürger mittlerweile persönlich bedroht fühlen, wenn sie bestimmte Delikte in den Medien sehen. Leider beschränkt sich die Sicherheitsdebatte jedoch nicht auf den Jugendhilfe- bzw. kriminalpolitischen Kontext, sondern ist Gegenstand eines politischen und öffentlichen Kontextes, der oftmals ein fachliches Hintergrundwissen vermissen lässt (Vgl. Grummt u.a. 2010, S.7f.). Charakteristisch für die Debatte sind die Argumentation und Polarisierung mittels gängiger Figuren und stereotypen Phrasen. Die Verursacher der Gewalt werden hier der männlichen und jungen Bevölkerung zugewiesen und ein Migrationshintergrund wird zusätzlich häufig als Zuordnungskriterium benutzt. Die Thematik verliert nicht an Brisanz, da die Medien in regelmäßigen Abständen vermeintliche Schlüsselereignisse zu dramatischen Verzerrungen der Wirklichkeit nutzen und die Thematik so weiter anheizen. Als vermeintliche Symbolereignisse werden besonders scheußliche und schwerwiegende Taten herangezogen. Für viele Mitbürger scheinen diese einzelnen sehr brutalen Gewalttaten ein Indiz für eine allgemein gesunkene Hemmschwelle und somit eine Bestätigung für das medial erzeugte Bild zum Thema Jugendgewalt zu sein. Es findet eine Gleichstellung der erhöhten Medienpräsenz mit einer gestiegenen Jugendgewalt in der Realität statt. Das Motiv der Medien, hohe Einschaltquoten zu erzielen, ist in diesem Zusammenhang nicht zu unterschätzen. 1997/1998 wurde beispielsweise über den damals 14-Jährigen Muhlis, A. berichtet, der nach einer Serie von 67 nachweisbaren Straftaten aus der U-Haft in die Türkei abgeschoben wurde. Er lebte anschließend phasenweise immer wieder in der Bundesrepublik und genoss dabei jeweils eine hohe mediale Aufmerksamkeit. Ähnliche Berichte gibt es über die blutigen U-Bahn-Vorfälle der Jahre 2007 und 2009 in München, in denen ebenfalls das Kriminalitätsphänomen „junger Intensivtäter“ thematisiert wird. Als aktuellstes Beispiel ist die Verurteilung des 18-jährigen U-Bahn Schlägers Torben P. zu nennen, der vom Berliner Landgericht wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren und zehn Monaten Jugendstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde. So ist es nicht verwunderlich, dass Themen wie Erziehungscamps, geschlossene Unterbringung und das Heruntersetzen der Strafmündigkeitsgrenze immer wieder auf der Tagesordnung stehen. Die Sicherheitsdebatte um den richtigen Umgang mit schwierigen Jugendlichen hat sich mittlerweile auf alle beteiligten Bereiche und Institutionen wie Schule, Jugendhilfe und andere Bereiche sozialer Arbeit ausgeweitet. Unter Fachleuten führte sie zu einer regen Diskussion, welche pädagogischen Mittel hier anzuwenden sind und der Erwartungsdruck an angesprochene Einrichtungen steigt. Die selektive Bearbeitung von Jugendgewalt und eine immer präsente Sicherheitsdebatte hat die Öffentlichkeit zunehmend in eine Richtung geformt, in der kein Platz mehr für „Kuschelpädagogik“ ist. Sie soll durch Handlungskonzepte abgelöst werden, die „maßnahmeresistenten Problemjugendlichen Grenzen aufzeigen und ihnen Strukturen vorgibt“ (Witte / Sander 2006, S.23). Die aktuelle Entwicklung kann überspitzt als eine Umwandlung vom Wohlfahrtsstaat zu einem Sicherheitsstaat bezeichnet werden, bei dem die Gefahr besteht, dass der grundgesetzliche Legitimationsbereich verlassen wird und er verstärkt ordnungspolitische, kontrollierende und strafend-repressive Funktionen einnimmt (Vgl. Grummt u.a. 2010, S.8). Es ist anzumerken, dass der Ruf nach einer härteren Gangart im Umgang mit schwererziehbaren Kindern und Jugendlichen kein ausschließlich nationales Phänomen darstellt. Die Debatte, ob Bestrafung oder Fürsorge sinnvoller ist, wird in den meisten westlichen Ländern geführt. So ist es auch dort der Fall, dass unterschiedliche Strategien zum Thema Jugendgewalt und Repression immer wiederkehren und hierbei wissenschaftliche Erkenntnisse und historische Erfahrungen ignoriert werden. Es findet ein Paradigmenwechsel von der sozialen Integration zum sozialen Ausschluss statt, der eine neue Kultur der Kontrolle, des Strafens, der Disziplinierung und des Zwanges mit sich bringt (Vgl. Köttgen 2007, S.146). In Deutschland führte diese Entwicklung zu verschiedenen Änderungen im Bereich der Jugendarbeit. Es bilden sich seitdem die unterschiedlichsten Arbeitskreise, Ausschüsse, Kommissionen und Gremien, die alle im Zeichen von Sicherheit und Prävention agieren. Zu diesen zählen (kriminal)präventive Räte, Sicherheitspartnerschaften, ämterübergreifende Kooperationen, deliktbezogene und tätergruppenorientierte Projekte. Sie alle stehen in einer engen Verbindung zur Jugend- und Schulsozialarbeit, Gemeinwesenarbeit, Nachbarschaftsbelebungen und Wohn-umfeldverbesserungen. Im nächsten Abschnitt werden Projekte und Institutionen vorgestellt, die konfrontative Methoden anwenden.
Die Anwendungsbereiche der Konfrontativen Pädagogik sind vielfältig und übergreifend. Sie reichen von einfachen ambulanten Maßnahmen bis hin zu durchorganisierten Konzepten, die schulintern als auch schulübergreifend zum Einsatz kommen. Die große Vielzahl an konfrontativen Methoden und ihr grundsätzlich ergänzender Charakter erlauben es, trotz unterschiedlicher Anforderungen eine stimmige Methode zur Verfügung stellen zu können. Der Anwendungsbereich umfasst alle drei kriminalwissenschaftlich festgelegen Präventionsstufen. D.h. die Konfrontative Pädagogik wird in der primären, sekundären und tertiären Prävention eingesetzt. Erstere richtet sich an die Allgemeinheit und ihr Ziel sind allgemeine Ursachen von Kriminalität. Die sekundäre Prävention umschreibt Maßnahmen, die an bereits erkannte Risiken und Gefährdungslagen anknüpfen. Der Bereich der tertiären Prävention behandelt bereits straffällig gewordene Klienten und beinhaltet bis hin zum Strafvollzug alle Maßnahmen, die der Vermeidung eines Rückfalles dienen (Vgl. Meier 2003, S.272). Eine der bekanntesten Einsatzformen der Konfrontativen Pädagogik ist das Anti-Aggressivitäts-Training (AAT) aus dem tertiären Präventionsbereich. Es wurde ursprünglich für den Umgang mit Gewalttätern im amerikanischen Strafvollzug konzipiert und hat mittlerweile in Deutschland seinen Durchbruch gefunden. Es wurde zum ersten Mal in der Justizvollzugsanstalt Hameln eingesetzt und in das dortige Konzept eingebunden. Der Anwendungsbereich des Anti-Aggressivitäts-Trainings ist auf die Arbeit mit bereits auffälligen und delinquenten Jugendlichen beschränkt (Vgl. Kilb u.a. 2006, S.107), jedoch entstanden seit seinem Durchbruch in Deutschland parallel zahlreiche pädagogisch verwandte Handlungsansätze, die andere Anwendungsvarianten eröffnet haben. Konfrontative Methoden finden bereits im primären wie auch im sekundären vorbeugenden Bereich Anwendung. Als Beispiel sind in diesem Zusammenhang das Coolness-Training (CT) für die ambulante Arbeit mit gewaltbereiten Jugendlichen und das kon-frontative Interventionsprogramm (KIP) zu nennen. Das Coolness-Training stellt hierbei meist ein Hilfsangebot auf freiwilliger Basis dar, das sich an Jugendliche mit gewissen Auffälligkeiten und gewaltbereitem Verhalten richtet. Seine Zielgruppe zeigt noch keine Ver-festigung dieses Verhaltens im strafrechtlichen Sinne (Vgl. Gall 2001, S.150f.). Coolness-Trainings werden in der Schule, in peer-groups, im Streetwork-Bereich und in der Jugendhilfe angeboten. Das Konfrontative Interventionsprogramm wurde vom Lehrerkollegium der Eylardus-Schule 1996 entwickelt (Vgl. Kilb u.a. 2006, S.124). Ziel war es, den angestellten Lehrern Handlungsstrategien an die Hand zu geben, um sich in einem von Gewalt geprägten Schulalltag behaupten zu können. Das Programm basiert auf den für Straftäter konzipierten Anti-Aggressivitäts-Trainings und wurde auf die Anforderungen des Schulalltags zugeschnitten und auf die spezifischen Erfordernisse von gewaltbereiten Kindern und Jugendlichen abgestimmt. Der Anwendungsbereich des Konfrontativen Interventionsprogramms setzt sich aus der Schule und ihren internen Angeboten wie Lerngruppen, sozialen Einzel- und Gruppenstunden und Krisenberatung sowie schulübergreifenden Angeboten wie Keep Cool-Gruppen, Elterntraining, Kooperation mit dem Jugendamt und der Polizei, zusammen (Vgl. Kilb u.a. 2006, S.126). Ziel ist eine enge Vernetzung und Kooperation mit den externen Partnern. Ziel ist es, verhaltensauffällige Jugendliche möglichst jeder Zeit und an jedem Ort mit ihrem Fehlverhalten konfrontieren zu können und so die Effizienz des Programmes weiter zu erhöhen. Ein weiterer Anwendungsbereich der Konfrontativen Pädagogik ist das Konfrontative Soziale Training. Es wurde im Jahr 2000 in Zusammenarbeit des Vereins „Rauchzeichen“ mit der Jugendgerichtshilfe Hamburg-Harburg entwickelt und richtet sich an Mehrfach-, Intensiv- und Ersttäter, die gravierende Straftaten begangen haben (Vgl. Krohn u.a. 2006, S.143). Da im schulischen Sektor großes Interesse und starke Nachfrage an dem Programm bestand, wurde das Konzept für die Schulanwendung modifiziert. Dieses Konzept sieht seinen Anwendungsbereich ebenfalls nicht nur in der Schule, sondern versteht sich als eine Schnittstellentätigkeit zwischen den Bereichen Schule, Jugendhilfe und Familie.
Der folgende Abschnitt thematisiert die gesellschaftlichen und kriminalpolitischen Hintergründe, die zur Entwicklung der boot camp-Programme beigetragen haben und verdeutlicht chronologisch die Entwicklungsstufen der angewendeten Programmkonzepte. Die kriminaltheoretischen Hintergründe und der detaillierte Ablauf eines solchen Programmkonzeptes wird exemplarisch anhand eines Einrichtungsbeispiels vorgestellt.
Bootcamps existieren in den USA seit 1983. Sie sind die Konsequenz einer Sicherheitsdebatte, die die Amerikaner als „war on crime“ bezeichnen und die den gestiegenen Kriminalitätsängsten der Bürger Rechnung trägt. In der Debatte werden härtere Sanktionen gegen Straftäter diskutiert, die in Form von Zwangselementen in erzieherischen Prozessen zum Ausdruck kommen sollen. Die Nachfrage nach einer Kultur des Strafens, der Kontrolle und des Zwanges wurde durch das Ergebnis einer 1974 durchgeführten sekundäranalytischen Auswertung der Behandlungsmethoden im amerikanischen Strafvollzug weiter forciert. Das Schlagwort „nothing works“ umschreibt das Ergebnis der Auswertung treffend (Vgl. Gescher 1998, S.1). Der eingeleitete Paradigmenwechsel von welfare vs. punishment erinnert sehr an die Sicherheitsdebatte, die in Deutschland zu Thema Jugendgewalt aufgekommen ist und die unter Abschnitt 2.2 detailliert thematisiert wird. Die angesprochenen Kriminalitätsängste führten zunächst zu einer Zunahme harter Bestrafungskonzepte (being tough on crime) in den 80er Jahren, wie beispielsweise die Wiedereinführung der Todesstrafe 1976, das Erlassen der „three-strikes-you are-out“ Gesetze, (hierzu gehört ebenfalls das three strikes law), das Erlassen von „Truth-in-Sentencing“ Gesetzen (TIS) und der „juvenile court transfer provisions“ (Vgl. Grummt u.a. 2010, S.66). Die Todesstrafe ist heute noch in ca. 35 Bundesstaaten zulässig und es gibt einen Katalog, der nahezu 50 Straftaten umfasst, die mit ihr geahndet werden können. Sogar zur Tatzeit noch Minderjährige konnten bis 2005 hingerichtet werden, was einige Bundesstaaten auch praktiziert haben. Die „three-strikes-you are-out“ Gesetze sehen nach der dritten Verurteilung eine lebenslange Freiheitsstrafe vor, die dann zwingend verhängt werden muss. Dies gilt auch bei banalen Straftaten, wie Drogendelikten oder Diebstählen. Die „truth-in-sentencing“ Gesetze garantieren, dass ein verurteilter Häftling mindestens 85% seiner Strafe hinter Gitter verbringen muss. Vorher war es möglich, dass der Häftling bei guter Führung bereits nach der Hälfte seiner Strafe das Gefängnis verlassen konnte. Die „juvenile court transfer provisions“ vereinfachten die Prozedur, einen Jugendlichen vor ein Erwachsenengericht zu stellen. Diese Entwicklung führte zu einer massiven Zunahme der Inhaftierungszahlen und es wurde nach kostengünstigeren Alternativen gesucht, die ebenfalls das Problem der Gefängnisüberfüllung lösen sollten. Als Lösung präsentierte die amerikanische Strafvollzugspolitik die Einführung der boot camp-Programme. Die Erziehungscamps sollten ein Gefühl der Sicherheit hervorrufen und dem Zustand „nothing works“ entschieden entgegentreten. Boot camp-Programme eignen sich für dieses Vorhaben aufgrund ihrer Medienwirksamkeit und der Tatsache, dass der Bürger mit ihnen leicht das Bild einer harten, strukturierten und effizienten Erziehung assoziieren kann. „Sie versprechen die Wiederherstellung von Tugenden wie Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Straffreiheit, Disziplin und treffen damit genau die Bedürfnisse derjenigen, die sich nostalgisch verklärt nach vermeintlichen Grundfesten der Vergangenheit sehnen“ (Grummt u.a. 2010, S.63). Boot camp-Programme lösen in der Allgemeinheit ein Gefühl innerer Befriedigung aus, da Straftäter, deren Lebensinhalt darin bestand andere zu schädigen und zu demütigen, es verdient haben selber gedemütigt und erniedrigt zu werden. Ihre starke visuelle Einprägungskraft impliziert zudem einen hohen Wiedererkennungswert. Die ersten boot camps wurden 1983 in Oklahoma und Georgia eröffnet (Vgl. General Accounting Office 1993, S.12). Die geschichtlichen Wurzeln der Idee reichen jedoch noch weiter zurück. Verschiedene Elemente der heutigen boot camp-Programme finden sich bereits in der militärischen Ausgestaltung des Jugendstrafvollzuges Ende des 19. Jahrhunderts. Der erste militärische Drill im Strafvollzug wurde im New Yorker Elmira Reformatory unter der Leitung von Zebulon R. Brockway eingeführt (Vgl. Smith 1998, S.20f.). Diese Entwicklung ist dem 1888 erlassenen „Three Yates Law“ geschuldet (Vgl. Rusche / Kirchheimer 1988, S.154f.). Dieses Gesetz verbot jegliche produktive Arbeit, woraufhin der Leiter der Haftanstalt den militärischen Drill als Ersatz für die bisherigen Arbeitsleistungen einführte. Die Grundelemente des hier angewendeten Trainings waren fünf bis acht Stunden Drill am Tag und die Gefangenen wurden in den Grundzügen militärischer Taktik unterwiesen. Weitere Elemente stammen aus den Outward Bound-Schulen, die vor allem das Element der körperlichen Herausforderung zu den heutigen boot camp-Programmen beigesteuert haben. Ihre historischen Wurzeln lassen sich im Großbritannien des zweiten Weltkrieges finden. Damals war die Stärkung der physischen und psychischen Widerstandsfähigkeit der Marinesoldaten das primäre Ziel (Vgl. Correia 1997, S.97). Dieses Konzept wurde nach dem Krieg in das zivile Leben übernommen und es existieren auch heute noch sieben Outward Bound-Schulen in den USA. Sie nehmen jährlich bis zu 7.000 Jugendliche auf und ihre Programme dauern zwischen 21 und 26 Tagen (Vgl. Kelly / Baer 1971, S.438). Die Teilnehmer setzten sich anfänglich aus nicht auffällig gewordenen Jugendlichen zusammen. 1964 wurden erstmals delinquente Jugendliche mit in das Programm aufgenommen (Vgl. Willman / Chun 1973, S.53f.) und ab 1970 existieren entsprechende Programme, die ausschließlich Delinquenten aufnehmen. Sie bekommen im Rahmen mehrtägiger alleiniger Aufenthalte in der Wildnis die Möglichkeit, an ihre physischen und psychischen Grenzen zu stoßen. Diese Grenzerfahrung soll bei den Jugendlichen eine Verhaltensänderung herbeiführen. Weitere Inhalte stammen aus den shock probation-Programmen der 70er Jahre. Sie verknüpfen eine kurze reguläre Inhaftierungszeit von 30 bis 90 Tagen mit einer anschließenden Bewährung und sollen durch die Inhaftierung eine Abschreckung des Delinquenten sowie eine größere Bereitschaft zur Annahme weiterer staatlicher Erziehungs- und Trainingsprogramme bewirken. Zugleich soll die kurze Inhaftierungszeit eine Reintegration des Täters erleichtern (Vgl. Vito 1984, S.22). Auch die US-Armee hat 1968 erstmals versucht, straffällige Soldaten mittels eines Shockprogrammes unter Einbeziehung des Grundausbildungsmodells von Straftaten abzuhalten. Das achtwöchige Programm wurde zunächst unter der Bezeichnung U.S. Army Correctional Activity (USACA) und ab 1973 als U.S. Army Retraining Brigade (USARB) geführt und setzte auf ein Verfahren aus physischem und psychischem Stress in einer streng militärischen Umgebung (Vgl. Ratliff 1988, S.98f.). Das harte körperliche Training bestand aus Märschen und verschiedenen Geländeübungen, gepaart mit ständiger Überwachung und Kontrolle. Ergänzt wurde das Programm durch therapeutische Maßnahmen wie soziales Training sowie Gruppen- und Einzelberatungen (Vgl. Burns 1993, S.29). Die U.S. Army Retraining Brigade wurde nach dem Ende des Vietnamkrieges 1975 eingestellt. Grund hierfür ist die damit verbundene Reduzierung der Truppenstärke sowie eine erhöhte Einstellungsanforderung an neue Rekruten, die wiederum zu einem Rückgang der Straffälligkeit bei den Soldaten führte. 1984 wurde ein Nachfolger-Programm, das sogenannte Specialized Treatment and Rehabilitation in Army Corrections-Programm (STRAC) eingeführt. Der wesentlichste Unterschied dieses Programmes zu den Vorgängern ist die Zielsetzung. Diese ist nicht mehr die Eingliederung in die Armee, sondern die Rückkehr in die zivile Gesellschaft (Vgl. Ratliff 1988, S.99). Ende der 70er Jahre entstehen die scared straight-Programme. Ihre verfolgte Zielsetzung ist die Abschreckung, die innerhalb des Programmes durch eine Konfrontation der Jugendlichen mit dem harten Gefängnisalltag angestrebt wird. Die Teilnehmer werden zu diesem Zweck durch die Haftanstalt geführt und bekommen Gelegenheit, mit Strafgefangenen und lebenslänglich Verurteilten zu kommunizieren. In den USA wurden im Verlauf der boot camp-Historie ebenfalls Erziehungslager für ausschließlich delinquente Jungendliche eingerichtet. 1985 eröffnete in Orleans Parish das erste „juvenile boot camp“ (Vgl. Cronin 1994, S.34). Die juvenile boot camps sind in der Regel für 14-18 Jährige konzipiert und galten lange Zeit als Allheilmittel zur Kriminalitätsbekämpfung. Bei diesen Programmen sind die rehabilitativen und therapeutischen Komponenten sowie die Nachbetreuung ausgeprägter. Ein Aufenthalt in einem juvenile boot camp kann im Gegensatz zu einem camp für Erwachsene auch auf unfreiwilliger Basis stattfinden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Historische Entwicklung der boot camp-Einrichtungen
Der Begriff „boot camp“ hat seinen Ursprung in der US-amerikanischen Armee und bezeichnet bis heute die Grundausbildung in der United States Army und vor allem die besonders harte Grundausbildung des United States Marine Corps. Ein für die Grundausbildung neu rekrutierter Soldat wird ebenfalls „boot“ genannt. Zudem ist „boot“ die amerikanische Bezeichnung für die schweren und harten Armeestiefel, die in solchen Einrichtungen getragen werden müssen. Umgangssprachlich entwickelte sich aus den Aspekten des eingesetzten Drill in der Grundausbildung und den verwendeten Stiefeln das Verb „to boot somebody“. Es bedeutet übersetzt sinngemäß „jemandem in den Hintern treten“, „jemandem einen Stiefeltritt verpassen“. Die Bezeichnung der zivilen boot camp-Programme lehnt sich an die reguläre militärische Grundausbildung an (Vgl. Gescher 1998, S.10). Es ist zwar möglich, den Ursprung des Begriffes zu erläutern, es verhält sich jedoch schwieriger den Begriff „boot camp“ inhaltlich eindeutig zu definieren, da es „das exemplarische boot camp“ nicht gibt. Viele Einrichtungen, die als boot camp bezeichnet werden, sind im Endeffekt keine und nicht jedes boot camp, das eines ist, wird auch so genannt (Vgl. Grummt u.a. 2010, S.61). Unter anderem liegt es daran, dass die boot camp-Programme in den einzelnen Bundesstaaten der USA zum Teil erheblich variieren, was der ausgeprägten bundesstaatlichen Verfassung des Landes geschuldet ist. Sie sorgt dafür, dass jedem Bundesstaat auf dem Gebiet des materiellen und formellen Strafrechtes sowie des Strafvollzugrechts eine eigene Gesetzeskompetenz zusteht (Vgl. Cole u.a. 1987, S.30f.). Die Programme weisen in einigen Bundesstaaten eine solche Heterogenität auf, dass die Suche nach gemeinsamen Definitionsmerkmalen zur Sisyphos-aufgabe gerät (Vgl. Tyler u.a. 2001, S.451). Trotz der angesprochenen Problematik gibt es einige Übereinstimmungen, die fast alle boot camp-Programme aufweisen. So liegt allen Programmen das Konzept zugrunde, eine mehrjährige Haftstrafe durch einen drei- bis sechsmonatigen camp-Aufenthalt zu ersetzen. Alle Programme orientieren sich an einer militärischen Grundstruktur, die harte Arbeit und militärischen Drill als die wichtigsten Programmelemente vorsieht (Vgl. Gescher 1998, S.44). Zu Beginn des camp-Aufenthaltes sehen sie alle eine Einführungsphase vor, die durch eine besonders intensive Durchsetzung des militärischen Regelwerkes und seiner Struktur geprägt ist. Hierbei kommt dem ersten Programmtag eine besondere Bedeutung zu. Die gerade zu Beginn extrem harte Vorgehensweise der drill instructors soll einen Anfangsschock hervorrufen, der längerfristig für eine Abschreckung der Teilnehmer sorgen soll. Dementsprechend steht am Beginn der meisten Programme eine Phase intensiver verbaler Konfrontation zwischen den Ausbildern und den Delinquenten. Sie äußert sich dahingehend, dass die Insassen ständig ins Stillgestanden kommandiert werden, um ihnen dann wiederum Befehle und Regeln aus nächster Nähe ins Gesicht zu schreien (Vgl. Parent 1989, S.21). In der Regel folgt nun eine zweite Phase, die für die Häftlinge durch Ausführung gemeinnütziger Arbeit geprägt ist. Gleichzeitig wird in dieser Phase mit einem Berufstraining begonnen, dass bis in die dritte und letzte Phase fortgesetzt wird. Diese letzte Phase dient ebenfalls der Entlassungsvorbereitung. Der anfänglich sehr massiv eingesetzte Drill findet in den letzten beiden Programmphasen nur noch an den Wochenenden statt (Vgl. Sondervan 1995, S.127f.). Übersteht der Delinquent die Inhaftierungsphase, folgt eine unterschiedlich intensive Bewährungsüberwachung. Die Teilnahmevoraussetzung für ein boot camp-Programm ist in der Regel, dass es sich um einen Ersttäter handelt, der kein Gewaltdelikt begangen hat. Boot camps kommen beispielsweise bei Diebstahl sowie Drogenhandel in Frage. Grundsätzlich herrscht in jedem camp eine spezifische boot camp-Atmosphäre, die sich durch strenge Regeln und Disziplin auszeichnet. Die Teilnahme am militärischen Drill und am physischen Training ist Pflicht und die boot camp-Insassen werden immer getrennt von den anderen Häftlingen untergebracht. Die Nutzung gemeinsamer Einrichtungen wird anhand eines genauen Zeitplanes organisiert und auf die Stunden gelegt, in denen die anderen Häftlinge abwesend sind (Vgl. Mac Kenzie 1990, S.44). Auch wenn kein direkter Kontakt zwischen den Insassen und den boot camp-Teilnehmern besteht, sehen viele Einrichtungen in der gemeinsamen Unterbringung auf einem Gelände den Vorteil, den camp-Teilnehmern stets vor Augen führen zu können, was sie bei einem nicht erfolgreichen Programmdurchlauf erwartet (Vgl. Burns 1995, S.64). Obwohl versucht wurde, die beschriebenen Definitionsmerkmale als Maßstab für eine einheitliche Kategorisierung heranzuziehen, besteht auch heute noch über die Einordnung einzelner Sanktionsprogramme keine Einigkeit. Dies wird an einer Studie der American Correctional Association aus dem Jahr 1993 deutlich, die zu diesem Zeitpunkt sieben boot camps für den Bundesstaat Missouri aufführt (Vgl. Cowles u.a. 1995, S.32). Studien des General Accounting Office (Vgl. General Accounting Office 1993, S.62) und des National Institute of Justice (Vgl. Cronin 1994, S.12f.) aus dem Jahr 1994 erwähnen hingegen kein einziges boot camp-Programm in Missouri. Ein weiterer Beleg für die vorherrschende Uneinigkeit sind die Diskrepanzen bezüglich der boot camp-Anzahl in Georgia. Sowohl das General Accounting Office als auch das National Institute of Justice berichten über 19 boot camps in diesem Bundesstaat, während die American Correctional Association hier lediglich 11 Einrichtungen als boot camp wertet (Vgl. Cowles u.a. 1995, S.32). Alle hier erwähnten Untersuchungen basieren auf Informationen der jeweiligen Ministerien, was darauf schließen lässt, dass selbst innerhalb der Departments of Corrections die Auffassungen über eine Zuordnung der Programme differieren.
Seit der Einführung des ersten offiziellen boot camp-Programmes 1983 in Oklahoma hat die Zahl entsprechender Einrichtungen ständig zugenommen. Ende 1989 existierten bereits 21 boot camp-Programme in 14 Staaten und 13 weitere Staaten planten zu diesem Zeitpunkt die Einführung einer entsprechenden Einrichtung. Ende 1996 hatten bereits 32 Bundesstaaten und der District of Columbia in unterschiedlichen Ausführungen boot camps eingeführt (Vgl. National Institute of Justice 1996, S.60). Hinzu kommt eine Erhöhung der Programmplätze in bereits bestehenden Programmen. Zwischen 1993 und 1995 haben Programme aus elf Bundesstaaten ihre Kapazität erweitert (Vgl. für 1993 Cronin 1994, S.12f. und für 1995 National Institue of Justice 1996, S.60). Exemplarisch für die enorme Kapazitätenerweiterung in den gesamten USA kann der Bundesstaat Georgia angeführt werden. Hier erhöhte sich von 1989 bis 1994 die Anzahl von 250 auf knapp 3.000 Programmplätze (Vgl. Cronin 1994, S.12). 1996 verfügten die 32 bundesstaatlichen boot-camp-Programme und das Programm des District of Columbia über insgesamt rund 9.500 Programmplätze. Bereits zu diesem Zeitpunkt war abzusehen, dass weitere Programme entstehen werden, da der amerikanische Kongress weitere finanzielle Fördermittel für den Umbau ehemaliger Militärstützpunkte zur Verfügung gestellt hatte (Vgl. Reid-MacNevin 1997, S.156). Doch die stetig steigende Popularität der boot camps und ihrer Programmplätze brachte massive Probleme mit sich. In der Öffentlichkeit hat das durch die Politik generierte positive Image der boot camps Schaden genommen. In den Medien wurde zunehmend über schlecht qualifizierte Wärter berichtet, die weder eine pädagogische noch therapeutische Ausbildung besitzen. Des Weiteren gibt es keine rechtlichen und verbindlichen Vorgaben, wie das Personal ausgebildet sein bzw. welche Qualifikationen ein Anwärter für dieses Beruf mitbringen muss. Hinzukommen Schilderungen ehemaliger Insassen, die von gewaltsamen und sexuellen Übergriffen sowie menschenverachtenden Züchtigungsmethoden berichten. Die Übergriffe enden nicht bei Tritten, Schlägen und menschenunwürdigen Befehlen, sondern es liegen empirische Untersuchungen zu Todesfällen vor. Das Government Accountability Office (G.A.O.) untersuchte alleine 10 Todesfälle im Zeitraum von 1990 bis 2007 (Vgl. Government Accountability Office 2008, S.8f.) in denen Wärter den Tod eines Insassen verursacht hatten oder zumindest eine Teilschuld daran tragen. Mittlerweile wurden einige Wärter der entsprechenden Einrichtungen juristisch belangt. Des Weiteren förderte die Untersuchung alleine 1619 Misshandlungsfälle in boot camps allein im Jahr 2005 zu Tage (Vgl. Grummt u.a. 2010, S.63). Die letzte offizielle Statistik aus dem Jahr 2002 drückt in Form deutlicher Rückgänge der Programmplätze bereits die Reaktionen auf diese Vorkommnisse aus. Lediglich im Bundesstaat Mississippi hat sich die Anzahl der Programmplätze von 340 auf 379 erhöht. Die Bezeichnung K.A. steht für keine Angabe, in diesen Fällen lassen sich in der Statistik von 2002 keine aktuelleren Angaben finden. Auch wenn teilweise Reaktionen auf die negativen Vorkommnisse erfolgt sind, desillusionierende Forschungsergebnisse und massive Negativschlagzeilen über weitere Todes- und Missbrauchsfälle weiterhin in den Medien kursieren, finden boot camps auch nach 2002 weiterhin öffentliche wie politische Unterstützung.
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