ULPIANUS libro octavo decimo ad edictum
§ 1. Si servus vulneratus mortifere postea ruina vel naufragio vel alio ictu maturius
perierit, de occiso agi non posse, sed quasi de vulnerato, sed si manumissus
vel alienatus ex vulnere periit, quasi de occiso agi posse Iulianus ait. haec
ita tam varie, quia verum est eum a te occisum tunc cum vulnerabas, quod
mortuo eo demum apparuit: at in superiore non est passa ruina apparere, an
sit occisus. sed si vulneratum mortifere liberum et heredem esse iusseris, deinde
decesserit, heredem eius agere Aquilia non posse. ULPIAN im 18. Buch zum Edikt
§ 1. Ist ein tödlich verletzter Sklave später durch Gebäudeeinsturz, Schiffbruch
oder irgendeinen anderen Unglücksfall schneller zu Tode gekommen, so kann,
wie Julian sagt, nicht wegen der Tötung des Sklaven, sondern nur wegen der
Verletzung geklagt werden; ist er aber nach Freilassung oder Veräußerung an
der Verletzung gestorben, so kann man wegen Tötung klagen. Diese [letzten]
Fälle werden deswegen so abweichend entschieden, weil es richtig ist, dass er
von dir getötet wurde, indem du ihn damals verletzt hast; dies klärte sich jedoch erst durch seinen Tod. Im ersten Fall verhinderte der Gebäudeeinsturz die Klärung, ob [infolge der Tödlichkeit der Verletzung] eine Tötung vorlag. Hast du
aber den tödlich verletzten Sklaven testamentarisch freigelassen und zu deinem
Erben eingesetzt und ist dieser hierauf [nach dem Erbfall] gestorben, so kann
sein Erbe nicht nach der lex Aquilia klagen. Die zu untersuchende Textstelle stammt aus den Digesten des Kaisers Justinian I. (527 – 565), welcher diese im Jahre 533 in Konstantinopel als Gesetzbuch verkündete.
Die Justinianischen Digesten sind eine Zusammenstellung von Auszügen aus
den Werken römischer Rechtsgelehrter – Justinian berichtet in C. 1, 17, 2, 1
davon, dass der verantwortliche Jurist Tribonian aus fast 2000 Büchern klassischer Juristen das Beste ausgewählt habe - und bilden den wichtigsten von
vier Teilen der heutigen Überlieferung des Römischen Rechts, des Corpus Iuris
Civilis, dessen andere Teile die Institutionen, der Codex und die Novellen waren. Die Digesten Justinians waren neben ihrer Funktion als Gesetzbuch
gleichzeitig der Stoff für das 2. – 4. Studienjahr der damaligen Juristen.
Die in den Justinianischen Digesten zitierten Juristen bezeichneten zum Teil
selbst ihre Sammlungen als „Digesten“. Es muss also unterschieden werden
zwischen den Justinianischen Digesten und den „Digesten“ der früheren Juristen.
Inhaltsverzeichnis
- A. D. 9, 2, 15, 1
- B. ÜBERSETZUNG
- C. INSKRIPTION
- I. DIGESTEN
- II. AUTOR
- 1. Ulpian
- 2. Julian
- D. PARAPHRASE
- E. INTERPRETATION
- I. DREI SACHVERHALTE IN D. 9, 2, 15, 1
- II. DIE LEX AQUILIA
- 1. Entstehung
- 2. Wortlaut
- a) 1. Kapitel
- b) 3. Kapitel
- 3. Vergleich zwischen 1. und 3. Kapitel
- 4. Bezug zu D. 9, 2, 15, 1
- III. HAFTUNG DES VERLETZERS NACH ULPIAN
- 1. Zweiter Fall
- 2. Dritter Fall
- 3. Hauptfall
- IV. RÖMISCHE JURISTEN ZU KAUSALITÄTSFRAGEN
- V. „ÜBERHOLENDE KAUSALITÄT“
- VI. ULPIAN ZUR „ÜBERHOLENDEN KAUSALITÄT“
- VII. ÜBEREINSTIMMUNG MIT DER ANSICHT DES JULIAN?
- 1. Wörtliche Übersetzung
- 2. Gegenteilige Äußerung des Julian in D. 9, 2, 51 pr
- 3. Grundsätzliche Vergleichbarkeit der Digestenstellen
- 4. Ist Julian schlicht „unlogisch“?
- 5. Interpretationsversuche einiger Romanisten
- 6. Lösung über Korrektur der Interpunktion
- 7. Resümee
- F. VERGLEICH MIT DEM GELTENDEN RECHT
- I. GELTENDES ZIVILRECHT
- 1. Probleme beim Vergleich mit dem geltenden Recht
- a) Beteiligung eines Sklaven
- b) Denkbare Abwandlung des Falles
- 2. § 823 Abs. 1 BGB als zentrale Schadensersatznorm im Deliktsrecht
- a) Verletztes Rechtsgut: Eigentum
- b) Prüfung der Kausalität im geltenden Recht
- aa) Äquivalenz
- bb) Adäquanz
- cc) Schutzzweck der Norm
- 3. Haftung nach § 823 Abs. 2 i.V.m. Schutzgesetz
- 1. Probleme beim Vergleich mit dem geltenden Recht
- II. GELTENDES STRAFRECHT
- 1. Lösung bei Sachbeschädigung
- 2. Lösung bei Körperverletzung / Tötung
- I. GELTENDES ZIVILRECHT
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht die Digestenpassage D. 9,2,15,1 und vergleicht die römische Rechtsauffassung mit dem geltenden deutschen Recht. Im Fokus steht die Analyse der unterschiedlichen juristischen Herangehensweisen an Kausalitätsfragen, insbesondere im Kontext der „überholenden Kausalität“.
- Interpretation von D. 9,2,15,1
- Analyse der Lex Aquilia und ihrer Anwendung
- Untersuchung der Kausalitätstheorien im römischen Recht
- Vergleich der römischen Rechtsauffassung mit dem modernen deutschen Zivil- und Strafrecht
- Besondere Betrachtung der „überholenden Kausalität“
Zusammenfassung der Kapitel
A. D. 9, 2, 15, 1: Dieses Kapitel dient als Einleitung und stellt die zu untersuchende Textstelle aus den Digesten vor. Es bildet den Ausgangspunkt der gesamten Analyse und definiert den Rahmen der weiteren Untersuchungen.
B. ÜBERSETZUNG: Hier wird die ausgewählte Textstelle aus den Digesten ins Deutsche übersetzt. Diese Übersetzung bildet die Grundlage für die spätere Interpretation und den Vergleich mit dem modernen Recht.
C. INSKRIPTION: In diesem Abschnitt wird die Textstelle in ihren Kontext innerhalb der Digesten eingeordnet. Die Autoren und die Entstehungsgeschichte der Passage werden beleuchtet, um ein besseres Verständnis des Ursprungs und des historischen Hintergrundes zu ermöglichen. Die Analyse der Autoren Ulpian und Julian und ihrer Meinungsverschiedenheiten legt den Grundstein für die spätere Auseinandersetzung mit der "überholenden Kausalität".
D. PARAPHRASE: Dieser Abschnitt bietet eine kurze Zusammenfassung und Deutung der Digestenpassage in eigenen Worten. Es dient als Brücke zwischen der Übersetzung und der detaillierten Interpretation im nächsten Abschnitt.
E. INTERPRETATION: Das Herzstück der Arbeit. Es werden die verschiedenen Sachverhalte in D. 9, 2, 15, 1 analysiert und im Lichte der Lex Aquilia interpretiert. Die Entstehung und der Wortlaut der Lex Aquilia werden detailliert untersucht, mit Fokus auf den Vergleich zwischen dem ersten und dritten Kapitel der Lex und deren Bezug zu der Digestenpassage. Die Haftungsfrage wird aus der Perspektive des römischen Juristen Ulpian beleuchtet und der komplexe Aspekt der „überholenden Kausalität“ ausführlich diskutiert. Die Arbeit setzt sich kritisch mit unterschiedlichen Interpretationen römischer Juristen auseinander, einschließlich der Meinungsverschiedenheiten zwischen Ulpian und Julian, und analysiert verschiedene Lösungsansätze, einschließlich der Korrektur der Interpunktion.
F. VERGLEICH MIT DEM GELTENDEN RECHT: Dieser Abschnitt bildet den Vergleich zwischen der römischen Rechtsauffassung bezüglich Kausalität und dem geltenden deutschen Recht. Es werden die Probleme aufgezeigt, die sich bei einem direkten Vergleich aufgrund der unterschiedlichen sozialen und rechtlichen Kontexte ergeben, insbesondere die Beteiligung eines Sklaven im römischen Recht. Es erfolgt eine detaillierte Analyse von § 823 Abs. 1 BGB, der zentralen Schadensersatznorm im deutschen Deliktsrecht, und ihrer Anwendung auf den Fall, inklusive der Prüfung der Kausalität anhand der Äquivalenz-, Adäquanz- und Schutzzwecktheorie. Die „überholende Kausalität“ wird im Kontext des geltenden Rechts diskutiert und mit unterschiedlichen Fallgruppen illustriert. Schließlich wird der Vergleich mit dem geltenden Strafrecht hergestellt.
Schlüsselwörter
Digesten, D. 9,2,15,1, Lex Aquilia, Kausalität, überholende Kausalität, Ulpian, Julian, Römisches Recht, Deutsches Recht, § 823 BGB, Schadensersatz, Deliktsrecht, Strafrecht, Rechtsvergleichung.
Häufig gestellte Fragen zu: Analyse der Digestenpassage D. 9,2,15,1
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert die Digestenpassage D. 9,2,15,1 und vergleicht die römische Rechtsauffassung mit dem geltenden deutschen Recht. Der Fokus liegt auf der Analyse unterschiedlicher juristischer Herangehensweisen an Kausalitätsfragen, insbesondere im Kontext der „überholenden Kausalität“.
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit behandelt die Interpretation von D. 9,2,15,1, die Analyse der Lex Aquilia und ihrer Anwendung, die Untersuchung der Kausalitätstheorien im römischen Recht, den Vergleich der römischen Rechtsauffassung mit dem modernen deutschen Zivil- und Strafrecht und eine besondere Betrachtung der „überholenden Kausalität“. Sie umfasst eine Übersetzung der Digestenpassage, eine Einordnung in den Kontext der Digesten (inkl. Autorenanalyse von Ulpian und Julian), eine Paraphrase, eine detaillierte Interpretation der verschiedenen Sachverhalte und einen umfassenden Rechtsvergleich.
Welche Autoren werden untersucht?
Die Arbeit analysiert die Schriften der römischen Juristen Ulpian und Julian, insbesondere ihre unterschiedlichen Auffassungen zur Kausalität, und vergleicht diese mit modernen Interpretationen.
Welche Rechtsquellen werden herangezogen?
Die Hauptquelle ist die Digestenpassage D. 9,2,15,1. Der Vergleich mit dem geltenden Recht erfolgt anhand des § 823 Abs. 1 BGB (Zivilrecht) und relevanter Bestimmungen des Strafrechts.
Wie wird die „überholende Kausalität“ behandelt?
Die „überholende Kausalität“ bildet einen zentralen Aspekt der Arbeit. Sie wird sowohl im Kontext des römischen Rechts (unter Berücksichtigung der Meinungsverschiedenheiten zwischen Ulpian und Julian) als auch im Kontext des geltenden deutschen Rechts ausführlich diskutiert und analysiert.
Welche Methoden werden angewendet?
Die Arbeit verwendet Methoden der juristischen Textinterpretation, Rechtsvergleichung und Rechtsdogmatik. Es werden verschiedene Interpretationsansätze diskutiert und kritisch bewertet, inklusive der Analyse von Interpunktion und Wortlaut.
Welche Probleme werden bei dem Rechtsvergleich aufgezeigt?
Die Arbeit thematisiert die Herausforderungen beim Vergleich des römischen Rechts mit dem modernen deutschen Recht, insbesondere die Unterschiede im sozialen und rechtlichen Kontext (z.B. die Beteiligung von Sklaven im römischen Recht).
Welche Kapitel umfasst die Arbeit?
Die Arbeit gliedert sich in die Kapitel: D. 9, 2, 15, 1 (Einleitung), Übersetzung, Inskription (inkl. Autorenanalyse), Paraphrase, Interpretation (mit detaillierter Analyse der Lex Aquilia und der verschiedenen Sachverhalte in D. 9, 2, 15, 1) und Vergleich mit dem geltenden Recht (Zivil- und Strafrecht).
Welche Schlüsselwörter beschreiben die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Digesten, D. 9,2,15,1, Lex Aquilia, Kausalität, überholende Kausalität, Ulpian, Julian, Römisches Recht, Deutsches Recht, § 823 BGB, Schadensersatz, Deliktsrecht, Strafrecht, Rechtsvergleichung.
- Quote paper
- Thomas Blum (Author), 2008, Digestenexegese - D. 9, 2, 15, 1, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/113064