Familiensoziologie: Aktuelle Fragen zur Familie /
19. Januar 2000 / Anstieg der Scheidungszahlen / Jens Theden
Korrelationen zwischen Scheidung und Sozialstatistik (Beispiele):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
- solche Daten kratzen nur an Oberfläche, daher bitte keine vorschnellen Schlüsse
Theorien von Ehestabilität bzw. -instabilität:
- Austauschtheorie:
- Kern dieser Überlegung ist Kosten-Nutzen-Rechnung
- wenn die Kosten die Nutzen nicht übersteigen, haben beide Partner Vorteile von Ehe
- Stabilität bei hoher Attraktion des Partners, schwachen Attraktionen von Alternativen und hohen Barrieren bei Scheidung
- Frau hat heute ökonomische und soziale Alternativen zu Ehe · höhere Attraktivität des Alleinlebens
-ökonomischer Ansatz:
- Familie als Produktionsinstanz von Gütern (z.B. Kinder, Ansehen, Gesundheit)
- Anstreben von günstigen Produktionsbedingungen
- Scheidung bei ungünstigen Produktionsbedingungen
- Balancetheorie:
- entscheidend ist Verhältnis zwischen Positivem und Negativem in der Ehe
- Stresstheorie:
- Frage nach Fähigkeit, Stress zu verarbeiten
- Anstieg der Belastungen in Ehe · Abnahme der gemeinsamen Zeit ·
Verschlechterung der Interaktion zwischen den Partnern · Auseinandersetzungen
- Theorie der triadischen Balance:
- negative Partnerbeziehung · negativere Wahrnehmung · Rückzug, Distanzierung, Isolierung · Scheidungsgedanken
- Strukturwandel der Ehe:
- Strukturwandel als Ursache der gestiegenen Scheidungszahlen
- Ehe nicht mehr vorrangig als Institution, mehr emotionale, intime Ausrichtung
- Ehe hat weniger gesellschaftliche Funktionen
- Modernisierungsansatz
- abnehmender Einfluss von traditionellen Normierungen und Bindungen
- Chancen (mehr Freiheiten), aber auch mehr Verpflichtungen (eigenverantwortliche Lebensgestaltung)
- in Ehe (enge Lebensgemeinschaft) müssen zwei Leute ihr Leben planen · mögliche Konfrontationen
- zu Zeit des Bürgertums hatte Frau nichts zu sagen · keine Meinungsverschiedenheit
- heute ist die Meinung der Frau der des Mannes gleichwertig · Gefahr der Auseinandersetzung
- fehlende Rollenzuschreibungen (wer macht was?)
Forschung:
- Rosenkranz & Rost (1998)
- Befragung von verheirateten und getrennten Paaren (Kontrastgruppenvgl.)
Ergebnisse:
höheres Scheidungsrisiko bei:
- kurzer vorehelicher Beziehung
- Partner aus Scheidungsfamilie oder aus belasteter Familie (Krankheit, Tod)
- Frau mit Karriereambitionen
- kleiner Rolle von religiösen Werten
- früher Trennung vom Elternhaus
- Scheller (1992)
- Befragung von Geschiedenen, Getrennten und Verheirateten (Vergleich alter und neuer Werte)
Ergebnisse:
- Wandel der Ansprüche an Ehe Hauptursache für gestiegene Scheidungszahlen
- jüngere Frauen wollen mehr Gemeinsamkeit, Selbständigkeit und Mitbestimmung als ältere Frauen
- bei älteren Frauen Wert auf Erhaltung der Ehe (Pflichtwerte)
- bei jüngeren Frauen Wert auf Selbstentfaltungswerte
- emotionale Ansprüche an Ehe gestiegen
- Frau ordnet sich nicht mehr dem Mann unter
- höheres Scheidungsrisiko bei berufstätigen Frauen
Was passiert nach der Scheidung?
- Wiederheiratsbereitschaft
- seit einigen Jahren rückläufig
- Frauen haben oft Angst vor Rückfall in die Unselbständigkeit
Untersuchung von Scheller (1992) · Unterteilung in Leute, die wieder heiraten wollen, solche, die sich nicht sicher sind und Geschiedene, die nicht wieder heiraten wollen
- erste Gruppe: Wiederheirat oft wegen Kinderwunsch; wegen stärkerer Regelung der Lebensverhältnisse; viele meinen, beim ersten Mal vorschnell geheiratet zu haben und wollen es beim zweiten Mal besser machen
- zweite Gruppe (grösster Teil): keine Meinung, weil diese Leute keinen direkten Sinn in Ehe sehen; wichtig ist aber eine neue Partnerbeziehung, Ansprüche jetzt von Ehe losgelöst
- dritte Gruppe: Verzicht auf Wiederheirat wegen negativer ehebiografischer Erfahrungen (intime Verletzungen · kein zweiter Versuch); zu hohes Alter; Erleben der Ehe als Einschränkung
- ältere Männer heiraten öfter wieder als ältere Frauen · sie kommen ohne Frauen nicht zurecht
- Ehe hat Monopolfunktion zur Erfüllung bestimmter Ansprüche verloren · man muss nicht unbedingt verheiratet(oder wiederverheiratet) sein
- Folgen für die Kinder
- in BRD: jedes 10. minderj. Kind von Scheidung betroffen
- Scheidung bedeutet langer und tiefgreifender Veränderungsprozess: z. B.
Wohnortwechsel, Schulwechsel, Absinken des Lebensstandards, Änderung des Erziehungsstils, etc.
- verschiedenes Reagieren der Kinder je nach Alter und Geschlecht (z. B. Mädchen sind eher überkontrolliert und überangepasst, während Jungen mehr aggressiv und unsozial reagieren)
- Verhaltensauffälligkeiten nicht unbedingt erst nach Scheidung, Zusammenhang zwischen Streitigkeiten der Eltern und Verhaltensstörungen der Kinder
- wichtig für Kinder ist eine gute Umgangsform der Ex-Eheleute und positive Beziehungen zu beiden Elternteilen
Literatur (Auswahl):
Beck, Ulrich: Risikogesellschaft
Beck, Ulrich & Beck-Gernsheim, Elisabeth: Das ganz normale Chaos der Liebe
Bundesministerium für Familie, Senioren, Jugend und Familie: Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik
Kopp, Johannes: Scheidung in der Bundesrepublik
Nave-Herz, Rosemarie & Markefka, Manfred: Handbuch der Familienforschung Scheller, Gitta: Wertwandel und Anstieg des Ehescheidungsrisiko Uderzo, Albert: Asterix und Maestria ;-)
Zeitschrift für Familienforschung, Ausgaben 2/1999 und 1/1998