Was bleibt, wenn die Liebe geht? In Botho Strauß' Erzählung "Die Widmung" stürzt der Protagonist Richard in eine tiefe Krise, nachdem Hannah ihn ohne Erklärung verlassen hat. Die plötzliche Begegnung mit Fritz, einem anderen Verlassenen, der ebenfalls von Hannahs rätselhaftem Verschwinden gezeichnet ist, verspricht zunächst Trost und Verständnis. Doch anstatt einer heilsamen Aussprache entspinnt sich ein groteskes Kammerspiel des Unvermögens, der Sprachlosigkeit und der Isolation. Zwei Männer, vereint im Schmerz des Verlassenseins, scheitern auf tragikomische Weise an dem Versuch, miteinander in Kontakt zu treten. Ihre Dialoge zerfasern zu Monologen, ihre Sehnsüchte nach Nähe und Bedeutung bleiben unerfüllt. Strauß entwirft ein beklemmendes Porträt der modernen Entfremdung, in dem selbst die intimsten Beziehungen von Missverständnissen und dem Unvermögen zur Empathie geprägt sind. Die Erzählung seziert die brüchige Fassade bürgerlicher Existenz und offenbart die Abgründe der Einsamkeit, die unter der Oberfläche lauern. Richard, gefangen in seiner Wohnung, umgeben von den Geistern vergangener Liebe, verkörpert die Lähmung des modernen Individuums, das sich in der Sinnlosigkeit des Daseins verliert. Fritz, der gescheiterte Architekt, flüchtet sich in Pillen und groteske Visionen, um der Realität zu entkommen. "Die Widmung" ist eine schonungslose Analyse der menschlichen Unfähigkeit zur Kommunikation und der verzweifelten Suche nach Halt in einer Welt, die zunehmend von Entfremdung und Orientierungslosigkeit geprägt ist. Ein Meisterwerk der psychologischen Tiefenschärfe, das den Leser mit unbequemen Fragen über die Natur der Liebe, die Grenzen der Kommunikation und die conditio humana konfrontiert. Ein Muss für alle, die sich für zeitgenössische Literatur, Beziehungsdramen und die Erforschung menschlicher Abgründe interessieren. Die Themen Einsamkeit, Entfremdung, Kommunikationslosigkeit und die Suche nach Sinn werden in diesem Werk eindringlich behandelt und regen zur Selbstreflexion an. Eine Erzählung, die lange nach dem Lesen nachhallt und zum Nachdenken über die Zerbrechlichkeit menschlicher Beziehungen anregt.
Botho Strauß: Die Widmung, Eine Erzählung
Aufgabenstellung: Interpretieren Sie die Begegnung mit Fritz vor dem Hintergrund der gesamten Erz ä hlung. (Kap. 4, S. 36-48)
Die Begegnung mit Fritz, einem guten Freund von Hannah, ereignet sich sehr plötzlich und unangekündigt. Richard und er teilen das gleiche Schicksal: Hannah hat sie beide verlassen, ohne einen für die beiden ersichtlichen Grund dafür zu haben. Aus diesem Grund sucht Fritz Richards Wohnung auf. Er hofft, dort entweder seine Freundin oder wenigstens eine Erklärung für ihr Verschwinden zu finden.
Trotz, oder vielleicht gerade wegen der ähnlichen Situation, in der sich die beiden Männer befinden, misslingt die ganze Begegnung.
Die zwischenmenschliche Kommunikation schlägt fehl: „Natürlich war er [Richard] sehr begierig, von ihm etwas über H. zu hören, zugleich aber fest entschlossen, keine interessierte Frage an den Eindringling zu richten. Denn man kann jemanden nur so lange ignorieren, wie man ihn nichts fragt.“ (S. 37, Z. 16-19) [Fritz:] „’Wie war sie denn, als Sie sie kennenlernten, hm?’ ‘Ich weiß es nicht mehr’, sagte Richard, und diesmal traf er den gewünschten unzugänglichen Ton.“ (S. 39, Z. 3-6) Weitere Hinweise findet man in dem Gespräch auf Seite 40, das zeitweilig mehr wie eine Aneinanderreihung von zusammenhanglosen Monologen scheint. Auf Fritz’ Bemühen, ein Gespräch über ihr Verlassensein und Hannah anzufangen, erwidert Richard nur: „Rauchen Sie bitte nicht so viel in meiner Wohnung.“ (Z. 13) Fritz folgt dieser Aufforderung jedoch nicht, spricht nur kurz über diese Ersatzhandlung („Das bringt diese Art von Tätigkeit in Form von Untätigkeit mit sich...“ Z. 15-16), um daraufhin wieder damit fortzufahren, über sein Hobby, die freie Architektur, zu berichten. Mit Fritz’ Worten: „Ein missglücktes Gespräch... Wie sollte es auch anders sein?“ (S. 42, Z. 23-24)
Ein weiterer Aspekt der Begegnung ist die Einsamkeit: Seit Hannah Richard verlassen hat, ist dieser von der Gesellschaft völlig isoliert. Er geht nicht mehr arbeiten, seine Telefonleitung ist gesperrt, weil er die Gebühren länger nicht bezahlt hat, die Putzfrau kommt nicht mehr. Auch Fritz ist von Hannah verlassen. „Was willst du schon tun? Die Tage der Verlassenheit sind alle umsonst. Und alle Verlassenen sind faul, stumpfsinnig, verstopft -“, sagt Fritz. (S. 43, Z.15-17) Man würde meinen, wenn man das gleiche Schicksal teilt, könnte man sich gegenseitig helfen, damit fertig zu werden. Aber statt dessen, in einem Moment, in dem man zusammen sein könnte, isoliert sich Richard auch noch von Fritz, indem er in Hannahs Zimmer flüchtet und die Tür zuschließt. („’Nun’, fragte Fritz, (...) ‘wird’s ein Gespräch oder wird es keins? Was meinst du?’ ‘Keins!’ rief Richard (...) Er schlug die Tür hinter sich zu und sperrte ab.“ S. 45, Z. 9-13) Es findet nun kein Gespräch zwischen den beiden mehr statt, wobei man auch die Wortwechsel vorher nur schwerlich als Gespräche bezeichnen kann. Sie sind jetzt sogar räumlich voneinander getrennt, zuvor waren sie es nur auf der geistigen Ebene.
In dieser Hinsicht könnte man auch Fritz’ Hobby interpretieren. Bevor er Hannah kennen lernte, beschäftigte er sich mit „kreuzungsfreier Straßenführung in der Innenstadt“, erzählt er dem desinteressierten Richard. (S. 45) Kreuzungsfreier Verkehr hätte die Folge, dass man sich kaum mehr auf andere Verkehrsteilnehmer konzentrieren müsste, kein anderes Auto würde mehr die eigene Fahrbahn kreuzen. Es kämen keine richtigen Begegnungen mehr zustande, man hätte eine Richtung für sich und könnte dieser ungestört (ohne Ampeln, Fußgänger, etc.) folgen.
Sowohl Richard als auch Fritz versuchen der Einsamkeit jedoch zu entrinnen. Das Rauchen schafft Fritz „eine behagliche Vorstellung von Geselligkeit -“ (S. 41, Z. 4-5) und seit er Hannah kennt, kann er es sich nicht mehr vorstellen, sich mit kreuzungsfreier Straßenführung zu beschäftigen. (s. obigen Erklärungsversuch) („...selbst auf die Idee käme ich nicht mehr...!“ S. 45, Z. 5-6). Er sagt, seine freie Architektur schaffe ihm keine Befriedigung mehr. „Lauter Kinkerlitzchen.“ (S. 44, Z. 22) Was Fritz jedoch als sehr schön, sehr fein bezeichnet, ist ein „heliotropes Naturhaus für Mensch, Pflanze, Tier “ (S. 44, Z. 25-27). Darin spiegelt sich die Sehnsucht nach Geselligkeit wider, nach einem gesunden Miteinander mit anderen Lebewesen.
Bei Richard äußert sich diese Sehnsucht, als er in Hannahs Zimmer eingeschlossen sitzt und an seinen Briefen an Hannah weiter schreiben will. „Unterbrechung und Aufschub des Schreibens bedrängten ihn, und er merkte zum ersten Mal, wie normal und unentbehrlich ihm seine täglichen Äußerungen geworden waren.“ (S. 46, Z. 10-13) Auch Richard sehnt sich nach Gemeinschaft, nach Kommunikation, Gedankenaustausch. Am liebsten wäre ihm eine Rückkehr Hannahs, aber schon das Mitteilen seiner eigenen Gedanken bedeutet ihm viel.
Die Männer wünschen sich einen Lebensinhalt. Für Fritz schien dies lange Zeit sein Hobby zu sein, doch seit er Hannah kennt, ist es ihm nicht mehr viel wert. An einer Stelle erkennt Richard, dass Fritz „nicht wirklich ein leidenschaftlicher Mensch war, sondern ein Wichtigtuer vor sich selber, nur ein Halb-Irrer, noch als Irrer ein Stümper.“ (S. 41, Z. 10-13) Er möchte gerne etwas darstellen, von Bedeutung sein, etwas Bedeutsames mitteilen können. Doch sein Leben ist, wie das Richards, inhaltslos. Sogar mit sich selbst wird Fritz nicht fertig. Er verdrängt die Wirklichkeit mit Medikamenten: „Die Pillen hatten offenbar eine ziemlich prompte Wirkung. Fritz war deutlich gleichgültiger geworden, seine Schwärmerei wich einer leiseren, beschaulicheren Emphase.“ (S. 39, Z. 6-9)
Häufig gestellte Fragen
Worum geht es in der Analyse von Botho Strauß' "Die Widmung" bezüglich der Begegnung mit Fritz?
Die Analyse konzentriert sich auf die Bedeutung der plötzlichen Begegnung zwischen Richard und Fritz (einem Freund von Hannah) im Kontext der gesamten Erzählung "Die Widmung". Beide Männer wurden von Hannah verlassen, und Fritz sucht Richard auf, in der Hoffnung, Hannah zu finden oder eine Erklärung für ihr Verschwinden zu erhalten.
Warum scheitert die Kommunikation zwischen Richard und Fritz?
Die Kommunikation zwischen Richard und Fritz scheitert trotz ihrer ähnlichen Situation. Richard weigert sich, Interesse an Fritz' Informationen über Hannah zu zeigen, und beide verfallen in Monologe. Richard weist Fritz' Versuche, ein Gespräch über Hannah anzufangen, ab und bittet ihn stattdessen, weniger zu rauchen.
Wie wird das Thema Einsamkeit in der Begegnung dargestellt?
Die Begegnung verdeutlicht die Einsamkeit beider Charaktere. Richard ist seit Hannahs Verschwinden isoliert, und auch Fritz ist verlassen. Trotz der Möglichkeit, sich gegenseitig zu helfen, isoliert sich Richard weiter, indem er sich in Hannahs Zimmer einschließt. Die Begegnung unterstreicht das Gefühl der Verlassenheit und Unfähigkeit zur Kommunikation.
Welche Bedeutung hat Fritz' Hobby der "kreuzungsfreien Straßenführung"?
Fritz' früheres Interesse an "kreuzungsfreier Straßenführung" wird als Metapher für den Wunsch nach Vermeidung von Begegnungen und Konflikten interpretiert. Ähnlich wie bei einer Straße ohne Kreuzungen, bei der man keine anderen Verkehrsteilnehmer beachten muss, wünscht sich Fritz eine ungestörte, isolierte Existenz. Dieses Hobby verliert jedoch nach dem Kennenlernen von Hannah an Bedeutung.
Welche Sehnsüchte äußern Richard und Fritz?
Sowohl Richard als auch Fritz sehnen sich nach einem Lebensinhalt und Entkommen aus der Einsamkeit. Fritz findet kurzzeitig Trost im Rauchen und verliert das Interesse an seinem Hobby. Er träumt von einem "heliotropen Naturhaus", das eine Sehnsucht nach Geselligkeit und einem harmonischen Zusammenleben mit anderen Lebewesen widerspiegelt. Richard sehnt sich nach Hannahs Rückkehr oder zumindest nach der Möglichkeit, seine Gedanken in Briefen an sie auszudrücken.
Welche Rolle spielen Medikamente in Fritz' Leben?
Fritz nimmt Medikamente, um die Wirklichkeit zu verdrängen. Die Pillen machen ihn gleichgültiger und dämpfen seine Gefühle. Dies deutet darauf hin, dass er Schwierigkeiten hat, mit seinen Emotionen und der Situation des Verlassenseins umzugehen.
Was verdeutlicht die Ironie am Ende der Begegnung?
Die Ironie, dass Hannah sich nach langer Zeit telefonisch meldet und sogar Richards Rechnung bezahlt hat, um ihn zu erreichen, aber Fritz ans Telefon geht, unterstreicht die Sinnlosigkeit und Schicksalhaftigkeit des Lebens und die Unfähigkeit der Charaktere, trotz aller Bemühungen, zueinander zu finden.
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- Sarah Baumgarten (Author), 2000, Strauß, Botho- Die Widmung - Eine Erzählung, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/95680