Die Interessen aller von unternehmensinternen Untersuchungen betroffenen Personen stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander. Im Interesse der Unternehmensleitung liegt die Aufklärung der Vorkommnisse zur Schadensverhinderung oder -reduzierung. Im Gegensatz dazu streben Strafverfolgungsbehörden den Zugriff auf die Ergebnisse und die dazugehörigen Unterlagen/Dokumente. Die befragten Mitarbeiter/innen sind daran interessiert, die Befragungen möglichst ohne arbeitsrechtliche Konsequenzen, die Einleitung eines Strafverfahrens oder Schadensersatzklagen zu überstehen.
Im angloamerikanischen Bereich schützt das sogenannte „Legal Privileg“ die Korrespondenz und Unterlagen der internen Untersuchungen. In Deutschland gibt es einen solch umfangreichen Schutz bis dato nicht, wie beispielsweise auch das Bundesverfassungsgericht im Kontext der VW-Untersuchungen klarstellt.
Die vorliegende Hausarbeit beschreibt den Ansatz interner Ermittlungen im Unternehmensumfeld und analysiert die damit verbundenen Verschwiegenheitsregeln; im Kontext des US-amerikanischen Legal Privileg und der vergleichbaren deutschen Regelungen. In Kapitel 6 wird ein Ausblick in den Entwurf des aktuell im Blickpunkt stehenden Verbandssanktionengesetz und dessen mögliche Auswirkungen auf die Verschwiegenheit bei internen Ermittlungen gegeben.
Inhalt
1 Allgemeines
2 Internal Investigation
2.1 Rechtliche Grundlagen (USA)
2.2 Rechtliche Grundlagen (Deutschland)
3 Schutz vor Vertraulichkeit
3.1 Schutz vor Vertraulichkeit im US-amerikanischen Recht
3.2 Schutz vor Vertraulichkeit im deutschen Recht
4 Fallbeispiel – Johnes Day Entscheidung
5 Interne Ermittlungen nach US-Vorbild
6 Ausblick
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Allgemeines
Die Zahl der Unternehmen mit eigener Compliance Abteilung stieg von 2015 auf 2018 stetig an. Vier von zehn der im Zuge des Compliance Barometers 2018 befragten Großunternehmen haben eine Abteilung im Unternehmen etabliert, die sich ausschließlich mit dem Thema „Compliance“ beschäftigt.1 Der aus dem Angelsächsischen stammende Begriff wird im allgemeinen als „Regelüberwachung“/„Regeleinhaltung“ verstanden und bezeichnet die Gesamtheit aller zumutbaren Maßnahmen, die das regelkonforme Verhalten eines Unternehmens, seiner Organisationsmitglieder und Mitarbeiter im Hinblick auf die Einhaltung von Gesetzen, Ge- und Verboten begründen.2
Eng mit dem Thema Compliance verbunden sind „Internal Investigations“, deren Durchführung in den letzten Jahren in Deutschland ebenfalls angestiegen ist.3 Hierbei handelt es sich um interne Untersuchungen, die bei Verdacht eines Verstoßes gegen Gesetze oder sonstige Regeln durch vom Unternehmen beauftragte Ermittler (z.B. Rechtsanwälte oder Wirtschaftsprüfer) durchgeführt werden.4
Kommen in einem Unternehmen Hinweise auf, die auf mögliche Compliance-Verstöße -insbesondere Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten - hindeuten, ist es nicht nur im Interesse der Unternehmensleitung, sondern auch deren Flicht diesen Hinweisen umgehend nachzugehen. Spätestens seit dem Korruptionsskandal bei Siemens oder der Abgasmanipulation an Dieselfahrzeugen sind interne Ermittlungen auch aus Deutschland nicht mehr wegzudenken.
Auch das neue Verbandssanktionengesetz, dessen Referentenentwurf das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz im April 2020 vorstellt hat, wird dazu beitragen, dass interne Ermittlungen in Deutschland weiter an Bedeutung gewinnen. Der Gesetzesentwurf sieht vor, Sanktionen für Unternehmen bei Wirtschaftsstraffällen deutlich zu verschärfen und die Obergrenze einer Geldbuße bei Vorsatztaten auf 10% und bei Fahrlässigkeit auf 5% des durchschnittlichen Jahresumsatzes zu erhöhen. Dies führt künftig dazu, dass Unternehmen auch in Deutschland Gefahr laufen, Sanktionen in Milliardenhöhe zu zahlen. Der Gesetzentwurf sieht außerdem vor, dass Unternehmen durch eine „richtig“ durchgeführte, interne Untersuchung Einfluss auf die Sanktionshöhe nehmen können. Es ist davon auszugehen, dass sich die Zahl der internen Untersuchungen in den nächsten Jahren erhöhen wird, um bei Verstößen die Sanktionshöhe zu reduzieren.
In den meisten Fällen werden interne Untersuchungen von der Compliance-Abteilung und/oder der internen Revisionsabteilung geleitet und durch externe Berater und Rechtsanwälte begleitet.5 Um den Sachverhalt zu klären werden im Rahmen interner Untersuchungen regelmäßig Mitarbeiterinterviews geführt. Ein wichtiger Aspekt hierbei ist die Vertraulichkeit von Erkenntnissen und Quellen, die aus der internen Untersuchung gewonnen werden.
Die Interessen aller von unternehmensinternen Untersuchungen betroffenen Personen stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander. Im Interesse der Unternehmensleitung liegt die Aufklärung der Vorkommnisse zur Schadensverhinderung oder -reduzierung. Im Gegensatz dazu streben Strafverfolgungsbehörden den Zugriff auf die Ergebnisse und die dazugehörigen Unterlagen/Dokumente. Die befragten Mitarbeiter/innen sind daran interessiert, die Befragungen möglichst ohne arbeitsrechtliche Konsequenzen, die Einleitung eines Strafverfahrens oder Schadensersatzklagen zu überstehen.6
Im angloamerikanischen Bereich schützt das sogenannte „Legal Privileg“ die Korrespondenz und Unterlagen der internen Untersuchungen. In Deutschland gibt es einen solch umfangreichen Schutz bis dato nicht, wie beispielsweise auch das Bundesverfassungsgericht im Kontext der VW-Untersuchungen klarstellt.7
Die vorliegende Hausarbeit beschreibt den Ansatz interner Ermittlungen im Unternehmensumfeld und analysiert die damit verbundenen Verschwiegenheitsregeln; im Kontext des US-amerikanischen Legal Privileg und der vergleichbaren deutschen Regelungen. In Kapitel 6 wird ein Ausblick in den Entwurf des aktuell im Blickpunkt stehenden Verbandssanktionengesetz und dessen mögliche Auswirkungen auf die Verschwiegenheit bei internen Ermittlungen gegeben.
2 Internal Investigation
Internal Investigations8 spielen im Kontext eines effektiven Unternehmens Compliance-Managements eine entscheidende Rolle, sind jedoch von präventiven Compliance-Maßnahmen abzugrenzen, die zum Ziel haben, Risiken im Vorfeld zu vermeiden. Sie sind eine Reaktion auf bereits begangene bzw. vermutete Regelverstöße mit dem Ziel der Aufklärung.9
Unter dem Begriff „Internal Investigation“ wird nicht nur eine reine Sachverhaltsaufklärung verstanden, sondern ein spezifischer Untersuchungstyp, zu dem es in der deutschen Literatur verschiedene Definitionsansätze gibt.10 Nestler verweist auf drei in einschlägiger Veröffentlichungen häufig genannte Merkmale hin: „1. Die repressive Ausrichtung der Maßnahmen, 2. Die Hinzuziehung externer Berater sowie 3. der Zusammenhang mit einem (drohenden) Straf- oder zumindest Bußgeldverfahren“.11
Momsen bezeichnet die unternehmensinterne Untersuchung als die „repressive Facette der Compliance“.12 Die Aufklärung beinhaltet hierbei sowohl die Ermittlung des für das Unternehmens eingetretenen Schadens als auch die Identifizierung von Verantwortlichen. Ebenfalls muss sichergestellt werden, dass vergleichbare Vorfälle in der Zukunft verhindert werden.13 Eine schnelle und lückenlose Aufklärung interner Compliance Verstöße ist nicht nur aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen im Interesse des Unternehmens, sondern dient dazu, Schwachstellen im Compliance-Management-System oder bei internen Prozessen zu identifizieren und einer (öffentlichen) Reputationsschädigung entgegenzuwirken. Staatliche Ermittlungen führen außerdem zu einer Beeinträchtigung der Betriebsabläufe und können bevorstehende Geschäftsabschlüsse gefährden und potenzielle Neukunden abschrecken.14
Bei einer unternehmensinternen Untersuchung werden Dokumente (elektronisch oder physisch) durchsucht, beispielsweise mittels Verschlagwortung, und bei Treffern entsprechend ausgewertet. In Abhängigkeit des Analyseergebnisses, findet in einem zweiten Schritt die Befragung der betroffenen Mitarbeiter/innen statt. Diese Befragungen werden dabei häufig von externen Rechtsanwälten durchgeführt und entsprechend protokolliert.15 Eine solche Mitarbeiterbefragung bringt die befragten Beschäftigten möglicherweise in eine Zwangslage. Insbesondere, wenn die befragten Beschäftigten direkt oder indirekt in den Compliance-Verstoß involviert sind und befürchten müssen, sich oder Arbeitskollegen/innen durch seine Auskünfte zu belasten, und mit straf- oder zivilrechtlichen Konsequenzen zu rechnen haben.16 Rechtsunsicherheiten ergeben sich nicht nur im Zusammenhang mit der korrekten Durchführung der Untersuchungsmaßnahmen, sondern auch bezüglich der Auswertung von Daten sowie dem Schutz der hieraus gewonnen Erkenntnisse.
Kooperiert ein Unternehmen nicht mit der Strafverfolgungsbehörde, kann es zur Beschlagnahmung der Dokumente und internen Ermittlungsergebnissen kommen. Wenn die Strafverfolgungsbehörden auf interne Ermittlungsergebnisse zugreifen können, kann dies zu straf- und ordnungswidrigkeitsrechtlichen Konsequenzen führen – sowohl für die Unternehmensleitung als auch für die Mitarbeiter/innen.17
Problematisch hierbei ist, dass die Protokolle zumeist den Befragten weder ausgehändigt noch zum Gegenlesen oder zur Bestätigung vorgelegt werden. Dies ist, aufgrund der daran gegebenenfalls anknüpfenden (persönlichen) Haftung, äußerst kritisch zu sehen. Nicht selten kommt es vor, dass Befragte im Zuge des Interviews unter Druck gesetzt werden und zu einer Aussage gedrängt werden bzw. die Aussagen in eine bestimmte Richtung gelenkt werden.18
2.1 Rechtliche Grundlagen (USA)
In US-Amerikanischen Unternehmen sind interne Untersuchungen seit Jahrzehnten Teil der Compliance-Praxis. Unter anderem aufgrund diverser „Bilanz-Skandale“ in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, die bei der Börsenaufsicht zu kostspieligen und ineffizienten Ermittlungen führten, da die in die Vorfälle verwickelten Unternehmen nicht zur Aufklärung der Vorfälle beitrugen. Um solche Aufwände künftig zu vermeiden, beschloss die US-Börsenaufsicht, Maßnahmen zu initiieren und Unternehmen in die Aufklärung einzubinden.19
Im Gegensatz zu Deutschland ist in Amerika ein Unternehmensstrafrecht existent, mit dem US-Ermittler des Justizministeriums (DoJ) oder der US-Börsenaufsicht (SEC) strafrechtlich gegen Unternehmen vorgehen können. Die Ermittlungen richten sich in den USA somit primär gegen das Unternehmen (juristische Person) selbst und nicht gegen die handelnden Mitarbeiter/innen20
Rechtsgrundlage ist das US-amerikanische Anti-Korruptionsrecht (Foreign Corrupt Practices Act) aus dem Jahre 1977. Aus diesem Bundesgesetz ergibt sich, dass Unternehmen für die Aufklärung von Rechtsverstößen verantwortlich sind und Maßnahmen zur Vermeidung solcher Verstöße implementieren müssen. Nestler verweist außerdem auf die „Sentencing Guidelines“ für Unternehmen, „die abstrakte Regelungen über Art und Höhe einer angemessenen Strafe enthalten, dass sich der sog. Culpability score, mithin der Verschuldungsgrad, unter anderem danach bemisst, ob das Unternehmen zur Zeit des Rechtsverstoßes über effiziente Strukturen zur Verhinderung und Ermittlung von Rechtsverletzungen verfügt“. 21 Ein effektiv implementiertes Compliance-Management-System kann bei der Bemessung von Sanktionen berücksichtigt werden und reduziert Strafzahlungen.22
2.2 Rechtliche Grundlagen (Deutschland)
In Deutschland existiert bis dato kein Unternehmensstrafrecht (auch Verbandsstrafrecht genannt) d.h. Unternehmen können in Deutschland nicht Beschuldigte eines Strafverfahrens sein und somit nicht direkt strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Eine direkte Verankerung interner Ermittlungen im deutschen Recht ist nicht gegeben.23 Mit der Veröffentlichung des am 21. April 2020 vorgestellten Referententwurf des „Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“, ist jedoch auch Deutschland auf dem Weg, ein neues Haftungsregime für Unternehmen einzuführen (siehe Kapitel 6).
Die Pflicht der Unternehmensleitung, Verdachtsfälle und Missstände aufzuklären, ergibt sich (aktuell) in Deutschland für Aktiengesellschaften beispielsweise aus §§ 76 Abs. 1, 91. Abs. 2, 93 Abs. 1 AktG „Die Vorstandsmitglieder haben bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden.“ Neben der Geschäftsführung hat auch der Aufsichtsrat eine Überwachungspflicht nach § 111 Abs. 1 AktG. Für Unternehmen mit beschränkter Haftung ergibt sich die Pflicht aus § 43 Abs. 1 GmbHG „Der Geschäftsführer muss die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns an den Tag legen“. Paragraph 130 OWiG flankiert die Verantwortung der Unternehmensleitung „Wer als Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens vorsätzlich oder fahrlässig die Aufsichtsmaßnahmen unterlässt, die erforderlich sind, um in dem Betrieb oder Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist, handelt ordnungswidrig, wenn eine solche Zuwiderhandlung begangen wird, die durch gehörige Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre. Zu den erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen gehören auch die Bestellung, sorgfältige Auswahl und Überwachung von Aufsichtspersonen.“ Kommt es zu einem Gesetzes- und/oder Regelverstoß und werden keine internen Ermittlungen in die Wege geleitet, kann dies als Pflichtverletzung der Leitungsorgane interpretiert werden.
Bei schweren Verstößen können bis dato lediglich ordnungsrechtliche Maßnahmen (Bußgelder) gegen juristische Personen verhängt werden – auf Basis des Ordnungswidrigkeitengesetzes (§ 30 OWig, § 130 OWig). Die maximale Strafe liegt nach § 30 OWiG bei 10 Millionen Euro Geldbuße. Des Weiteren besteht die Möglichkeit, den Gewinn des Unternehmens abzuschöpfen (§ 17 Abs. 4 OWig). Anzumerken ist, dass bei der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten das sogenannte „Opportunitätsprinzip“ (vgl. §47 OWiG) gilt. Demnach liegt das Verfolgen der Ordnungswidrigkeit im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde. Eine Pflicht der Ordnungswidrigkeit (wie beispielsweise im Strafrecht § 152 StPO) besteht nicht.
Nach § 106 GewO hat der Arbeitgeber ein Weisungsrecht gegenüber dem Arbeitnehmer und kann ihn dazu verpflichten, an einer internen Befragung teilzunehmen. Der Arbeitnehmer hat außerdem eine Treuepflicht gem. §242 BGB und ist zur Auskunft verpflichtet, wenn sich die die Fragen auf seinen Arbeitsbereich beziehen.24
In Deutschland werden interne Ermittlungen als sogenanntes „positives Nachtatverhalten“ gewertet und wirken sich strafmildernd aus.25 Das eigene Bemühen um die Aufklärung des Sachverhaltes sowie die Entlastung der Ermittlungsbehörden werden positiv angerechnet. Untermauert wird dies zusätzlich durch ein BGH-Urteil vom 09. Mai 2017, in welchem entschieden wurde, dass sich ein zum Tatzeitpunkt implementiertes (effektives) Compliance-Management-System bußgeldmindernd auswirkt.26
Für die Durchführung interner Ermittlungen sind, mangels spezieller Verfahrensregelungen für die Durchführung, allgemeine gesetzliche Regelungen zu beachten. Besonders zu erwähnen sind hier das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Sobald personenbezogene Daten von der Ermittlung betroffen sind, muss eine Einwilligung vorliegen (vgl. § 26 Abs. 1 S. 2 BDSG sowie § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG und Art. 6 Abs. 1 S 1 f DSGVO).27 Strafrechtlich sind bei der Durchführung interner Ermittlungen die §§ 201, 201a, 202, 202a und 202b des Strafgesetzbuches zu berücksichtigen (Abschnitt Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs).
Für die interviewten Mitarbeiter/innen stellt sich die Frage, inwieweit diese bei einer Befragung verpflichtet sind, Auskunft zu geben und sich ggfs. selbst belasten. Denn anders als bei einer Befragung durch staatliche Behörden, besteht bei internen Befragungen keine Selbstbelastungsfreiheit (nemo-tenetur-Grundsatz), der es den Mitarbeiter/innen ermöglicht, die Auskunft zu verweigern. Bei einer internen Befragung beschlagnahme Aufzeichnungen liefern den Strafverfolgungsbehörden somit meist deutlich mehr Informationen als sie diese bei einer Befragung erhalten hätten.28
Da es in Deutschland keine expliziten Regelungen zu internen Ermittlungen gibt, herrscht entsprechend großer Unsicherheit bei den Unternehmen. So stellt sich die Frage danach, wer befugt ist, interne Untersuchungen durchzuführen, ob und inwieweit Schweigerechte der Befragten Mitarbeiter/innen bestehen und welche Qualität die Ermittlungen haben müssen, um von einer Strafmilderung zu profitieren.
3 Schutz vor Vertraulichkeit
Die in einer internen Ermittlung gewonnenen Auskünfte bzw. Ergebnisse müssen dokumentiert werden, um sie bei späterem Bedarf forensisch nutzen zu können. In der Regel werden die angefertigten Dokumentationen nicht nur für interne Zwecke genutzt, sondern sind auch in anschließenden zivil, straf- oder arbeitsgerichtlichen Verfahren von Interesse.
Problematisch ist, dass die Protokolle zumeist den Befragten weder ausgehändigt noch zum Gegenlesen oder zur Bestätigung vorgelegt werden. Dies ist nicht nur wegen der daran gegebenenfalls anknüpfenden (persönlichen) Haftung äußerst problematisch. Nicht selten kommt es vor, dass Befragte im Zuge des Interviews unter Druck gesetzt werden und zu einer Aussage gedrängt werden bzw. die Aussagen in eine bestimmte Richtung gelenkt werden.29
Eine effektive interne Ermittlung und damit verbunden die Kommunikation zwischen Mandaten setzten Vertrauen voraus. Dieses Vertrauen kann nur gewährleistet werden, wenn sich der Mandant sicher sein kann, dass seine Aussagen nicht ohne weiteres an andere Parteien/Behörden herausgegeben werden müssen.30
Sowohl im angloamerikanischen als auch im deutschen Recht bedarf es eines besonderen Schutzes der Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt. In Deutschland richtet sich das Gebot der Vertraulichkeit in erster Linie an den Anwalt, während in USA mit dem Anwaltsprivileg ein vergleichsweise weiterer Schutz besteht.31 In Kapitel 3.1 und 3.2 werden die verschiedenen Ansätze miteinander verglichen.
[...]
1 Vgl. CMS-Compliance-Barometer 2018, Zugriff am: 19.07.2020. Verfügbar unter: https://cms.law/de/deu/publication/cms-compliance-barometer-2018.
2 Vgl. Poppe Sina, in: Compliance, Aufbau – Management – Risikobereiche, 2010, S. 2.
3 Vgl. Prof. Dr. Nestler, Nina in: Interal investigations: Ermittlungen im Unternehmen. Knierim/Rübenstrahl/Tsambikakis; 2016, Seite 6ff.
4 Siehe: Prof. Dr. Momsen, Carsten, Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik, Internal Investigations zwischen arbeitsrechtlicher Mitwirkungspflicht und strafprozessualer Selbstbelastungsfreiheit, 2011, Seite 508ff.
5 Vgl. Noerr LLP, EBS Universität für Wirtschaft und Recht, Internal Investigations – Compliance Studie 2019, Seite 6 ff.
6 Vgl. Melanie, Küster, Der rechtliche Rahmen für unternehmensinterne Ermittlungen, 2019, Seite 6.
7 Vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Juni 2018 - 2 BvR 1405/17 -, Rn. 1-113.
8 An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit „Internal Investigations“ immer von internen „Untersuchungen“ die Rede ist und nicht von „Ermittlungen“, da Ermittlungen streng genommen nicht durch Unternehmen, sondern nur durch staatlich Strafverfolgungsbehörden geführt werden dürfen und der Gesetzgeber den Terminus nicht im Kontext einer recherchierenden Tätigkeit verwendet.
9 Vgl. Prof. Dr. Nestler, Nina in: Interal investigations: Ermittlungen im Unternehmen. Knierim/Rübenstrahl/Tsambikakis; 2016, Seite 8ff.
10 Ebenda.
11 Siehe: Prof. Dr. Nestler, Nina in: Interal investigations: Ermittlungen im Unternehmen. Knierim/Rübenstrahl/Tsambikakis; 2016, Seite 9.
12 Siehe: Prof. Dr. Momsen, Carsten, Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik, Internal Investigations zwischen arbeitsrechtlicher Mitwirkungspflicht und strafprozessualer Selbstbelastungsfreiheit, 2011, Seite 511.
13 Vgl. Prof. Dr. Sascha Süße/ Tim Ahrens, Der Betriebsberater, Der Unternehmensmitarbeiter als interner Ermittler. 2019, Seite 1333f.
14 Ebenda.
15 Vgl. Herman/Zeidler, Arbeitnehmer und interne Untersuchungen – ein Balanceakt. NZA 23/2017 Seite 1499
16 Vgl. Schrader/Thoms/Mahler, Auskunft durch den Arbeitnehmer: Was darf er? Was muss er? 2018, 965ff.
17 Vgl. Melanie, Küster, Der rechtliche Rahmen für unternehmensinterne Ermittlungen. 2019, Seite 6.
18 Vgl. Prof. Dr. Nestler, Nina in: Interal investigations: Ermittlungen im Unternehmen. Knierim/Rübenstrahl/Tsambikakis; 2016, Seite 19.
19 Vgl. Prof. Dr. Nestler, Nina in: Interal investigations: Ermittlungen im Unternehmen. Knierim/Rübenstrahl/Tsambikakis; 2016, Seite 4.
20 Vgl. comply – Fachmagazin für Compliance Verantwortliche, Mini-Compliance Roundtable, Rechtssicherheit für interne Ermittlungen, 2013, Seite 38ff.
21 Vgl. Prof. Dr. Nestler, Nina in: Interal investigations: Ermittlungen im Unternehmen. Knierim/Rübenstrahl/Tsambikakis; 2016, Seite 5.
22 Vgl. comply – Fachmagazin für Compliance Verantwortliche, Mini-Compliance Roundtable, Rechtssicherheit für interne Ermittlungen, 2013, Seite 38.
23 Vgl. beck-online Datenbank, Grützer/Jakob, Compliance von A-Z, 2015, Unternehmensstrafrecht.
24 Vgl. beck-online, Lützeler/Müller-Sartori: Die Befragung des Arbeitnehmers – Auskunftspflicht oder Zeugnisverweigerungsrecht? 2011, Seite 19f.
25 Siehe: Melanie, Küster, Der rechtliche Rahmen für unternehmensinterne Ermittlungen. 2019, Seite 7.
26 Vgl. BGH, Landgericht München I, 1 StR 265/16 - Urteil vom 9. Mai 2017.
27 Vgl. Melanie, Küster, Der rechtliche Rahmen für unternehmensinterne Ermittlungen. 2019, Seite 7ff.
28 Ebenda.
29 Vgl. Prof. Dr. Nestler, Nina in: Interal investigations: Ermittlungen im Unternehmen. Knierim/Rübenstrahl/Tsambikakis; 2016, Seite 19.
30 Vgl. Gajek/Raspé/Schlösser-Rost, Journal der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung e.V., Das Anwaltsprivileg im englischen und US-amerikanischen Recht (Teil I). Zugriff am: 13.07.2020. Verfügbar unter: https://wi-j.com/2018/10/29/das-anwaltsprivileg-im-englischen-und-us-amerikanischen-recht-teil-i/.
31 Ebenda.