Die seit 1995 bestehende Welthandelsorganisation (WTO), die als international anerkannte Vertragsinstitution Regeln im Welthandel festlegt und deren Ziel weltweiter Freihandel ist, steht seit den Protesten während der letztlich gescheiterten Konferenz in Seattle 1999 in der Kritik. 30.000 Demonstranten warfen der WHO vor, die Reichen zu favorisieren und die Armen, insbesondere in den Entwicklungsländern, zu benachteiligen, Umweltschutz und Sozialstandards zu untergraben und undemokratisch zu sein. Gleichzeitig drohten Delegierte aus Afrika, Lateinamerika und der Karibik, die Welthandelskonferenz zu boykottieren, da sie sich von den Konsultationen ausgeschlossen fühlten. Neben unterschiedlichen Vorstellungen der EU und den USA war auch der Konflikt zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern für das Scheitern der Konferenz verantwortlich, denn letztere fühlten sich von der vorangegangenen Uruguay-Runde benachteiligt und verlangten Nachbesserungen, vor allem im Marktzugang für Agrarprodukte und Textilien. Vor der nachfolgenden Konferenz in Doha gab es daher Bemühungen, das Vertrauen des Südens wieder herzustellen, vor allem mit dem Versprechen, in Doha eine „Entwicklungsrunde“ einzuläuten, die dringend geboten scheint: Die Einkünfte der reichsten 50 Millionen Menschen (ein Prozent der Weltbevöl-kerung) entsprechen dem gemeinsamen Einkommen der ärmsten 2,7 Milliarden Menschen und die Schere geht weiter auseinander. Nur 20% der Weltbevölkerung verbrauchen 80% der Gesamtressourcen, während nach Angaben der Welternäh-rungsorganisation FAO, im Jahr 2001 weltweit über 800 Millionen Menschen an Unterernährung litten, jeder Vierte in Afrika, fast jeder Vierte in Asien und jeder Siebte in Lateinamerika. Eine explosive Situation, die nach dem 11. September verstärkt in die öffentliche Aufmerk-samkeit rückte und den deutschen Bundeskanzler zu der Einsicht brachte, dass „keine globale Sicherheit ohne globale Gerechtigkeit“ möglich sei. Die Welt scheint bereit für eine echte „Entwicklungsrunde“.
Wie es dazu kommen konnte, dass nach Einschätzung von Nichtregierungs-organisationen (NRO) und Analysten der Anspruch in Doha nicht eingelöst werden konnte, obwohl in der Welthandelskonferenz alle Entscheidungen im Konsens getroffen werden und jedes einzelne Mitglied somit de facto ein Veto-Recht hat, soll in dieser Hausarbeit unter Berücksichtigung verhandlungstheoretischer Prämissen untersucht werden.
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung
1.1. Bedeutung des Themas im heutigen Kontext
1.2. Fragestellung
1.3. Vorgehensweise
2. Verhandlungstheorie
2.1. Das Harvard-Konzept
2.1.1. Verhandlungspartner sind zuerst Menschen
2.1.2. Auf Interessen konzentrieren, nicht auf Positionen
2.1.3. Entscheidungsoptionen zum beiderseitigen Vorteil entwickeln
2.1.4. Anwendung neutraler Beurteilungskriterien
2.2. Anwendung: „An Environmental Negotiation Strategy for the South
2.3 Zusammenfassung
3. Die neue Welthandelsrunde von Doha
3.1. Die Verhandlungen
3.1.1. Verhandlungsklima
3.1.2. Konsensbildung
3.1.3 Systematisches Ignorieren von Entwicklungsländern
3.1.3. Erpressung
3.2. Ergebnisse der Verhandlungen in Doha
3.2.1. Landwirtschaft
3.2.2. TRIPs und Gesundheit
3.2.3. Singapur-Themen
3.2.4. Faire Prozesse
4. Schlussfolgerungen
4.1. Beantwortung der Fragestellung
4.2. Kritik an der Verhandlungstheorie
5. Literatur
1. Einleitung
1.1. Bedeutung des Themas im heutigen Kontext
Die seit 1995 bestehende Welthandelsorganisation (WTO), die als international anerkannte Vertragsinstitution Regeln im Welthandel festlegt und deren Ziel weltweiter Freihandel ist (Andersen, 2000: 546), steht seit den Protesten während der letztlich gescheiterten Konferenz in Seattle 1999 in der Kritik. 30.000 Demonstranten warfen der WHO vor, die Reichen zu favorisieren und die Armen, insbesondere in den Entwicklungsländern, zu benachteiligen, Umweltschutz und Sozialstandards zu untergraben und undemokratisch zu sein. (Bayne, 2000: 136-137) Gleichzeitig drohten Delegierte aus Afrika, Lateinamerika und der Karibik, die Welthandelskonferenz zu boykottieren, da sie sich von den Konsultationen ausgeschlossen fühlten. (Bayne 2000:135) Neben unterschiedlichen Vorstellungen der EU und den USA war auch der Konflikt zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern für das Scheitern der Konferenz verantwortlich (Frein & Reichert, 2003: 2), denn letztere fühlten sich von der vorangegangenen Uruguay-Runde benachteiligt und verlangten Nachbesserungen, vor allem im Marktzugang für Agrarprodukte und Textilien. (Bayne, 2000: S. 144) Vor der nachfolgenden Konferenz in Doha gab es daher Bemühungen, das Vertrauen des Südens[1] wieder herzustellen, vor allem mit dem Versprechen, in Doha eine „Entwicklungsrunde“ einzuläuten (Frein & Reichert, 2003:2), die dringend geboten scheint: Die Einkünfte der reichsten 50 Millionen Menschen (ein Prozent der Weltbevöl-kerung) entsprechen dem gemeinsamen Einkommen der ärmsten 2,7 Milliarden Menschen und die Schere geht weiter auseinander. Nur 20% der Weltbevölkerung verbrauchen 80% der Gesamtressourcen, während nach Angaben der Welternäh-rungsorganisation FAO, im Jahr 2001 weltweit über 800 Millionen Menschen an Unterernährung litten, jeder Vierte in Afrika, fast jeder Vierte in Asien und jeder Siebte in Lateinamerika. (Le Monde Diplomatique, 2003: 48-50) Eine explosive Situation, die nach dem 11. September verstärkt in die öffentliche Aufmerk-samkeit rückte und den deutschen Bundeskanzler zu der Einsicht brachte, dass „keine globale Sicherheit ohne globale Gerechtigkeit“ möglich sei (Nuscheler, 2002:8). Die Welt scheint bereit für eine echte „Entwicklungsrunde“.
Wie es dazu kommen konnte, dass nach Einschätzung von Nichtregierungs-organisationen (NRO) und Analysten der Anspruch in Doha nicht eingelöst werden konnte (Frein & Reichert, 2003:41, Kwa, 2003: 58), obwohl in der Welthandelskonferenz alle Entscheidungen im Konsens getroffen werden und jedes einzelne Mitglied somit de facto ein Veto-Recht hat (Andersen, 2000: 547), soll in dieser Hausarbeit unter Berücksichtigung verhandlungstheoretischer Prämissen untersucht werden.
1.2. Fragestellung
Die Frage, die ich behandeln will ist, wie die in Doha benutzten Verhandlungsstrategien zu Konfrontation oder Kooperation und zum letztlich erreichten Ergebnis geführt haben. Davon ausgehend werde ich eine Kritik an der Verhandlungstheorie formulieren.
1.3. Vorgehensweise
Zunächst werde ich die Harvard-Verhandlungstheorie vorstellen, die wichtigsten Punkte daraus zusammenfassen und durch Adil Najams Empfehlungen ergänzen. Im nächsten Teil werde ich die Verhandlungen in Doha untersuchen. Die meines Wissens einzige empirische Studie hierzu stammt von Aileen Kwa von der Nicht-regierungsorganisation (NRO) Focus on the Global South, die insgesamt über 30 Delegierte aus Entwicklungsländern in Doha interviewte. Aber auch Michael Frein (Evangelischer Entwicklungsdienst) und Tobias Reichert (Forum Umwelt und Entwicklung) zitiere ich, ebenso wie die Studie des Entwicklungsprogrammes der Vereinten Nationen (UNDP): „Making Global Trade work for People“. Am Ende des Abschnittes stelle ich kurz ausgewählte in Doha verhandelte Ergebnisse vor, die im besonderen Interesse der Entwicklungsländer liegen. Danach folgt der
Schlussteil, indem ich eine Kritik an der Verhandlungstheorie formuliere.
2. Verhandlungstheorie
2.1. Das Harvard-Konzept
Verhandlungen sind in einer multilateralen Welt mit grenzüberschreitenden Problemen wichtig. Eine Fülle von Literatur beschäftigt sich mit Theorien zur richtigen Verhandlungsweise, kognitiven, diskurs- und spieltheoretischen, sozialen und psychologischen Ansätzen. Internationale Verhandlungen sind Prozesse, in dem divergierende Werte zu einer gemeinsamen Entscheidung kombiniert werden (Zartmann & Bermann 1982 in Chasek 2001:24). Multilaterale Verhandlungen beinhalten drei oder mehr Parteien, die über eine oder mehrere Themen eine Vereinbarung erzielen wollen, die für alle akzeptabel ist (Touval 1991; Chasek 2001: 24). Verhandlungen werden mit zunehmender Teilnehmer-zahl aufgrund der verschiedenen Interessenlagen schwieriger. Das Harvard-Konzept, das im Rahmen des „Program on Negotiation“ an der Harvard Law School entstanden ist (Fisher et al, 1999:260), stellt dem vier universell anwendbare Grundprinzipien zur sachlichen, fairen Verhandlungsweise entgegen. Diese sollen zu erfolgreichen Übereinkünften führen, die von Verhandlungspartnern langfristig anerkannt und umgesetzt werden. (ebds. 10).
2.1.1. Verhandlungspartner sind zuerst Menschen
Beim Feilschen um das einseitig verstandene bestmögliche Ziel geraten mensch-liche Beziehungen in Mitleidenschaft. Die Empfehlung ist daher, Menschen und Probleme getrennt voneinander zu behandeln und dem „Problem Mensch“ aus-reichend Aufmerksamkeit zuzumessen. Die Vorstellungen aller Seiten sollten artikuliert werden, um Vorschläge bestmöglich aufs Wertesystem der Gegenüber abgestimmt zu können. Alle Partner sollten akzeptiert werden, auch wenn Verhandlungen in der Sache hart bleiben. (ebds. 39-68)
2.1.2. Auf Interessen konzentrieren, nicht auf Positionen
Wenn Parteien sich schon zu Beginn von Verhandlungen auf Positionen festlegen und diese womöglich auch noch veröffentlichen, verkleinert sich der Handlungs-spielraum für kreative Lösungen. Statt einer gemeinsamen Bemühung um einen Ausgleich der Interessen, geraten die Teilnehmer in ein Geschacher um Zahlen oder Worte, statt sich auf dahinter stehende Inhalte zu konzentrieren und Einigungen zu finden. Vor Verhandlungen ist es wichtig, dass man sich über die Alternative zu einer Übereinkunft klar wird. (ebds. 68-89, 143-156)
2.1.3. Entscheidungsoptionen zum beiderseitigen Vorteil entwickeln
Für die Suche nach kreativen Lösungen ist es hilfreich, sich im Kreisdiagramm zu bewegen, indem man erst nach dem Problem fragt, im zweiten Schritt nach möglichen Ursachen und einer Analyse, dann nach möglichen Vorgehensweisen, und viertens nach Schritten zur Durchführung. Danach kommt man wieder zu den Problemen, die der Durchführung im Wege stehen. An jedem Punkt kann man neue Ideen entwickeln, die man mithilfe des Kreisdiagramms weiterverfolgt.
Zustimmung zu eigenen Vorschlägen sollten der Gegenseite so einfach wie möglich gemacht werden, man kann ihr auch Argumente an die Hand geben, mit der sie die Übereinkunft intern rechtfertigen kann. (ebds. 89-121)
[...]
[1] Vereinfachend benutze ich in meiner Arbeit den Begriff „Süden“ als Synonym für Entwicklungsländer und „Norden“ als Synonym für Industrieländer.