Wer Lessings Nathan der Weise aufschlägt, findet als Untertitel den Eintrag "Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen". Die Bezeichnung "dramatisches Gedicht" mutet seltsam an. Handelt es sich denn nun um ein Drama, oder um ein Gedicht? Gegen Mitte des Dramas wird der Leser bzw. Zuschauer nochmals mit solch einer Aufhebung der Gattungsgrenzen konfrontiert: Nathan der Weise erzählt ein Märchen, oder, genauer gesagt, eine Parabel. Diese Abweichungen von der Poetik des Aristoteles, die im Drama des 18. Jahrhundert in vielerlei Hinsicht noch befolgt wurde, befremdeten die damaligen Rezipienten des Stückes sicher noch mehr als die heutigen.
Allerdings hat Lessing, der eine eigene Dramentheorie entwarf, in der er die traditionellen Formen erweiterte, diese Technik ganz bewußt eingesetzt, denn sie steht in einem engen Zusammenhang zum Inhalt des Stückes. Wenn eines der Leitthemen des Nathan der Streit zwischen Vertretern verschiedener Religionen um den rechten Glauben ist und hier verschiedene Menschengruppen miteinander in Kommunikation treten, warum sollte dann die Gattung Drama nur für sich allein und ganz abgeschottet von anderen literarischen Gattungen den Rahmen bilden?
Doch noch in anderer Hinsicht eignet sich die Einfügung der Parabel ganz besonders zur Untermauerung des Drameninhalts: Wenn Nathan eine Art Weisheitslehrer ist und den anderen Figuren Erkenntnisse über religiöse Problemstellungen vermitteln soll, dann drängt sich sofort der Vergleich mit Jesus Christus auf, der ebenfalls seine Lehren durch Parabeln (oft wohl fälschlicherweise als Gleichnisse bezeichnet) veranschaulichte. Allerdings hat die Ringparabel in Nathan der Weise nicht lediglich die Funktion, durch einen bildhaften Vergleich das zu Erkennende noch einmal anders zu verdeutlichen, vielmehr ist sie geschickt mit dem gesamten Handlungsverlauf verflochten und spiegelt nicht nur diesen, sondern auch sich selbst in ihm.
Wie Lessing das im einzelnen konstruiert hat, wollen wir in dieser Arbeit untersuchen, wobei wir zunächst einmal auf Figuren und mehrere leitende Themen des Stückes eingehen, die bis zum Einsetzen der Ringparabel entfaltet werden, um dann in einem zweiten Schritt zu durchleuchten, wie die Parabel diese Themen aufnimmt und im Rest des Stückes weiterführt.
Inhaltsverzeichnis
- Die Parabel im Drama: über die Gattungsverflechtung
- Die Entwicklung des Dramas bis zur Ringparabel: Figuren und Leitthemen
- Exposition
- Vom zweiten Aufzug bis zur Ringparabel
- Die Ringparabel
- Die Ringparabel im Verhältnis zur bisherigen Handlung
- Die Ringparabel als lineares Verknüpfungsglied im Drama
- Erfüllung des Richterspruchs
- Die Welt ohne Nathan
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht Lessings "Nathan der Weise" mit Fokus auf die Struktur des Dramas und die Rolle der Ringparabel. Es wird analysiert, wie die Parabel den Inhalt des Dramas konzentriert, in den anderen Aufzügen widergespiegelt wird und die Handlung vorantreibt.
- Die Gattungsverflechtung von Drama und Parabel
- Die Entwicklung der Figuren und Leitthemen bis zur Ringparabel
- Die Funktion der Ringparabel innerhalb des Dramas
- Die religiösen Konflikte und Vorurteile im Stück
- Erziehung zur Menschlichkeit als zentrales Thema
Zusammenfassung der Kapitel
Die Parabel im Drama: über die Gattungsverflechtung: Diese Einleitung beleuchtet die ungewöhnliche Bezeichnung Lessings Stückes als "dramatisches Gedicht" und die Integration der Parabel in das Drama. Sie argumentiert, dass diese Gattungsverflechtung kein Zufall ist, sondern ein bewusstes Stilmittel Lessings, das eng mit dem Thema des Stücks verbunden ist. Der Streit um den rechten Glauben zwischen verschiedenen Religionen wird als Grund für die Überwindung traditioneller Gattungsbegrenzungen genannt. Der Vergleich mit Jesus Christus, der ebenfalls Parabeln zur Veranschaulichung seiner Lehren benutzte, wird gezogen. Die Ringparabel wird nicht nur als bildhafter Vergleich, sondern als integraler Bestandteil des Handlungsverlaufs dargestellt, der den gesamten Handlungsverlauf spiegelt und gleichzeitig in ihm widergespiegelt wird. Der weitere Verlauf der Arbeit wird skizziert, mit dem Fokus auf die Figuren und Leitthemen bis zur Ringparabel und der anschließenden Analyse der Parabel und ihrer Funktion im Rest des Stückes.
Die Entwicklung des Dramas bis zur Ringparabel: Figuren und Leitthemen: Dieser Abschnitt beschreibt die Exposition des Dramas, in der Lessing die wichtigsten Figuren und deren Beziehungen vorstellt. Es werden zentrale Themen des Stückes eingeführt: Religiöse Konflikte zwischen den drei monotheistischen Religionen, extreme Religiosität und die Erziehung zur Menschlichkeit. Der Schauplatz Jerusalem während der Kreuzzüge symbolisiert die religiösen Konflikte, die auch in den Figuren (Nathan, Recha, Daja, der Tempelherr, Al Hafi) und deren Vorurteilen sichtbar werden. Das Beispiel des Tempelherrn, der die Einladung Nathans ablehnt aufgrund von religiösen Vorurteilen, veranschaulicht diesen Konflikt. Der Abschnitt legt den Grundstein für das Verständnis der komplexen Themen, die im weiteren Verlauf des Dramas behandelt werden.
Schlüsselwörter
Nathan der Weise, Ringparabel, Lessing, Drama, Gattungsverflechtung, religiöse Konflikte, Toleranz, Intoleranz, Erziehung zur Menschlichkeit, monotheistische Religionen, Vorurteile.
Häufig gestellte Fragen zu Lessings "Nathan der Weise" - Eine Strukturanalyse
Was ist der Fokus dieser Arbeit zu Lessings "Nathan der Weise"?
Diese Arbeit analysiert die Struktur von Lessings "Nathan der Weise" mit besonderem Augenmerk auf die Rolle der Ringparabel. Es wird untersucht, wie die Parabel den Inhalt des Dramas verdichtet, in anderen Szenen widergespiegelt wird und die Handlung vorantreibt. Die Gattungsverflechtung von Drama und Parabel steht dabei im Mittelpunkt.
Welche Kapitel umfasst die Analyse?
Die Analyse gliedert sich in folgende Kapitel: "Die Parabel im Drama: über die Gattungsverflechtung", "Die Entwicklung des Dramas bis zur Ringparabel: Figuren und Leitthemen", "Die Ringparabel" (mit Unterkapiteln zur Positionierung der Parabel im Drama und ihrer Funktion als Handlungselement) und "Die Welt ohne Nathan".
Welche Themen werden in der Analyse behandelt?
Die zentralen Themen sind die Gattungsverflechtung von Drama und Parabel, die Entwicklung der Figuren und Leitthemen bis zur Ringparabel, die Funktion der Ringparabel im Drama, die religiösen Konflikte und Vorurteile im Stück sowie die Erziehung zur Menschlichkeit als zentrales Thema. Die Arbeit beleuchtet den Streit um den rechten Glauben zwischen den monotheistischen Religionen und die Überwindung traditioneller Gattungsbegrenzungen durch Lessing.
Wie wird die Ringparabel in der Analyse behandelt?
Die Ringparabel wird nicht nur als bildhafter Vergleich, sondern als integraler Bestandteil des Handlungsverlaufs dargestellt. Die Analyse untersucht ihre Position im Drama, ihre Funktion als lineares Verknüpfungsglied und ihre Bedeutung für die Erfüllung des Richterspruchs. Die Arbeit beleuchtet, wie die Parabel den gesamten Handlungsverlauf spiegelt und gleichzeitig in ihm widergespiegelt wird.
Welche Figuren werden in der Analyse betrachtet?
Die Analyse betrachtet die wichtigsten Figuren des Dramas: Nathan, Recha, Daja, den Tempelherrn und Al Hafi. Es wird untersucht, wie die Figuren die religiösen Konflikte und Vorurteile repräsentieren und wie sie zur Entwicklung der Handlung beitragen.
Was ist das zentrale Thema des Stücks laut der Analyse?
Die Erziehung zur Menschlichkeit wird als zentrales Thema des Stücks hervorgehoben. Die Analyse untersucht, wie Lessing dieses Thema durch die Handlung, die Figuren und insbesondere durch die Ringparabel vermittelt.
Welche Schlüsselwörter charakterisieren die Analyse?
Schlüsselwörter sind: Nathan der Weise, Ringparabel, Lessing, Drama, Gattungsverflechtung, religiöse Konflikte, Toleranz, Intoleranz, Erziehung zur Menschlichkeit, monotheistische Religionen, Vorurteile.
Wie wird die Exposition des Dramas in der Analyse dargestellt?
Die Analyse beschreibt die Exposition als Einführung der wichtigsten Figuren und ihrer Beziehungen. Zentrale Themen wie religiöse Konflikte, extreme Religiosität und die Erziehung zur Menschlichkeit werden hier eingeführt. Der Schauplatz Jerusalem während der Kreuzzüge wird als Symbol für die religiösen Konflikte interpretiert.
Was ist die Bedeutung der Gattungsverflechtung von Drama und Parabel?
Die Analyse argumentiert, dass die Gattungsverflechtung kein Zufall, sondern ein bewusstes Stilmittel Lessings ist, das eng mit dem Thema des Stücks verbunden ist. Der Vergleich mit Jesus Christus, der ebenfalls Parabeln zur Veranschaulichung seiner Lehren benutzte, wird gezogen.
- Arbeit zitieren
- Magister Artium Dorit Heike Gruhn (Autor:in), 1998, Das Drama als Parabel, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/9018