Der folgende Hauptteil dieser Arbeit beinhaltet zunächst eine Zusammenfassung der Handlung des Romans Ernesto. Anschließend wird die Entstehungs- und Publikationsgeschichte des Romans beschrieben. Das Hauptaugenmerk dieser Arbeit soll auf der Reaktion der Gesellschaft nach der Veröffentlichung 1975 liegen. Als Basis dieser Überlegungen werden in Abschnitt 2.3 thematisch passende Artikel verschiedener Zeitungen und Internetseiten analysiert. Die Frage nach der gesellschaftlichen Bewertung des Romans ist von besonderem Interesse, da der Autor seinen Roman aus vielerlei Gründen, die später genauer definiert werden, zuerst nicht zur Publikation freigeben wollte.
Inhaltsangabe
1. Kurzbiographie des Autors Umberto Saba
2. Der Roman Ernesto
2.1. Zusammenfassung der Handlung
2.2. Die Entstehungsgeschichte des Romans
2.3. Die Reaktionen nach der Veröffentlichung
3. Zusammenfassendes Fazit
Literaturverzeichnis
1. Kurzbiographie des Autors Umberto Saba
Einer der bekanntesten italienischen Autoren des 20. Jahrhunderts ist Umberto Saba. Der Autor wurde 1883 in der damals österreichischen Hafenstadt Triest geboren. Die Stadt galt als Randgebiet und nur wenige zeitgenössische lyrische Bewegungen fanden ihren Weg dorthin. Saba ist der Sohn einer jüdischen Mutter. Der Vater hat die Mutter bereits vor Sabas Geburt verlassen und so verbringt Saba seine Kindheit bei einer Amme und verschiedenen Tanten. Bevor er Besitzer eines Buchantiquariats wurde, übte Saba erfolglos verschiedene Berufe aus. Durch die italienischen Rassengesetze während des zweiten Weltkriegs gezwungen, verlässt Saba seine Heimatstadt Triest im Jahr 1938. Er wechselt den Wohnsitz zuerst nach Paris und kehrt einige Jahre später wieder nach Italien zurück. Sabas schwierige Lebensverhältnisse sowie die Lage seiner Heimatstadt Triest beeinflussten seine künstlerische Entwicklung und die Entscheidung, die klassische italienische Lyrik als Vorbild seiner Gedichte zu wählen. Die aufkommende Bekanntheit der Psychoanalyse von Nietzsche und Freud prägte Sabas Lyrik genauso wie die traditionelle Literatur Giacomo Leopardis. Anstatt an vollkommenen Versen zu feilen, strebte Saba in seinen Werken jedoch nach der genauen Darstellung seines persönlichen Lebens und so lassen sich autobiographische Züge in vielen seiner Werke erkennen, die sich der „poesia onesta“ Interview Rai Scuola) zuordnen lassen. Mit der Publikation der Prose 1964, welche unveröffentlichte literarische Aufsätze und Novellen von Saba enthält, wurde der Lyriker auch für seine Prosaschriften bekannt. Der Roman Ernesto wurde von Umberto Saba 1953 geschrieben und ist das letzte Prosastück, das er vor seinem Tod 1957 verfasst hat. Das Werk wurde erst 1975 von Sabas Tochter zur Publikation freigegeben (vgl. Lentzen 1994: 150f. und Enzensberger/Höhn 1994: 149ff.).
Der folgende Hauptteil dieser Arbeit beinhaltet zunächst eine Zusammenfassung der Handlung des Romans Ernesto. Anschließend wird die Entstehungs- und Publikationsgeschichte des Romans beschrieben. Das Hauptaugenmerk dieser Arbeit soll auf der Reaktion der Gesellschaft nach der Veröffentlichung 1975 liegen. Als Basis dieser Überlegungen werden in Abschnitt 2.3 thematisch passende Artikel verschiedener Zeitungen und Internetseiten analysiert. Die Frage nach der gesellschaftlichen Bewertung des Romans ist von besonderem Interesse, da der Autor seinen Roman aus vielerlei Gründen, die später genauer definiert werden, zuerst nicht zur Publikation freigeben wollte.
2. Der Roman Ernesto
Auf der Grundlage der Ausgabe von Maria Antonietta Grignani aus dem Jahr 1995 wird die Handlung des Romans im Folgenden zusammengefasst. Die Entstehungs- und Publikationsgeschichte des Romans werden mithilfe der Autorenanmerkungen von Maria A. Grignani in der letzten Version des Romans Ernesto (erschienen 1995 in Einaudi Tascabili), des 2001 veröffentlichten Bandes Tutte le Prose von Saba (Hrsg. Stara), und des Kapitels Il romanzo: Ernesto in Stefano Carrais Werk SABA (2017) erarbeitet. Da sich, wie bereits in der Einleitung erwähnt, der Fokus des letzten Abschnitts des Hauptteils mit den Reaktionen der Gesellschaft nach der Publikation des Romans beschäftigen soll, werden hierfür Beiträge aus verschiedenen italienischen sowie einer deutschen und amerikanischen Zeitung analysiert. Zusätzlich werden zwei Artikel italienischer Internetseiten, die den Roman Ernesto thematisieren, analysiert. Das erste Kapitel des Hauptteils verschafft einen Überblick über den Inhalt des Romans.
2.1. Zusammenfassung der Handlung
Der Roman Ernesto wurde 1953 von Umberto Saba geschrieben und spielt in Triest im Jahr 1898. Der Protagonist der Handlung heißt Ernesto und ist 16 Jahre alt. Er ist leidenschaftlicher Geigenspieler und lebt mit seiner Mutter Celestina und seiner reichen Tante zusammen. Die Tante unterstützt die kleine Familie finanziell. Da Ernestos Vater die Mutter schon vor der Geburt des gemeinsamen Sohns verließ, lernt Ernesto seinen Vater nie kennen. Ernestos Onkel ist deshalb sein Vormund. In seiner frühen Kindheit lebt Ernesto bei einer Amme und hat deshalb keine starke emotionale Beziehung zu seiner strengen Mutter. Insgeheim wünscht sich der Junge nichts sehnlicher, als von ihr in den Arm genommen oder geküsst zu werden. Doch diese Wünsche werden ihm nicht erfüllt. Der Junge besitzt eine Amsel, die er in seinem Zimmer unter dem Dach in einem Käfig hält und ihm Gesellschaft leistet sowie ein Huhn, das frei im Haus herumläuft. Um seine Familie finanziell zu unterstützen, arbeitet Ernesto in Signor Wilders Unternehmen. Dort lernt er einen 28 Jahre alten Zeitarbeiter kennen, dessen Name unbekannt ist. Mit diesem Mann geht Ernesto eine Beziehung über mehrere Monate ein und hat mit ihm seine ersten sexuellen Erfahrungen. Durch die Entscheidung beeinflusst, auch heterosexuelle Erfahrungen sammeln zu müssen, geht der Sechzehnjährige zu der jungen slowenischen Prostituierten Tanda. Der Junge entscheidet sich nach dem Treffen mit der Prostituierten dazu, die Beziehung mit dem Zeitarbeiter zu beenden. Den einzigen Weg, diese Beziehung endgültig zu beenden, sieht Ernesto nur in der Kündigung seiner Arbeitsstelle. Nach seiner Kündigung berichtet er auch seiner Mutter erstmals von der Beziehung mit dem Arbeiter, die daraufhin sehr besorgt ist und ihren Sohn als Opfer der Vorfälle sieht. Signora Celestina versucht ihren Sohn zu überreden, wieder bei Signor Wilder zu arbeiten und geht auch zu Ernestos ehemaligem Arbeitgeber, um die Kündigung rückgängig zu machen. In der letzten Episode des Romans ist Ernesto 17 Jahre alt. Nach einem Beichtgespräch bekommt er von seiner Mutter Geld, um ein Violinkonzert der Philharmonie in Triest zu besuchen. Während des Konzerts sieht er zum ersten Mal den Jungen Ilio. Von Ilios Wesen ist Ernesto so entzückt, dass er die Augen nicht mehr von ihm lassen kann. Einige Tage nach dem Konzert treffen sich die beiden fast gleichaltrigen Jungen zufällig auf dem Weg zum Geigenunterricht. Der Roman endet damit, dass sie sich zu einem Spaziergang verabreden. Die Verabredung und ihre Folgen werden in dem Roman nicht weiter ausgeführt (vgl. Grignani 1995: 1-128).
2.2. Die Entstehungsgeschichte des Romans
Wie bereits in der Einleitung erwähnt, ist Ernesto die letzte Prosa, die Saba vor seinem Tod 1957 geschrieben hat. Zwischen Mai und September 1953 begann er, den Roman während eines Klinikaufenthaltes in Rom zu verfassen. Saba schrieb zuerst vier Episoden des Romans und fügte eine Seite mit einem vorläufigen Ende hinzu. Er arbeitete einige Zeit später an einer abschließenden, fünften Episode, die aufgrund seiner Krankheit jedoch auch unvollendet blieb (vgl. Carrai 2017: 257-258).
Während des Klinikaufenthalts liest Saba seinem Arzt und seinen Besuchern Abschnitte des Romans vor. In einem Brief an seine Frau Lina im Mai 1953 beschreibt er die Reaktion der Zuhörer, nachdem er ihnen die Primo episodio vorgelesen hat: „Tutte le persone alle quali l’ho letto, Linuccia, Carlolevi, Bollea e un giovane qui ricoverato, dicono che è la più bella cosa che io abbia scritto. (Anch’io lo credo.) Disgraziatamente, è impubblicabile: per una questione di linguaggio“ (Saba/Hrsg. Stara 2001: 1292). Der Autor ist sich der Genialität der ersten Episode seines Romans durchaus bewusst, da auch seine Tochter Linuccia Saba, sein Freund Carlo Levi und auch der Arzt Giovanni Bollea den Text loben. Doch aufgrund der verwendeten Sprache ist für ihn eine Veröffentlichung ausgeschlossen. Auch in einem Brief an den Journalisten und Schriftsteller Pierantonio Quarantotti Gambini im August 1953 wiederholt er seine Aussage, der Roman sei aufgrund der Sprache nicht zur Publikation geeignet: „Il romanzo non potrà mai, anche ammesso che lo finisca, essere pubblicato, per una ragione, non di fatti - tutto ormai sie è detto - ma di linguaggio“ (Grignani 1995: VI). Dass der Roman aufgrund des Dialekts, welchen Saba auch nur in Ernesto und nur in den Dialogpassagen zwischen Ernesto und dem Arbeiter verwendet, nicht veröffentlicht werden kann, ist allerdings eine wenig stichhaltige Begründung. Der gewählte triestiner Dialekt ist kein Dialekt, der im Jahr 1953 Skandale auslöste. Er ist ein Stadtdialekt, der dem Italienischen sehr nahe und leicht verständlich ist. Es muss also nicht die Verwendung des Dialekts gewesen sein, die Saba zu der Entscheidung bewegt hatte, der Text sei nicht zur Publikation geeignet, sondern „qualcosa di speciale: un colore, una tonalità, un rapporto enigmatico“ (Grignani 1995: VII). Die Problematik für Saba muss demnach die oft vulgäre Ausdrucksweise des Protagonisten Ernesto und des Arbeiters sein. Auch wenn Saba über die in Ernesto geschehenen Ereignisse sagt, dass sie nicht der Grund seien, den Roman nicht zu publizieren, muss das Bedenken, dass die konkrete Verschriftlichung homosexueller Akte die Leser schockieren könnte, doch eine Rolle für den Autor gespielt haben. Um seiner „poesia onesta“ (Interview Rai Scuola) treu zu bleiben, bleibt Saba nichts anderes übrig, als das Handeln des jungen Ernestos mit konkreten Schilderungen und Worten zu beschreiben. Das Spezielle des Romans ist nicht nur, wie bereits genannt, die Tonalität und Ausdrucksweise der Charaktere, sondern auch die Geschichte dieses „rapporto enigmatico“ (Grignani 1995: VII), also der wundersamen Beziehung, die entweder als Beziehung zwischen Ernesto und dem Arbeiter oder der Beziehung zwischen Ernesto und Ilio definiert werden kann (vgl. Grignani 1995: I-XXIV).
In einem weiteren Brief an seine Frau weist er sie mit genauen Angaben an, wie das Buch veröffentlicht werden könnte: „Il più che si potrebbe fare sarebbe pubblicare il romanzo (se finirò il libro) in un’edizione privata di pochi esemplari e fuori commercio; e naturalmente, dopo la mia morte“ (Raimondi 1990: 119). Er fordert die Publikation in einer Privatausgabe von wenigen Exemplaren und dies erst nach seinem Tod. Tatsächlich wurde Sabas letztes Prosastück erst 1975 von seiner Tochter Linuccia Saba, die den Nachlass des Dichters verwaltet, zur Publikation im Einaudi Verlag freigegeben. Die Erstausgabe wurde am 06. Dezember 1975 fertiggedruckt und enthält zusätzlich zu dem Roman 16 Briefe des Autors an seine Familie und Bekannten, in denen er über sein Werk Ernesto spricht. Die darauffolgende Ausgabe des Romans enthält nur noch 13 anstatt 16 Briefe, da Sabas einstige Bekannte, Nora Baldi, ihre Briefe des Autors nicht mehr veröffentlichen möchte. Die neuste Edition stammt von Maria Antonietta Grignani und wurde 1995 veröffentlicht. Sie enthält ein Vor- und Nachwort über den Autor, den Romantext sowie Informationen zu Sabas Briefen (vgl. Saba/Hrsg. Stara 2001: 1300).
2.3. Die Reaktionen nach der Veröffentlichung
Die Reaktionen der Gesellschaft nach der Publikation werden im Folgenden Abschnitt analysiert. Hierzu werden unterschiedliche Artikel, die den Roman Ernesto thematisieren, betrachtet. Bei den Artikeln handelt es sich um vier Zeitungsartikel der bekannten italienischen Tageszeitungen StampaSera und LaRepubblica, welche zwischen 1975 und 1995 veröffentlicht wurden. In die Erarbeitung der Reaktion der Gesellschaft wird zudem ein Artikel der deutschen Wochenzeitung DIE ZEIT von 1986 und der amerikanischen Zeitung The New York Times von 1987 einfließen. Um die Aktualität des Prosastücks aufzugreifen, wird abschließend auf Artikel der LGBT-Internetseite gay.it und des studentischen Blogs INCIPIT eingegangen. Die Artikel werden im Folgenden chronologisch bearbeitet und in einem abschließenden Fazit zusammengefasst. Anschließend an das Fazit ist in Tabelle 1 eine zusammenfassende Auflistung der Analyse der Artikel dargestellt. Auf die Thematik der Homosexualität in der italienischen Literatur kann in dieser Arbeit aufgrund der Komplexität des Themas nicht im Detail eingegangen werden.
Wie bereits in Abschnitt 2.2 erwähnt, wurde der Roman erst 1975 von Sabas Tochter zur Publikation freigegeben. Der Druck der Erstausgabe wurde am 6. Dezember 1975 beendet. Die italienische Tageszeitung StampaSera aus Turin veröffentlichte zwei Wochen nach der Publikation des Romans Ernesto einen Kommentar mit einem Zitat der italienischen Schriftstellerin Elsa Morante: „Le stesse cose che altri, nel dirle, potrebbero rendere oscene, o ridicole o sordide, si rivelano invece, dette da Saba, nella loro chiarezza reale, naturali e senza offesa. Lasciando limpida, alla finde della lettura, l’emozione degli affetti“ (StampaSera 1975). Dem Zitat ist eindeutig die Anerkennung für Sabas Schreibstil zu entnehmen. Morante lobt die die Klarheit, mit der er die Geschehnisse beschreibt und hebt hervor, dass andere Autoren die Geschichte nicht so klar und natürlich darstellen hätten können (vgl. StampaSera 1975: 3).
Der italienische Dichter und Literaturkritiker Giovanni Raboni ist ebenso von dem Roman überzeugt wie E. Morante. Er lobt den Autor in dem in der Zeitung StampaSera erschienen Artikel und bezeichnet Saba als „uno dei più grandi del nostro tempo“ (StampaSera 1976: 7). Er wiederholt außerdem die von Saba geäußerte Angabe, der Roman sei nicht für den Konsum bestimmt. Für Raboni handelt es sich bei Ernesto weder um einen pädagogischen oder autobiographischen, noch um einen erotischen Roman, sondern „nessun di queste cose“ (StampaSera 1976: 7). Ebenso begeistern Raboni die Entstehungs- und Publikationsgeschichte genauso wie die von Saba gewählte Sprache und die Gemeinsamkeiten zwischen dem Protagonisten Ernesto und dem Autor. Diese Gründe machten Ernesto für ihn zu einem Meisterwerk der italienischen Literatur (vgl. StampaSera 1976: 7).
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