Die Emanzipation schien vollbracht, als Frauen die Röcke rafften, Charleston tanzten, arbeiteten wie Männer, Sport trieben wie Männer, Genussmittel konsumierten wie Männer und sich zu guter Letzt wie Männer sexuellen Vergnügungen hingaben.
Die vorliegende Arbeit fragt daher nach den Gründen für diese Momente, die sich seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts nach und nach etablierten. Anhand der Auswertung verschiedener Quellen sollen die Einflüsse der Rationalisierung der Fortpflanzung und damit von Geburtenkontrolle auf die Emanzipationsbewegung untersucht werden. Unter Berücksichtigung politischer und gesellschaftshistorischer Rahmenbedingungen soll außerdem aufgezeigt werden, inwiefern sich das Verhältnis von Männern und Frauen zueinander und in der Gesellschaft gewandelt hatte und welche Machtstrukturen hierfür durchbrochen werden mussten.
Neben der Skizzierung der rechtlichen Problematik durch die Unzuchts- und Abtreibungsparagraphen beinhaltet die Untersuchung eine kritische Reflexion der patriarchalen Doppelmoral und die nähere Betrachtung der Reichweite augenscheinlicher Frauen-Befreiung aus den konventionellen Herrschaftsstrukturen. Als Arbeitsgrundlage dient die vorangehende Aufbereitung historischer und kultureller Geschlechterverhältnisse und Rollenverteilungen in den Arbeiterfamilien und ein Überblick über den Wandel sexueller Moralvorstellungen und Aufklärung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, die einen Einblick in den damaligen Zeitgeist gewähren sollen.
Inhaltsverzeichnis
II. Geschlechter- und Lebensverh ältnisse von 1900 - 1930
1) Geschlechterverhältnisse und Rollenverteilung
2) Sexuelle Moral und Aufklärung im Wandel
III. Rationalisierung der Fortpflanzung
1) Gründe für die Geburtenkontrolle
2) Das „Wie“ der Geburtenkontrolle: Verhütung und / oder Abort?
3) Aufklärungsliteratur und Sexualberatungsstellen
IV. Emanzipation durch sexuelle Aufkl ärung?
1) Geburtenkontrolle: Die Frau als Herr über ihren Körper
2) Das neue Wissen & die neue Frau
V. Zusammenfassung & Fazit
I. Einleitung
Zu keiner Zeit bekam die Emanzipation der Frau in der westlichen Zivilisation stärkere Aufmerksamkeit als um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Die histori-schen und gesellschaftlichen Umwälzungen hatten der Frauenbewegung der Kaiserzeit bereits den Einzug in Bildungssystem und Erwerbstätigkeit geebnet, der zwar noch unkon-ventionell aber theoretisch möglich war. In der Weimarer Republik trat eine neue Erschei-nung ins Licht der Aufmerksamkeit: Die „neue Frau“, die sich bahnbrechend immer mehr herausnahm und auch typisch männliche Bereiche für sich eroberte:
Die Emanzipation schien vollbracht, als Frauen die Röcke rafften, Charleston tanzten, ar-beiteten wie Männer, Sport trieben wie Männer, Genussmittel konsumierten wie Männer und sich zu guter Letzt wie Männer sexuellen Vergnügungen hingaben.
Die vorliegende Arbeit fragt daher nach den Gründen für diese Momente, die sich seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts nach und nach etablierten. Anhand der Auswertung verschie-dener Quellen sollen die Einflüsse der Rationalisierung der Fortpflanzung und damit von Geburtenkontrolle auf die Emanzipationsbewegung untersucht werden. Unter Berücksich-tigung politischer und gesellschaftshistorischer Rahmenbedingungen soll außerdem aufge-zeigt werden, inwiefern sich das Verhältnis von Männern und Frauen zueinander und in der Gesellschaft gewandelt hatte und welche Machtstrukturen hierfür durchbrochen wer-den mussten. Neben der Skizzierung der rechtlichen Problematik durch die Unzuchts- und Abtreibungsparagraphen beinhaltet die Untersuchung eine kritische Reflexion der patriar-chalen Doppelmoral und die nähere Betrachtung der Reichweite augenscheinlicher Frauen-Befreiung aus den konventionellen Herrschaftsstrukturen.
Als Arbeitsgrundlage dient die vorangehende Aufbereitung historischer und kultureller Geschlechterverhältnisse und Rollenverteilungen in den Arbeiterfamilien und ein Über-blick über den Wandel sexueller Moralvorstellungen und Aufklärung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, die einen Einblick in den damaligen Zeitgeist gewähren sollen.
II. Geschlechter- & Lebensverh ältnisse von 1900 - 1930
1. Geschlechterverhältnisse und Rollenverteilung
Die Geschlechterverhältnisse und Rollenverteilungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts tru-gen die Handschrift der vorangegangenen und anhaltenden weiblichen Emanzipationsbe- wegungen. So plädierte Artikel 119 der Weimarer Verfassung zumindest auf eine „grund-sätzliche Gleichberechtigung“ zwischen den Geschlechtern, die sich nicht nur auf staats-bürgerliche Rechte und Pflichten, sondern auch auf die Ehe erstrecken sollte (vgl. Hage-mann 1990, S. 159). Dass diese Art von Gleichberechtigung jedoch nur sporadisch exis-tierte, beweist die Tatsache, dass in den meisten Fällen die Eheschließung (und damit die Verbindung mit einem Mann) das soziale Ansehen der Frau enorm anhob. Zudem beklagte die Frauenrechtlerin Alice Rühle-Gerstel, dass die Ehe für eine Frau zwar allerhand positive Seiten bereit hielt, wie zum Beispiel der „offiziellen Erlaubnis“ zum Sexualverkehr, der Anerkennung von Mutterschaft und dem Vorstand eines eigenen Haushaltes, ihr allerdings in juristischer Hinsicht ein Teil ihrer staatsbürgerlichen Rechte wieder genommen und sie erneut für unmündig erklärt wurde. Karen Hagemann konstatiert dazu: „Allein dem Mann wurde ‚die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden An-gelegenheiten‘ zugesprochen.“ (ebd., S. 161). Damit hatte sich zumindest an den rechtli-chen Eheverhältnissen der Frauen nicht viel verändert.
Obwohl mit der verfassungsrechtlichen Gleichstellung die grundsätzliche Möglichkeit für Frauen bestand, sich den eigenen Lebensunterhalt autonom durch Erwerbsarbeit zu si-chern, scheuten die meisten die rebellische Konfrontation mit den herrschenden Normen und Werten ihrer Umwelt (vgl. ebd., S. 164). Durch die Propagierung der Ehe und Familie als alleiniger Lebensform von und für Frauen, setzten sich nur wenige Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts dem alternativen Lebenskonzept von „Ehelosigkeit und Beruf“ und dem damit einhergehenden geringeren sozialen Status, der Diskriminierung und ge-sellschaftlichen Isolation aus (vgl. ebd., S. 165).
So blieben vorerst all den emanzipatorischen Bemühungen zum Trotz die etablierten Rol-lenverteilungen vom Mann als Familienernährer und der Frau als Hausfrau und Mutter weit verbreitet. Waren die Lebensbedingungen stabil, bemühten sich die meisten Eheleute allerdings - vor allem in der Weimarer Republik - um eine Emotionalisierung ihrer Bezie-hung und damit auch um ein gefühlsbetonteres Familienleben, das dem damaligen bürger-lichen Leitbild der 20er Jahre entsprach (vgl. ebd., S. 158). Das „moderne Ehe-Ideal“ for-derte jedoch nicht nur eine beiderseitig erfüllte Liebesbeziehung und ein partnerschaftli-ches Verhältnis beider Geschlechter, sondern auch die Erfüllung einer traditionellen Rol-lenverteilung (vgl. ebd., S. 170).
Was aus heutiger Sicht altmodisch anmutet, galt in der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg als fortschrittliche Lebensgemeinschaft, insofern der Mann seine patriarchalen Herrschaftsansprüche nicht mit seinem, durch das BGB gegebenen Rechtsanspruch durch-setzte, sondern die Gattin in partnerschaftlicher Art in die täglichen Entscheidungen mit einbezog (vgl. Hagemann 1990, S. 162). Viele Frauen, die in einer solchen Ehe lebten, bezeichneten sich selbst als modern und selbstbestimmt, obwohl sie aus heutiger Sicht rechtlich noch weit einer beidgeschlechtlich emanzipierten Beziehung entfernt waren. Die Ansichten dieser Frauen wurden außerdem gestärkt durch die gewandelte Sexualmo-ral, denen das neue Ehe-Ideal zugrunde lag und die erstmalig auch umfassende Aufklä-rung über Empfängnisverhütung zuließ. Nach den harten Kriegsjahren war es „die Sehn-sucht unserer Zeit [...], endlich wieder wirklich zu ‚leben‘“, wie Nationalökonom Julius Wolf 1926 in einer Rede feststellte, und weiter: „In dieser Sehnsucht wurde sie (die Zeit; J.W.) reif für die neue Sexualmoral.“ (Stölken 1990, S. 84f). Allerdings war die überwie-gende staatliche Akzeptanz der Sexualreform in letzter Instanz auch ein Versuch, die Ehe durch eine stärkere Erotisierung neu zu stabilisieren. Wo Frauen sich durch den Krieg emanzipiert hatten und ihren Männern „gefährlich geworden“ waren, musste man die ver-altete Form des Ehestandes neu einkleiden, um ihn weiter als primäre Art des Zusammen-lebens attraktiv und damit aufrecht erhalten zu können (vgl. ebd., S. 105).
2. Sexuelle Moral und Aufklärung im Wandel
Im Kaiserreich war die Sexualmoral noch geprägt von Scham und den Zwängen von Sitt-samkeit, die vor allem Überbleibsel religiöser Erziehung waren. Es wurde zum Teil noch die alte Auffassung vertreten, die Libido sei etwas originär Männliches und „normale“ Frauen gaben sich dem Sexualakt ausschließlich zum reinen Fortpflanzungszweck hin. (vgl. Bergmann 1986, S. 144): „Ihre Sexualorgane als Quelle von Erotik und Sinnlichkeit dienten hier ausschließlich der Bedürfnisbefriedigung von Kindern und Männern, nicht aber der eigenen.“ (ebd.) Unter dem Gesichtspunkt einer solchen Anschauung der Ge-schlechterordnung verwundert es auch nicht, dass die Aufklärung von Jungen für weit wichtiger befunden wurde als die der Mädchen (vgl. Schuster 1990, S. 74).
Dieses Konstrukt von weiblicher und männlicher Sexualität nutzte das Patriarchat auch im Ersten Weltkrieg noch als Rechtfertigung für den Anspruch auf weibliche Treue in der Heimat, während die Prostitution für männliche Soldaten an der Front zum Erhalt der Lei-beskraft geduldet, ja das Bordellwesen gar gefördert wurde. Dies geschah, „um die Trup-pen in sexueller Hinsicht zu entspannen und damit ihre Stimmung nach allen depressiven Schützengrabeneindrücken zu heben.“ (Daniel 1989, S. 140) Diese bürgerliche Doppelmo-ral zeigte sich an vielen Stellen noch bis in die 30er Jahre und darüber hinaus.
In der sexualmoralisch rigiden wilhelminischen Zeit galt die Ehe als einziger Raum für Sexualität (vgl. Hagemann 1990, S. 161), selbst in festen Beziehungen zwischen Nicht-Verheirateten wurde der Intimverkehr als anstandslos betrachtet:
„Die herrschende, bürgerliche Sexualmoral lehnte außereheliche Sexualität als ‚unzüchtig‘ ab. Der Staat versuchte diese Form der ‚sittenzersetzenden Unzucht‘ u.a. durch das Verbot von ‚Konkubinat‘ und ‚Kuppelei‘ zu bekämpfen: Als ‚Konkubinat‘ galt ‚das fortgesetzte außereheliche Zusammenleben eines Paares‘, das strafbar war, sobald es ‚öffentliches Är-gernis‘ erregte.“ (ebd., S. 173)
An dieser Tatsache erkennt man leicht, welcher Willkür junge Paare ausgesetzt waren, denn es reichte schon die üble Nachrede zufälliger Personen, die deren Glück schaden wollten. Um etwaigen Ärger zu vermeiden, wurde das unverheiratete Paar demnach nicht selten von den eigenen Familien zur Eheschließung gedrängt (ebd.).
In der Nachkriegszeit der 20er Jahre galten im Proletariat gelockertere moralische Werte als im Bürgertum. Sexualität vor der Ehe wurde in Form des „Verlobtenverkehrs“ gedul-det. Versprach der Verehrer dem heiratswilligen Mädchen also den Trauschein, konnte sie sich sexuell auf ihn einlassen ohne ihr Ansehen zu gefährden (vgl. ebd., S. 168). Selbst wenn sie schwanger wurde, konnte die Ehre der werdenden Mutter durch die „Legalisie-rung durch das Standesamt“, also eine Heirat mit dem Kindsvater, bewahrt bleiben (vgl. ebd., S.175). Das Risiko, dass sich der Mann jedoch im Falle einer Schwangerschaft aus der Affäre zog, blieb für die jungen Frauen allgegenwärtig, sodass für viele von ihnen der „bewußte Verzicht auf die Sexualität [...] ein[en] Schritt zu ihrer Befreiung als Frau“ be-deutete (ebd., S. 169). „Voreheliche Sexualität blieb [daher; J.W.] in Arbeiterkreisen in den zwanziger Jahren vor allem ein Problem der Verhütung. Die Angst vor einem Kind war groß, das Wissen über Sexualität und Verhütung gering.“ (ebd., S. 168)
Grundsätzlich war „Sexualität [...] ein tabuisiertes Thema. [...] In sexuellen Fragen herrsch-te ‚Sprachlosigkeit‘ und Unwissen; jede Form der Auseinandersetzung mit dem Thema war in der Arbeiterfamilie tabu.“ (ebd., S. 225) Damit war auch die Aufklärung über Funk-tionen der Geschlechtsorgane, sowie Informationen über Verhütungsmittel - die von der herrschenden Meinung verteufelt wurden - der Verschwiegenheit unterworfen. Als fort-schrittlich galten bereits Eltern (meist Sozialdemokraten), die ihren pubertierenden Kin-dern Aufklärungsbroschüren und Bücher bereitstellten, die die „sexuelle Frage“ behandel-ten. Selbst diese vorsichtigen Versuche einer Aufklärung wurden von der Umwelt bereits als „unanständig“ abgetan, sodass über aller Sexualität stets der „Schleier des Verbotenen“ hing (vgl. ebd., S. 227). Auch darum hatten viele un- oder schlecht aufgeklärte Frauen spä-ter ein gestörtes Verhältnis zu ihrer Geschlechtlichkeit. Dieses hielt oftmals bis weit in die Ehe an, sodass das eheliche Sexleben eher als Last und Zwang empfunden wurde, um dem Partner, „der das ‚brauchte‘“, gerecht zu werden (vgl. Hagemann 1990, S. 226). Wenn auch nicht allerorts, so wurde mit dem Ende des Krieges der Umgang mit Sexualität allmählich - vor allem aber in den Großstädten - offener. Nach den Angstjahren fielen An-spannung und Schrecken langsam von der Bevölkerung ab und eine neue Weiblichkeit, die sich durch den Kampf an der Heimatfront im alltäglichen und Erwerbsleben emanzipiert hatte, strahlte durch stärkeres Selbstbewusstsein und einen größeren Drang nach Selbstbe-stimmung und Unabhängigkeit (vgl. Schuster 1990, S. 87f).
Mit der sogenannten „neuen Frau“ verstärkte sich ein bereits in der Kaiserzeit begonnenes Phänomen: Die Rationalisierung der Fortpflanzung und damit auch eine Form der Gebur-tenkontrolle. Zwar war auch in der Weimarer Republik die nichteheliche Schwangerschaft immer noch der häufigste Grund für Eheschließungen, jedoch sorgte der zunehmende Wunsch nach einer Planung des Nachwuchses dafür, dass immer mehr Frauen über ihren Schatten sprangen und sich trotz Schamgefühlen über Kontrazeptiva zu informieren ver-suchten. Selbst, wenn sich der Erhalt oder die Benutzung von Präservativen, Pessaren und anderen empfängnisverhütenden Mitteln für Arbeiterpaare aus finanziellen oder prakti-schen Gründen als schwierig herausstellten, „verhüteten“ die meisten Sexualpartner we-nigstens mit dem Coitus interruptus oder mithilfe von Vaginalspülungen direkt nach dem Verkehr (vgl. Hagemann 1990, S. 174). Da sich diese Methoden jedoch als überwiegend unwirksam herausstellten und damit der Geburtenkontrolle, um die es im nächsten Ab-schnitt gehen soll, im Wege standen, war der Ruf nach Aufklärung und effektiver Verhü-tung allgegenwärtig.
III. Rationalisierung der Fortpflanzung
1. Gründe für die Geburtenkontrolle
Schon zu Beginn des neuen Jahrhunderts stellten immer mehr Arbeiterfamilien fest, dass eine kleine Kinderzahl ausschließlich Vorteile mit sich brachte: „Der Lebensstandard der Familie war höher, die Lebenschance des einzelnen Kindes größer, der Gesundheitszustand der Frau besser und ihre Arbeitsbelastung geringer.“ (Hagemann 1990, S. 197) Je mehr Verbreitung diese Einstellung fand, desto eher wandelten sich auch die Normen und Werte des umliegenden Milieus (vgl. ebd., S. 199). Damit setzte sich seit der Industrialisierungs-phase allmählich in allen Schichten der Trend zur Kleinfamilie durch (vgl. Bergmann 1986, S. 127). Neben den rein ökonomischen Zwängen, wie Wohnungsnot/-enge und Ar- beitslosigkeit oder geringes Einkommen, denen eine Beschränkung der Nachkommenzahl positiv entgegen wirkte, empfanden viele Frauen es als großen Kraftakt, mehrere Kinder zu bekommen und zu versorgen. Durch die körperliche und psychische Doppelbelastung, fürchteten nicht wenige negative Folgen für ihre Gesundheit. (vgl. Hagemann 1990, S. 199) Männliche Arbeiter „schreckten [...] hauptsächlich die finanziellen Auswirkungen einer großen Kinderzahl. Sie sahen vorrangig, daß jedes weitere Kind die Haushaltskasse belastete und den Ausgabenspielraum einschränkte.“ (ebd.) Hinzu kam, dass sich die Le-bens- und Zukunftschancen des Kindes umso mehr erhöhten, je weniger Geschwister es hatte (vgl. ebd.).
Julius Wolf fasste den Trend zur Geburtenkontrolle als Folge der „allgemein zu beobach-tende[n], Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen erfassende[n], Rationalisierung“ zu-sammen:
„Nach einer Epoche der stark religiös motivierten gott- und naturergebenen Hinnahme der Folgen des Geschlechtsverkehrs wollte der verantwortungsbewußte und moderne Mensch seine Kinderzahl nunmehr an seine ökonomischen und sonstigen Möglichkeiten und Fä-higkeiten anpassen [...].“ (Stölken 1990, S. 95)
Karen Hagemann arbeitete für Ehepaare in der Weimarer Republik heraus, dass sich sogar ein „Trend zur Kinderlosigkeit“ durchsetzte, wenn beide Partner in qualifizierten Berufen tätig waren. Der Nachwuchs beeinträchtige die beruflichen Karrieren und schränkte damit „die Möglichkeiten der Selbstverwirklichung in Beruf und Privatleben“ stark ein (vgl. Ha-gemann 1990, S. 201).
Die Untersuchungen von Max Marcuse stellten außerdem dar, dass trotz des starken öko-nomisch bedingten Moments der Geburtenkontrolle, die psychischen Vorgänge im Men-schen von entscheidender Bedeutung seien:
„Als Folge der geistigen Strömung der neuen Zeit, der Rationalisierung des gesamten Ge-schlechtslebens, habe sich der naive Sexualtyp des Menschen gleichsam in einen rationalen umgewandelt, der auch beim Geschlechtsverkehr nichts mehr dem Zufall überlassen woll-te“ (Stölken 1990, S. 95).
Dieses Ergebnis stützt auch die Aussage, dass Paare, die bewusst auf Kinder verzichteten, ihrer Ehe eine andere Bedeutung beimaßen als verheiratete Eltern: Anstelle der Kinderer-ziehung ging es um die Ehe als „Liebes- und Lebensgemeinschaft von Frau und Mann“ (Hagemann 1990, S. 201). Diese Einstellung ergab sich vermutlich aus einer veränderten Haltung zum Selbstschutz und Eigennutz, die vor allem weibliche Individuen mit der Emanzipation als selbstverständlicher erachteten. Im Vordergrund standen nunmehr die Bedürfnisse des Individuums und nicht die Interessen des herrschenden Staates.
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