Diese HAusarbeit beschäftigt sich mit Emile Durkheims und Max Webers Konzepten von
Solidarität. Zunächst werden die Biographien beider Autoren betrachtet und
Rahmenbedingungen ihrer sozialen und politischen Umgebung, die Aufschluss über ihre
Solidaritätskonzepte geben könnten, analysiert. Im zweiten Teil werden die Konzepte von Solidarität herausgearbeitet. Der Abschluss der Arbeit bildet die Gegenüberstellung beider Konzepte und die Beschreibung von Unterschieden und Gemeinsamkeiten.
Das Interesse an diesem Thema resultiert aus dem etwas seltsam anmutenden
„Nichtverhältnis“ (Wolfgang Schluchter) der beiden Soziologen. Durkheim und Weber waren Zeitgenossen und werden beide –vor allem in ihren Heimatländer- als (Mit)begründer der modernen Soziologie behandelt. Ihnen ist gemeinsam, dass sie von dem Anspruch erfüllt waren die Soziologie auf einer wissenschaftlichen Basis zu betreiben und sie so aus dem Umfeld der Philosophie zu
lösen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Zu den Personen Emile Durkheim und Max Weber
Emile Durkheim
Max Weber
Soziale Differenzierung- Arbeitsteilung
Segmentäre Gesellschaften und moderne Gesellschaften
Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung
Die bürokratische Herrschaft
Die Konzepte von Solidarität bei Durkheim und Weber im Vergleich
Schlussbetrachtung
Quellen
Einleitung
Die folgende Hausarbeit wird sich mit Emile Durkheims und Max Webers Konzepten von Solidarität befassen. Zunächst werden die Biographien beider Autoren betrachtet und Rahmenbedingungen ihrer sozialen und politischen Umgebung, die Aufschluss über ihre Solidaritätskonzepte geben könnten, analysiert. Im zweiten Teil werden die Konzepte von Solidarität herausgearbeitet. Der Abschluss der Arbeit bildet die Gegenüberstellung beider Konzepte und die Beschreibung von Unterschieden und Gemeinsamkeiten.
Das Interesse an diesem Thema resultiert aus dem etwas seltsam anmutenden „Nichtverhältnis“[1] der beiden Soziologen. Durkheim und Weber waren Zeitgenossen und werden beide –vor allem in ihren Heimatländer- als (Mit)begründer der modernen Soziologie behandelt. Ihnen ist gemeinsam, dass sie von dem Anspruch erfüllt waren die Soziologie auf einer wissenschaftlichen Basis zu betreiben und sie so aus dem Umfeld der Philosophie zu lösen.
Auch gehörten beide einer Generation von Geisteswissenschaftlern an, die erstmals Wissenschaft als Beruf betreiben konnten. Trotzdem gibt es keinerlei erwähnenswerte persönliche oder geistige Kontakte, obwohl sich Durkheim ansonsten in der deutschen Wissenschaftslandschaft gut auskannte. Dieses Nichtverhältnis spiegelt auch die Entfernung zwischen den sozialwissenschaftlichen Ansätzen der beiden wider. Da Durkheims und Webers „Schriften auf den ersten Blick nur eine geringe Ähnlichkeit aufzuweisen scheinen“[2], ist eine Gegenüberstellung ihrer Solidaritätsbegriffe umso interessanter.
Die erste große Differenz ist augenscheinlich. Während die Solidarität einer der Schlüsselbegriffe in Durkheims Denken ist, spielt sie bei Weber keine besondere Rolle. Bei Weber ist der Begriff der Solidarität eine Randerscheinung, die aus Webers Gesamtwerk, besonders aber einer Interpretation des Begriffspaars Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung zu erschließen ist. Diese Begriffe werden systematisch in „ Wirtschaft und Gesellschaft“[3], eines von Webers Hauptwerken, entwickelt. Durkheim hingegen widmet seinem Konzept der Solidarität sein erstes großes Werk „ Über soziale Arbeitsteilung“[4]
Das „Nichtverhältnis“ zwischen Durkheim und Weber setzt sich auch in ihren Konzepten von Solidarität fort. Um diese zu Ergründen ist notwendig sie auch vor dem Hintergrund der jeweiligen Ansichten hinsichtlich der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Modernisierung zu betrachten und in diese einzuordnen.
Zu den Personen Emile Durkheim und Max Weber
Emile Durkheim
Im folgenden Abschnitt möchte ich eine Einführung in die Biographie der Autoren geben, und ihr Leben und Denken in ihren historischen Kontext einordnen.
David Emile Durkheim wurde am 15. April 1858 in Epinal in Lothringen geboren. Sein Leben zeichnet sich kaum durch besondere Ereignisse aus, sodass es Rückblick vor seinem Werk verblasst. „ Von Durkheim kann man […] sagen, daß sein Leben sein Werk ist. Wie etwa bei […] Max Weber gibt es kaum wesentliche Einschnitte, die nicht mit der Ausbildung oder der konsequenten Produktion ihres Oeuvre zusammenhinge.“[5]
Durkheim besucht nach dem Gymnasium die Ecole Normale Supérieure in Paris und schließt diese mit der Prüfung zu Agrégé de Philosophie ab. Im Anschluss arbeitet er als Gymnasiallehrer in Sens und Saint- Quentin an. 1885/ 1886 hält sich Durkheim während einer Studienreise in Deutschland auf und kommt hier mit den Kathedersozialisten –vor allem Gustav Schmoller und Karl Bücher- in Berührung.
Nach seiner Rückkehr nach Frankreich wird er zum Professor für Soziologie und Pädagogik an der Universität Bordeaux ernannt. Die Professur wurde eigens für ihn geschaffen. Dort verfasst Durkheim drei seiner wichtigsten Werke: „Über soziale Arbeitsteilung“[6], „ Die Regeln der soziologischen Methode“[7] sowie „Der Selbstmord“[8]. Außerdem gründet er die Zeitschrift Annee Sociologique. 1902 folgt Durkheim dem Ruf an die Sorbonne und besetzt den Lehrstuhl für Pädagogik. Dort verfasst er u.a. „Die elementaren Formen des religiösen Lebens“[9]. Im ersten Weltkrieg fällt Durkheims Sohn. Durkheim selber stirbt am 15. November 1917 in Paris.
Das sozioökonomische und politische Umfeld Durkheims begründet seine Interessen. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war rückblickend aus europäischer Sicht ein relativ friedlicher Zeitabschnitt. Die Ausnahme ist der preußisch-französische Krieg 1870/1871, in dem Frankreich eine empfindliche Niederlage hinnehmen musste. Durkheim sah diese Niederlage, wie viele andere seiner Generation „als Ausdruck einer weithin reichenden Krise […], die speziell die Alltagsmoral der Menschen in unübersehbare Konflikte gebracht hatte.“[10]
In Frankreich wirkten aber auch noch die Erfahrungen der französischen Revolution, deren Schattenseite die soziale Destabilisation des Terreurs war, nach. Auch der Aufstieg und Fall Napoleons in Folge der Revolution hatte Einfluss auf die Suche der zeitgenössischen Gelehrten nach stabilisierenden Kräften.[11]
Die prägende sozioökonomische Entwicklung des 19. Jahrhunderts war die massive Modernisierung der europäischen Gesellschaften - vor allem durch die Industrielle Revolution. Die sozialen Umwälzungen und Probleme, die mit dieser Entwicklung einhergingen, wie die Entstehung der Konfliktlinie zwischen Arbeit und Kapital und die Individualisierung schaffen eine neue, moderne Gesellschaft. Aus diesen Rahmenbedingungen leitet sich Durkheims Erkenntnisinteresse hinsichtlich der Kohäsion der modernen Gesellschaft ab. Die empfundene Krisenhaftigkeit des Systems wird durch die Anomiethese erklärt.
Der geistesgeschichtliche Kontext in dem Durkheims „ Über soziale Arbeitsteilung“ entsteht ist folgendermaßen strukturiert. Die klassischen Ökonomen wie Adam Smith oder in dessen Nachfolge Herbert Spencer sehen Arbeitsteilung und Arbeitszerlegung (auf letztere geht Durkheim allerdings nicht ein) als Grundlage für eine allgemeine Wohlfahrtssteigerung sowohl auf gesellschaftlicher-, als auch auf individueller Ebene. Die Gegenseite ist das kollektivistisch-sozialistische Lager etwa Karl Marx, dass darauf hinweist, dass derartige Dynamiken zu starken Abhängigkeitsbeziehungen der Arbeit vom Kapital führen, zu systematischer Ausbeutung, sowie zur Entfremdung des Arbeiters von der Arbeit.
In Frankreich beschäftigen sich Saint- Simon und dessen Schüler Auguste Comte mit dem Thema. Saint- Simon beurteilt die Entwicklung vor allem positiv, wegen ihrer dynamischen Transformation der Gesellschaft. Comte thematisiert die trennenden Kräfte sozialer Differenzierung und befürchtet eine gesellschaftliche Destabilisierung.[12]
Max Weber
Karl Emil Maximilian Weber wurde am 21.April 1864 in Erfurt, Thüringen geboren. Wie Durkheim ist für das Leben Max Webers in erster Linie die enorme Produktion wissenschaftlichen Materials kennzeichnend. Max Weber studiert von 1882 bis 1886 Jura, Nationalökonomie, Philosophie und Geschichte in Heidelberg, Berlin und Göttingen. Nach seiner Habilitation in Berlin lehrt er in Freiburg und Heidelberg Nationalökonomie. Ab 1898 plagt ihn eine psychische Erkrankung, die ihn immer wieder zwingt seine Lehrtätigkeit auszusetzen und den Umfang seiner wissenschaftlichen Arbeit zu reduzieren. 1904 übernimmt er mit Werner Sombart und Edgar Jaffé das Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik. 1909 findet die Gründung der deutschen Gesellschaft für Soziologie statt. Beteiligt sind außer Weber noch Georg Simmel, Werner Sombart, Ferdinand Tönnies u.a. 1919 kann er dem Ruf der Universität München auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie krankheitsbedingt nicht mehr folgen. Im folgenden Jahr stirbt Weber an der von der spanischen Grippe ausgelösten Lungenentzündung.[13]
Das Werk Webers ist ausgesprochen umfangreich, die am meisten beachteten Titel sind „ Die protestantische Ethik und der ‚Geist’ des Kapitalismus“ (1905) sowie „Wirtschaft und Gesellschaft“(1922)
Das sozioökonomische und politische Umfeld in dem Weber seine Werke verfasste war auf der europäischen Ebene natürlich dasselbe wie bei Durkheim. Die Modernisierung in allen Lebensbereichen, speziell in der Wirtschaft, ist auch Webers Ausgangspunkt. Die stetige Rationalisierung, als Besonderheit des Okzidents, die auf ökonomischer Ebene den Kapitalismus und auf politischer Ebene die bürokratische Herrschaft hervorbringt, sind seine Interessensschwerpunkte. Beeinflusst wurde Weber auch von der speziellen deutschen Entwicklung seinerzeit. Die etwas verspätete forcierte Industrialisierung veränderte die deutsche Gesellschaft grundlegend. Der preußisch-französische Krieg 1870/ 71 hat wie bei Durkheim auch bei Weber Wirkung entfaltet. Für Weber war allerdings eher von Bedeutung, dass durch die offizielle Gründung Deutschlands im Versailler Spiegelsaal im Januar 1871, erstmals ein moderner deutscher Nationalstaat entstanden war. Webers besondere Wertschätzung für Bismarck kann durchaus vor dem Hintergrund seines Konzeptes von charismatischer Herrschaft betrachtet werden. Als Bismarck abdankt, sieht Weber in der neuen Regierung seine Skepsis gegenüber der bürokratischen Herrschaft bestätigt.[14]
Welche Erkenntnisse lassen sich nun aus der Gegenüberstellung der Personen Emile Durkheim und Max Weber gewinnen?
Obwohl beide Autoren im gleichen Zeitraum lebten und ihre Schaffensphase hatten und beide vor allem in ihrem jeweiligen Heimatland als herausragende Wissenschaftler und Mit-, wenn nicht sogar Begründer der Soziologie gelten, fand zwischen ihnen kein nennenswerter Austausch statt. Schluchter beschreibt dies als ein Nichtverhältnis. „ Im Werk von Max Weber finden sich von Emile Durkheim keine Spuren, und umgekehrt gilt nahezu das gleiche […].[15]
Trotzdem kann man einige Ähnlichkeiten zwischen den beiden entdecken. Aron bemerkt, dass beide den Anspruch hatten Gelehrte zu sein.[16] Diese Rolle konnten sie auch vollkommen ausfüllen, da sie beide von der Wissenschaft leben konnten. Das war auch eine Folge dessen, dass zu ihrer Zeit, und nicht zuletzt durch ihr Wirken, die Soziologie als akademische Disziplin entstanden ist. Auch hatten beide zum Ziel, die Soziologie zu systematisieren und eine Methodik zu schaffen, die eher an den Naturwissenschaften orientiert war. Letztlich ist die Gegenüberstellung der beiden Personen jedoch kaum fruchtbar für die Analyse ihrer Solidaritätskonzepte. Deshalb folgt nun die Analyse der Werke.
[...]
[1] So nennt es Wolfgang Schluchter; 2000
[2] Zit. Giddens, Anthony; 1988; S.273
[3] posthum herausgegeben, zunächst von Marianne Weber, dann von Johannes Winckelmann,
erstmals erschienen 1922.
[4] Originaltitel : „De la Division du travail social“ erstmals erschienen 1893
[5] Zit. König, Rene; 1976; S. 314
[7] „Les Règles de la méthode sociologique“ ( 1895)
[8] „Le Suicide“ ( 1897)
[9] „Les élémentaires de la vie religieuse“ ( 1912)
[10] Zit. König, Rene; 1976; S.320
[11] Vgl. Stjenoe; S.39
[12] Vgl. Müller, Hans- Peter/ Schmid Michael: 1988; S. 484 ff.
[13] Für ausführlichere biographische Hinweise siehe etwa Käsler, Dirk ( Hrsg.); Max Weber. Sein Werk und seine Wirkung; Nymphenburger Verlagsbuchhandlung; München; 1972
[14] Vgl. Giddens; 1988; 281
[15] Zit. Schluchter; 2000; S.59
[16] Vgl. Aron, Raymond; 1979; S.11
- Arbeit zitieren
- Jan Künzl (Autor:in), 2006, Die Konzepte von Solidarität bei Emile Durckheim und Max Weber im Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/79121