Ausgangspunkt der hiesigen Überlegungen ist eine kritische Betrachtung des vermeintlich plötzlichen Wandels in der indischen Politik, welcher sich zuletzt überaus deutlich im Wahlsieg der hindunationalistischen Partei BJP im Mai 2019 manifestiert hat. Nicht nur in Presse und öffentlicher Meinung demokratischer Länder, sondern auch in Bezug auf politik- und sozialwissenschaftiche Einschätzungen der letzten Jahrzehnte kann von einem diametralen Gegensatz zu den jüngsten Bewertungen und Kommentaren des politischen Alltags gesprochen werden. Ehemalige Etikettierungen als stabiler Partner und demokratischer Hort Asiens mögen nicht recht zu Hindu-Nationalismus, Angriffen auf Kuhtransporte und rechts-nationalen Protesten passen. Zugespitzt formuliert könnte man eine Unterschätzung der politisch rechten Kräfte in der indischen Demokratie feststellen. Selbstverständlich gab und gibt es vereinzelt Expertenstimmen, welche durch langjährige Beobachtung des Hindu-Nationalismus und der Bharatiya Janata Party (BJP) den vermeintlich plötzlichen Wandel in einen gesellschaftlichen wie politischen Zusammenhang einzuordnen wissen.
Aber auch ohne intensive Beschäftigung mit südasiatischer Politik, muss einleuchtend erscheinen, dass sich große demokratische Mehrheiten nicht über Nacht finden lassen. Es drängt sich die Frage auf, wie die BJP und der damit verbundene Hindunationalismus mehrheitsfähig werden konnte. Neben sehr vielen möglichen Faktoren soll hier vorrangig untersucht werden, wie der institutionelle Hindunationalismus zunehmend breite Bevölkerungsteile für sich gewinnen konnte und inwieweit dies in Anbetracht langjähriger Prozesse Erklärungspotenzial für einen im Frühjahr 2019 endgültig angebrochenen politisch-kulturellen „Wechsel“ liefert.
Theoretisch sollen die folgenden Überlegungen an staatstheoretischen Gedanken des Italieners Antonio Gramsci (1891-1937) angebunden werden. Sein erweiterter Staatsbegriff (integraler Staat) und die diesem innewohnende Unterscheidung von Zivilgesellschaft und politischer Gesellschaft liegt den hiesigen Betrachtungen insofern zu Grunde, als jener Theoretiker als erster dezidiert nicht-staatliche, gesellschaftliche Prozesse von Meinungsbildung und deren Folgen für politische Machtverteilung besonders hervorhebt, eine politikwissenschaftliche Relevanz gibt und somit hier als Analyseparameter dienen kann.
Inhaltsverzeichnis
- I.) Einleitung. Antonio Gramscis erweiterter Staatsbegriff und, kulturelle Hegemonie' als alternative Analyseperspektiven.
- II.) Hindutva und Hindu-Staat - Ideologie und Anfänge des indischen Hindu-Nationalismus.
- III.) Von Ayodhya bis Gujarat - Schauplätze und Strategien im öffentlichen Diskurs um, kulturelle Hegemonie'.
- IV.) BJP-Wahlsieg 2019: Plötzlicher Umbruch oder Ergebnis eines zivilgesellschaftlichen Prozesses? Alternative Erklärungsansätze
- V.) Diskurs um, Kulturelle Hegemonie' am Beispiel Indiens. Gramscis Relevanz für die politische Kulturforschung.
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Frage, wie der hindu-nationalistische Einfluss auf den öffentlichen Diskurs in der indischen Demokratie zunimmt und die Bharatiya Janata Party (BJP) in den letzten Jahren einen Aufstieg im politischen System erleben konnte. Dabei steht insbesondere die Frage im Vordergrund, ob und inwiefern der vermeintlich plötzliche Wandel im Frühjahr 2019 ein Ergebnis langjähriger Prozesse der kulturellen Hegemonie ist.
- Der Aufstieg des Hindu-Nationalismus in Indien und die Rolle der BJP
- Die Rolle der kulturellen Hegemonie im öffentlichen Diskurs
- Gramscis erweiterter Staatsbegriff und seine Relevanz für die Analyse des indischen Kontextes
- Zivilgesellschaftliche Prozesse der Meinungsbildung und ihre Auswirkungen auf die politische Machtverteilung
- Die Beziehung zwischen Staat und Zivilgesellschaft in Indien
Zusammenfassung der Kapitel
- I.) Einleitung: Das Kapitel legt die zentrale Fragestellung der Arbeit dar und stellt den vermeintlich plötzlichen Wandel in der indischen Politik in den Kontext. Der Fokus liegt auf der Frage, wie die BJP mehrheitsfähig werden konnte und welche Rolle der Hindu-Nationalismus dabei spielt. Als theoretisches Fundament wird Antonio Gramscis erweiterter Staatsbegriff und seine Theorie der kulturellen Hegemonie eingeführt.
- II.) Hindutva und Hindu-Staat: Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Ideologie des Hindu-Nationalismus (Hindutva) und seinen Anfängen in Indien. Es beleuchtet die historischen und gesellschaftlichen Faktoren, die zur Entstehung und Verbreitung dieser Ideologie geführt haben.
- III.) Von Ayodhya bis Gujarat: Dieses Kapitel untersucht konkrete Beispiele aus dem öffentlichen Diskurs, die den Einfluss des Hindu-Nationalismus illustrieren. Es analysiert die Strategien, die die BJP zur Durchsetzung ihrer Ideologie nutzt, und beleuchtet die Rolle der Medien und der Zivilgesellschaft.
- IV.) BJP-Wahlsieg 2019: Dieses Kapitel analysiert den Wahlsieg der BJP im Jahr 2019 und diskutiert verschiedene Erklärungsansätze für diesen Erfolg. Es untersucht die Rolle des Hindu-Nationalismus, der wirtschaftlichen Entwicklung und der sozialen Veränderungen im Kontext der indischen Demokratie.
Schlüsselwörter
Die zentralen Schlüsselwörter der Arbeit sind: Hindu-Nationalismus, Hindutva, Bharatiya Janata Party (BJP), kulturelle Hegemonie, Antonio Gramsci, Zivilgesellschaft, öffentlicher Diskurs, indische Demokratie, politische Kulturforschung.
- Arbeit zitieren
- Henning Bokel (Autor:in), 2019, Ist Indien plötzlich ein Hindu-Staat?, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/539262