Mit Prozessen, die zur Bildung von Meinungen und Einstellungen zwischen bzw. über Menschen führen, beschäftigt sich eines der größten Felder der Sozialpsychologie, die Personenwahrnehmung. Probabilistische Hypothesen über Verhaltensäußerungen und wahrgenommene Handlungen aus der sozialen Realität bilden die Grundlage zur Meinungsgenese über sich selbst und andere Individuen. Viele einzelne Auffassungen über beobachtete Menschen werden häufig zu einer großen Bewertung hinsichtlich der interpersonellen Einstellung zusammengeführt. Diese Meinungsbilder beeinflussen das soziale Handeln einer jeden Person. Eine der wissenschaftlich besonders relevanten Theorien kausaler Attributionen, die auf HEIDER (1958) zurückgehende und von KELLEY weiterentwickelte Attributionstheorie bildet im Rahmen dieser Arbeit das theoretische Fundament. Welche Bedeutung die Attributionstheorie von KELLEY (1967) für die Werbepsychologie besitzt, wird im Verlauf der vorliegenden Arbeit mit Hilfe einer praktischen Vergleichsanalyse zweier Werbeplakate, erörtert.
INHALT
1. EINLEITUNG
2. DIE ATTRIBUTIONSTHEORIE NACH KELLEY, KAUSALE SCHEMATA und VERZERRUNGSMECHANISMEN
2.1 Kausale Schemata
2.2 Verzerrungsmechanismen bei der Personenwahrnehmung
3. INTERPERSONALE ANZIEHUNG UND SYMPATHIE ERZEUGENDE MERKMALE
3.1 Ähnlichkeit
3.2 Nähe und Vertrautheit
3.3 Sozialer Austausch und Sympathie uns gegenüber
3.4 Assoziation mit positiven Dingen
3.5 Physische Attraktivität
3.6 Attraktivität in der Werbung
4. EINE PRAKTISCHE ANALYSE – ANHAND DER PERSONENATTRIBUTION NACH KELLEY
5. Resümee
6. LITERATURVERZEICHNIS
7. ABBILDUNGSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG
Mit Prozessen, die zur Bildung von Meinungen und Einstellungen zwischen bzw. über Menschen führen, beschäftigt sich eines der größten Felder der Sozialpsychologie, die Personenwahrnehmung. Probabilistische Hypothesen über Verhaltensäußerungen und wahrgenommene Handlungen aus der sozialen Realität bilden die Grundlage zur Meinungsgenese über sich selbst und andere Individuen. Viele einzelne Auffassungen über beobachtete Menschen werden häufig zu einer großen Bewertung hinsichtlich der interpersonellen Einstellung zusammengeführt. Diese Meinungsbilder beeinflussen das soziale Handeln einer jeden Person. (Vgl. Herkner, 1996, S. 277; Felster, 2001, S. 248)
Selektion und Inferenz, zwei charakteristische Aspekte jeglicher Art von Wahrnehmung, spielen in der Personenwahrnehmung ebenfalls eine tragende Rolle. (Vgl. Herkner, 1996, S. 277) In Kapitel 2 werde ich auf (Inferenz-)Mechanismen eingehen, die über die vorgegebenen Informationen zur Bildung einer interpersonellen Einstellung hinausgehen. Explizit werden die Attributionstheorie nach Kelley, der Begriff „Kausale Schemata“ und Verzerrungen bei der Personenwahrnehmung thematisiert.
Im dritten Kapitel werde ich neben der Inferenz auch die Selektion der Personenwahrnehmung behandeln. Bei der Selektion wird im Auge des Betrachters entschieden, welche Informationen als relevant oder redundant eingestuft werden, z.B. ob eine Kategorisierung anhand von Schönheitsstereotypen geschieht oder nicht. (Vgl. Herkner, 1996, S. 277)
Welche theoretischen und praktischen Auswirkungen diese Prozesse bei der interpersonellen Wahrnehmung auf die Werbung und dessen Wirkung haben, werde ich in den beiden nachfolgenden Kapitel näher beschreiben. Anhand zweier Werbeplakate wird untersucht, ob die Attributionstheorie nach Kelley ein Maß zur Bewertung einer Werbeanzeige darstellt und welche Aussagen auf Grundlage des Ergebnisses über die Werbewirkung einer Annonce getroffen werden können.
2. DIE ATTRIBUTIONSTHEORIE NACH KELLEY, KAUSALE SCHEMATA und VERZERRUNGSMECHANISMEN
Soziale Realität zu konstruieren und beobachtetes Verhalten anderer Individuen verstehen zu können, verlangt von uns Menschen, eine kognitive Beziehung zwischen Ursache und Wirkung herstellen zu können. So fragen wir uns als Beobachter eines TV-Werbespots, wenn auch nur implizit, warum ein bekannter Deutscher Formel-1 Rennfahrer für eine Brotaufstrich-Nougatcreme Werbung macht. Um das Verhalten des Werbeprotagonisten erklären zu können, treffen wir unbewusste Schlüsse und attribuieren bestimmte Ursachen als Grund für diese Verhaltensäußerung. (Vgl. Zimbardo, 1996, S. 426)
Solche psychologischen Prozesse und Mechanismen, die uns Menschen erlauben, Persönlichkeitsdispositionen anderer Menschen oder auch ihre individuellen Unterschiede wahrzunehmen, beschäftigten den Psychologen Fritz Heider (1958). Auf ihn geht der Ursprung der sogenannte Kausalattribution, also welche Informationen eine Person zur Ursachenzuschreibung nutzt, zurück. Bekannter wurde der Ansatz der Ursachenzuschreibung allerdings erst durch die Arbeiten von Jones und Davis (1965) und Kelley (1967). Mittlerweile haben Attributionstheorien, die (relativ) rationale Prozesse der Informationsverarbeitung im Alltagsdenken beschreiben, ihren festen Platz in der Sozialpsychologie inne. (Vgl. Herkner, 1996, S. 285)
Das Besondere an der Theorie von Kelley, dessen Vorstellung über die Ursachenzuschreibung die Bekannteste ist, liegt in ihrer Fähigkeit einerseits die Ursachen für in sozialer Umgebung beobachtetes Verhalten zu er- und begründen, andererseits darin, Aussagen über die Ursachen von Ergebnissen (Erfolg oder Misserfolg) treffen zu können. Sie hat somit Bedeutung für die Personen- als auch für die Selbstwahrnehmung. (Vgl. Herkner, 1996, S. 285)
Im Gegensatz zu Heiders Ansatz, in dem das Verhalten unseres Formel-1 Werbeprotagonisten entweder internal oder external begründet werden kann (vgl. Zimbardo, 1996, S. 427; Atkinson, 2001, S. 608), unterscheidet Kelley zwischen drei Arten der Attribution: Personenattribution, Stimulusattribution und Umständeattribution. (Vgl. Herkner, 1996, S. 286) Wenn wir als Beobachter des Werbespots über die Nougatcreme, die Verhaltensäußerung des Beobachteten an dessen (relativ stabilen) Persönlichkeitsdispositionen fest machen, spricht Kelley von Personenattribution. Heider bezeichnet diesen psychologischen Prozess als dispositionale oder internale Ursachenzuschreibung. (Vgl. Atkinson, 2001, S. 608)
Von situationaler oder externaler Verursachung spricht Heider, wenn wir das Verhalten des Werbeprotagonisten auf umgebende oder kontextuelle Ursachen zurückführen (Vgl. Atkinson, 2001, S. 608). Dieser Mechanismus wird bei Kelleys Theorie als Stimulusattribution bezeichnet, wobei hier das Verhalten den (relativ stabilen) Merkmale eines Reizes bzw. der Umgebung zu zuschreiben ist. (Vgl. Herkner, 1996, S. 286)
Bei einer Umstandsattribution wird die Ursache eines Verhaltens durch das Zusammentreffen besonderer Umstände gesehen, wie beispielsweise mentale Verfassung, Glück etc. Der Formel-1 Rennfahrer aus unserem Werbespot könnte sich durch eine positive Nachricht, zum Beispiel seine Frau erwartet das dritte Kind, dazu verleiten lassen haben, Werbung für die Brotaufstrichmarke zu machen. (Vgl. Herkner, 1996, S. 286)
In dieser Kategorie von Kausalbeziehungen kann die Verfeinerung Kelleys Theorie gegenüber Heiders Ansatz am besten aufgezeigt werden. Während Heiders Ansatz nur dispotionale und situationale Verursacher kennt, führt Kelley eine weitere Ursachendimension ein. Kelleys Theorie differenziert sowohl zwischen stabilen und variablen Ursachen und internalen und externalen Kausalitätszuschreibungen. Die Umstandsattribution kann sowohl personenintern als auch personenextern begründbar sein. Diese Art der Kausalattribution muss allerdings auf variable Ursachenmerkmale zurückzuführen sein. (Vgl. Herkner, 1996, S. 286) Folgende Grafik soll die Attributionskategorien von Kelley und die zweidimensionale Klassifizierung tabellarisch verdeutlichen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1; Zweidimensionale Klassifizierung der Attribuierungsklassen
Die Datenbasis, welche Menschen zur Ursachenzuschreibung des Verhaltens anderer Individuen verwenden, ist meist sehr lückenhaft und unvollständig. Um diese Informationslücke bewältigen zu können, tragen Menschen subjektive Erlebnisse und Erfahrungen zusammen und wenden daraufhin das Kovariationsprinzip an. Dieser zentrale Aspekt von Kelleys Attributionstheorie besagt, dass Kausalbeziehungen zur Urteilsbildung bei Menschen nach probabilistischen Kovariationen, also dem gemeinsamen Auftreten aufgrund von drei Attributen generiert werden: Konsistenz, Distinktheit und Konsens mit anderen. (Vgl. Zimbardo, 1996, S. 427)
Konsistenzinformationen beziehen sich auf das Verhalten der beobachteten Person gegenüber einem Objekt zu weiteren Zeitpunkten. Um bei unserem Rennfahrer zu bleiben, ist es relevant, zu erfahren, ob sich dieser gegenüber dem Objekt aus der Werbung, der Nougatcreme, über einen längeren Zeitraum konsistent verhält. Die beobachtbare Reliabilität des Verhaltens einer Person ist für dieses Merkmal des Kovariationsprinzips wichtig. (Vgl. Herkner, 1996, S. 286; Zimbardo, 1996, S. 427)
Ist das Verhalten einer Person gegenüber einem Objekt oder einem anderen Individuum unverwechselbar und an den situativen Rahmenbedingungen festzumachen, ist dies ein Anhaltspunkt für hohe Distinktheit. Betreibt unsere Person aus dem Werbebeispiel noch für viele andere Produkte Werbung, würde ein geringes Maß an Unverwechselbarkeit in seinem Verhalten gegenüber der Nougatcreme in dem Werbespot attribuiert werden. (Vgl. Herkner, 1996, S. 286 und Zimbardo, 1996, S. 427)
Wird die Nussnougatcreme allerdings von vielen anderen Menschen beworben, liegt ein hoher Grad an Konsens vor. Das dritte Attribut des Grundsatzes, Konsens, bezieht sich somit auf das Handeln anderer Personen in derselben Situation. (Vgl. Zimbardo, 1996, S. 427)
Diese drei Merkmale fungieren als essentielle Prämisse für die mögliche Anwendung des Prinzips. Sollten bei der Wahrnehmung von Verhalten in sozialer Realität Informationen zu einer dieser drei Instanzen nicht zugänglich oder fehlerhaft sein, ist eine vollständige Kausalanalyse nicht möglich. Sind allerdings Konsensus-, Distinktheits- und Konsistenzinformationen in ausreichendem Maße verfügbar, kann nach Kelleys Axiom der Kovariation ein Ereignis oder eine Handlung auf diejenige von den möglichen Ursachen zurückgeführt werden, mit der es über die Zeit gemeinsam auftritt. (Vgl. Herkner, 1996, S. 286)
Kelley stellte im Zusammenhang mit den drei Kategorien des Kovariationsprinzips drei wesentliche Hypothesen auf, die durch folgende Tabelle zusammengefasst werden und bereits mehrfach experimentell bestätigt wurden (z. B. McArthur, 1972; Orvis, 1975):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Merkmalsmatrix der wichtigsten Ergänzungsschemata
Eine Kovariation eines Ereignisses mit einem Objekt tritt nach dieser Tabelle immer dann auf, wenn Konsens-, Distinktheits- und Konsistenzinformationen hoch, sind. Sind die beiden Attribute Distinktheit und Konsensus gering und die Konsistenz im Handeln einer Person gegenüber eines Objektes hoch, spricht man von internaler oder dispositionaler Kausalattribution. Hierbei wird das Auftreten eines Ereignisses im Zusammenhang mit der Person gesehen. Ist die Unverwechselbarkeit eines Verhaltens auf die spezielle Situation zurückzuführen, die Distinktheit also hoch und die beiden Kategorien Konsens und Konsistenz nur gering ausgeprägt, kovariiert das Ereignis mit momentanen Umständen. Die Ursachenzuschreibung kann unter dieser Merkmalskonstellation weder dispositional noch objektbezogen sein. (Vgl. Herkner, 1996, S. 287)
2.1 Kausale Schemata
Ist die Informationsverarbeitung anhand der Merkmale Konsens, Konsistenz und Distinktheit nicht möglich, begründbar durch geringe Ressourcen wie Zeit oder auch mangelnde Motivation, greift der Mensch auf kausale Schemata zurück. Kausale Schemata sind gelernte Annahmen über mögliche Ursachen einer bestimmten Art von Ereignissen. (Vgl. Herkner, 1996, S. 288)
Es kann im Wesentlichen zwischen Annahme- und Ergänzungsschemata unterschieden werden, wobei letztere zur Ergänzung von unvollständigen Informationen verwendet werden und erstere die Ursachenzuschreibung über explizite Wahrscheinlichkeiten vollziehen.
Die wichtigsten Ergänzungsschemata sind in der Merkmalsmatrix der Abbildung 2 aufgeführt. Diese Informationsmuster können durch HHH, GGH und GHG abgekürzt werden, wobei die drei Dimensionen des Kovariationsprinzips immer in der gleichen Reihenfolge stehen: Zuerst Konsens, danach Unverwechselbarkeit und zuletzt Konsistenz.
Liegen eindeutige Konsistenzinformationen vor, wir sehen beispielsweise zum ersten Mal die Werbung unseres Rennfahrers mit der Nussnougatcreme, ergänzen unsere kausalen Schemata die fehlenden Hinweise zu einer kontextuellen Ursachenzuschreibung. (Vgl. Herkner, 1996, S. 288)
Können wir allerdings keine eindeutigen Daten aus unserer sozialen Umwelt wahrnehmen, um die Informationsmuster der Ergänzungsschemata zu vervollständigen, kann diese Gruppe der Schemata bei einer unvollständigen Kausalanalyse nicht unterstützend einwirken.
Liegen uns außer hohen Konsistenzinformationen, viele Personen handeln in einer bestimmten Situation gleich, keine weiteren Daten vor, können wir kein Informationsmuster (siehe Tabelle 2) eindeutig identifizieren und vervollständigen. Wir haben nur die Möglichkeit auf Präferenzen bei der Wahl des Ergänzungsschemata zurückzugreifen, wir raten quasi.
Erfolgt die Zuschreibung von Gründen für bestimmte Ereignisse durch Vermutungen, wird von Annahmeschemata gesprochen. (Vgl. Herkner, 1996, S. 289) Diese zweite Art von kausalen Schemata beruht auf früheren ganzheitlichen Ursachenanalysen, vermittelte Meinungsbilder mittels kommunikativer Prozesse und Sozialisierung. Diese Klasse von Schemata kürzen den Attribuierungsprozess mehr ab als Ergänzungsschemata. Primär werden die Annahmeschemata eingesetzt, wenn eine Handlung nur einmal zu beobachten ist und sämtliche Dimensionen des Kovariationsprinzips nicht zur Verfügung stehen. Bei unserem Werbeprotagonisten könnte auf eine Art vorgefertigtes Skript, wie „Prominente machen nur Werbung des Geld wegen und nicht, weil ihnen das Produkt gefällt“, zurückgegriffen werden. (Vgl. Herkner, 1996, S. 289)
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