In diesem Werk geht der Autor der Frage nach, wie und ob die Raumauffassung und die Raumkonzeption im 19. Jahrhundert in der Sagrada Familia vorzufinden ist. Wie beschreibt Beenken die Raumvorstellung des 19. Jahrhunderts und wie steht die Gotik zu dieser? In welcher Beziehung steht Gaudí zur Neogotik und wie wirkt sich diese auf den Raum aus? Entspricht sie der Raumvorstellung des 19. Jahrhunderts, die dem Verständnis Beenkens entspricht?
Die Komposition aus Höhe, Breite und Tiefe, die wir im Allgemeinen als Raum wahrnehmen, ist ein elementarer Bestandteil der Architektur. Aus diesem Grund muss gefragt werden, wie die einzelnen Dimensionen in einem Bauwerk miteinander agieren und wie dieses Zusammenspiel sich auf die Wahrnehmung auswirkt. Auch die Rolle des jeweiligen Baustils ist von großer Bedeutung. Um den Raum dahingehend untersuchen, beschreiben und analysieren zu können, wird zunächst ein Untersuchungsobjekt, zuvor jedoch eine theoretische Grundlage benötigt.
Die Sagrada Familia ist aufgrund der aktuell andauernden Bauarbeiten - die Kathedrale wird voraussichtlich erst 2026 vollendet - ein imposanter Sakralbau, dessen Architekt, Antoni Gaudí, durch seinen individuellen Stil weltberühmt wurde. Der ursprüngliche Bau wurde im neugotischen Stil konzipiert. Allerdings wurde nur die Krypta teilweise fertiggestellt. Jedoch hat sich Gaudí später von jenem Ursprungskonzept und der Neogotik im Allgemeinen abgewendet. Aus diesem Grund wird der theoretische Teil dieser Hausarbeit die Raumanalysen Hermann Beenkens behandeln, der die Raumkonzeption zur Zeit des Historismus und der Romantik im 19. Jahrhundert analysiert. Explizit wird dort auch die Neogotik als Teil des Historismus thematisiert. Allerdings bezogen auf den deutschsprachigen Raum.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hermann Beenken und der Historismus
3. Gaudí und die Sagrada Familia
3.1 Flächen, Formen und Komposition der Sagrada Familia
3.2 Der Raum der Sagrada Familia
4. Beenken vs. die Sagrada Familia: Ein Vergleich.
5. Fazit und Ausblick
6. Literaturverzeichnis
6.1 Online-Literatur
1. Einleitung
Die Komposition aus Höhe, Breite und Tiefe, die wir im Allgemeinen als Raum wahrnehmen, ist ein elementarer Bestandteil der Architektur. Aus diesem Grund muss gefragt werden, wie die einzelnen Dimensionen in einem Bauwerk miteinander agieren und wie dieses Zusammenspiel sich auf die Wahrnehmung auswirkt. Auch die Rolle des jeweiligen Baustils ist von großer Bedeutung. Um den Raum dahingehend untersuchen, beschreiben und analysieren zu können, wird zunächst ein Untersuchungsobjekt, zuvor jedoch eine theoretische Grundlage benötigt.
Die Sagrada Familia ist aufgrund der aktuell andauernden Bauarbeiten – die Kathedrale wird voraussichtlich erst 2026 vollendet (vgl. Egan 2015) – ein imposanter Sakralbau, dessen Architekt, Antoni Gaudí, durch seinen individuellen Stil weltberühmt wurde und der der Stadt Barcelona einige Sehenswürdigkeiten hinterließ (vgl. De Solá-Morales 1983, 5). Der ursprüngliche Bau wurde im neugotischen Stil konzipiert (vgl. Bassegoda Nonnel 1989, 70). Allerdings wurde nur die Krypta teilweise fertiggestellt (ebd.). Jedoch hat sich Gaudí später von jenem Ursprungskonzept und der Neogotik im Allgemeinen abgewendet (vgl. Zerbst 1991, 192). Aus diesem Grund wird der theoretische Teil dieser Hausarbeit die Raumanalysen Hermann Beenkens behandeln, der die Raumkonzeption zur Zeit des Historismus und der Romantik im 19. Jahrhundert analysiert. Explizit wird dort auch die Neogotik als Teil des Historismus thematisiert (vgl. Beenken 1952). Allerdings bezogen auf den deutschsprachigen Raum (ebd.).
Wie beschreibt Beenken die Raumvorstellung des 19. Jahrhunderts und wie steht die Gotik zu dieser? In welcher Beziehung steht Gaudí zur Neogotik und wie wirkt sich diese auf den Raum aus? Entspricht sie der Raumvorstellung des 19. Jahrhunderts, die dem Verständnis Beenkens entspricht?
Gaudí hatte die Neogotik in vielerlei Hinsicht kritisiert (vgl. Bassegoda Nonnel 1989, 70), wodurch er sich von der vorherrschenden Raumkonzeption der Neugotik deutlich entfernt haben musste.
2. Hermann Beenken und der Historismus
In seinem Werk Schöpferische Bauideen der deutschen Romantik erörtert Beenken die Romantik und den Historismus in der Architektur (vgl. Beenken 1952, 2-100). Es bestünde eine Verbindung zwischen der Romantik und dem Historismus und sie seien so untrennbar miteinander verbunden, aber nicht identisch (vgl. 1952, 92). So seien die „eigensten Antriebe“ (ebd.) der Romantik nicht historisch und im Gegenzug sei der Historismus auf der „Höhe der Entfaltung“ (ebd.) gewesen, als er sich von jenen „romantischen Assoziationen“ (ebd.) loslöste (vgl. ebd.).
Beenken hält fest, dass die Formen, also die Stile, die im Historismus verwendet und nachgeahmt wurden, ein Mittel zum Zweck und somit austauschbar waren (vgl. 1952, 93). Die Neogotik sei an die Stelle der Neoklassik gerückt, da sie als „altdeutscher Stil“ (ebd.) für außerarchitektonische Fragen als passende Lösung empfunden worden war (vgl. ebd.). Mit der Neogotik begann der Historismus und der findet seinen geographischen Ursprung im England des 18. Jahrhunderts im Profanbau (vgl. ebd.). Das Mittelalter und seine Lebensweisen wurden zu dieser Zeit neu entdeckt und flossen in die damalige Mode ein, ohne dass die zeitgenössischen Vorteile ad acta gelegt wurden (vgl. ebd.). Erst mit dem Aufkommen der Romantik, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, ist die Neogotik in den Sakralbau eingeflossen, da ihr eine gewisse religiöse Bedeutung zugesprochen und somit, im Gegensatz zur frühen Entwicklung des Stils, auch von Architekten wahrgenommen wurde (vgl. ebd.).
Mit Karl Friedrich Schinkel fand sich ein prominenter Befürworter der Neogotik, welcher die Klassik für unfähig hielt, entscheidende „architektonische Aufgaben“ (1952, 93-94) zu lösen (vgl. ebd.). Der Nationaldom für den Leipziger Platz, der nur ein Entwurf geblieben ist, wurde von Schinkel im neogotischen Stil entworfen und sollte als die „Kathedrale der deutschen Romantik“ (1952, 94) fungieren, also als der Vorzeigebau der romantischen Architektur (vgl. ebd.). Allerdings stellt Beenken fest, dass die Formen des Doms und insbesondere der Chorpartie, die wiederum an den Florentiner Dom angelehnt ist, zwar historisch seien, der Bau aber einer „Märchengotik“ (ebd.) entspräche, da das Konzept dahinter nicht historisch wäre (vgl. ebd.). So wiesen die Turmpartie, das Langhaus und der Chorbau proportionelle Mängel auf und würden nicht zueinander passen (vgl. ebd.). Vor allem aber, sei es die Sockelpartie, welche die Illusion dieser gotischen Formen auflöse, da dadurch den Formen „die Wurzeln fehlt[en]“ (ebd.) (vgl. ebd.). Beenken geht einen Schritt weiter und sieht diese Diskrepanz zwischen Aussehen und System im gesamten Historismus, sodass er die Neogotik auch als „Reißbrettgotik“ (1952, 95) bezeichnet (vgl. ebd.).
Die Romantik war auf einem anderen Wissensstand als das Mittelalter, da sie der Renaissance und dem Barock folgte, wodurch das „Komponieren“ (ebd.) eines Baus erst bekannt war (vgl. ebd.). Das Durchkomponieren des Raumes war dem Mittelalter somit fremd (vgl. ebd.).
Den zeitgenössischen Vorstellungen, den dreidimensionalen Raum zu gestalten, konnte, laut Beenken, die Neogotik nicht entsprechen, da ihre Formen nicht dafür angelegt und schwer anpassbar waren (vgl. ebd.). So hält er fest:
„Der architektonische Raum des 19. Jahrhunderts setzt große, durchgehende Richtungszusammenhänge und Richtungsgegensätze voraus. Er ist – abstrakt ausgedrückt – der unendliche Raum der drei Koordinaten, die dem Auge immer wieder sichtbar zu machen die künstlerische Aufgabe ist. Das antike Formensystem ermöglicht das auch ; das gotische hat dagegen gerade zum unendlichen Raume ein grundsätzlich anderes Verhältnis“ (ebd.).
Bereits ein gotischer Pfeiler sei ein Beispiel dafür, dass ihr Raumsystem nicht zu dem des 19. Jahrhunderts passt (vgl. 1952, 95-96). So bündelt ein Pfeiler die Vertikalen, aus denen dann z.B. die Arkadengänge entstehen, wodurch das Dreidimensionale schon aus dem Zweidimensionalen nachvollziehbar sei (vgl. 1952, 96). Durch das in der Gotik markante Strebewerk werden, in Verbindung mit den Formen im Inneren, die Innen- und Außenarchitektur in Relation gesetzt (vgl. ebd.). Das bedeutet, dass aus diesem Raumsystem keine „Richtungsgegensätze von Hoch, Längs und Quer“ (ebd.) hervorgehen und Kreuzungen von Horizontalen und Vertikalen kaum vorzufinden sind (vgl. ebd.). Die gegenwärtige Architektur erfordert es also, zunächst die räumlichen Verbindungen zu konzipieren. Das bedeutet, dass für den Betrachter der Raum und die Richtung durch Kreuzungen der Koordinaten ersichtlich wird und dass das die Neogotik kaum umsetzt. Die Interpretation, wonach das Streben der vertikalen gotischen Formen sich gen Himmel richten, sei für Beenken eine nicht-mittelalterliche, die aus der Romantik stamme (vgl. ebd.).
Von Schinkel existieren zwei Entwürfe in zwei unterschiedlichen Stilen für dasselbe Bauvorhaben, nämlich der Werderschen Kirche in Berlin, das Beenken als Beispiel für die Erörterung seiner Thesen nimmt (vgl. 1952, 96-98). Der Renaissance-Entwurf sieht eine „Folge von vier Tambourlosen Kuppeln“ (1952, 96) vor, deren „Rechteckpfeiler“ (1952, 97) von Emporen unterbrochen sind, die wiederum jeweils von zwei Säulen getragen werden (vgl. 1952, 96-97). Die Emporen greifen horizontal an beiden Seiten des Baus durch und wirken sich so auf die Raumbildung aus (vgl. 1952, 97). Diese Bauweise ist für Beenken passender, um die „Koordinaten des unendlichen Raumes spürbar“ (ebd.) werden zu lassen (vgl. ebd.). Ein Arkadengang würde sich „heben und senken“ (ebd.), sodass für den Betrachter die Richtung nicht eindeutig ersichtlich wäre (vgl. ebd.). So sind im entgegengesetzten neugotischen Entwurf zwar auch Emporen geplant, die sich ebenfalls mit den Pfeilern kreuzen, allerdings tragen statt Säulen Arkadengänge die Emporen (vgl. ebd.).
Beenken räumt im abschließenden Vergleich beider Entwürfe ein, dass der Einwand kommen könnte, dass auch der Renaissance-Entwurf, mit seinen Kuppeln und Tonnen, als nicht zeitgemäß empfunden werden könnte (vgl. 1952, 98). Allerdings betont er, dass „dort aber […] doch Bogen und Bogen wenigstens gleichfalls im rechten Winkel gegeneinander [stünden], was sich mit der neuen Raumidee immerhin sehr viel eher verträgt als die sich verzweigenden Formprofile des Gotischen.“ (ebd.). Außerdem kritisiert er, dass der Rückgriff auf mittelalterliche Stile und Elemente nicht in der Kontinuität der Zeit stand, mit der man neue und zeitgemäße Ideen hätte entwickeln können (vgl. ebd.). Dieser Rückgriff habe die Architekten der Epoche metaphorisch erblindet und ihnen den Blick für zeitgenössische Bedürfnisse verwehrt (vgl. 1952, 100). Für ihn seien neugotische Bauten im Allgemeinen als „Zwittergeschöpfe“ (ebd.) zu betrachten (vgl. ebd.), was durch die, bereits erwähnte, Diskrepanz zwischen der Form und dem System, welches den Bauten zugrunde liegt, herrührt.
Insgesamt ist also festzuhalten, dass im 19. Jahrhundert eine klare räumliche Beziehung der Koordinaten erkennbar sein sollte und dass dies mit der Neogotik nicht bzw. kaum möglich war; dass eher der romantische Klassizismus diesem Raumverständnis entspricht. Der Hauptgrund dafür sind die sprießenden Formen der gotischen Linien und Elemente.
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