In dieser Arbeit wird die Annahme überprüft, ob die französische Regierung in ihren offiziellen Begründungen vom 11.01.2013 bis 16.01.2013 für das Einschreiten in Mali ("Opération Serval") ein Bedrohungsszenario im Sinne der "Security Analysis" - Securitization - nach Buzan, Waever und de Wilde konstruiert hat, das von der französischen Nationalversammlung als ebensolches akzeptiert worden ist. Damit einhergehend wird am Fallbeispiel Frankreich der Frage nachgegangen, inwieweit die Anwendung von "Securitization" eine Reduktion an Demokratie begünstigen kann.
Motivation für die vorliegende Arbeit ist die Tatsache, dass die Bedrohungssituation durch die Krise in Mali in der Politikwissenschaft auf der einen Seite und der Tagespolitik auf der anderen Seite sehr unterschiedlich beurteilt wird. Vieles spricht nach Ansicht von Politikwissenschaftlern wie Werner Ruf dafür, dass die Konflikte in den islamischen Staaten primär nicht nach außen gerichtet sind, sondern auf Machtübernahme im Inneren.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Annahme
1.2 Geschichtlicher Abriss
1.3 Motivation der Arbeit
2 Fallbeispiel Mali
2.1 Theorie und Abgrenzung „Wide“ versus „Narrow Debate“
2.2 Auswahl des Untersuchungsmaterials und Untersuchungsrahmen
2.3 Begründungsdiskurs
2.4 Schlussfolgerung
3 Bedeutung der Securitization für die Demokratische Vorgehensweise
3.1 Legitimationsfrage militärischer Auslandseinsätze und Einschränkung elementarer Bürgerrechte
3.2 Ausblick Frankreich
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Die vorliegende Analyse befaßt sich mit den Begründungen des französischen Präsidenten und seiner Regierung für das militärische Eingreifen Frankreichs in die „[…] multidimensionale Krise […]“ (Vgl. Auswärtiges Amt 2012 a), in der sich die afrikanische Republik Mali1 seit dem Frühjahr 2012 befindet und die am 11. Januar 2013 in die französische „Opération Serval“ mündete.
1.1 Annahme
In dieser Arbeit wird die Annahme überprüft, ob die französische Regierung in ihren offiziellen Begründungen vom 11.01.2013 bis 16.01.2013 für das Einschreiten in Mali („Opération Serval“) ein Bedrohungsszenario im Sinne der „Security Analysis“ - Securitization - nach Buzan, Waever und de Wilde (Vgl. Buzan et al. 1998) konstruiert hat, das von der französischen Nationalversammlung als ebensolches akzeptiert worden ist. Damit einhergehend wird am Fallbeispiel Frankreich der Frage nachgegangen, inwieweit die Anwendung von „Securitization“ eine Reduktion an Demokratie begünstigen kann.
1.2 Geschichtlicher Abriss
Mali mit der Hauptstadt Bamako im Süden des Landes hat ca. 13,95 Millionen Einwohner und vereint unterschiedliche Volksgruppen wie u.a. die Bambara und die Tuareg (Auswärtiges Amt 2012 b). Mali war von 1883 bis 1960 französische Kolonie als „Französisch Sudan“ (Stamm et al. 1998: 73). Im März 2012 wurde die Regierung Malis durch einen Armeeputsch abgesetzt (Vgl. Auswärtiges Amt 2012 a). Zur weiteren Destabilisierung des Landes trugen die Aktivitäten einer Separatistenbewegung der Tuareg namens MNLA2 sowie islamistische Gruppierungen, wie unter anderem die „Ansar-al-Din“ bei, die sich beide im Norden Malis festgesetzt hatten (Vgl. Mben et al 2013 b: 84). Letztgenannter Gruppierung war es gelungen, im Norden Malis ab dem Frühjahr 2012 ein Scharia-Regime zu errichten (Vgl. Mben et al. 2013 a: 84). Parallel dazu hatte die MNLA den Norden Malis zum unabhängigen Staat „Azawad" erklärt, welcher nie offiziell anerkannt wurde (Vgl. Mben 2013 b: 84). Letztlich wurde die MNLA von Islamisten weitestgehend aus den nordmalischen Städten vertrieben (Vgl. France 24 2012). Die Folge war, dass die von Islamisten kontrollierte Nordhälfte Malis de facto vom Süden, der von einem Übergangsregime beherrscht wurde, abgeteilt wurde (Vgl. Robert 2012). Die Regierung Malis in der Hauptstadt Bamako blieb in der Folgezeit instabil. Mehrere Übergangsregierungen wurden im Jahr 2012 installiert und wieder abgesetzt (Auswärtiges Amt 2013 c). Der UN-Sicherheitsrat befasste sich mit der Lage in Mali und verabschiedete im Oktober 2012 die Resolution S/RES/2071 (2012) und im Dezember 2012 die Resolution S/RES/2085 (2012) (UN Sicherheitsrat 2012).3 In letztgenannter Resolution wurde der Erhalt der staatlichen Einheit Malis gefordert (Vgl. ebd.). Darüber hinaus unterstützte der UN-Sicherheitsrat in der Resolution 2085 als Sekundärmaßnahme gegenüber einer präferierten politischen Lösung wie der Durchführung von Neuwahlen und politischer Gespräche einen Militäreinsatz von Truppen der ECOWAS (Vgl. ebd).4 Im Januar 2013 kam es zu einer Zuspitzung der militärischen Lage, als die Stadt Konna, die rund 700 km entfernt von Bamako und damit dem Sitz der Übergangsregierung Malis liegt, in die Hände von islamistischen Gruppen fiel (Vgl. UN Department of Public Information 2013). Am 09.01.2013 gab es ein förmliches Hilfsersuchen des malischen Übergangspräsidenten an die französische Regierung (Vgl. Französische Regierung 2013 b). Am 10. 01.2013 rief der UN-Sicherheitsrat auf Antrag Frankreichs eine Notsitzung in New York ein. Im Anschluss wurde eine Pressemitteilung verabschiedet, die zum unverzüglichen Einsatz einer afrikanisch geführten internationalen Eingreiftruppe5 aufforderte (Vgl. UN Department of Public Information 2013). Am 11.01.2013 startete die französische Opération Serval, mit der Frankreich mit Kampfhubschraubern, Kampfflugzeugen und Bodentruppen militärisch in die Krise intervenierte und Ziele im Norden von Mali anflog (Vgl. Französisches Verteidigungsministerium 2013). Das Einschreiten habe das Ziel, dem Vorrücken dschihadistischer Gruppen in Richtung von Malis Süden ein Ende zu setzen (Vgl. Französisches Verteidigungsministerium 2013).
1.3 Motivation der Arbeit
Motivation für die vorliegende Arbeit ist die Tatsache, dass die Bedrohungssituation durch die Krise in Mali in der Politikwissenschaft auf der einen Seite und der Tagespolitik auf der anderen Seite sehr unterschiedlich beurteilt wird. Vieles spricht nach Ansicht von Politikwissenschaftlern wie Werner Ruf dafür, dass die Konflikte in den islamischen Staaten primär nicht nach außen gerichtet sind, sondern auf Machtübernahme im Inneren (Vgl. Ruf 2005: 322). Darüber hinaus sei
[den] neuen Risiken“ mit militärischen Mitteln nicht zu begegnen, da es im Raum Nordafrika primär um ökonomische Entwicklung, sozialen Ausgleich […] gehe und um eine Transformation der Regime in Richtung auf politische Partizipation und Demokratisierung
(Vgl. Ruf 2005: 329). Nicht nur Werner Ruf, sondern auch weitere deutsche Politikwissenschaftler äußerten noch im Januar 2013, dass wenig darauf hindeute, dass von den islamistischen Gruppen in Afrika eine unmittelbare terroristische Gefahr für westliche Staaten ausgehe (Vgl. Kaim 2013: 2) und dass sich der vermeintliche Anti-Terror Einsatz externer Akteure eher als Intervention in einen Konflikt innerhalb Nord-Malis entpuppen dürfte (Vgl. Lacher/Tull 2013: 1) Oder wie Buzan ausführte „Africa is potentially a morass of territorial and population disputes […]” (Buzan et al. 1998: 69) und kein zweites Afghanistan (Vgl. Doering, Martina 2012). Andere wie die französische Regierung (Vgl. Französische Regierung 2013 a) und auch der deutsche Verteidigungsminister betonten demgegenüber, dass der Vormarsch der Islamisten gestoppt werden müsse (Vgl. Deutscher Bundestag 2013). Aus diesen gegensätzlichen Positionen ergibt sich die Frage, ob hier etwas als existentielle Bedrohung dargestellt wird, welche Notfallmaßnahmen außerhalb normaler politischer Prozeduren erfordert (Vgl. Buzan et al. 1998: 24). Angesichts der unklaren Gefahrenlage drängt sich auch die Frage, die Schirmer formulierte
[…] Was dem einen den Angstschweiß ins Gesicht treibt, kostet den anderen nur ein müdes Lächeln. Oft stecken (politische) Interessen dahinter, etwas als gefährlich und damit als Bedrohung darzustellen. Man denke an Regierungen, die von […] Schwierigkeiten ablenken wollen und deshalb vehement auf die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus verweisen […]
(Schirmer 2008: 16) geradezu auf. Damit einher geht die Frage der Reduktion von Demokratie durch den Staat in einer (vermeintlichen) Bedrohungssituation.
2 Fallbeispiel Mali
Der Hauptteil der Arbeit besteht in der Darstellung der theoretischen Grundlagen, der Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes sowie der Untersuchung des Fallbeispiels Mali.
2.1 Theorie und Abgrenzung „Wide“ versus „Narrow Debate“
In den internationalen Beziehungen6 gibt es unterschiedliche Theorien, mit denen Bedrohungssituationen, die Frage der Sicherheit und die Begründungen von Regierungen zu deren Handlungsoptionen im internationalen Rahmen analysiert werden können. Aufgrund des „Nebeneinanderbestehen[s] verschiedener und zum Teil konkurrierender Theorien, Ansätze, Perspektiven und Konzepte wird häufig vom ‘Theorienpluralismus‘ […]“ (Schieder/Spindler 2006: 9) gesprochen. Wegen der Vielschichtigkeit der Ansätze vom Realismus bis hin zu postmodernen Ansätzen, die aufgrund des Umfanges der Arbeit nicht erschöpfend dargestellt werden können, wird mit Buzan die Unterscheidung zwischen der „Wide“ und der „Narrow Debate“ in den IB (Vgl. Buzan et al. 1998: 2 f.) gemacht.7
2.1.1 klassische Ansätze
Für die traditionellen Theorien nennt Buzan beispielhaft Stephen M. Walt (Vgl. ebd. 3), für den die Themen Krieg, Konflikte zwischen Staaten und die Ausübung militärischer Gewalt bei der Betrachtung von Krisen im Vordergrund stehen (Vgl. Walt 1991: 211-239). Nach Walt sind Mittelpunkt der Betrachtung stets militärische Bedrohungen und der Gebrauch militärischer Gewalt (Vgl. ebd.: 212). Walt erkennt an, dass es auch nichtmilitärische Bedrohungen von Staaten wie Umweltgefahren, Seuchen, Armut geben kann (Vgl. ebd.). Walt betont aber, dass eine exzessive Ausweitung von Sicherheitsstudien auf weitere Bereiche außerhalb militärischer Bedrohungen dazu führen könne, dass es durch eine solche Ausdehnung des Begriffes schwieriger werden würde, Lösungen für irgendeines der bestehenden Probleme zu entwickeln (Vgl. ebd.: 213).
2.1.2 „Wider Debate“-Securitization
Die Einseitigkeit der klassischen Theorie, die Felder wie Wirtschaft oder die Umwelt u.a. aufgrund der Besessenheit durch den Kalten Krieg ausschloss, war der Auslöser für die Entwicklung der „Wide Debate“ (Vgl. Buzan et al. 1998: 2), zu der auch der „securitization approach“ gehört (Vgl. ebd.: viii). Dieser bietet einen weiteren Untersuchungsrahmen als die herkömmlichen ausschließlich staats-und militärzentrierten Studien (Vgl. ebd.: 1). So werden zusätzlich zum militärischen Sektor noch weitere Sektoren, wie der politische Sektor, der Umweltsektor u.a. umfasst (Vgl. ebd.: 49-162). Innerhalb dieser Sektoren werden Bedrohungen durch staatliche oder andere Akteure durch einen Sprechakt konstruiert und somit Themen zu Sicherheitsthemen erhoben (Vgl. ebd.: 34). Durch eine Untersuchung von Redebeiträgen kann eine „Versicherheitlichung“ aufdeckt werden (Vgl. ebd.: 25). Wichtig ist, dass das angesprochene Publikum die dargelegte Bedrohung soweit übernimmt, dass Notfallmaßnahmen, die sonst nicht möglich wären, legitim werden (Vgl. ebd.: 25). Es gibt drei relevante Untersuchungsschritte für die Sicherheitsanalyse. Ein relevanter Akteur baut durch eine Argumentation eine Bedrohung für ein Bezugsobjekt bzw. konstruiertes Objekt („referent object“) auf und das Publikum akzeptiert dieses, so dass der Akteur frei von Prozeduren oder Regeln ist, die er ansonsten hätte beachten müssen (Vgl. ebd.: 25). Der Akteur verwandelt einen politischen Akt in einen Sicherheitsmodus (Vgl. ebd: 34). Wenn keine Akzeptanz des Publikums erreicht wird, handelt es sich lediglich um einen „securitizing move“ (Vgl. ebd.: 25). Alles in allem wird bei der „Securitization“ so argumentiert, dass aus einem politischen Thema ein Sicherheitsthema werden kann, dass es rechtfertigt, die Energien und Ressourcen einer Gesellschaft auf eine spezielle Aufgabe zu lenken (Vgl. ebd.: 24), nach dem Wahlspruch: wenn wir das Problem nicht jetzt angehen, wird es zu spät sein (Vgl. ebd.: 24). Sollte eine „Versicherheitlichung“ erfolgt sein, kann nach dem „securitization approach“ das Für und Wider einer eventuellen Securitization erörtert werden, so wie Waever es ausdrückt:
National Security should not be idealized. It works to silence opposition and has given power holders many opportunities to exploit `threats` for domestic purposes, to claim a right to handle something with less democratic control and constraint […]. In some cases, securitization is unavoidable, as when states are faced with an […] barbarian aggressor (Ebd.: 29).
Damit ist die Security Analysis nach Buzan, Waever und de Wilde eine Untersuchungsmethode mit der auf der einen Seite die konkreten Begründungen einer Regierung untersucht werden können. Zugleich bietet die Theorie die Möglichkeit, die Auswirkungen einer „Versicherheitlichung“ in Bezug auf demokratische Werte zu reflektieren.
Die Arbeit wird auf folgende Bereiche des Securitization Modells begrenzt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Eigene Abbildung: Untersuchungsfokus im Rahmen des Securitization Modells nach Buzan et al.
Die Untersuchung richtet sich insbesondere auf den militärischen Sektor. Nach Buzan geht es im militärischen Sektor um interne und externe militärische Bedrohungen von Staaten oder Regierungen (Vgl. Buzan et al. 1998: 50). Buzan führt aus, dass es bei internen Bedrohungen u.a. um solche durch terroristische Bewegungen gehe (Vgl. ebd.). Es gebe aber auch Regierungen, die unbewaffnete Herausforderer „versicherheitlichen“ würden, um Gewalt gegen diese anzuwenden (Vgl. ebd.: 51).
2.2 Auswahl des Untersuchungsmaterials und Untersuchungsrahmen
Um eine „Versicherheitlichung“ durch die französische Regierung zu überprüfen, wird eine Analyse der Wortwahl von öffentlichen Regierungsdokumenten vorgenommen. Seitens des französischen Präsidenten liegen im Untersuchungszeitraum vom 11.01.2013 bis zum 16.01.2013 zwei Erklärungen vor. Zum einen ist dies eine öffentliche Erklärung des französischen Staatschefs am Tag des Einschreitens im Rahmen der Opération Serval (Présidence de la République 2013 a). Zum anderen handelt es sich um eine Erklärung des Präsidenten vom 12.01.2013 im Rahmen des Conseil restreint de la défense8 (Présidence de la République 2013 b). Darüber hinaus wurde eine Erklärung des Premierministers9 untersucht, in der sich der Premierminister wie gesetzlich vorgeschrieben10 drei Tage nach der Militärintervention an die Parlamentarier wandte, um den Auslandseinsatz mit diesen zu erörtern (Französische Regierung 2013 b). Am 13.01.2013 gab der Verteidigungsminister11 eine Presseerklärung zum Thema Mali ab (Französisches Verteidigungsministerium 2013).12 Die Analyse der Publikumsreaktionen wurde ausschnittweise anhand der Redebeiträge von sechs Abgeordneten verschiedener politischer Richtungen der Nationalversammlung durchgeführt (Französische Regierung 2013 b).
2.3 Begründungsdiskurs
Die Auswertung des Begründungsdiskurses erfolgt nach Akteuren und den von ihnen genannten „referent objects“ sowie dem relevanten Publikum, hier dem der sechs Abgeordneten, die zu dem Thema Mali Redebeiträge angekündigt hatten (Vgl. Französische Regierung 2013 b).
[...]
1 Im Folgenden auch Mali genannt.
2 Mouvement National de Libération de l'Azawad.
3 Im Folgenden genannt UN-Resolution 2085.
4 Economic Community of West African States.
5 AFISMA (African-Led International Support Mission in Mali).
6 Im Folgenden IB genannt.
7 Eine gute Übersicht über die Theorienlandschaft der IB findet sich bei Werner Schirmer (Vgl. Schirmer 2008: 28-46).
8 Sicherheitsgremium unter Vorsitz des Präsidenten, in dem Fragen der inneren Sicherheit, externe Krisen sowie der Kampf gegen den Terrorismus mit einem Beratergremium behandelt und Entscheidungen vorbereitet werden (Vgl. Französisches Verteidigungs-und Sicherheitssekretariat 2013).
9 Jean-Marc Ayrault.
10 Vgl. Art. 35 Abs. 2 der französischen Verfassung.
11 Jean-Yves Le Drian.
12 Dieselbe Erklärung wurde am 16.01.2013 vor dem französischen Senat abgegeben (Vgl. Französischer Senat 2013) und mit den Senatoren erörtert. Aus Gründen des Umfanges konnte diese Debatte in der Arbeit nicht analysiert werden.