Die Hausarbeit beschäftigt sich mit der Verfilmung des Klassikers "Fräulein Else" von Arthur Schnitzler aus den 70er Jahren von Ernst Hausman.
Der Film wird hinsichtlich seiner Kameraführung und Vertonung wissenschaftlich hinterfragt. Hierbei rückt vor allem die Wahrnehmung für den Betrachter des Films in den Vordergrund und wie diese durch filmstilistische Mittel beeinflusst wird.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Fräulein Else - ein Gesellschaftsdrama der Wiener Moderne
2.1 Das Grand Hotel - Grenzort und Filmkulisse
2.2 "Durch die Augen des Protagonisten" - die Zuschauerwahrnehmung
3 Das kooperierende Wechselspiel zwischen Bild & Tonebene
3.1. Szene 1 : Perspektivenwechsel
3.2. Szene 2: Perspektivwechsel und Tonspurüberschneidung
3.3. Szene 3: Negativbild und Vogelperspektive
3.4. Schumanns "Carnaval" als musikalisches Leitmotiv
4. Resümee
Literaturverzeichnis
Filmverzeichnis
1 Einleitung
„Stör ich dich in deinen Träumen?“
„Warum in meinen Träumen? Vielleicht in meinen Wirklichkeiten?“1 (Fräulein Else, 1975,[0:43:40])
Mit dieser rhetorischen Frage, gibt Fräulein Else Ihrem Verwandten und Verehrer Paul eine Antwort, welche nicht nur Ihn selber, sondern auch den Zuschauer der Verfilmung von Ernst Hausman, nachdenklich zurück lässt. Lebt die Hauptperson, in Gestalt einer attraktiven, jungen Frau, welche sich in der Rollenverteilung der Klassengesellschaft auf der Verliererseite des Lebens befindet denn nun mehr in Ihren Träumen als in der Reali- tät? Werden eben diese Tagträume, zu Ihrer realen Welt im Verlauf des Filmes? Oder reflektiert Fräulein Else in Ihren Gedanken nur das tatsächliche Geschehen und entzieht sich in Ihrer Verzweiflung dem direkten Austausch mit Ihren Mitmenschen?
Die Novelle „Fräulein Else“ vom österreichischen Schriftsteller Arthur Schnitzler, bietet mit Ihrem Einblick in die Existenz- und Liebesproblematik der bürgerlichen Gesellschaft der 20 er Jahre, die Grundlage für diverse Vertonungen und Filmproduktionen. Mit der von Ernst Hausman verfilmten Variante von 1974 gelingt, dem Regisseur eine TV Pro- duktion, welche sich sehr eng an die literarische und historisch antiquierte Vorgabe hält, jedoch mit Hilfe der Kameraführung, einen innovative Sichtweise der Hauptfigur Fräu- lein Else inszeniert.
„Aus heutiger Sicht ist es vor allem dieser extrem subjektive Blick, der die Adaption sehens- wert macht. Die technischen Tricks und Spielerein wie Slow Motion, wackelige Handkamera und Negativbilder, die verwendet werden, um Elses subjektiven Blick eine Form zu geben, sind heute zwar längst gang und gäbe, müssen 1974 jedoch noch als relativ neu empfunden worden sein.“ 2 (Alexandra Tacke: Schnitzlers „Fräulein Else“ und die nackte Wahrheit. Köln.2017.S.148)
Doch inwieweit, kann der Zuschauer sich während dieser Verfilmung von Schnitzlers Novelle, tatsächlich in Fräulein Else hinein versetzen? Welche filmstilistischen Mittel, nutzt Hausman, um dieses Ziel zu erreichen? Wird der Zuschauer vielleicht sogar selber zum Teil der Verfilmung, während des Schauens oder lässt sich eine Distanz zur Prota- gonisting wahren? Inwiefern, beeinflusst die umfangreich dargestellte Gedankenwelt der Fräulein Else, das eigene Empathie Empfinden, gegenüber der Hauptfigur? Welche Rolle spielt die für 1974 so innovative Kameraführung für das Verständnis der Handlung und die Wahrnehmung der Zuschauer dieser?
2 Fräulein Else – ein Gesellschaftsdrama der Wiener Moderne
2.1. Das Grand Hotel - Grenzort und Filmkulisse
Sobald der Zuschauer durch die Drehtür in die Welt des Grand Hotels eintritt wird klar, hier treffen die Schönen und Reichen der oberen Zehntausend zusammen und verleben Ihren Urlaub zwischen Luxus und untertänigen Angestellten. Die Zimmermädchen stets zu Diensten, um den Damen in Ihre Abendgarderobe zu helfen oder die Zimmer zu reini- gen und Pagen, welche mit Namensschildern auf der Suche nach den Empfänger eines wichtigen Anrufes oder Telegrams sind, bestimmen die Anfangsszenerie des Filmes, von Ernst Hausman. Das Hotel bietet die perfekte Kulisse für Schnitzlers Gesellschaftsdrama rund um Liebe, Wahn und das Verheimlichen der Auswirkungen der Klassengesellschaft. Fräulein Else, die Tochter eines Anwalts, welcher wie sich im Verlauf des Filmes heraus- stellt, Mündelgelder veruntreut und öfters in die Situation gelangt, sich Geld zu leihen, ist als Gast im Hotel in den italienischen Bergen, gesponsert durch Ihre reiche Tante Emma. Mit dem Eintreffen eines Telegrams der Mutter, wird die ungestörte Urlaubsat- mosphäre gestört. Sie bittet Else darum, den anwesenden Bekannten der Familie, Herr von Dorsday, um ein Darlehen in Höhe von 30.000 Gulden zu bitten, um den Vater einen Aufenthalt im Gefängnis zu ersparen. Als Else sich im zwei Augen Gespräch dazu durch ringt, Dorsday um besagten Betrag zu bitten, offenbart er ihr seine Bedingungen für die- ses Geschäft. Er möchte „Sie (nackt) sehen“ und stürzt Else somit in einen Konflikt zwi- schen Emanzipation und gesellschaftlicher Norm, zwischen Verpflichtung gegenüber Ih- rer Familie und der Sorge um Ihr eigenes Seelenheil. Gemäß der literarischen Vorlage, stürzt die Bitte Ihrer Mutter die junge Frau zunehmend in ein Geflecht aus Ängsten, Sor- gen, Wahn und Hoffnungslosigkeit, welches in einem furiosen Finale aus eigens gewähl- ter öffentlicher Demütigung mit anschließendem Suizidversuch gipfelt. Wie in Schnitz- lers Novelle bleibt auch in der Verfilmung von Ernst Hausman am Ende unklar, ob der eigens von Fräulein Else zubereitet Trunk aus Schlaftabletten zum Freitod führt oder nur in einem rauschartigen Traumzustand endet, welcher die von der Welt in den Wahnsinn getriebene Else erlöst. Das Hotel bietet mit seinen privaten und öffentlichen Räumen, dass örtliche Pendant zu Elses Entscheidung zwischen nackter Offenbarung und Scham- gefühl. Während sich Else auf Ihr Zimmer zurück zieht, um das Telegram der Mutter zu lesen und später Ihre Entscheidung zu treffen, findet die Unterredung mit Dorsday und anderen Handlungsträgern, stets im öffentlichen Raum des Hotels statt. Die Szene der Entblößung im Speisesaal des Hotels, ist wiederum jene Umkehrung eines privaten Aktes (des Ausziehens) in der Öffentlichkeit statt im Privaten und bildet nicht nur im Rahmen der Handlung, sondern auch der filmstilistischen Mittel, einen der Höhepunkte des Films. Doch wie wirkt sich die Darstellung der sich steigernde Ausweglosigkeit Elses auf die Wahrnehmung des Zuschauers aus? Und welche Hilfsmittel setzt Regisseur Ernst Haus- man ein, um diesen Effekt zu erzielen?
2.2. „Durch die Augen des Protagonisten“ – die Zuschauerwahrnehmung
Wer „Fräulein Else“ von Ernst Hausman das erste Mal sieht kann sehr schnell fest stellen, dass dieser Film trotz seiner antiquierten Wortwahl und sich der nur langsam steigernden Spannungskurve, einen starken Einfluss auf den Zuschauer hat. Nach der kurzen Einfüh- rungssequenz, dem Rundumschwenk der Kamera durch die Empfangshalle des Grand Hotels, sieht man ein weibliches Schattenbild hinter der Milchglasscheibe der Eingangs- tür. Dieses gehört zu der Hauptfigur des Filmes, Fräulein Else. Sobald diese in die Emp- fangshalle eintritt, sieht man die Welt durch Ihre Augen. Der Blick schweift über die anwesenden Hotelgäste, Bekannte und Verwandte. Nur in den seltenen Fällen von Dia- logsituationen, sieht der Zuschauer ein universelles Bild, außerhalb des Kopfes von Else. Dieser Form der Kameraführung, sorgt beim erstmaligen Anschauen des Filmes, zunächst für eine ungewohnte Sichtweise auf die Handlung, sorgt jedoch im Verlauf des Films für eine noch tiefere Identifikation, mit dem Hauptcharakter und dessen Sichtweise. Die Spaltung der Kameraperspektive, zwischen subjektiver und objektiver Sichtweise, ist ne- ben der Tonverarbeitung das tragende filmstilistisches Mittel, welches eng mit der Inten- sion der Handlung kooperiert: dem Hin und Hergerissen- Seins Elses. Das Setting, in welchem Else sich bewegt, wird hierbei durch eine Halbtotale oder Totale Einstellungs- größe festgehalten.
„Eingeführt wird Elses subjektive Blick- neben ihrer Off- Stimme- durch wiederholte Slow- Motion- Effekte auf der Bildebene. Elses gespaltener Blick auf ihre Umgebung und sich selbst wird gekonnt durch den Wechsel zwischen subjektivem und objektivem Kamerablick ins filmische Medium übersetzt. So kennt die Kamera einerseits einen objektiv- neutralen Blick auf die Gesellschaft, der unterschiedliche Situationen erfasst und das Setting, in dem Else sich bewegt, durch eine Halbtotale oder Totale einfängt. Andererseits nimmt die Ka- mera immer wieder die Position von Elses Augen ein, tritt an ihre Stelle.“3 (Alexandra Tacke: Schnitzlers „Fräulein Else“ und die nackte Wahrheit. Köln.2017.S.48)
Die Übertragung des inneren Monologs von Else auf die Leinwand, in Form von subjek- tiver Kameraführung, also den Blick des Zuschauers durch Elses Augen, erzeugt eine besondere Form der Wahrnehmung des Filmes, welche in folgenden Szenen, genauer be- trachtet und analysiert werden. Welchen Zusammenhang gibt es hierbei zwischen Ka- mera Perspektive und Empathie Empfinden gegenüber der Protagonistin beim Zu- schauer?
„Gerade der Film weist eine komplexe Perspektivenvielfalt auf. Denn beim Film greifen technische, erzählerische und metaphorische Perspektiven visuell, auditiv, editorisch inei- nander und machen in ihrer Beziehung untereinander die vielschichtige filmästhetische Er- fahrung aus.“4 (Malte Hagener und Íngrid Vendrell: Empathie im Film.Bielefeld.2017.141)
3 Das kooperierende Wechselspiel zwischen Bild - und Tonebene
3.1. Szene 1: Perspektivwechsel
„Wie kann man bei dem wundervollen Wetter in der Halle sitzen? Unbegreiflich.“ 5 (, Fräulein Else, 1975,[0:03:34]), lautet Elses erster Satz, Ihres inneren Monologs, bei Be- treten des Hotels. Während Sie anschließend den Blick durch die Empfangshalle des Ho- tels schweifen lässt, kommentiert Sie die Angewohnheiten und Tätigkeiten der sich darin befindenden Personen. Auf der großen Hoteltreppe sieht Sie plötzlich einen Mann auf sich zu kommen. Einen „Filou“ wie er sowohl in der Novelle, als auch im Film betitelt wird. 6 (Arthur Schnitzler: Fräulein Else. Frankfurt.1987.S.10) Während Elses Blick auf ihm ruht, verharrt die Kamera in Slow Motion. Gleichzeitig verlangsamt sich auch Elses Monolog „Der könnte mir schon eher gefallen“ 7 ( Fräulein Else, 1975,[0:04:55]). Nach- dem Else den unbekannten Mann betrachtet und seine Begrüßung in Ihre Richtung erwi- dert hat, steuert Sie auf den Empfangstresen des Hotels zu. Bis zu diesem Zeitpunkt, sieht der Zuschauer das Geschehen durch Elses Augen, aus der subjektiven Kameraperspek- tive. Das ständige leicht verwackelte Bild und der langsame schweifende Blick durch den Raum, vermittelt schon zu Beginn des Films das Gefühl, dass man als Zuschauer tatsäch- lich selber Teil des Filmes ist. Plötzlich gibt es einen harten Schnitt (0:05:24), man sieht aus der objektiven Kameraperspektive, der „Normalsicht“, plötzlich ein ganz anderes Bild vor sich. Fräulein Else steht zusammen mit dem Ihr unbekannten Mann am Empfang des Hotels, den Blick nach rechts gerichtet, mit Ihrem Tennis Schläger in der Hand. Im Hintergrund das belebte Treiben der Gäste. Zum ersten Mal sieht der Zuschauer nun, wie Fräulein Else optisch in Erscheinung tritt (abgesehen von Ihrem Schattenbild zu Beginn des Filmes). Nachdem Sie der Filou angesprochen hat, antwortet Else kurz angebunden auf seine Frage, bis die Perspektive plötzlich wieder umschwenkt und der Zuschauer er- neut, aus Elses subjektiver Sichtweise, die darauffolgende Konversation zwischen dem Filou und Ihr verfolgen kann. Doch wie lässt sich der Wechsel dieser Point of View 8 (vgl. Michel Chion: Audio-vision - Sound on Screen. Paris. 1990.S.89) Momente und der nor- malen Sicht inhaltlich und dramaturgisch erklären?
[...]
1 Fräulein Else, 1975,[0:43:40]
2 Alexandra Tacke: Schnitzlers „Fräulein Else“ und die nackte Wahrheit. Köln.2017.S.148
3 Alexandra Tacke: Schnitzlers „Fräulein Else“ und die nackte Wahrheit. Köln.2017.S.148
4 Malte Hagener und Íngrid Vendrell: Empathie im Film.Bielefeld.2017.S.141
5 Fräulein Else, 1975,[0:03:34]
6 Arthur Schnitzler: Fräulein Else. Frankfurt.1987.S.10
7 Fräulein Else, 1975,[0:04:55]
8 Michel Chion: Audio-vision - Sound on Screen. Paris. 1990.S.89