Diese Hausarbeit möchte die aktuelle Debatte kultureller Begegnungen im Rahmen des Seminarthemas "Literaturdidaktische Vertiefung -- Literarisches Lernen im interkulturellen Kontext" aufgreifen. Grundidee dieses Themas ist der Liedtext von "Farbenspiel des Windes" aus dem Film Pocahontas.
Als erstes werden jedoch die historisch-realen Punkte, an denen Pocahontas/Rebecca in den wichtigsten Quellentexten des frühen 17. Jahrhunderts erscheint, genauer betrachtet. Zweitens werden die kulturellen Positionen diskutiert, für die sie in diesen Kontexten in Anspruch genommen wird. Drittens wird mit der fiktiven Disney-Verfilmung eine der neusten Inszenierungen der Figur vorgestellt und auf ihre popularisierende Strategie hinterfragt.
Im Anschluss werden diese verschiedenen Blickwinkel auf die aktuelle Debatte interkultureller Identitäten bewertet. Hierfür werden Thesen aus dem Buch "Es gibt keine kulturellen Identitäten" von Julien Francois herangezogen. Anschließend findet eine kritische Schlussbetrachtung statt.
Inhalt
1. Grundlagentext
2. Einleitung
3. Die Geschichte Pocahontas
3.1 Historische Überlieferungen
3.2 Sozial-politische Rolle – Eine Figur zwischen den Fronten
3.3 Popularisierender Blickwinkel – mediale Beeinflussung
4. Kulturelle Identität?
5. Fazit
6. Ausblick
7. Literaturverzeichnis
1. Grundlagentext
Der Liedtext „Das Farbenspiel des Winds“ aus dem Film Pocahontas.
Für dich bin ich nur eine Wilde
Es ist klar, dass du so denkst, denn du bist sehr viel gereist
Doch sehe ich nicht ein
Wenn so wild ich dir erschein
Wie kommt`s, dass du so vieles gar nicht weißt?
Gar nicht weißt
Du landest hier und gleich gehört dir alles
Das Land ist für dich frei und nur noch Holz
Doch jeder Stein und Baum und jedes Wesen
Hat sein Leben, seine Seele, seinen Stolz
Für dich sind echte Menschen nur die Menschen
Die so denken und so aussehen wie du
Doch folge nur den Spuren eines Fremden
Dann verstehst du und du lernst noch was dazu
Kannst du hören wie der Wolf heult unterm Silbermond?
Und weißt du auch warum der Luchs so grinst?
Kannst du singen wie die Stimmen in den Bergen?
Kannst du malen wie das Farbenspiel des Winds?
Kannst du malen wie das Farbenspiel des Winds?
Komm renn mit mir im Schattenlicht der Wälder
Probier die süßen Beeren dieser Welt
Komm wälze dich in ihrer reichen Vielfalt
Und du merkst, dass im Leben dir nichts fehlt
Der Regen und der Fluss sind meine Brüder
Der Reiher und der Otter mein Geleit
Und jeder dreht sich mit und ist verbunden
Mit dem Sonnenrad, dem Ring der Ewigkeit
Wie weit wachsen Bäume hinauf
Doch wenn du sie fällst, kriegst du`s nie heraus
Und vergessen sind die Wölfe und der Silbermond
Und, dass wir alle ebenbürtig sind
Wir müssen singen wie die Stimmen in den Bergen
Müssen malen wie das Farbenspiel des Winds
Fremde Erde ist nur fremd, wenn der Fremde sie nicht kennt
D`rum gehört sie nur dem Farbenspiel des Winds
2. Einleitung
„Woher kommst du?“ – eine eigentlich einfache, kleine Frage, die meist arglos in den ersten Minuten des Kennenlernens gestellt wird. Sobald jemand fremd aussieht, wird er direkt als anders deklariert. Das lebt die deutsche Leitkultur so vor, denn unausgesprochen aber mitgedacht, ist das Gegenüber ,dieses wir, sie, die Anderen. Je unsicherer sich eine Gesellschaft ihrer selbst ist, umso mehr benötigt sie ein möglichst negativ ausgemaltes Bild des Anderen, vor dessen suspekter Kontrarietät der Wert des eigenen Kollektivs unübersehbar zu sein scheint: Wenn wir schon nicht genau wissen, wer wir sind, so erkennen wir zumindest unseren Wert daran, dass wir nicht so sind, wie die von uns als minderwertig imaginierten Anderen. Eine Einordnung in die passende Schublade erscheint oft sinnvoll und selbstverständlich, aber selbst dies ist heutzutage gar nicht mehr so einfach: wir sind multikulturell. Wenn die Eltern aus der Türkei kommen, man selbst aber in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, in welche Schublade wird man dann eingeordnet? In die deutsche oder die türkische? Oder vielleicht in etwas dazwischen?
„ Figuren der/des Dritten“ haben derzeit Konjunktur. Unter Namen wie Hybridität, Fetisch, Third Space, geistern sie durch die Diskurse, in denen kulturelle Identitäten neu verhandelt werden.“1 Aber was sind eigentlich kulturelle Identitäten ? Wie lassen sich diese definieren? Wo werden die Grenzen gesetzt? Grundlage dieser Arbeit wird die Geschichte Pocahontas sein, da sie in eine Welt einlädt, in der das Fremdverstehen „Anderer“ eine wichtige Rolle spielt.
„Fremde Erde ist nur fremd, wenn der Fremde sie nicht kennt
D`rum gehört sie nur dem Farbenspiel des Winds“2
Pocahontas ist prädestiniert für die Figur des Dritten. „Das Dritte gewinnt seine Konturen erst aus den historischen Konstellationen der Dichotomen zwischen dem Einen und dem Anderen“3 Pocahontas gerät in genau einer solchen Position zwischen den Fronten: So steht sie als Sinnbild für ihr indigenes Volk, verlässt dieses aber auch als getaufte Rebecca für die englischen Seite. Die Medien loben den Film Pocahontas in höchsten Tönen. Aber was steckt wirklich hinter dieser Fassade? Diese Figuren, die sich im Raum zwischen Kulturen, Sprachen, Sub- Kulturen usw. bewegen, spielen höchst mehrdeutige Rollen und werden deshalb auch als Figuren Dritter bezeichnet:.4 „Fungieren Übersetzer als Vermittler, sind sie doch immer auch, wie das italienische Wortspiel traditore/traduttore sagt, Verräter. Bedroht von theoretischer Unsichtbarkeit auf der einen Seite, können sie auf der anderen zum Sündenbock erkoren werden.“5
Diese Hausarbeit möchte die aktuelle Debatte kultureller Begegnungen im Rahmen des Seminarthemas „Literaturdidaktische Vertiefung -- Literarisches Lernen im interkulturellen Kontext“ aufgreifen. Grundidee dieses Themas ist der Liedtext von „Farbenspiel des Windes“ aus dem Film Pocahontas. Als erstes werden jedoch die historisch- realen Punkte, an denen Pocahontas/Rebecca in den wichtigsten Quellentexten des frühen 17. Jahrhunderts erscheint, genauer betrachtet. Zweitens werden die kulturellen Positionen diskutiert, für die sie in diesen Kontexten in Anspruch genommen wird. Drittens wird mit der fiktiven Disney Verfilmung eine der neusten Inszenierungen der Figur vorgestellt und auf ihre popularisierende Strategie hinterfragt. Im Anschluss werden diese verschiedenen Blickwinkel auf die aktuelle Debatte interkultureller Identitäten bewertet. Hierfür werden Thesen aus dem Buch „Es gibt keine kulturellen Identitäten“ von Julien Francois herangezogen. Anschließend findet eine kritische Schlussbetrachtung statt.
3. Die Geschichte Pocahontas
3.1 Historische Überlieferungen
Der Titel dieser Hausarbeit stellt die Doppelung des Namens in den Fokus, da die Geschichte von Pocahontas/Rebecca durch einen historiographischen Initialpunkt geprägt ist. Der Namenswechsel stellt den zentralen Wendepunkt in der Geschichte der jungen Häuptlingstochter dar. Die zahlreichen Rekonstruktionen ihrer Lebensgeschichte, die sich in 400 Jahren um diese Bruchstelle angelagert haben, stehen vor einer grundsätzlichen Herausforderung, die auch den vorliegenden Beitrag betrifft: Die schriftlichen Überlieferungen über die Biographie Pocahontas/Rebecca umfassen hauptsächlich den Teil nach ihrer Taufe. Dementsprechend ist eine Rekonstruktion ihrer Geschichte nur aus einseitiger und damit wertender (englischer) Perspektive zu betrachten. Eine Abbildung ihrer Vergangenheit vor dem Namenswechsel kann nur durch mündliche Überlieferungen, die niedergeschrieben wurden, durchgeführt werden und gilt damit als historiographisch ungesichert. Eine Debatte der Dritten unternimmt es allerdings, den kulturellen Zwischenraum dieser Überläuferin inmitten rivalisierender Überlieferungen zu erkunden.
„Powhatan understanding we detained certaine Salvages, sent his Daughter, a child of tenne years old; which, not only feature, countenance, and proportion, much exceed any of the rest of his people: but for wit and spirit, the only Nonpariel of his Country.“6
Dieser Textauszug ist der erste schriftliche Beweis für die Existenz von Pocahontas/Rebecca und verdeutlicht schnell, dass sie bereits in frühen Jahren aufgrund ihres Aussehens und ihres Verhaltens auffällig war.7
Der Algonkin-Name Pocahontas bedeutet: „Die Lebhafte und fröhlich Verspielte, die Sportliche und Vergnügte“8 und ihr Geburtsname, welcher allerdings geheim gehalten wurde (da man an die Macht des Namens glaubte), war Matoaks – „Glänzender Strom zwischen zwei Bergen“.9 Dass sie später einmal genau eine solche Position zwischen den Fronten (zwischen den Bergen) einnehmen würde, scheint fast, so könnte man annehmen, vorherbestimmt gewesen zu sein.10
Pocahontas/Rebecca wird im Jahr 1595 in Virginia geboren. Als sie zwölf Jahre alt ist, legen die Schiffe der Londoner Gesellschaft an. Zu diesem Zeitpunkt ist Powathans Macht geprägt durch eine hierarchischen Hofhaltung. Er hatte zahlreiche Frauen und entsprechend viele Kinder, zum Zeitpunkt des Zusammentreffens mit John Smith sind es zwanzig Söhne und elf Töchter. Die erste Begegnung verläuft friedlich und die Engländer werden geduldet, allerdings sind nicht alle mit dem freundlichen Verhalten gegenüber den Weißen einverstanden. Pocahontas schleicht sich immer wieder heimlich zu den englischen Soldaten, um ihnen Lebensmittel zu bringen und sie damit vor dem Hungertod zu bewahren.11
Am 10. Dezember 1607 wird Captain Smith gefangen genommen und seine Begleiter noch auf dem Chickahomiy-Fluss umgebracht.12 In einem Brief an Königin Anna von England erklärt John Smith 1624:
„Pocahontas, des Königs geliebte Tochter, damals ein Kind von zwölf oder dreizehn Jahren, riskierte im Augenblick meiner Hinrichtung, dass man ihren Kopf statt des meinen zerschmetterte.“ 13
Dieser Brief wird allerdings viele Jahre nach dem Tod von Pocahontas verfasst und ist bis heute sehr umstritten. Viele Quellen äußern sich dahingehend, dass die Rettung von John Smith durch Pocahontas reine Fiktion sei und als „Rettungsparabel“ eine politische Rolle hatte. 1624 wird die Rettungsaktion Pocahontas im Druck veröffentlicht.14 Zwei Jahre zuvor gab es in Jamestown ein gewaltiges Massaker angeführt vom Algokinstamm, bei dem ein Drittel der Siedler umgebracht wurde. Durch die hohe Anzahl der Toten stand das politische Weiterwirken des Siedlungsprojekts nachhaltig in Frage. Aus heutiger Sicht wird deshalb an der Glaubwürdigkeit dieser Rettung gezweifelt.15
Sicher ist man sich allerdings über die Entführung Pocahontas im Austausch für englische Gefangene, Waffen und Vorräte 1613 durch Captain Samuel Argall. Zur Freilassung ist es aber nie gekommen, da Powathan auch nach mehreren Monaten den Forderungen nicht nachkam. Während ihrer Gefangenschaft wird Pocahontas im christlichen Glauben unterwiesen und erhält im Anschluss durch ihre Taufe 1614 den neuen Namen Rebecca. Kurz darauf lernt sie den Tabakpflanzer John Rolfe kennen, vermählt sich mit ihm und bringt ein Jahr später ihren Sohn Thomas Rolfe zur Welt. Daraufhin wird sie am Hofe James I. empfangen und erhält in ganz England große Aufmerksamkeit. Sie trifft auf den Bishop of London und es kommt zu einer denkwürdigen Begegnung zwischen John Smith und Rebecca. Die junge, ehemalige Häuptlingstochter ist in aller Munde, als sie jedoch plötzlich erkrankt, tritt sie die Rückreise nach Jamestown an. Am 11.April 1617 stirbt sie noch im Vorort von Gravesend.16
3.2 Sozial-politische Rolle – Eine Figur zwischen den Fronten
Die archivierten Spuren lassen sich so lesen, dass Pocahontas/Rebecca durch drei politische Berührungspunkte beeinflusst wird: Kolonie-Plantage-Theater.
In der Kolonie, dem Territorialbereich Virginia, fungiert Pocahontas als eine Art Vermittlerin. Nicht zuletzt baut sie eine enge Beziehung zu den englischen Soldaten auf, da sie diese durch die Zulieferung von Lebensmitteln vor dem Hungertot rettet. Außerdem leistet sie als eine wichtige Informantin strategische Organisationsarbeit bei der Erstellung der sogenannten „Smith Map“, welche die Umgebung kartographiert.17
Ein weiterer charakteristischer Ort für das Handeln von Pocahontas/Rebecca ist die Plantage. Durch die Ehe mit John Rolfe entsteht eine Verbindung, die auf materieller Ebene das ökonomische Überleben der Kolonie sichert. Der Tabak wird zum Exportschlager und verändert das Wirtschaftsnetzgravierend. Damit hatte Pocahontas/Rebecca durch ihre Ehe eine wirtschaftliche Brücke nach England geschlagen und konnte so auch die Kolonie retten.18
In der Rolle als ausländische Prinzessin und exotische, fremde Schönheit erhält sie eine Audienz am Königshof und diverse Auftritte an berühmten Orten. Zu dieser Zeit wird viel über die Ehe zwischen einem Engländer der höheren Gesellschaft und einer „Farbigen“ gesprochen und die Inszenierung der imperialen Macht immer wieder in den Vordergrund gerückt. Sie ist die Sensation und steht im Mittelpunkt des Interesses. Nicht zuletzt hat sie auch durch die Rettungsparabel die inszenierte Rolle einer Heldin angenommen, welche wichtige, politische Veränderungen in Kraft gesetzt hatte. Aus diesem Grund ist ein weiterer charakteristischer Ort symbolhaft das Theater, in dem Rebecca/Pocahontas auch eine wichtige politische Rolle einnimmt.19
„ Die aktuelle Bezugnahme reflektiert hier das Moment der Verunsicherung durch soziale Transgression, die ihre umstandsgemäße Heirat auslöste und die, zumal in puritanischer Rhetorik, mit dem Theater assoziiert und nur durch höhere Heilgewißheit zu kompensieren ist.“20
Die vorliegenden politischen und sozialen Berührungspunkte, in denen Pocahontas/Rebecca erscheint, verdeutlichen ihre Position in kulturellen Zwischenräumen. So sind diese im Einzelnen gekennzeichnet durch Divergenz: In der Kolonie betritt sie die Seite der englischen Zivilisation, ist zugleich aber ihrem eigenen indigenen Volk verpflichtet. Die Plantage spaltet das eigentlich so wertvolle Gut der Natur einer seelenverbundenen, indigenen Kultur zum profitablen Verkaufsschlager. Auf der Bühne des Theaters spielt sie eine Rolle zwischen Sein und Schein – so übernimmt sie die englischen Manieren einer Lady und spielt auf der anderen Seite dennoch die farbige Prinzessin. Auch die Doppelung ihres Namens verdeutlicht zwei vollkommen unterschiedliche Stereotype: Pocahontas, die junge Häuptlingstochter und Rebecca, die getaufte, englische Lady. So befindet sie sich ständig auf einer unsicheren Grenzlinie zwischen zwei Fronten. Genau dies ist es, wofür Pocahontas/Rebecca historisch von Smith in Anspruch genommen wird, wenn er in einem Empfehlungsschreiben an Queen Anne die große Zahl ihrer nutzbringenden Taten wie folgt zusammen fasst:21
„She next vnder God, was still the instrument to preserue this Colonie from death, famine and vtter confusion, which if in those times, [it] had once beene dissolued, Virginia might haue line [lain] as it was at our first arriual to this day.” 22
Smith beschreibt sie als ein wertvolles politisches Instrument und das aufgrund ihrer hybridisierenden Rolle. Aus diesem Grund ist vorläufig festzuhalten, dass Pocahontas/Rebecca, animiert durch die prekäre, politische Entwicklung, in ihrer Zwischenposition als Figur der/des Dritten so verschoben wurde, dass die Erfolgsgewissheit der kolonialen Siedlungsgeschichte gewährleistet war.
3.3 Popularisierender Blickwinkel – mediale Beeinflussung
„In den Vereinigten Staaten ist die 22jährige zu einer >>Mutter der Nation<< geworden, zum Sinnbild eines schönen Traums von der Integration verschiedener Rassen und Kulturen.“23
Viele haben schon einmal von der Geschichte Pocahontas gehört- kaum jemand bringt mit dieser Figur den Namen Rebecca in Verbindung. Denn nicht zuletzt kennen wir alle die Disneyfigur, eine Heldin, die für Interkulturalität steht. „Shaping the psyche of America”24, so beschreibt Peter Lennon die Macht der Disney-Filmindustrie. Nachdem die vorliegende Arbeit die Biographie von Pocahontas/Rebecca betrachtet hat, wird nun der Fokus auf den popularisierenden Blickwinkel gelegt. Es kann nicht bestritten werden, dass die heutige Gesellschaft von den Medien beeinflusst wird. Umso wichtiger erscheint es, die Figur Pocahontas in dem Disneyfilm genauer zu betrachten. Inwiefern narrativiert Disney die Person Pocahontas als Figur der/des Dritten? Welche Auswirkungen hat dies auf den Rezipienten?
Der Film „Pocahontas“ aus dem Jahre 1995 führt den Rezipienten in eine Welt ein, in der das kulturelle Aufeinandertreffen als Bereicherung dargestellt wird. Es wird ein strikter Antagonismus von Alter und Neuer Welt visualisiert, der als solcher einen Raum der Begegnung schafft. In dem Lied „Das Farbenspiel des Windes“ singt Pocahontas über den gemeinsamen Lern- und Dekodierungsprozess, der eine Verbindung zwischen unterschiedlichen Kulturen schafft. Das Thema kulturelle Begegnung wird insofern medial -typisch amerikanisch kitschig- ausgeschmückt, indem die Repräsentanten der unterschiedlichen Lebenswelten aufeinander treffen und sich ineinander verlieben. Es wird versucht diesen kulturellen Einigungsprozess durch symbolhafte Darstellungsmethoden möglichst authentisch wiederzugeben. Aus dieser Intention heraus werden die „Indianer“ mit typischen Requisiten wie zum Beispiel Federn im Haar und leichten Lederkluften ausgestattet, aber eben auch immer wieder als ethisch denkende und gewissenhaft handelnde Figuren dargestellt.25
„Während führende US-Zeitschriften und Nachrichtenmagazine wie u.a Time […], The Nation […], oder People Weekly […] lobende bis enthusiastische Kritiken brachten […]“26, gibt es auch viele negative Kritiken über die Aufmachung des Filmes. So wird nicht nur auf diversen Webseiten über das Thema scharf diskutiert, sondern auch in vielen wissenschaftlichen Büchern, die dem Film Pocahontas Oberflächlichkeit vorwerfen.
„Andererseits gehorcht die multikulturelle Botschaft hier der populären Logik einfacher Homogenisierung, die jeder Einlassung mit kultureller Differenz dadurch entgeht, daß sie Verständigungsprobleme oder Wahrnehmungsunterschiede zu Oberflächenphänomen deklariert und durch eine Tiefenhermeneutik der hörenden Herzen überwindet […].“27
Deutlich wird dieses einfache, dichotome Schemata in diversen Filmsequenzen: Pocahontas vor einer Flussgabelung – der eine Flusslauf breit, friedlich und harmlos, der Andere schmal, reißend und gefährlich. Sie folgt letzterem und begegnet John Smith. Mit ihm folgen weitere Entscheidungen: die Wahl für eine Weiterreise mit John Smith nach England oder die Möglichkeit bei der eigenen Familie zu bleiben, für die Liebe oder für die Familie, Leidenschaft oder Vernunft – es wird ein Muster deutlich, welches nur Entweder-Oder Entscheidungen zulässt. Damit betritt Pocahontas in der Filmversion weder kulturelle Zwischenräume noch fungiert sie in einer Übermittler-/Übersetzerrolle. Mit der eigentlich historisch korrekten Geschichte hat der Film somit wenig zu tun: sie wird schließlich nicht gefangen genommen, bekehrt oder getauft, auch wird der eigentliche Wendepunkt ihrer Biographie völlig ausgelassen und stattdessen eine einfache, oberflächliche Liebesgeschichte zwischen John Smith und Pocahontas, die als solche nie stattgefunden hat, gespannt. Ebenfalls auffällig oberflächlich ist, dass Pocahontas in keinem Moment an ihrer eigenen Identität zweifelt- sie weiß stets auf welcher Seite sie gehört. Wohl rettet Pocahontas Smith das Leben, weil sie aus Liebe für Gewaltlosigkeit plädiert, aber sie verbindet nie die Seiten. Eine Hybridisierung der Protagonistin findet also zu keinem Zeitpunkt statt. Viel interessanter jedoch: Stattdessen nimmt John Smith die Figur des Dritten an, da er durch die kulturelle Begegnung neue Traditionen und Menschen kennen lernt und sich damit nachhaltig verändert. Als Grenzgänger befindet er sich zwischen dem indigenen Volk und seiner englischen Heimat. Dies verdeutlicht auch sein Handeln indem er sich vor den Häuptling wirft und damit das Leben seines eigentlichen Gegners rettet. Auf der anderen Seite segelt er wieder mit seinen englischen Kameraden weiter. Eine genaue Seitenposition wird in seinem Handeln also nicht deutlich- stattdessen beschreibt er sich selbst als heimatlos und positioniert sich als ein Individuum zwischen kulturellen Zwischenräumen.28
[...]
1 Döring 1998, 1
2 Menken / Schwarz 1995
3 Döring 1998, 1
4 Vgl. Döring 1998, 3f.
5 Ebd., 1
6 Tyler, 69 In: Döring 1998, S.184
7 Vgl. Döring 1998, 184f.
8 Lampe 1995, 22
9 Vgl. Augustin 1995, 26
10 Vgl. Rauschenbach/Fischer 2000, 13f.
11 Vgl. Kyora/ Schwagmeier 2005, 22ff.
12 Vgl. Augustin 1995, 26
13 Ebd., 26
14 Vgl. Döring 1998, 194
15 Vgl. Augustin 1995, 33f.
16 Vgl. Döring 1998, 190ff.
17 Vgl. Döring 1998, 192f.
18 Vgl. Lampe 1995, 101f.
19 Vgl. Augustin 1995, 32
20 Döring 1998, 193
21 Vgl. Döring 1998, 193ff.
22 Döring 1998, 194
23 Lampe 1995 , 9
24 Döring 1998, 196
25 Vgl. ebd., 198
26 Döring 1998, 197
27 Ebd. 198f.
28 Vgl. Döring 1998, 201ff.