Die folgende Arbeit befasst sich mit der Frage, wie die Nutzung von Life Kinekt® erfolgreich in den Unterrichtsalltag von Schülern integriert werden kann.
Im Mittelpunkt stehen die Leitfragen, welche Planungsentscheidungen sich als sinnvoll erweisen.
Die Wirksamkeit soll transparent dargelegt werden. Auf einen statistischen Nachweis hingegen wird aufgrund der limitierten Größe dieser Arbeit verzichtet. Gleiches gilt für die Betrachtung des Konzentrationsbegriffs. Dieser ist analog zum Begriff Aufmerksamkeit sehr umfangreich. Entsprechend wird nur eine Differenzierung zum Aufmerksamkeitsbegriff vorgenommen.
Im kommenden Kapitel soll zunächst das theoretische Fundament gelegt werden. Zu diesem Zweck wird der weitläufige Aufmerksamkeitsbegriff hinsichtlich der Relevanz für den Lernprozess verdeutlicht. Außerdem wird das Life Kinetik®-Konzept ausführlich abgebildet.
Daraufhin folgt eine konzeptrelevante Bedingungsanalyse der Lehrgruppe und Lerngruppe. Die dargestellten Inhalte bilden die Grundlagen für die darauffolgenden inhaltlichen und methodischen Konzeptentscheidungen. Die Umsetzung des Konzepts sowie die kritische Reflexion schließen die Ausführungen inhaltlich ab. Zuletzt wird die Arbeit mittels eines Fazits und einem Ausblick abgerundet.
Inhaltsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung.
2 Theoretische Grundlagen: Aufmerksamkeit und Life Kinetik®.
2.1 Die Bedeutung der Aufmerksamkeit für den Lernprozess
2.2 Life Kinetik®.
2.2.1 Konzept und Ziele von Life Kinetik®
2.2.2 Der aktuelle Forschungsstand zum Einfluss von Life Kinetik® auf die Aufmerksamkeit von Schülern
3 Konzeptrelevante Bedingungsanalyse der Lehr-/Lerngruppe und schulische Rahmenbedingungen
4 Inhaltliche und methodische Konzeptentscheidungen.
4.1 Inhaltliche Konzeptentscheidungen.
4.1.1 Aufbau der Übungseinheiten ͺ
4.1.2 Auswahl der Übungen im Hauptteil
4.1.3 Verfahren zur Überprüfung der Wirksamkeit des Konzepts
4.2 Methodische Konzeptentscheidungen
4.2.1 Grundlegende Konzeptentscheidungen
4.2.2 Konzeptdurchführung
4.2.3 Testdurchführung
5 Reflexion der Durchführung des Konzepts
5.1 Reflexion der inhaltlichen und methodischen Konzeptentscheidungen
5.2 Auswertung der Wirksamkeit des Konzepts
6 Reflexion und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anlagenverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Übersicht der gewählten Übungen
2. Detaillierte Testergebnisse
Abbildungsverzeichnis
1 Aufmerksamkeit und Konzentration als unabhängige Konstrukte
2 Das synaptische Modell und die 3 Gehirndimensionen
3 Übersicht der erzielten Ergebnisse im d2-Belastungstest
4 Logik- und Gefühlsschalter
5 Datenschalter und Brille
6 Zwicker und Stirntasten
7 Verknüpfer
8 Fingerspiele
9 Handkompass
10 Gleichseitige- und Überkreuzbewegungen
11 Parallelball
12 Balltanz
1 Einleitung
Ein Spaziergänger trifft im Wald auf einen Waldarbeiter, der offensichtlich mit viel Mühe damit beschäftigt ist, einen bereits gefällten Baumstamm in kleine Stücke zu zersägen. Der Spaziergänger eröffnet: „ Entschuldigen Sie, aber mir ist da etwas aufgefallen. Ihre Säge ist ja ganz stumpf. Wollen Sie die Säge nicht erst einmal schärfen ?“ Der Waldarbei- ter antwortet verblüfft: „ Dafür habe ich keine Zeit, ich muss sägen.“ (Seiwert, 1996, S. 8). Betrachtet man allgemein den gegenwärtigen Schulunterrichtsalltag, lassen sich Paralle- len zum obigen Sachverhalt erkennen. Es ist ist eine negative Entwicklung erkennbar: Schülerinnen und Schüler1 werden zunehmend unaufmerksamer (Oppolzer, 2015, S. 7). Grünke (2011, S. 2) betont in diesem Kontext, dass Schüler nur schwerfällig in der Lage seien, „ Denkprobleme zu erfassen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten bei Objekten zu erkennen, Regelhaftigkeiten zu identifizieren, Kategorien zu bilden, logische Schlussfolge- rungen zu treffen, Informationen schnell zu verarbeiten usw...“. Der Rückgang dieser für den Wissenserwerb immanent wichtigen Fähigkeiten, allegorisch die „stumpfe Säge“, geht zum einen mit einem höheren Zeitaufwand zum Erlernen von Unterrichtsinhalten einher und hemmt zum anderen in der totalen Betrachtung nichtsdestotrotz den Wissenserwerb der Schüler (Oppolzer, 2015, S. 7).
Eine innovative Möglichkeit zur Intervention bietet das 2008 von Diplomsportlehrer Horst Lutz publizierte Bewegungsprogramm Life Kinetik®. Dieses zeichnet sich durch das Aus- üben von einfachen Bewegungen, gepaart mit psychomotorischen bzw. intellektuellen Anforderungen, aus (Grünke, 2011, S. 4). Dabei steigt der Schwierigkeitsgrad der Heraus- forderungen sukzessive an und soll verschiedene Gehirnareale erreichen, aktivieren und miteinander vernetzen. Die Zielsetzung besteht in der Verbesserung der Konzentration, Auffassungsgabe und Anpassungsfähigkeit an neuartige Situationen (ebd., S. 4; Lutz, 2017, S. 27). Die Wirksamkeit des Bewegungsprogramms ist bereits hinreichend belegt (vgl. Grünke, 2011, S. 8).
Offen hingegen ist ein mögliches Konzept zur Integration in den Unterrichtsalltag. Allge- mein wird die Implementierung von Bewegung in den Unterricht zur Steigerung der Auf- merksamkeit aus Sicht der Lehrkräfte vielmals abgelehnt, wie folgende Aussage exempla- risch illustriert: „ W enn ich jetzt noch einen Teil der Stunde mit irgendwelchen Bewegun- gen zubringe, dann lernen die Kinder überhaupt nichts mehr “ (ebd., S. 8). Aus dieser problembehafteten Ausgangssituation heraus leitet sich die Legitimation dieser Arbeit ab. Es stellt sich die Frage, inwiefern ein „Schärfen der Säge“, also das Erhöhen der Auf- merksamkeit, mittels Life Kinetik® vor dem Hintergrund der Zeitknappheit möglich und gewinnbringend ist.
Aus diesem Anlass soll für eine Berufsfachschulklasse an den BBS I Northeim ein Kon- zept entwickelt, erprobt und kritisch reflektiert werden. Im Mittelpunkt stehen die Leitfra- gen, welche Planungsentscheidungen sich als sinnvoll erweisen. Dem Autor persönlich ist es wichtig, dass sich die positiven Effekte des Bewegungsprogramms (auf die Aufmerk- samkeitsleistungen) realisieren lassen, ohne den zu vermittelnden Unterrichtsstoff in sei- ner Quantität oder Qualität zu beeinträchtigen. Die Wirksamkeit soll transparent dargelegt werden. Auf einen statistischen Nachweis hingegen wird aufgrund der limitierten Größe dieser Arbeit verzichtet. Gleiches gilt für die Betrachtung des Konzentrationsbegriffs. Die- ser ist analog zum Begriff Aufmerksamkeit sehr umfangreich. Entsprechend wird nur eine Differenzierung zum Aufmerksamkeitsbegriff vorgenommen.
Im kommenden Kapitel soll zunächst das theoretische Fundament gelegt werden. Zu die- sem Zweck wird der weitläufige Aufmerksamkeitsbegriff hinsichtlich der Relevanz für den Lernprozess verdeutlicht. Außerdem wird das Life Kinetik®-Konzept ausführlich abgebil- det. Daraufhin folgt eine konzeptrelevante Bedingungsanalyse der Lehr-/Lerngruppe. Die dargestellten Inhalte bilden die Grundlagen für die darauffolgenden inhaltlichen und me- thodischen Konzeptentscheidungen. Die Umsetzung des Konzepts sowie die kritische Reflexion schließen die Ausführungen inhaltlich ab. Zuletzt wird die Arbeit mittels eines Fazits und einem Ausblick abgerundet.
2 Theoretische Grundlagen: Aufmerksamkeit und Life Kinetik®
2.1 Die Bedeutung der Aufmerksamkeit für den Lernprozess
Im Allgemeinen lassen sich in der Literatur für den Terminus der Aufmerksamkeit eine Vielzahl von Definitionen finden. Sie sind in ihrer Grundstruktur ähnlich, unterscheiden sich jedoch in ihren verschiedenen inhärenten Komponenten. Daher ist eine allgemeingül- tige Begriffsbestimmung nicht existent (Krähenbühl, 2015, S. 9). Eine für den Lernprozess bedeutsame Darstellung stammt von James (1890, S. 403f
„ ( ...) the taking possession of the mind, in clear and vivid form, of one of se- veral possible objects or trains of thougt. Focalization, concentration of consciousness are its essence. It implies withdrawal from some things in or- dert o deal effectively with others“
Die Aussage verliert bis heute nicht an Gültigkeit. Auch Schmidt-Atzert et al. (2004, S. 6.) betonen die richtige Auswahl aus diversen Reizen: „ Die Aufmerksamkeit kann damit als das selektive Beachten relevanter Reize und Informationen definiert werden.“ Hinsichtlich des Lernprozesses ist die Aufmerksamkeit unerlässlich, da ohne eine Reizwahrnehmung auch keine Verarbeitung möglich ist. Sie ist für ein zielgerichtetes Verhalten essentiell (Gerbig-Calgagni, 2009, S. 30). In diesem Kontext lässt sich auch der Unterschied zur Konzentration feststellen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
A bbildung 1: Aufmerksamkeit und Konzentration als unabhängige Konstrukte (Schmidt-Atzert et al., S. 11)
Abbildung 1 verdeutlicht, dass die Aufmerksamkeit sich ausschließlich auf Wahrneh- mungsprozesse bezieht und lediglich der Selektion von Reizen und Informationen dient. Die Konzentration hingegen ermöglicht jegliche Form der Auseinandersetzung mit Reizen, insbesondere der Weiterverarbeitung (Schmidt-Atzert et al., S. 10f.). Gemäß dieser Aus- sagen kann die Aufmerksamkeit im Kontext dieser Arbeit als grundlegende Funktion für alle Lernprozesse im schulischen Zusammenhang interpretiert werden (Krähenbühl, 2015, S. 16).
2.2 Life Kinetik®
In diesem Punkt sollen zunächst auf Basis biologischer Prozesse das Konzept sowie die Ziele des innovativen Bewegungsprogramms Life Kinetik® dargestellt werden. Im An- schluss wird ein Überblick über den aktuellen Forschungsstand im Kontext der Aufmerk- samkeit geschaffen.
2.2.1 Konzept und Ziele von Life Kinetik®
Aus der Biologie ist bekannt, dass das Leistungsvermögen des menschlichen Gehirns maßgeblich von der Anzahl an Synapsen, also der Verbindungen von Gehirnzellen, ab- hängt. Dabei gilt, je mehr Synapsen bestehen, desto leistungsfähiger ist das Gehirn. Von entscheidender Relevanz ist dabei die stetige Entstehung neuer Gehirnzellen im Orga- nismus. In der Naturkunde spricht man vom Prozess der Neurogenese. Dieser wird mit- tels körperlicher Aktivitäten, insbesondere durch Sport, quantitativ verstärkt (Lutz, 2017, S. 42f.). Neue Gehirnzellen bleiben genau dann erhalten und sind leistungsfördernd, wenn sie sich miteinander verknüpfen können. Die Grundvoraussetzung dafür ist eine Auseinandersetzung des Gehirns mit unbekannten, fordernden Aufgaben (ebd., S. 36; S. 43f.). Nach heutigem Wissensstand verfügt der Mensch über mehr als 100 Milliarden Ge- hirnzellen (Lutz, 2010, S. 32). Pro Gehirnzelle können sich bis zu 50.000 Synapsen bil- den. Das Erreichen dieses Maximalzustands gilt allerdings als unmöglich. Eine Annähe- rung kann jedoch durch permanentes Training erfolgen (Lutz, 2017, S. 78). Im Zuge des- sen ist zunächst ein Überblick2 über das synaptische Modell3 notwendig. Es werden drei Dimensionen unterschieden, wie Abbildung 2 veranschaulicht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
A bbildung 2: Das synaptische Modell und die 3 Gehirndimensionen (Lutz, 2010, S. 32)
Lateralität: Die linke und rechte Gehirnhälfte sind jeweils für die Bewegungen der gegen- überliegenden Körperseite zuständig.
Fokussierung: Die hintere Gehirnhälfte ist für die Aufnahme und Abspeicherung von Rei- zen zuständig, in der vorderen werden Entscheidungen getroffen.
Zentrierung: In der oberen Gehirnhälfte findet das abstrakte Denken statt. In der unteren hingegen befindet sich das Stammhirn, das für alle unbewussten körperlichen Aktivitäten sowie unsere Gefühle verantwortlich ist (Lutz, 2010, S. 32; Lutz, 2017, S. 80f.)
An dieser Stelle setzt das Life Kinetik®-Konzept an. Es bedient sich dieser Erkenntnisse und setzt sie zur nachfolgenden Grundformel zusammen:
Wahrnehmung + Gehirnjogging + Bewegung = mehr Leistung (Wigand, 2016, S. 17; Lutz, 2017, S. 27).
Konkret sieht das Konzept 30-60 Minuten dauernde Übungseinheiten vor, in welchen die Bewältigung von, isoliert betrachtet, einfachen Bewegungsaufgaben in Verbindung mit kognitiven Anforderungen gelingen soll. Die Gestaltung der Übungen ist dabei exakt defi- niert und beruht auf den vier sogenannten und nachfolgend beschriebenen Basiskomple- xen. Die Bewegungsbasis besteht stets aus Einzelbewegungen wie z. B. gehen oder springen. Beim Bewegungswechsel wird zwischen unterschiedlichen Bewegungen ge- wechselt. Die Bewegungskette impliziert die parallele oder kurzzeitig aufeinanderfolgende Ausübung unterschiedlicher Bewegungen. Beim Bewegungsfluss werden zeitgleich zykli- sche und azyklische Bewegungen kombiniert (Lutz, 2017, S. 99ff.). In Verbindung mit den kognitiven Aufgaben werden mehrere Gehirnareale zeitgleich oder minimal versetzt bean- sprucht. D. h. es wird bewusst ein Wechsel zwischen den gemäß des synaptischen Mo- dells definierten Dimensionen durchgeführt. Die Belastung sorgt für die Ausschüttung von Botenstoffen wie z. B. Dopamin. Dieser Neurotransmitter trägt entscheidend zur Verbin- dung zwischen Zellen, also der Verknüpfung zu Synapsen, bei (Wigand, 2016, S. 17; Lutz, 2010, S. 32). Dieser Effekt, das Hauptziel des Trainingsprogramms, ist auf eine we- sentliche Unterscheidung im Vergleich zu den sonst bekannten Trainingsprinzipien zu- rückzuführen (Wigand, 2016, S. 17): Um positive Effekte zu erzielen, muss der Schwierig- keitsgrad einer Übung zwingend gesteigert werden, wenn bei zehn Versuchen vier bis sechs dieser gelingen. Das ist insofern stets möglich, da bereits der Einbezug oder Wechsel eines Gehirnareals zu unzähligen Variationen führen kann. Derart wird das Ge- hirn dauerhaft angeregt, neue Lösungen zu finden. Die somit nie perfektionierten Bewe- gungen erhöhen den Dopaminspiegel entscheidend (ebd., S. 17; Lutz, 2017, S. 94f.). Ein weiteres Merkmal des Trainingskonzepts ist der Spaßfaktor. Die kontinuierlich veränder- ten Übungen mit steigendem Schwierigkeitsgrad sorgen für Abwechslung und die Entste- hung eines „Schaffen-Wollen“-Gefühls (Wigand, 2016, S. 17). Dieser Ehrgeiz, gepaart mit Momenten des Scheiterns, führt insbesondere in der Gruppe zu kollektivem Spaß (Lutz 2017, S. 97). Schließlich werden Hormone freigesetzt, welche die Gehirnaktivität positiv im Sinne besserer Konzentration und Reaktionsfähigkeit beeinflussen (Lutz, 2016, S. 21).
2.2.2 Der aktuelle Forschungsstand zum Einfluss von Life Kinetik® auf die A u f merksamkeit von Schülern
Allgemein ist bekannt, dass die Aufmerksamkeit von Schülern unter einer Vielzahl von Einflüssen leidet. Das schlägt sich insbesondere in einer mangelnden Zielfokussierung nieder. Die Schüler lassen sich schnell ablenken und vergessen Einzelheiten. Infolgedes- sen sind bereits die Lösungsansätze unorganisiert und unvollständig (Krähenbühl, 2015, S. 17). Ein positiver Einfluss durch Life Kinetik® zur Verbesserung der Aufmerksamkeit ist an einer Berufsfachschule wissenschaftlich bislang nicht belegt bzw. nicht bekannt. Es gibt jedoch verschiedene Studien, die andere Schulformen mit anderen Schwerpunkten fokussierten. Zum Beispiel konnte Prof. Dr. Grünke von der Universität zu Köln (2011) eine Verbesserung der Aufmerksamkeits- und fluiden Intelligenzleistung nachweisen. Er führte dreimal wöchentlich 25 Minuten Life Kinetik® bei neun bis zwölf Jahre alten Schü- lern mit gravierenden Lernauffälligkeiten durch und wies nach, dass sich ein Aufmerk- samkeitsanstieg um sechs Prozent einstellte (Lutz, 2017, S. 149). Auch Lehramtsanwärter Hannes (2009) konnte positive Effekte nachweisen. Er untersuchte in einer Kölner För- derschule das Konzept und führte drei Mal pro Woche über einen fünfwöchigen Zeitraum ein 20-minütiges Training durch. Dieses führte bei den neun- bis elfjährigen Schülern in zwei verschiedenen Grundintelligenztests zu einer zum Teil signifikanten Verbesserung des Lernzuwachses. Allerdings konnte keine unmittelbare Verbesserung der Aufmerk- samkeitsleistung nachgewiesen werden. Außerdem kristallisierte sich das Konzept für diese Schulform als zu umfangreich heraus, sodass einige Schüler mit Ablehnung und Frustration reagierten (Hannes, 2009, S. 46f.).
Aus diesen Ausführungen lassen sich im Hinblick auf das zu erstellende Konzept diverse Erkenntnisse ableiten. Life Kinetik® wirkt sich allgemein positiv auf die Bildung von Sy- napsen aus. Demgemäß sollte das Trainingsprogramm inhaltlich ähnlich wie vom Urheber konzipiert umgesetzt werden. Entsprechend sollte bei der Auswahl der Übungen darauf geachtet werden, dass die drei wesentlichen Merkmale des innovativen Trainingskon- zepts, Spaß, Erhöhen des Schwierigkeitsgrads sowie automatisationsfreies Üben, zur Geltung kommen. Allerdings muss eine für die Schule vertretbare, und somit gekürzte, Trainingszeit gewählt werden. Darüber hinaus müssen die Schüler zur Vorbeugung von Resignation und Ablehnung zunächst für die Trainingsmethode sensibilisiert werden. In diesem Kontext ist die Betrachtung der Verhaltensweisen der Lerngruppe sowie weiterer schulischer Rahmenbedingungen erforderlich.
3 Konzeptrelevante Bedingungsanalyse der Lehr-/Lerngruppe und schuli- sche Rahmenbedingungen
Bei der zu beschreibenden Lehr-/Lerngruppe handelt es sich um die Berufsfachschulklas- se BF18E1. Sie umfasst 17 Schüler im Alter zwischen 16 und 23 Jahren. Die Lernenden streben in einem zweijährigen Bildungsgang den (erweiterten) Sekundarabschluss I an. Dieses Schuljahr ist dabei das erste. Der Verfasser unterrichtet die Lerngruppe seit Be- ginn im Lernfeld 1 sowie im Sportunterricht jeweils eigenverantwortlich. Für das Lernfeld 1 erfolgt der Unterricht regulär donnerstags zweistündig sowie freitags einstündig. Der Sportunterricht findet montags statt.
In einer Eingangsdiagnose wurde festgestellt, dass keiner der Schüler mit dem Life Kine- tik®-Konzept vertraut war und auch keine anderweitigen Erfahrungen bezüglich gezielten bewegten Unterrichts vorgewiesen werden konnten.
Um das Aufmerksamkeitsverhalten der Schüler zu diagnostizieren, wurden neben den eigenen Beobachtungen die von fünf Kolleginnen4 mittels Beobachtungs-/Fragebogen5 herangezogen. Außerdem gaben die Schüler, ebenfalls per Fragebogen6, eine Selbstein- schätzung über ihre Aufmerksamkeit ab. Die Fragebögen waren jeweils anonym zu be- antworten und bestanden aus Ankreuzfragen sowie einer offenen Frage. Erstere operati- onalisieren gleichermaßen in beiden Bögen die Aufmerksamkeit durch verschiedene Items und sollen Aufschluss über den IST-Zustand geben. Die offenen Fragen sollen er- fahrungsbasierte Erkenntnisse darüber liefern, wie das Verhalten der Schüler generell in dieser Schulform (Lehrkraftbogen) ist und wie die Schüler ihre Aufmerksamkeit und die der Klasse im Allgemeinen (Schülerbogen) selbst beschreiben.
Die Auswertung7 der durch die Lehrkräfte ausgefüllten Bögen zeigt deutlich, dass hier Aufmerksamkeitsdefizite vorliegen. Einheitlich wird angegeben, dass bei externen Geräu- schen „häufig“ bzw. „überwiegend“ die Aufmerksamkeit der Schüler verloren geht. Daher überrascht es nicht, dass sie „weniger“ bzw. „selten“ wissen, was zu tun ist. Gleiches gilt für das Item „Die Schüler lassen sich leicht ablenken“. Auch hier geben alle Lehrkräfte die Rückmeldung, dass dies „häufig“ oder „überwiegend“ zutrifft. Aus der offenen Frage lässt sich die allgemeine Erkenntnis gewinnen, dass diese Defizite schulformtypisch sind. So führt eine erfahrene Kollegin offen an: „ Sie (die Schüler) lassen sich gerne ablenken und benötigen immer wieder eine persönliche und individuelle Ansprache“.
Interessanterweise spiegeln die Selbsteinschätzungen der Schüler diese Beobachtungen nicht in gleichem Maße wider8: Nur sieben Schüler geben an, dass externe Geräusche ihre Aufmerksamkeit „häufig“ oder „überwiegend“ behindern. Sogar nur vier sind der Mei- nung, dass sie sich „häufig“ oder „überwiegend“ „leicht ablenken lassen“. Über die gene- relle Aufmerksamkeit führt ein Schüler an: „ Ich finde die Aufmerksamkeit in der Klasse gut, weil die Klasse sich im Unterricht ruhig und aufmerksam beteiligt“. Dagegen sagt ein anderer Schüler: „ Die generelle Aufmerksamkeit lässt oft leider zu wünschen übrig. Viele Klassenkameraden sind ununterbrochen am Reden, melden sich nicht, wenn etwas ge- fragt wird. Das finde ich persönlich ziemlich schade “. Gleich acht Schüler geben sinnge- mäß zu Protokoll, dass sie unaufmerksam sind, wenn der Unterricht aus ihrer Sicht lang- weilig ist. Es lässt sich insgesamt eine unterschiedliche Wahrnehmung bzw. falsche Selbstreflektion seitens der Schüler konstatieren. Für eine Kollegin ist der Sachverhalt klar: „ Unterschiedliche Verhaltensmuster sind im täglichen Unterricht das PROBLEM “. Insbesondere fehlende Unterrichtsmaterialien bei einigen Schülern, welche zum Ärger des Kollegiums wiederholt im Abfall zu finden waren, erschwerten den Unterricht unge- mein. Die angedeuteten unterschiedlichen Verhaltensmuster sind auch im Sportunterricht zu erkennen. Es bedarf in allen Bewegungsfeldern oftmals der individuellen Ansprache und Motivationsmaßnahmen zur Steigerung bzw. Aufrechterhaltung der Bereitschaft. Es fällt weiterhin auf, dass die Schüler insbesondere in Ballsportarten, Wettbewerben und bei unbekannten Bewegungsaufgaben ungemein motiviert sind. Hierüber könnte ein guter Zugang zu den anstehenden Bewegungsaufgaben erfolgen.
Insgesamt kann ein mangelndes Aufmerksamkeitsverhalten resümiert werden. Hingegen besteht hinsichtlich der motorischen Eingangsvoraussetzungen kein Defizit. Sämtliche Bewegungen im Rahmen des Life Kinetik®-Trainings können von den Schülern mutmaß- lich ohne weitere Differenzierungsmaßnahmen ausgeführt werden. Der für maximal 25 Schüler vorgesehene Unterrichtsraum bietet genug Platz zum Ausüben von Trainingsü- bungen. Außerdem befindet er sich direkt am Zugang zum Pausenhof. Life Kinetik®- spezifisches Material liegt der Schule nicht vor.
4 Inhaltliche und methodische Konzeptentscheidungen
In diesem Kapitel sollen die auf Basis der bisherigen theoretischen Auseinandersetzun- gen auserwählten inhaltlichen und methodischen Konzeptentscheidungen begründet dar- gestellt werden.
4.1 Inhaltliche Konzeptentscheidungen
Dieser Punkt befasst sich zunächst mit dem Aufbau der Übungseinheiten sowie einer be- gründeten Auswahl der Inhalte. Darüber hinaus soll der eingesetzte Test zur Wirksam- keitsüberprüfung des Konzepts vorgestellt werden.
4.1.1 Aufbau der Übungseinheiten
Die Life Kinetik®-Einheiten gliedern sich gemäß des Konzepts in die drei Teile Aufwär- men, Hauptteil und Abwärmen (Lutz, 2016, S. 38ff.). Anders als im Sport, in welchem die Anregung des Herz-Kreislauf-Systems anvisiert ist, dient das Aufwärmen in diesem Fall primär zur Vorbereitung des Gehirns auf die kommenden Aufgaben. Dabei werden die bereits bestehenden Synapsen aktiviert und die Durchblutung angeregt (ebd., S. 38). Für dieses Vorhaben sieht Lutz (ebd., S. 39f.) vier Übungen9 vor. Es handelt sich um die Akti- vierungen „Logikschalter“, „Gefühlsschalter“, „Datenschalter“ sowie „Brille“. Im Rahmen dieses Konzepts sollen diese zu gleichen Anteilen durchgeführt werden. Es ist davon auszugehen, dass diese Entscheidung aufgrund der Neuartigkeit und Abwechslung zu einer erhöhten Motivation und Bereitschaft der Schüler beiträgt sowie einer drohenden Monotonie bzw. Langeweile vorbeugt. Das ist insofern wichtig, da gemäß der durchge- führten Bedingungsanalyse (vgl. 3) ein möglicher Verlust der Aufmerksamkeit bereits zu Beginn der Trainingseinheit den Life Kinetik®-Effekt schwächen könnte. Aus denselben Gründen wird das Abwärmen, welches darauf abzielt, „ die neu geschaffenen Verbindun- gen zu festigen, gegebenenfalls die Gedanken zu ordnen und so das Schlauwerden zu unterstützen “ (ebd., S. 41), analog variierend erfolgen. Die drei für diesen Zweck ausge- wiesenen Übungen10 „Zwicker“, „Stirntasten“ und „Verknüpfer“ sollen demgemäß eben- falls annähernd mit gleichem Anteil durchgeführt werden. In dem dazwischen liegenden Hauptteil führen die Schüler, jeweils zwei Mal, vier verschiedene Übungen durch. Der Fokus liegt stets auf der Beachtung der wesentlichen Merkmale des Trainingsprogramms (vgl. 2.2.1 / 2.2.2). Von der Einführung neuer Übungen zu jeder Einheit wird abgesehen. Stattdessen soll jede Übung, insbesondere in der zweiten Einheit, auf einem relativ hohen Schwierigkeitsgrad variiert werden. Die dadurch intensivere gedankliche Auseinanderset- zung soll die Dopaminausschüttung verstärken. Ein möglicher Motivationsverlust durch diese Entscheidung ist nicht zu erwarten. Vermutlich tritt sogar eher das „Schaffen- Wollen“-Gefühl und damit das Gegenteil ein. Im kommenden Abschnitt werden die Übun- gen begründet vorgestellt.
4.1.2 Auswahl der Übungen im Hauptteil
Inhaltlich wurde bei der Auswahl der Übungen darauf geachtet, dass alle Basiskomplexe (vgl. 2.2.1) implementiert werden und der Schwierigkeitsgrad der Übungen permanent steigt. Die Bewegungsbasis jeder Übung ist dabei sehr einfach und sollte von allen Schü- lern problemlos durchgeführt werden können. Aus der Bewegungsbasis heraus müssen die Schüler auf Zuruf von Zahlen, Farben, Städten, Namen etc. Bewegungen entspre- chend ihrer namentlichen Zuweisung vollführen. Daneben wurden vier weitere Aspekte berücksichtigt: Alle Übungen sollten theoretisch im Klassenraum durchführbar sein, ein aufwendiges Umstellen der Stühle und Tische sollte vermieden werden, der Materialauf- wand sollte gering sein und die Übungen sollten den Schülern möglichst viel Spaß berei- ten. Insbesondere der letzte Punkt war für eine motivierte Durchführung sehr wichtig. Auf- grund des Einsatzes im Sportunterricht in dieser Lerngruppe kannte der Verfasser bereits diverse Präferenzen der Schüler und konnte daher eine vermutlich geeignete Auswahl treffen, die in Tabelle 1 überblicksartig zusammengefasst ist:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Übersicht der gewählten Übungen
Fingerspiele 11 /Handkompass
Hierbei handelt es sich um Aufgaben mit sehr geringem Bewegungsausmaß. Sie betref- fen lediglich die Hände und Finger. Die Übungen eignen sich deshalb gut für die erste Durchführungswoche des Life Kinetik®-Trainings, da vermeintlich einfache Bewegungs- aufgaben das Gehirn bereits derart beanspruchen, dass die Schüler kognitiv hochgradig angeregt werden. Für diejenigen Schüler, die das Life Kinetik®-Programm unterschätzen, entsteht vermutlich ein Gefühl der Herausforderung. Theoretisch kann man diese Übun- gen mit verschiedenen zyklischen Ausdauersportarten (z. B. Gehen oder Laufen) kombi- nieren (Lutz, 2017, S. 84ff.). Darauf wird aufgrund der räumlichen Eingeschränktheit so- wie einer möglichen Überforderung verzichtet. Gleichseitige Bewegungen und Überkreuzbewegungen
In dieser Übungsreihe werden alle Gehirnareale (gemäß des synaptischen Modells) (vgl.
2.2.1) beansprucht. Dabei werden verschiedene Arm- und Beinbewegungen nacheinan- der oder analog zueinander gleichseitig bzw. überkreuz ausgeführt. Die unzähligen Varia- tionsmöglichkeiten bieten ein breites Spektrum an Schwierigkeitsgraden und fordern das Gehirn besonders. Das hohe Bewegungsausmaß katalysiert zudem den Prozess der Neurogenese (vgl. 2.2.1) und erhöht voraussichtlich den Spaßfaktor immens (ebd., S. 46f.).
Parallelball
„ Diese Übung ist ein Paradebeispiel dafür, wie methodisch gezielt alle drei Gehirndimen- sionen in eine zu Beginn sehr einfach anmutende Übung eingebaut werden können “ (ebd., S. 64). Die Bewegungsbasis, das 20-30cm Hochwerfen von kleinen Bällen und das Auffangen mit der offenen Hand, stellt die Schüler aufgrund ihrer motorischen Eingangs- voraussetzungen (vgl. 3) vor keinerlei Probleme. Die Hinzunahme weiterer Anforderun- gen, z. B. das Auffangen überkreuz, das Auffangen mit geschlossener Hand, ein paralle- les Springen mit Landungen überkreuz, in Schrittstellung oder mit gespreizten Beinen, generiert diverse Steigerungsmöglichkeiten. Dementsprechend können mit einfachen Veränderungen alle drei Gehirndimensionen schnell und intensiv angesteuert werden (ebd., S. 64ff.; Wigand, 2016, S. 18). Aufgrund des Einsatzes von Bällen wird eine hohe Motivation erzielt, da die Schüler bekanntermaßen gerne Ballsportarten ausüben.
Ba lltanz
In dieser Übungsreihe steht neben den gängigen Kennzeichen von Life Kinetik® das Ar- beiten im Tandem mit Bällen im Vordergrund. Aufgrund dessen ist ein noch höherer Spaßfaktor zu erwarten, der die Motivation zusätzlich steigern kann. Bei der Bewegungs- basis stehen die Partner ca. fünf Meter auseinander und werfen sich einen Ball zu. In der Folge werden sukzessive gleich- und gegenseitige Bein- und Armbewegungen beim Ab- wurf oder Fangen hinzugefügt. Es entstehen lustige, teils hektische an Tanzschritte erin- nernde, Bewegungen (Lutz, 2017, S. 76ff.; Wigand, 2016, S. 18). Die Übung wurde auch deshalb am Schluss durchgeführt, da sie einen geeigneten Abschluss der Life Kinetik®- Einheit darstellt. Sie kombiniert vielfältige Bewegungen und ist gewissermaßen eine Mi- schung aus den vorigen beiden Trainingsübungen.
[...]
1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird nachfolgend lediglich der männliche Terminus angewandt.
2 Eine ausführliche Differenzierung nach den Dimensionen ist nicht zielführend und erfolgt daher nicht.
3 Das fiktive, anatomisch nicht begründbare Modell wird von Lutz (2010, S. 32) deshalb herangezogen, da es übersichtlich zeigt, welche Körperteile durch welche Hirnregionen beeinflusst werden.
4 Außer mir sind in dieser Klasse nur feminine Lehrkräfte tätig.
5 s. Anlage 1
6 s. Anlage 2
7 s. Anlagen 3/4
8 s. Anlagen 5/6
9 s. Anlage 7
10 s. Anlage 8
11 Da die Vorgehensweise im Hinblick auf das Erhöhen des Schwierigkeitsgrads in allen Übungen grundsätz- lich ähnlich ist, wird der Ablauf bei der Übung „Fingerspiele“ in Anlage 9 ausführlich dargestellt. Hingegen werden für die weiteren Trainingsübungen der Vollständigkeit halber lediglich die Bewegungsbasis und die Basisübung beschrieben (s. Anlage 10).