Vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit einer Bildanalyse des Fotos "Mob Attack" des Fotographen Greg Marinovic.
Ziel ist es, die Fotografie Marinovichs hinsichtlich ethischer Problematiken zu untersuchen. Allerdings gibt das Verhalten des Fotografen in der konkreten Situation der Produktion des Fotos lediglich den Anstoß zur Diskussion: in ihrem Zentrum steht die kritische Reflektion der Sinngehalte, die das Bild vermittelt. Hilfsmittel dieser Untersuchung ist dabei eine in drei Abschnitte gegliederte Bildanalyse.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Bildanalyse
2.1. Ikonik
2.2. Rezeptionsästhetik
3. Kontexteinbindung
3.1. Historischer Kontext
3.2. Medialer Kontext
4. Ethische Problematiken
4.1. Bildproduktion
4.2. Bildreproduktion und -publikation
5. Resümee
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das südafrikanische Kriegsfotografenkollektiv mit dem ironisch-makabren Namen „Bang Bang Club“ erregte mit Bildern afrikanischer Unruhen oder Katastrophensituationen vor allem zu Beginn der 90er Jahre weltweit Aufmerksamkeit. Spätestens seit die Fotografie des verhungernden sudanischen Mädchens vor dem Geier von Kevin Carter mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde, erlangte die Gruppe traurigen Weltruhm. Vor Kurzem wurde erneut ein Bild des Fotografen Greg Marinovich – einer der beiden Überlebenden des „Clubs“ – der Unruhen in Südafrika vor dem Ende der Apartheid im „The Guardian“ abgedruckt. Das Foto mit dem Titel „Mob Attack“ zeigt eine Gruppe schwarzer Männer, die mit Stäben, Stöcken und Besen auf einen am Boden liegenden, ebenfalls schwarzen Mann einschlagen. Der kurze Text, der neben dem Bild platziert ist, zitiert Marinovich aus dessen Autobiographie „The Bang Bang Club. Snaphots from a hidden war“. Darin äussert er Reue nicht eingegriffen und versucht zu haben, das Leben des Opfers zu retten. Das Bedauern, den tödlichen Angriff geschehen lassen zu haben, soll dieser Arbeit als Ausgangspunkt dienen, die Fotografie Marinovichs hinsichtlich ethischer Problematiken zu untersuchen. Allerdings gibt das Verhalten des Fotografen in der konkreten Situation der Produktion des Fotos lediglich den Anstoß zur Diskussion: in ihrem Zentrum steht die kritische Reflektion der Sinngehalte, die das Bild vermittelt. Hilfsmittel dieser Untersuchung ist dabei eine in drei Abschnitte gegliederte Bildanalyse. Diese wird sich zunächst mit der konkreten, bildimmanenten Bedeutung befassen, anschließend das Foto in seinen historischen und medialen Kontext einbinden, um schließlich das Gefühl der Reue Marinovichs als Ausgangspunkt heranzuziehen in einer abschließenden Synthese die ethische Problematik des Fotos zu verhandeln.
2. Bildanalyse
Als Artefakt immer schon als Hilfs instrument der qualitativen Sozialforschung anerkannt, findet die Bildanalyse als Zentrum einer sozialwissenschaftlich orientierten Forschung wenig Beachtung.1 Methoden der sozialwissenschaftlichen Bildanalyse beziehen sich entweder auf Bourdieus Habitus Begriff, der das Einzelbild als Ausdruck einer sozialen Tatsache, die einen weitaus größeren Kontext betrifft, unterordnet, oder aber zerlegen es in seine kleinsten Einzelelemente, wie es die Segmentanalyse praktiziert.2 In dieser Arbeit soll ein Mittelweg gefunden werden, indem die einzelne Fotografie als fixiertes Relikt einer einzigartigen Zeit-Raum-Konstellation anerkannt wird und sowohl bildimmanente Bedeutungen, als auch der Rahmen, innerhalb dessen das Bild entstanden und einzuordnen ist, reflektiert werden soll. Dabei folge ich dem Beispiel einer Bildanalyse von Jürgen Raab, der sich Methoden der kunstwissenschaftlichen Bildanalyse – Erwin Panofskys Ikonologie und Max Imdahls Ikonik – bedient.3 Mittels der Praktik der Ikonik nach Imdahl werden zunächst „durch Erfahrungen und Anschauung am Bild selbst gewonnene[] Hypothese[n]“4 erarbeitet, die anschließend mit einem „Wissenskontext“5 abgeglichen werden. Die ikonische Analyse schließt dabei eine Segmentierung des Bildes nicht aus, jedoch können inhärente Dynamiken und Leerstellen besser hervorgehoben werden, als es bei einer reinen Segmentanalyse der Fall wäre.
2.1. Ikonik
Max Imdahls Ikonik stellt eine Analyse der formalen Gegebenheiten des zu interpretierenden Bildes in den Mittelpunkt. Sich auf Konrad Fiedler beziehend unterscheidet er zwischen einem „sehenden Sehen“, welches einer reinen Gegenstandsidentifikation, dem „wiedererkennenden Sehen“, vorgelagert ist.6 Imdahl negiert nicht die entscheidende Rolle, die Vorwissen und Identifizierung von Bildelementen für die Deutung eines Bildes spielen.7 Er betont jedoch, dass einer solchen kulturellen Einordnung die Untersuchung der Komposition und Form des Bildes vorausgehen sollte, um tiefergehende Bedeutungszusammenhänge des Bildes ausmachen zu können.8
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 Abbildung 1: Die Fotografie "Mob Attack" von Greg Marinovich
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Das Schwarzweiß-Foto Marinovichs zeigt eine Gruppe schwarzer Männer, die gerade dabei sind, mit Stöcken bewaffnet auf einen am Boden liegenden schwarzen Mann einzuschlagen. Der Misshandelte bildet dabei das Zentrum des Bildes, fast exakt im Mittelpunkt des Fotos müsste sich sein Kopf – verdeckt von der Schulter aufgrund der Perspektive – befinden (in Abbildung 2 als weißer Kreis markiert). Verlängert und verbindet man die linienhaften Stöcke der Männer, ergeben sie eine große, dreieckige Fläche, die den Gestürzten umrandet und zugleich von den anderen stehenden Männern isoliert (Abbildung 3). Das Zentrum des Bildes steht somit im Kontrast zu dem restlichen ihm umgebenden Raum: es bildet eine fast leere Fläche innerhalb des von unterschiedlichen Bildelementen (Personen, ein Haus, Stöcke, Bäume) nahezu ausgefüllten Rahmens. Der Körper des Liegenden bildet die einzige Ausnahme, jedoch ist sein Gesicht nicht zu sehen.
Die durch den Auslöser des Apparats eingefrorenen Schlagbewegungen betonen die jedem Bild inhärente „Doppelaspektivität von Simultaneität und Sukzession“9 des Fotos. Einerseits fixiert die Fotografie durch die Isolierung der Aktion in Form eines Einzelbildes den Moment: zu sehen ist nicht, wie die Stöcke in den Händen der Männer ruhen oder aber wie sie den Körper des Opfers treffen, sondern sie bleiben für immer erstarrt in dem Moment der Ausholbewegung, des Punktes zwischen „noch nicht“ und „nicht mehr“. Andererseits ist sehr wohl ein zeitliches Voranschreiten auszumachen: die vier in Abbildung 4 markierten Stäbe befinden sich nicht in derselben Position, sondern scheinen wie isolierte Teile einer ganzheitlichen Bewegung jeweils ein unterschiedliches Stadium darzustellen: Der ganz rechte Stock ruht, links im Vordergrund wird gerade ausgeholt, der Kamera gegenüber befindet sich der Stab schon in einer Abwärtsbewegung und auf der mittleren Ebene der linken Bildhälfte ist ein Stock kurz davor den liegenden Körper zu treffen. Auf der Ebene der Komposition findet man also den (vermutlich) reglosen Körper isoliert in der Mitte und umringt von Personen vor, die alle mit einer ähnlich Bewegung gerade dabei sind, diesen zu verletzen.
2.2. Rezeptionsästhetik
Bezieht man nun die Betrachterperspektive mit ihn die Bildanalyse ein, ergibt sich eine neue Konstellation: der Fotograf beziehungsweise der Betrachter des Fotos ist Teil der das Opfer umringenden Gruppe: die beiden vordersten Personen jeweils links und rechts verdecken nicht den Blick, sondern im Gegenteil, inkludieren den Betrachter in den Kreis der Angreifer. Die Kamera fotografiert den am Boden-Liegenden aus einer Obersicht, der Rezipient blickt den Tätern gleich auf das Opfer herunter.
An dieser Stelle bietet es sich an, das Bild auf seine rezeptionsästhetischen Bedingungen zu untersuchen. Wolfgang Kemp unterscheidet die Beziehung zwischen Werk und Rezipient in „(äußere[]) Zugangsbedingungen und (innere[]) Rezeptionsvorgaben“10. Unter ersterem versteht er den Kontext, innerhalb dessen der Betrachter in Kontakt mit dem Bild kommt. Dieser Aspekt wird zunächst ausgeklammert, da er im Kapitel „Kontexteinbindung“ erläutert werden wird. Zunächst soll der Fokus auf den bildinternen Mitteln, welche die Kommunikation zwischen Werk und Betrachter evozieren, liegen. Kemp fragt danach, wie die Betrachtersituation bereits im Werk angelegt ist, das heißt wie das Werk vorgibt, rezipiert zu werden.11 Im Fall von „Mob Attack“ wird der Betrachter deutlich in das Bildgeschehen integriert. Die beiden Angreifer, jeweils links und rechts im Vordergrund, funktionieren dabei als Vermittler zwischen Rezipient und dem auf dem Bild zu sehenden Angriff. Kemp erklärt, dass solche Rezeptionsfiguren den Betrachter „zum Geschehen hinlenken, ihm ihre Sichtweise antragen, ihn in ihre Reihen aufnehmen“12. Sie produzieren dadurch den Effekt, ihre Perspektive auf die des Betrachters zu übertragen.13 Bei dem vorliegenden Bild wird der Rezipient so zum virtuellen Mittäter, indem ihm das Verhalten der ihm am nächsten positionierten Figuren als Rezeptionsvorlage dient.
3. Kontexteinbindung
Die durch die konkrete Bildanalyse erlangten Kenntnisse, sollen im Folgenden mit dem historischen und medialen Kontext des Fotos in Verbindung gebracht werden.
3.1. Historischer Kontext
Das Bild „Mob Attack“ wurde während einer Phase, in der das Ende der Apartheid in Südafrika spürbar war, aufgenommen. Der Fotograf Gerg Marinovich gehörte zu dem Zeitpunkt einem Kollektiv an, das aus insgesamt vier weißen südafrikanischen Kriegsfotografen bestand. Aufsehen erregte dieses besonders durch die Dokumentation der schwarz-schwarzen Konflikte zu Beginn der 90er Jahre in Südafrika kurz vor den ersten demokratischen Wahlen. Die damalige politische Situation lässt sich nicht als einfacher Dualismus in Form eines Rassenkampfs zwischen weiß und schwarz abhandeln, betont Annie E. Coombes.14 Marinovich und seine Kollegen dokumentierten vor allem den blutigen Kampf zwischen dem linken Afrikanischen Nationalkongress (ANC) unter der Führung Nelson Mandelas und Zulukriegern, die der „Inkatha-Bewegung“ angehörten – ein Konflikt zwischen Schwarzafrikanern, in dem Weiße nur indirekt beteiligt waren. Der damalige Zulu-Häuptling Mangosuthu Gatsha Buthelezi fühlte sich durch die wachsende Macht des ANCs und die Aussicht auf einen Autonomieverlust durch ein stark zentralisiertes Südafrika bedroht und stachelte seine Anhänger zu der Verteidung der „Inkatha-Bewegung“ an.15
Der Erzbischof von Kapstadt, Desmond M. Tutu, stellt im Vorwort zu Marinovichs und da Silvas eigener Darstellung ihrer fotojournalistischer Arbeit in dem Buch „The Bang Bang Club“ die Vermutung an, dass der Konflikt innerhalb der schwarzen Bevölkerung Südafrikas vielmehr politisches Instrument der weißen Regierung war als tatsächliche Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden involvierten Parteien. Auch der Historiker und Sozialwissenschaftler Albrecht Hagemann geht davon aus, dass der weiße Sicherheitsapparat inoffiziell die Inkatha-Bewegung unterstützte, um die Macht des ANCs zu schwächen.16 Tutu konkretisiert diesen Vorwurf indem er postuliert, dass die Regierung bewusste Eskalationen provozierte, indem es unbeteiligten Männern den Auftrag gab, innerhalb des kritischen Gebiets Anschläge auszuüben (darauf bezieht sich im folgenden Zitat die Bezeichnung „drive-past-shooting“).17 Auf diese Aktionen reagierte die betroffene Gruppe jeweils wie erwartet mit Angriffen auf den Gegner. Tutu erklärt seine These folgendermaßen:
[...]
1 Vgl. Roswitha Breckner 210. Sozialtheorie des Bildes. Zur interpretativen Analyse von Bildern und Fotografien. Bielefeld: transcript. 9.
2 Vgl. ebd. und Jürgen Raab und Jürgen Raab 2010. „Visuelle Wissensoziologie der Fotografie. Sozialwissenschaftliche Analysearbeit zwischen Einzelbild, Bildkontexten und Sozialmilieu“. Österreichische Zeitschrift für Soziologie, 37: 121-142.
3 Vgl. Jürgen Raab 2010. „Visuelle Wissensoziologie der Fotografie. Sozialwissenschaftliche Analysearbeit zwischen Einzelbild, Bildkontexten und Sozialmilieu“. Österreichische Zeitschrift für Soziologie, 37: 121-142.
4 Ebd.: 126.
5 Ebd.: 126.
6 Max Imdahl 1988. Giotto – Arenafresken: Ikonographie, Ikonologie, Ikonik. München: Fink. 89.
7 Vgl. ebd.: 91.
8 Vgl. ebd.: 91f.
9 Jürgen Raab 2010. „Visuelle Wissensoziologie der Fotografie. Sozialwissenschaftliche Analysearbeit zwischen Einzelbild, Bildkontexten und Sozialmilieu“. Österreichische Zeitschrift für Soziologie, 37: 130.
10 Wolfgang Kemp 2003. „Kunstwerk und Betrachter: Der rezeptionsästhetische Ansatz.“ In: Hans Belting [u.a.] (Hg.): Kunstgeschichte. Eine Einführung. 7. überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin: Reimer: 251.
11 Vgl. ebd.: 253.
12 Ebd.: 254.
13 Vgl. ebd.: 253f.
14 Annie E. Coombes 2003. History after Apartheid. Visual Culture and public memory in a democratic South Africa. Durham & London: Duke University Press: 2.
15 Vgl. Albrecht Hagemann 2003. Kleine Geschichte Südafrikas, 2. durchgesehene Auflage. München: Beck: 102.
16 Ebd.: 102.
17 Vgl. Desmond M.Tutu 2000. Vorwort. In: Marinovich, Greg/ Silva João(Hg.): The Bang Bang Club. Snapshots From A Hidden War. New York: Basic Books: X.