Die organisationale Pfadforschung stellt derzeit eines der bedeutendsten und mit der größten Aufmerksamkeit versehenen Felder innerhalb der Organisationsforschung dar. Die Pfadabhängigkeitstheorie liefert dabei einen wichtigen Erklärungsansatz zu Entwicklungen von Prozessen und Dynamiken auf verschiedenen Betrachtungsebenen der Organisationen und interorganisationalen Zusammenhänge, wie bspw. Netzwerke oder ganze Branchen. Schwerpunkte in der Pfadforschung liegen hierbei vor allem auf der Erklärung, wie Pfade entstehen und welche Auswirkungen dies für die Betroffenen hat und in letzter Zeit als Anspruch der Pfadabhängigkeitstheorie als eine handlungsleitende Theorie zudem darauf, welche Auswege es gibt, um aus diesen Pfad auszubrechen. Der Pfad beschreibt dabei ein (im Nachgang) zu beobachtendes Phänomen, wie sich strukturelle und strategische Prozesse, die zu Beginn noch eine Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten aufweisen, durch die Eintritte von bestimmten Ereignissen und das damit im Zusammenhang stehende Herausbilden von bestimmten Umständen zu einem einzigen Pfad entwickeln, der sich durch Trägheit und Persistenz auszeichnet. Diese Persistenz der Pfade stellt sich als die herausgebildete, stabile Lösung in einem bestimmten Entwicklungsprozess dar, welche selbst bei sich verändernden Kontexten in dem Bereich beibehalten wird und sich somit als beobachtbare Inflexibilität zeigt. Dieses Verharren wird durch die Pfadtheorie im Wesentlichen durch die zuvor stattgefundenen „selbstverstärkenden Effekte“ erklärt, auf die diese Trägheit zurückzuführen ist. Dabei entstammt die Pfadforschung originär nicht direkt der Organisationsforschung. Vielmehr wurden zu Beginn in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts zunächst technologische Prozesse untersucht und dann eine Übertragung auf Institutionen und schließlich Organisationen vorgenommen. Hier fand eine Ausweitung auf vor allem strategische Prozesse statt, indem Ansätze und Modelle zu Pfadentwicklungen geschaffen wurden, um so methodische Untersuchungen zu diesen Vorgängen zu ermöglichen.
Inhaltsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Problemerarbeitung
1.2 Zielstellung, Forschungsfrage und Vorgehensweise
2 Theorie der Pfadabhängigkeit
2.1 Begrifflichkeit der Pfadabhängigkeit
2.2 Pfadabhängigkeit im Rahmen der Technologieforschung
3 Organisationale Pfadabhängigkeit
3.1 Pfade bei Institutionen und Organisationen
3.2 Bezug zu den Organisationstheorien
4 Veranschaulichung organisationaler Pfadabhängigkeit anhand des Phasenmodells der Pfadabhängigkeit in Organisationen
4.1 Das Phasenmodell zur Erklärung des Prozesses der Pfadabhängigkeit
4.2 Beispiel der Pfadabhängigkeit in der Automobilindustrie
5 Auswege aus der organisationalen Pfadabhängigkeit
6 Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Das Phasenmodell der organisationalen Pfadabhängigkeit nach Sydow, Schreyögg & Koch
Abbildung 2: Die neun Indikatoren des Phasenmodells organisationaler Pfadabhängigkeit
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Abgrenzung des Konzepts der organisationalen Pfadabhängigkeit zu verwandten Konzepten
1 Einleitung
1.1 Problemerarbeitung
Die organisationale Pfadforschung stellt derzeit eines der bedeutendsten und mit der größten Aufmerksamkeit versehenen Felder innerhalb der Organisationsforschung dar.[1] Die Pfadabhängigkeitstheorie liefert dabei einen wichtigen Erklärungsansatz zu Entwicklungen von Prozessen und Dynamiken auf verschiedenen Betrachtungsebenen der Organisationen und interorganisationalen Zusammenhänge, wie bspw. Netzwerke oder ganze Branchen.[2] Schwerpunkte in der Pfadforschung liegen hierbei vor allem auf der Erklärung, wie Pfade entstehen und welche Auswirkungen dies für die Betroffenen hat und in letzter Zeit als Anspruch der Pfadabhängigkeitstheorie als eine handlungsleitende Theorie zudem darauf, welche Auswege es gibt, um aus diesen Pfad auszubrechen.[3] Der Pfad beschreibt dabei ein (im Nachgang) zu beobachtendes Phänomen, wie sich strukturelle und strategische Prozesse, die zu Beginn noch eine Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten aufweisen, durch die Eintritte von bestimmten Ereignissen und das damit im Zusammenhang stehende Herausbilden von bestimmten Umständen zu einem einzigen Pfad entwickeln, der sich durch Trägheit und Persistenz auszeichnet.[4] Diese Persistenz der Pfade stellt sich als die herausgebildete, stabile Lösung in einem bestimmten Entwicklungsprozess dar, welche selbst bei sich verändernden Kontexten in dem Bereich beibehalten wird und sich somit als beobachtbare Inflexibilität zeigt.[5] Dieses Verharren wird durch die Pfadtheorie im Wesentlichen durch die zuvor stattgefundenen „selbstverstärkenden Effekte“ erklärt, auf die diese Trägheit zurückzuführen ist.[6] Dabei entstammt die Pfadforschung originär nicht direkt der Organisationsforschung. Vielmehr wurden zu Beginn in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts zunächst technologische Prozesse untersucht und dann eine Übertragung auf Institutionen und schließlich Organisationen vorgenommen.[7] Hier fand eine Ausweitung auf vor allem strategische Prozesse statt, indem Ansätze und Modelle zu Pfadentwicklungen geschaffen wurden, um so methodische Untersuchungen zu diesen Vorgängen zu ermöglichen.[8]
1.2 Zielstellung, Forschungsfrage und Vorgehensweise
Diese Thematik aufgreifend, setzt sich die Ausarbeitung mit der Zielstellung auseinander, wie die Entstehung und die Entwicklung organisationaler Pfadabhängigkeiten unter Zugrundelegung des wissenschaftlichen Kenntnisstandes erklärt und welche Auswege in der aktuellen wissenschaftlichen Forschung diskutiert werden. Demnach ergibt sich die leitende Forschungsfrage wie folgt: Welche wissenschaftlichen Ansätze werden vorrangig genutzt, um die Entstehung und der Entwicklung von organisationalen Pfadabhängigkeiten erklären zu können und welche Möglichkeiten der Auswege kann die aktuelle wissenschaftliche Forschung aus diesen Pfadabhängigkeiten aufzeigen?
Zur Beantwortung dieser zusammengesetzten Forschungsfrage und zur Erreichung der Zielstellung wird im Rahmen dieser wissenschaftlichen Ausarbeitung als Methodik eine Literaturanalyse der einschlägigen, kontemporären wissenschaftlichen Fachbeiträge vorgenommen. Dabei gliedert sich die thematische Vorgehensweise wie folgt: Zunächst wird dargelegt (Kapitel 2), wie sich der Ursprung der Theorie der Pfadabhängigkeit erklären lässt. Dieser bildet die Basis der organisationalen Pfadabhängigkeitstheorie, die im darauffolgenden Kapitel (Kapitel 3) dahingehend analysiert wird, wie sie auf die Objekte der Organisationen bezogen wird und wie sie in die wirtschaftswissenschaftliche Disziplin der Organisationsforschung eingebunden ist. Den Schwerpunkt der Ausarbeitung (Kapitel 4) bildet das Phasenmodell zur organisationalen Pfadabhängigkeit als wesentlichen Ansatz zur Erklärung. Daran anknüpfend wird zur Veranschaulichung ein Beispiel aus der Unternehmenspraxis zur Entstehung und Entwicklung organisationaler Pfade und deren Auswirkungen gegeben. Gleichfalls wird mit diesem Beispiel die Verknüpfung zur Diskussion gezogen, um mögliche Auswege von diesen Situationen der Pfadabhängigkeiten, welche anhand des wissenschaftlichen Forschungsstands herausgebildet und präsentiert werden und wodurch das zuvor vorgestellte Phasenmodell „weitergedacht“ wird (Kapitel 5). Die so gewonnenen Erkenntnisse werden im Fazit (Kapitel 6) zusammengefasst, um die eingangs aufgeworfene, mehrteilige Forschungsfrage abschließend zu beantworten.
2 Theorie der Pfadabhängigkeit
Die Wirtschaftswissenschaften und auch andere wissenschaftliche Disziplinen der Sozialwissenschaften setzen sich bereits seit mehreren Jahrzehnten mit der Theorie der Pfadabhängigkeit auseinander. Allerdings begannen diese wissenschaftliche Auseinandersetzung zunächst nicht auf der Ebene der Organisationen bzw. Unternehmen, sondern vielmehr im Bereich der Technologieentwicklungen und deren Prozesse.[9] Hier sind vor allem Arthur und David anzuführen, die seit den 70ern und im Schwerpunkt Mitte der 80er Jahre Phänomene untersuchten und deren Beiträge heutzutage als wichtige Ursprünge der wissenschaftlichen Forschung auf diesem Gebiet gesehen werden.[10]
2.1 Begrifflichkeit der Pfadabhängigkeit
Pfadabhängigkeit ist eine Theorie, die hilft zu erklären, wie Trägheit von strukturellen und strategischen Prozessen zustande kommt.[11] Die Theorie der Pfadabhängigkeit erklärt stabile Phänomene über den Zeitraum hinweg als Resultat eines historischen Prozesses (in den wissenschaftlichen Beiträgen unter dem Schlagwort „history matters!“ oft angeführt) mit bestimmten charakteristischen Merkmalen.[12]
Die grundlegende Frage, die in diesem Zusammenhang gestellt wird, ist dabei – unabhängig von der konkreten Disziplin – gleich: Wie kann erklärt werden, dass sich bestimmte Lösungen, sei es im technologischen, im strategischen oder im rechtlichen Bereich, im Zeitverlauf durchsetzen und darüber hinaus verhärten, sodass diese auch bei veränderten Kontexten, z. B. bei Innovationen und Wandel, erhalten bleiben und bei ihnen verharrt wird und dadurch in der objektiven Betrachtung ineffizient werden?[13]
Als Antwort auf diese immer wieder zu beobachtenden Phänomene wurde die Pfadtheorie erstellt. Diese sagt im Kern hierzu aus, dass dieses Verharren und die damit zusammenhängende Trägheit auf selbstverstärkende Effekte zurückzuführen sind, welche eine Eigendynamik entwickeln und ab einem bestimmten Punkt nicht mehr aufzuhalten sind.[14] Dadurch entwickeln sich für die betroffenen Subjekte die Abhängigkeiten, da sie nicht ohne weiteres aus diesen Pfadprozessen ausbrechen können.[15] Zuvor wurden in der neoklassischen Theorie Ineffizienzen für die hier beschriebenen Prozesse angenommen.[16]
Allgemein bezeichnet nach David die Pfadabhängigkeit die Dynamik von ökonomischen Allokationsprozessen, die (aus Marktsicht) nicht in einem Optimum enden müssen.[17] Vielmehr beharren sie aufgrund bestimmter Ursachen (siehe weiter unten) in diesem Pfad, was als Persistenz bezeichnet wird, und zeichnen sich durch eine Inflexibilität aus.[18] Die Persistenz allein ist jedoch noch keine Begründung und Abgrenzung zu anderen, z. T. ähnlichen Prozessen. Hierzu ist es notwendig, die Gründe der Inflexibilität pfadabhängiger Prozesse zu betrachten.
2.2 Pfadabhängigkeit im Rahmen der Technologieforschung
Ein immer wieder herangezogenes Beispiel zur einführenden Erläuterung – und zugleich u. a. die Basis der beschriebenen Forschungen von David als auch von Arthur – ist das „QWERTY-Beispiel“.[19] Dieses Beispiel erläutert, wie sich die auch heutzutage noch bekannte Anordnung der Buchstaben (auf der deutschen Tastatur „QWERTZ“) einer gewöhnlichen Tastatur als entwickelter technologischer Pfad in ihrer Durchsetzung und Beibehaltung über nunmehr über hundert Jahre hinweg erklären lässt.[20] Ursprünglich war die Anordnung auf den ersten Schreibmaschinen im 19. Jahrhundert ein technischer Grund: Bei den ersten Schreibmaschinen verhakten sich die mechanischen „Buchstabenärmchen“ noch oftmals. Die Anordnung der Buchstaben nach dem bekannten Aufbau wurde demnach vorgenommen, um die Häufigkeit dieser Verhakungen und damit der notwendigen Eingriffe zur Wiederherstellung der Funktionalität zu verringern, indem sich diese mechanischen Ärmchen möglichst wenig durch die zu tippende Buchstabenfolge behinderten.[21] Etwa zeitgleich lernten die BedienerInnen das „Zehn-Finger-Schreibsystem“ auf dieser Tastatur. Später, obwohl aus technischen Gründen diese Buchstabenanordnung nicht mehr notwendig gewesen wäre und in Studien festgestellt wurde, dass andere Tastaturanordnungen 20 bis 40 % schneller zu bedienen sind bei entsprechender Schulung, blieb es bis dato bei dieser Tastaturanordnung.[22]
Zu erklären ist dies mit dem Entstehen eines Pfades im Zeitverlauf und der hierdurch resultierenden Abhängigkeit dieses technologischen Prozesses: Da auf den ersten Schreibmaschinen das Zehn-Finger-Schreibsystem (in der Pfadtheorie als auslösendes „small event“, also als „kleines Ereignis“ bezeichnet) erlernt wurde, begann eine zunehmende Nachfrage als positive Rückkopplung nach Schreibmaschinen mit diesen Tastaturen, welche von den Herstellern bedient wurde.[23] Diese Rückkopplung stabilisierte die Entwicklung in der angeschobenen Richtung. Umgekehrt wurden die Kurse zum Erlernen des Zehn-Finger-Schreibsystem wiederum für diese Typen von Tastaturen angeboten, wodurch sie sich als ein selbstverstärkender Effekt herausstellte und weiter diese Tastaturen produziert wurden, obwohl es aus technischer Sicht keine Notwendigkeit mehr gab.[24] Dies ist schließlich als das sogenannte „Lock-in“ zu bezeichnen, da trotz nicht gegebenem Optimum dieses Prozesses dieser Pfad starr bleibt und nicht mehr ohne weiteres verlassen werden kann.[25] Damit wird sich von den Grundannahmen der Mikroökonomie mit den Bildungen ihren pareto-optimalen Gleichgewichten und den neoklassischen Vorstellungen durch das Aufdecken dieser Persistenz abgewendet.[26] Dass es sich hierbei um einen sich entwickelten Pfad handelt, ist in der Rückwärtsbetrachtung erst erkennbar.[27] Hier kann das oben angeführte Merkmal der historischen Betrachtung („history matters“) angeführt werden. Gleichzeitig ist durch diese Nichtvorhersagbarkeit eine der wichtigsten Eigenschaften von pfadabhängigen Prozessen erkannt. Insgesamt werden pfadabhängigen Prozessen die folgenden vier Charakteristika zugeschrieben, die auf die von Arthur Ende der 1980er Jahre als erste formal aufgestellte Theorie zurückzuführen sind:[28]
- Nichtvorhersagbarkeit: Anfangs sind noch multiple Lösungen möglich, wodurch der Endzustand zu Beginn nicht vorhergesagt werden kann.
- Nicht-Ergodizität: Das sich am Ende durchsetzende Marktgleichgewicht bzw. die übrigbleibende Auswahl / Selektion im Wettbewerb ist zwar anfänglich offen, durchläuft aber einen Prozess von verschiedenen (zufälligen), sequenziellen Ereignissen und letztlich kommt es zu einer Schließung dieses Prozesses, der zu dem Endzustand führt. Ebenso sind die Anfangsbedingungen für die sich ergebende Pfadabhängigkeit von Bedeutung (als Historizitäts-Prinzip bezeichnet).
- Inflexibilität: Ab einem bestimmten Zeitpunkt wird der Prozess, der in einem Pfad mündet, irreversibel, ein Wechsel z. B. zu einem alternativen Technologieprozess wird immer schwieriger im Zeitverlauf und ist nicht mehr ohne weiteres möglich. Die Konsequenz ist der „Lock-in“.
- Potenzielle Ineffizienz: Die „small events“ beeinflussen anfänglich und im Weiteren den Pfadverlauf, weshalb nicht die effizientere Prozessauswahl sich ergeben muss, sondern vielmehr ist diese von den Zufälligkeiten und der kumulativen Entwicklung abhängig.
Um Pfade nun von anderen Prozessentwicklungen abzugrenzen, ist – wie oben erwähnt – die Ursache für die Inflexibilität von großer Bedeutung.[29] Hierbei ist das im dem Beispiel oben angeführte Charakteristikum des Auftretens von positiven Rückkopplungen („increasing returns“) zu identifizieren.[30] Diese als selbstverstärkende Effekte anzusehenden, auftretenden Regulationsmechanismen führen dazu, dass bestimmte, auftretende Parameter durch die Beteiligten angenommen werden, was sich in einer weiteren Zunahme und in dessen Folge wiederum in einer weiteren Annahme im Zeitverlauf verstärkt.[31] Diese stellen dann Treiber des Pfadprozesses dar, indem sie für eine Steuerung und eine rekursive Stabilisierung sorgen.[32] Für das QWERTY-Beispiel lassen sich als konkrete Verstärkungseffekte und damit als Ursachen z. B. die Lerneffekte nennen, die im Umgang mit der Tastenanordnung im technologischen Bereich zunächst erzielt wurden, oder auch die Netzexternalitäten, indem ein Zusammenhang zwischen Nutzen und der steigenden Anzahl der Anwender sich ergab.[33]
Durch das Konzept der „increasing returns“ von Arthur können hier – unabhängig von den Technologiepfaden – verschiedene Kategorien der sich selbst verstärkenden Kräfte gebildet werden.[34] Auf diese wird zur besseren Veranschaulichung jedoch erst weiter unten (siehe Kapitel 4) eingegangen.
3 Organisationale Pfadabhängigkeit
Wenngleich die im vorherigen Kapitel skizzierten Forschungen zur Pfadabhängigkeit ebenfalls zu den Wirtschaftswissenschaften zählen, so fand eine Ausdehnung in der Anwendung und Weiterentwicklung der Theorie der Pfadtheorie ebenso auf Institutionen und in der Folgezeit dann auf Organisationen statt.
3.1 Pfade bei Institutionen und Organisationen
Grundüberlegungen zu der Pfadabhängigkeitstheorie zu Technologien wurden parallel zu obigen Forschungen von David bereits von ihm sowie von North und Arthur für den Bereich der Institutionen vorgenommen.[35] Neben dem Einfluss von technologischen Prozessphänomenen, wie das QWERTY-Beispiel, dienten als Grundlage hier zudem Beobachtungen aus anderen Disziplinen.[36] Entscheidend war bei dem Ansatz zur Pfadabhängigkeit bei Institutionen, dass nach North die als Ursache identifizierten positiven Rückkopplungseffekte und die von Arthur vorgenommene Kategorisierung grundsätzlich auch auf Prozesse bei gesellschaftlichen Institutionen übertragbar sind.[37] Das klassische Pfadabhängigkeitskonzept technologischer Prozesse wurde in der Folge auf die Entwicklung von Institutionen politischer, sozialer, kognitiver und vor allem ökonomischer Art angewendet.[38] Dadurch konnte die Pfadabhängigkeitstheorie eingesetzt werden, um institutionellen Wandel und Evolutionen im Institutionensystem wie bspw. bei Volkswirtschaften zu erklären, insbesondere, warum sich, trotz zahlreicher anfänglicher möglicher Entwicklungsrichtungen, schlussendlich der Wechsel eines einmal eingeschlagenen Weges als äußerst schwierig und selten darstellt.[39] North zeigt hierbei auf, dass Institutionengefüge, die ein interdependentes Netz bilden, ein hohes Maß an Rückkopplungseffekten produzieren.[40]
Institutionen sind hierbei nicht mit Organisationen zu verwechseln, sondern stellen allgemeiner von den betreffenden Personen aufgestellte „Beschränkungen menschlicher Interaktion“[41] dar. Institutionen sind bspw. eingesetzte, notwendige Instrumente, um volkswirtschaftliche Organisationsprobleme, bspw. Koordinations- oder Austauschprobleme, zu lösen.[42] Der Bezug zu Organisationen ergibt sich jedoch, indem Institutionen als Rahmenbedingungen für Organisationen fungieren und diese beeinflussen, z. B. durch Regeln des Wettbewerbs oder sich ergebenden Wettbewerbswandel.[43] Institutionen sind in diesem Sinne die Bestimmungsfaktoren für ökonomische Tätigkeit.[44] Die Akteure, die in diesem Rahmen interagieren, indem sie einen Handlungsspielraum besitzen, sind die Organisationen selbst oder deren Mitglieder. In den früheren Forschungen von North Ende der 80er und Anfang der 90er fand die Übertragung auf die Organisationen zunächst noch auf eine Makro-Ebene der Volkswirtschaften statt.[45] Die konkrete Erweiterung auf die Organisationswissenschaften wurde vor allem durch Schreyögg, Sydow et al. Anfang der 2000er geleistet.[46] Die Untersuchung der strukturellen und strategischen Anpassungsfähigkeit von Organisationen wurde dadurch um eine weitere, wesentliche Forschungsperspektive bereichert.[47] Die Grundidee ist hierbei, dass sich organisationale Pfadabhängigkeiten strategischer Pfade in ihrer Entwicklung in bestimmten Phasen manifestieren, anhand deren Verlauf sie identifizierbar sind.[48] Hierauf geht das im Rahmen von Abschnitt 4.1 vorgestellte Phasenmodell von Sydow et al. vertiefend ein. Grundsätzlich erfolgt dabei die Aufdeckung von Pfaden, in denen sich die betreffenden Organisationen befinden, anhand der oben gegebenen Charakteristika der Pfade.[49] Dabei werden spezielle Ursachen für die positiven Rückkopplungen bei organisationalen Pfade aufgespürt und das klassische Konzept der Increasing Returns von Arthur erweitert.[50] Eine weitere Betrachtungsebene ist die der handelnden Akteure innerhalb von Organisationen. Hier wird vor allem das Management untersucht, dabei wiederum mit dem Schwerpunkt auf dem strategischen Management.[51] Hierdurch ist die Erforschung interner Ursachen innerhalb von Organisationen für die Selbstverstärkungsmechanismen mit eingebunden.[52] Dies beinhaltet demnach endogene Ursachen, welche eine Anpassung der Organisation an sich verändernde Umweltbedingungen verhindern und dabei als Pfade identifizierbar sind.[53]
Somit werden bei der organisationalen Pfadforschung insgesamt sowohl externe Einflüsse auf Organisationen, wie bspw. Wettbewerbssituationen, als auch interne Einflüsse, wie bspw. Ressourcenausstattungen der Organisation, einbezogen.[54] Erweitert werden diese Perspektiven um die Ebene von Netzwerken, Clustern oder ganzer Branchen, die ebenfalls Gegenstand der organisationalen Pfadforschung sind.[55]
3.2 Bezug zu den Organisationstheorien
Die organisationale Pfadtheorie besitzt einen breiten Bezug zu verschiedenen Theorien der Organisations- und Strategieforschung, die zur Erklärung herangezogen und mit denen sie folglich verknüpft wird.[56]
Vor allem originär aus der Soziologie stammende Theorien der system- und strukturationstheoretischen Erklärungen stellen wichtige Fundierungen für die Ansätze dar, da hierbei strukturelle und Handlungszusammenhänge zwischen den untersuchten Akteure im Rahmen eines bestimmten Systems im Mittelpunkt stehen.[57] Dabei gehen diese Bezugnahmen auch auf die Begrenzungen der Handlungsspielräume der Akteure ein, indem die Historizität der Entscheidungen, also Zusammenhänge zwischen vorherigen Handlungen auf die darauffolgenden, berücksichtigt wird.[58] Strukturen werden demnach gemäß der Strukturationstheorie bspw. durch die Entscheidungen der Akteure geschaffen und verfestigt, indem die positiven Rückkopplungen auftreten, was zu Pfaden führen kann.[59]
North hat in seinen Forschungen ebenfalls organisationstheoretische Ansätze zugrunde gelegt mit dem Blick auf das Handeln der Akteure. Hier verfolgte er institutionenökonomische Ansätze, wie z. B. die Transaktionskostentheorie, um institutionelle und schließlich damit auch organisationale Pfade zu untersuchen.[60]
Weiterhin sind die Evolutionstheorie und deren Weiterentwicklungen der Organisationsforschung wichtig, da hier vor allem die Historizität der Organisationen und damit deren Entwicklungen im Fokus stehen.[61] Außerdem bzw. in diesem Kontext spielen für die Erklärungen zur Pfadabhängigkeit ressourcenorientierte Ansätze, wie bspw. der Dynamic Capabilities-Ansatz oder der Resource-Dependence-Ansatz eine wichtige Rolle.[62] Gerade im erwähnten Bereich des strategischen Managements findet der Dynamic-Capabilities-Ansatz Anwendung, da hier die Betrachtung der Anpassung von dynamischen Fähigkeiten und Ressourcen durch das Management an die sich verändernden Umweltbedingungen zentral ist.[63] Beispielsweise werden in einem Ansatz hierbei organisationale Pfade in Abhängigkeit von dem Auftreten bzw. kontingenzbedingter Auswahl bestimmter Fähigkeiten gesehen.[64] Das Aufkommen dieser relevanten Fähigkeiten stellt dann den pfadabhängigen Prozess dar. Hier wird der Bezug zur Evolutionstheorie deutlich, indem wiederum die Historizität der Entwicklung von sowohl für die Organisationsumwelt als auch unternehmensinterne relevanter Fähigkeiten untersucht wird.[65] Ein weiterer Aspekt, der hier mit einbezogen wird, ist die Lernfähigkeit und der Einsatz von Kreativität.[66] Dies führt schließlich zu dem Gebiet der Innovation, das einen zentralen Untersuchungsbereich in diesem Zusammenhang bei der organisationalen Pfadabhängigkeitsforschung darstellt, indem nach den Bedingungen (in Form von Pfaden) geforscht wird, unter denen bspw. Innovationen nicht mehr stattfinden.[67]
[...]
[1] Vgl. Hasenmüller, M.-P. (2013), S. 129; Schreyögg, G. (2014), S. 1 ff.; Schreyögg, G. (2013), S. 21; Dobusch, L. & Kapeller, J. (2013), S. 288; Sydow, J., Schreyögg, G. & Koch, J. (2009), S 689.
[2] Vgl. Sydow, J., Schreyögg, G. & Koch, J. (2009), S 690; Hasenmüller, M.-P. (2013), S. 129 ff.; Petermann, A. (2010), S. 100 ff.; Sydow, J. (2017), S. 43 ff.; Sydow, J. (2015), S. 89 ff.; Sydow, J., Lerch, F. & Staber, U. (2010), S. 173 ff.; Sydow, J. & Koll, F. (2014), S. 191 ff.; Burger, M. (2013), S. 83 ff.; Tiberius, V. (2008), S. 83 ff.; Schüßler, E. (2009), S. 35 ff.
[3] Vgl. Hasenmüller, M.-P. (2013), S. 129 & 131; Ackermann, R. (2001), S. 10.
[4] Vgl. Sydow, J., Schreyögg, G. & Koch, J. (2009), S 690 ff.; Schäcke, M. (2006), S. 27 ff.
[5] Vgl. Schreyögg, G. (2014), S. 2; Schäcke, M. (2006), S. 27 ff.
[6] Vgl. ebd., S. 3; Sydow, J., Schreyögg, G. & Koch, J. (2009), S 691 f.
[7] Vgl. Duschek, S. (2010), S. 226; Schreyögg, G. (2013), S. 22.
[8] Vgl. Dobusch, L. & Kapeller, J. (2013), S. 302 f.
[9] Vgl. Schreyögg, G. (2014), S. 2 ff.; Petermann, A. (2010), S. 25 ff.; Schäcke, M. (2006), S. 26 ff.; Hasenmüller, M.-P. (2013), S, 110.
[10] Vgl. Duschek, S. (2010), S. 226; Schäcke, M. (2006), S. 26; Schüßler, E. (2009), S. 37; David, P. (1985), S. 332 ff.; Arthur, W. B. (1989), S. 116 ff.
[11] Vgl. Brunninge, O. & Melander, A. (2016), S.189 f.
[12] Vgl. Burger, M. (2013), S. 65.
[13] Vgl. Schreyögg, G. (2014), S. 2.
[14] Vgl. ebd., S. 3 & S. 7.
[15] Vgl. Duschek, S. (2010), S. 227.
[16] Vgl. Schüßler, E. (2009), S. 37.
[17] Vgl. David, P. (1985), S. 332 nach Schäcke, M. (2006), S. 27.
[18] Vgl. Schäcke, M. (2006), S. 27 ff.
[19] Vgl. David, P. (1985), S. 332 ff. nach Schüßler, E. (2009), S. 38; Schreyögg, G. (2014), S. 3.
[20] Vgl. Sydow, J., Schreyögg, G. & Koch, J. (2009), S. 690.
[21] Vgl. Burger, M. (2013), S. 65 ff.; Schreyögg, G. (2014), S. 3; Schüßler, E. (2009), S. 38.
[22] Vgl. ebd., S. 66; Schreyögg, G. (2014), S. 3; Holzhauser, H. L. (2016), S. 21.
[23] Vgl. Burger, M. (2013), S. 66.
[24] Vgl. ebd., S. 66.
[25] Vgl. Schreyögg, G. (2014), S. 4.
[26] Vgl. Burger, M. (2013), S. 66.
[27] Vgl. Holzhauser, H. L. (2016), S. 21 f.
[28] Vgl. Arthur, W. B. (1989), S. 116 f. nach Duschek, S. (2010), S. 226 f.; Schüßler, E. (2009), S. 38 f.; Sydow, J., Schreyögg, G. & Koch, J. (2009), S. 691; Petermann, A. (2010), S. 35 ff.
[29] Vgl. Schäcke, M. (2006), S. 31 ff.; Ackermann, R. (2003), S. 232 ff.
[30] Vgl. Hasenmüller, M.-P. (2013), S. 112 ff.; Schäcke, M. (2006), S. 36.
[31] Vgl. ebd., S. 114;
[32] Vgl. Sydow, J. (2007), S. 322.
[33] Vgl. Schäcke, M. (2006), S. 39; Ackermann, R. (2011), S. 59.
[34] Vgl. Schreyögg, G. (2014), S. 7.
[35] Vgl. Hasenmüller, M.-P. (2013), S. 120; Schäcke, M. (2006), S. 47.
[36] Vgl. Schüßler, E. (2009), S. 37 f.
[37] Vgl. North, D. C. (1990), S. 95 ff. nach Schäcke, M. (2006), S. 47.
[38] Vgl. Strobel, J. C. (2009), S. 15.
[39] Vgl. Schäcke, M. (2006), S. 48; North, D. C. (1990) nach Burger, M. (2013), S. 67.
[40] Vgl. Hasenmüller, M.-P. (2013), S. 120.
[41] North, D. C. (1990), S. 3 nach Schäcke, M. (2006), S. 45 f.
[42] Vgl. Hasenmüller, M.-P. (2013), S. 120; Schäcke, M. (2006), S. 45.
[43] Vgl. ebd., S. 48; Petermann, A. (2010), S. 68 & S. 79; Burger, M. (2013), S. 67.
[44] Vgl. Petermann, A. (2010), S. 67.
[45] Vgl. Burger, M. (2013), S. 68.
[46] Vgl. ebd., S. 68.; Hasenmüller, M.-P. (2013), S. 132; Sydow, J., Schreyögg, G. & Koch, J. (2009), S. 690; Petermann, A. (2010), S. 100 ff.
[47] Vgl. Hasenmüller, M.-P. (2013), S. 129.
[48] Vgl. Sydow, J., Schreyögg, G. & Koch, J. (2009), S. 690; Koch, J. (2009), S. 192 ff.
[49] Vgl. Ackermann, R. (2001), S. 10; Hasenmüller, M.-P. (2013), S. 111 f.
[50] Vgl. Strobel, J. C. (2009), S. 15.
[51] Vgl. ebd., S. 17 f.; Hasenmüller, M.-P. (2013), S. 129; Schüßler, E. (2009), S. 36 f.
[52] Vgl. ebd., S. 17.
[53] Vgl. Sydow, J., Schreyögg, G. & Koch, J. (2005), S. 15 f.
[54] Vgl. Hasenmüller, M.-P. (2013), S. 129.
[55] Vgl. Sydow, J. (2017), S. 43 ff.; Sydow, J. (2015), S. 89 ff.; Sydow, J. & Koll, F. (2014), S. 191 ff.; Sydow, J., Lerch, F. & Staber, U. (2010), S. 173 ff.; Burger, M. (2013), S. 83 ff.; Tiberius, V. (2008), S. 83 ff.; Koch, J. (2009), S. 199 f.
[56] Vgl. Hasenmüller, M.-P. (2013), S. 132 ff.
[57] Vgl. ebd., S. 132; Schreyögg, G., Sydow, J. & Koch, J. (2003), S. 267 f.; Sydow, J., Schreyögg, G. & Koch, J. (2009), S. 689 ff.; Schüßler, E. (2009), S. 35 ff.
[58] Vgl. ebd., S. 135.
[59] Vgl. Sydow, J. (2014), S. 48 ff.; Strobel, J. C. (2009), S. 11.
[60] Vgl. Burger, M. (2013), S. 67; Strobel, J. C. (2009), S. 15.
[61] Vgl. Hasenmüller, M.-P. (2013), S. 135.
[62] Vgl. Hasenmüller, M.-P. (2013), S. 135; Vergne, J.-P. & Durand, R. (2011), S. 365 ff.; Tiberius, V. (2008), S. 123 ff.
[63] Vgl. Strobel, J. C. (2009), S. 18.
[64] Vgl. Vergne, J.-P. & Durand, R. (2011), S. 365 ff.
[65] Vgl. ebd., S. 367.
[66] Vgl. Strobel, J. C. (2009), S. 18.
[67] Vgl. ebd., S. 19 ff.; Koch, J. (2009), S. 189 ff.; Laudien, S. M. & Daxböck, B. (2016), S. 611 ff.