Wenn man sich heute mit den Themen Jugend und Jugendkulturen beschäftigt, wird man sich automatisch mit den favorisierten Musikstilen der Heranwachsenden auseinandersetzen müssen. Für Jugendliche ist die Musik und der damit verbundene Lifestyle bedeutend für ihre Identitätsentwicklung. Teenager, die sich einer Jugendkultur angehörig fühlen, nehmen die Werte und Normen dieser für sich auf und schaffen sich somit eine eigene Lebenswelt und Wirklichkeit. Eine dieser Jugendkulturen, die sich an einer Musikrichtung orientiert, ist die Hip Hop-Kultur.
Der Fokus dieser Arbeit liegt auf den Praktiken und Stilen von Hip Hop, die in den Jugendszenen beobachtbar sind. Das Ziel ist es herauszustellen, welche Praktiken und Stile des Hip Hop sich in der Schule zwischen Jugendlichen zeigen und was ihre Effekte und Ursachen sind.
Inhaltverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Aufbau der Arbeit
2. Analyse der Jugendkultur des Hip Hop
2.1. Jugendkulturen
2.2. Hip Hop - eine Jugendkultur
2.3. Hip Hop und Moral
2.4. Hip Hop in Deutschland
2.4.1. Entwicklung von Hip Hop in Deutschland
2.4.2. Die lokale Szene
2.4.3. Kleidung und Mode
2.4.4. DerSprachcode
3. Analyse der Beobachtungsprotokolle und Interviews
3.1. Kleidung als Zuordnung zum Hip Hop
3.2. Stilen und Praktiken des Hip Hop
3.2.1. Performativitat
3.2.2. Cool-Sein
3.2.3. Sprachcode
4. Schlussfolgerung zu den spezifischen Praktiken, Stile und Formen des Hip Hop
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Hip Hop ist in den letzten Jahren zu mehr als nur einer Modeerscheinung geworden. Nicht nur auf dem Musikmarkt ist Hip Hop allgegenwartig, sondern auch als weitverzweigte Jugendkultur mit eigenen Ritualen, Normen und Praktiken hat sich Hip Hop auf der ganzen Welt etablieren konnen. Die Jugendlichen begreifen Hip Hop als Lebensgefuhl Oder Lebensentwurf, da diese Popularkultur ihnen viele Identifikationsmoglichkeiten bietet. In seiner uber dreiGigjahrigen Geschichte hat sich Hip Hop als Jugendkultur global verbreitet und konnte seit den 1980er Jahren auch in Deutschland FuG fassen. Heute begegnet man Jugendlichen mit weit ausgebeulten Hosen, und ubergroGen T-Shirts, die ihre Schirmmutzen selbst in geschlossenen Raumen tragen und in einer fremden Sprache zu kommunizieren scheinen. Zunachst inspirierte mich die Erinnerung an meine eigene Jugendzeit, in der ich mich selbst haufig mit der Hip Hop-Kultur auseinandergesetzt habe. Als ehemalige Konsumentin von Rap-Musik interessierte es mich, wie die aktuelle Entwicklung des Hip Hops aussieht. Da ich durch verschiedene Praktika immer wieder einen kurzen Einblick in die Entwicklungen dieser Subkultur erlangen konnte, wurde mir immer deutlicher, dass ich mir urn viele Dinge, den Hip Hop betreffend, in meiner Jugend wenig Gedanken gemacht hatte. AuGerdem wurde mir immer deutlicher, welche Problematiken diese Kultur auslosen kann. Deshalb stand fur mich fest, dass ich mich in meiner Arbeit mit diesem Thema beschaftigen mochte. Ich habe mich zunachst mit Literatur beschaftigt, die den Hip Hop, dessen Geschichte und Problematiken thematisiert. Jedoch wurde mir deutlich, dass es nur sehrwenig Literatur gibt, die direkt auf den Hip Hop Bezug nimmt. Daher habe ich zu den Konsumenten selbst Kontakt aufgenommen, urn einen direkten Einblick in die Thematik und Eindrucke aus erster Hand zu erhalten. Desweiteren habe ich an einem Blockseminar zum Thema „Rap und soziale Netzwerke" teilgenommen. Ich habe mir auch unterschiedliche Interviews und auch Videos in YouTube angeschaut urn die Musiker und Konsumenten die nicht erreichen kann zu verstehen. Jugendliche aus verschiedenen Klassen zwischen der siebten und zehnten Klasse als Forschungsgegenstand fur meine Arbeit zu wahlen macht deshalb Sinn, weil die Heranwachsenden hier ein Alterzwischen 13 und 15 Jahren haben, sich somit in der Pubertat befinden und bereits in einer bestimmten Jugendkultur etabliert sind, bzw. auf dem Weg sind, sich zu etablieren.
1.1. Aufbau der Arbeit
lm ersten Abschnitt wird das methodische Vorgehen erlautert. Zunachst wird die Erhebungsmethode der Beobachtung, die einen wesentlichen Stutzpfeiler dieser Arbeit darstellt, naher beleuchtet. Im Folgenden wird der Gewinn der Arbeit zugrundeliegenden Daten dargestellt.
Um Praktiken und Stile des Hip Hop als solche zu erkennen und um dem weiteren Verlauf der Arbeit folgen zu konnen, erhalt der Leser im zweiten Abschnitt Hintergrundwissen. Dabei werden zunachst die Jugendkultur und das Zusammenspiel mit Hip Hop angezeigt. Es folgt dann eine Darstellung der Kleidung und Mode im Hip Hop und eine Beschreibung des szenespezifischen Sprachcodes an.
Nachdem durch die vorangegangenen Ausfuhrungen ein umfassendes Bild von Hip Hop dargestellt wurde, werden im dritten Teil die spezifischen Praktiken und Stile des Hip Hop in der Schule anhand von Beobachtungsprotokollen und diesbezuglichen Beobachtungsbeispielen rekonstruiert. In den Praktiken und Stilen der Schulerinnen und Schuler wird aufgespurt, in welchem Spannungsverhaltnis beide Bereiche zueinander stehen. Von den gewonnen Kenntnissen ausgehend wird im vierten Abschnitt die Schlussfolgerung zu den spezifischen Praktiken, Stile und Formen des Hip Hop aufgezeigt.
2. Analyse der Jugendkultur des Hip Hop
2.1. Jugendkulturen
Ein wesentliches Merkmal von Jugendkulturen besteht darin, dass sich die ihnen zugehorig fuhlenden Heranwachsenden vom Kulturbild und den Wertvorstellungen ihrer Eltern abzukoppeln versuchen. Sie mochten sich abgrenzen, sich von ihrem Elternhaus losen und eigene Weltanschauungen entwickeln. Dies gelingt ihnen gerade uber Musik- und/ Oder auch Kleidungsstile. Kleidet sich der Jugendliche beispielsweise so, wie es den Wertvorstellungen der Eltern widerspricht, gelingt es ihm, sich Jdentitat und Differenz" zu verschaffen. Jugendliche konnen so ihre eigenen Weltanschauungen herausbilden und diese ausleben. „Jugendkulturen sind bedeutsame, offene und transitorische Sozialisationsinstanzen, in denen Such- und Orientierungsprozesse, radikale und intensive Experimente stattfinden konnen." Sie bieten individuelle Entfaltungsmoglichkeiten unter Gleichaltrigen, bei denen sie sich von den anderen Gesellschaftsformen abgrenzen konnen.
Am Anfang einer sich herausbildenden Kultur steht zunachst eine sich in einer sehr individuellen bzw. sehr kreativen Form den herrschenden Konventionen widersetzende Person, die eine Vorreiterrolle einnimmt. Diese entwickelt fur sich einen neuen Kleidungs-, Musik- Oder Verhaltensstil, der sie ganz bewusst von der Masse abhebt. Sie vermittelt ihrer Umwelt damit eine neue Lebenseinstellung, um sich den herrschenden gesellschaftlichen Konventionen zu entziehen. Damit es zur Herausbildung einer Jugendkultur kommen kann und nicht bei einem einzelnen, individuellen Akt des Auflehnens bleibt, ist es von besonderer Bedeutung, dass das innovative Moment bzw. die Personlichkeit des potentiellen „Trendsetters“ bei der zumeist jungen Generation zumindest in Teilen Anerkennung findet. Sobald der Trend eine gewisse Grundgesamtheit erfasst hat, sind die Voraussetzungen fur die Entstehung einer neuen Jugendkultur, deren Werte und Weltanschauungen fur die Heranwachsenden neu und individuell erscheinen, gegeben.1 Sofern sich aus einem kurzen Trend eine bestandige, anwahrende Jugendkultur herausgebildet haben sollte, so stellt diese fur ihren Anhanger in der Regel jedoch nur eine Episode im Laufe der Reifung zum Erwachsenen dar. Sie kann jedoch auch nachhaltige Auswirkungen auf das Erwachsenenalter haben.
2.2 Hip Hop - eine Jugendkultur
Die Hip Hop-Kultur als diejenige „Popkultur, die bislang am langsten ihren Hype bewahrte"2, bietet mit ihren vier Elementen (DJ-ing, MC-ing, Breakdance und Graffiti) und gerade auch vor den sozial-geschichtlichen Hintergrunden ihrer Entstehung insbesondere fur Jugendliche verschiedene Mittel und Wege, sich „,nach innen zu verbinden und nach auGen abzugrenzen."3 Die Hip Hop-Kultur versteht sich selbst als StraGenkultur („Street-Culture“4 ) und bietet somit jedem die Chance, ein Teil von dieser zu werden. Ihrer Tradition nach spielen Alter, finanzieller Background und gerade die Hautfarbe keine Rolle. Die weltweite Vermarktung und Kommerzialisierung des Hip Hops als Folge der Entwicklung einer anfangs lokal begrenzten Bewegung zur massenkompatiblen Modeerscheinung, der man sich als junger Mensch kaum entziehen kann, fuhrte zur Abwendung vieler Aktiver sowie potentieller Sympathisanten in den nachfolgenden Jugendgenerationen, da sowohl der eigentliche Grundgedanke, Hip Hop als Ausdrucksform und Zeitvertreib der von Armut und Ausgrenzung betroffenen Bevolkerung New Yorks, als auch das alsbald hinzukommende aufbegehrende Moment der aus anderen Schichten stammenden, sich aber den Grundsatzen des Hip Hops verpflichtet fuhlenden Jugendlichen gleichermaGen in den Hintergrund traten. Trotzdem hat es Hip Hop bis heute geschafft, als Jugendkultur bestehen zu bleiben, da sich unter seinem Deckmantel immer wieder neue, angesagte Stromungen herausbilden, sich der Hip Hop quasi standig neu erfindet. „Was heute noch als das unschlagbar Beste gilt, ist morgen schon in den Schatten gestellt."5 Jeder ist aufgefordert, selbst zu agieren und auf die Kultur aktiv einzuwirken. Hip Hop folgt somit dem Partizipationsprinzip, das den Hip Hopper auf Dauer in die Pflicht nimmt, uber den reinen Konsum hinaus kunstlerisch tatig zu werden. ,,ln der Verpflichtung, aktiv zu sein, besteht die normative Kraft des Faktischen."6 Daneben liegt der Hip Hop-Kultur noch ein weiteres Merkmal zu Grunde, das an das Prinzip von Kreativitat und Partizipation anschlieGt: Der Battle- Gedanke. Im sportlichen, d.h. fairen Wettkampf treten die Hip Hopper in den jeweiligen Disziplinen gegeneinander an, um sich und ihre Styles zu prasentieren und gegenuber anderen zu verteidigen. Dabei geht es um „Originalitat, Sprachwitz, neue, bisher nicht probierte Tanzstile"7, nicht um die direkte, korperliche Auseinandersetzung.8 Um es in den Worten des Rappers EiGfeld zu sagen: „Hip Hop ist nur Konkurrenz. Es ist nur ein Battle."9
Der authentische Hip Hopper gibt sich nach auGen hin als solcher zu erkennen, indem er neben einem provokanten Kleidungsstil, der sich in erster Linie durch ubergroGe und sportlich-legere Bekleidung auszeichnet, einen ausgefeilten Sprach- und Wortschatz pflegt. Der hat fur diese Subkultur eine „zentrale Bedeutung"10, da er die Szene einerseits nach auGen hin abgrenzt, andererseits nach innen Zugehorigkeit schafft. Wer sich dieser Codes nicht zu bedienen versteht, outet sich automatisch. Die haufige Verwendung von Slangbegriffen symbolisiert dabei die geistige Verbundenheit des Hip Hop-Anhangers mit den Ursprungen der Kultur aus den armen Vorstadtghettos amerikanischer GroGstadte. Daher erfullen die meist anglizistischen Anleihen fur die vorrangig jungen Hip Hop-Anhanger sowohl die Funktion der Abgrenzung zu den eigenen Eltern, die ihre Kinder nicht mehr zu verstehen glauben, als auch der Sympathiebekundung zu den meist amerikanischen Vorbildern. Gerade im Rap als dem Sprachrohr der Hip Hop-Kultur spielen diese Funktionen eine besondere Rolle.
2.3 Hip Hop und Moral
Die Hip Hop-Kultur vermittelt wie jede andere Kultur auch verschiedene Werte und Normen, die von denen, die sich ihr zugehorig fuhlen, verinnerlicht und geachtet werden. Hip Hop ist ein Lebensgefuhl, man ist entweder mit Leib und Seele Hip Hopper, oder gar nicht. Da Hip Hop uber das bloGe Konsumieren hinaus die Inszenierung durch den Einzelnen einfordert, „eine Kultur des Machens und Produzierens"11 ist, gibt die meist junge Anhangerschaft den Eltern, Padagogen und Medien jede Menge Zundstoff fur Diskussionen hinsichtlicht der Werte, die diese Kultur vermittelt.
Dass die Hip Hop-Bewegung insbesondere in der Anfangszeit keineswegs von irgendwelchen Gangster-Attituden und der Glorifizierung von Kriminellen dominiert wurde, sondern im Gegenteil Aspekte und Wertvorstellungen uberwogen, die einen positiven Einfluss auf die Anhangerschaft haben sollten, wird im allgemeinen Diskurs gerne ubersehen. Daher soil hier zunachst auf ein paar Gesichtspunkte eingegangen werden, nach denen Hip Hop einen positiven Einfluss auf seine Anhanger hat. Die Hip Hop-Bewegung hat sich in einem Milieu entwickelt, in dem Drogen, Gewalt und Prostitution, also Bilderallgegenwartiger Tristesse vorherrschten. Ein Abrutschen in ein Leben als Gangmitglied war fur viele Jugendliche die einzige Moglichkeit des Uberlebens. Hip Hop war damals und ist es auch heute noch eine der wenigen Alternativen zu Gewalt und Drogen. Er zeigt seiner Anhangerschaft andere Moglichkeiten der Alltagsbewaltigung und der Konfliktlosung auf, die frei von korperlicher Gewalt sind. Differenzen werden im Hip-Hop in sogenannten Battles ausgetragen. Sie bieten dem Hip Hopper die Moglichkeit, sich als Tanzer wie auch als Rapper mit Hilfe seines Korpers bzw. mit Sprache zur Wehr zu setzen. Beim Battle gilt der Vorsatz, den Gegner und die „Regeln“ stets zu respektieren:
„Zwei wichtige Begriffe der Hip Hop-Kultur sind Respekt und Realness. Respekt bedeutet, dass man den anderen anerkennt fur das, was er macht und geleistet hat. Ohne diesen gegenseitigen Respekt konnte die Battle-Kultur im Hip Hop nicht funktionieren. Jede auch noch so erbitterte Auseinandersetzung und Gegnerschaft findet auf dieser Grundlage statt, dass man sich letztlich als Vertreter der Hip Hop- Kultur einig ist."12
Konflikte im HipHop gewaltlos auszutragen, sowohl dem Freund wie auch dem Kontrahenten ein HochstmaG an Respekt entgegenzubringen und „Fairness das
oberste Gebot"13 zu betrachten, ist einer der Grundsatze der Kultur, bei dessen
[...]
1 Val. Internet-URL: http://de.wikipedia.ora/wiki/Juaendkultur
2 Klein.Gabriele/Friedrich, Malte: Is this real? Die Kultur des Hip Hop, Frankfurt a.M.:Suhrkamp Verlag 2003.S.14
3 Klein, Gabriele / Friedrich, Malte: Is this real?, S. 42.
4 Vgl. Loh, Hannes / Verlan, Sascha: Hip Hop. Sprechgesang: Raplyriker und Reimkrieger. Mulheim an der Ruhr: Verlag an der Ruhr2000, S. 19.
5 Loh, Hannes/Verlan, Sascha: Hip Hop. Sprechgesang: Raplyriker und Reimkrieger, S. 23.
6 Klein, Gabriele/Friedrich, Malte: Is this real?, S. 38.
7 Vgl. Loh, Hannes/Verlan, Sascha: Hip Hop. Sprechgesang: Raplyriker und Reimkrieger, S. 17f.
8 Vgl. Verlan, Sascha / Loh, Hannes: 20 Jahre Hip Hop in Deutschland, S. 58f.
9 Zit. n. Klein, Gabriele/Friedrich, Malte: Is this real?, S. 47.
10 Ebd., S. 37.
11 Vgl. Klein, Gabriele / Friedrich, Malte: Is this real?, S. 38
12 Loh, Hannes / Verlan, Sascha: Hip Hop. Sprechgesang: Raplyriker und Reimkrieger, S. 61.
13 Klein, Gabriele / Friedrich, Malte: Is this real?, S. 51.