Die folgende Arbeit behandelt die Globalzession in der Insolvenz, insbesondere bei Zahlungsvergleichen über globalzedierte Forderungen. Nach einer Vorstellung des Absonderungsrechts und der Globalzession, auch in Bezug auf eventuelle Unwirksamkeitsgründe, folgt eine Hinterfragung der Anfechtbarkeit der Globalzession.
Im Anschluss daran wird die Bedeutung von Zahlungsvergleichen des Insolvenzverwalters über globalzedierte Forderungen im Hinblick auf dessen Befugnis zum Abschluss solcher Zahlungsvergleiche und deren Rechtsfolgen untersucht. Ziel dieser Ausführungen ist die Beantwortung der Frage, ob die Vergleichsforderung von der Globalzession erfasst wird, oder ob durch sie die Insolvenzmasse gemehrt wird.
Inhaltsverzeichnis
A. Einleitung
B. Die Globalzession in der Insolvenz, insbesondere bei Zahlungsvergleichen
I. Das Absonderungsrecht
II. Die Globalzession
1. Grundsätze
2. Wichtige Fälle einer Unwirksamkeit der Globalzession
a) Die Bestimmbarkeit der abgetretenen Forderungen
b) Sittenwidrigkeit der Globalzession
i. Übermäßige Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit des Schuldners
ii. Beeinträchtigung vorrangiger Interessen konkurrierender Gläubiger
3. Die Globalzession in der Insolvenz
III. Die Insolvenzanfechtung
1. Allgemeine Voraussetzungen
2. Kongruente Deckung, § 130 I InsO
3. Anfechtbarkeit der Globalzession
IV. Die Bedeutung von Zahlungsvergleichen über globalzedierte Forderungen
1. Ausgangssituation
2. Möglichkeit zum Abschluss von Zahlungsvergleichen
3. Rechtsfolgen von Zahlungsvergleichen über globalzedierte Forderungen
a) Der Vergleichsschluss als neue Zahlungsgrundlage
b) Teleologische Auslegung und sachenrechtliche Bestimmtheit
c) Risikoverteilung und Zielsetzung der Verwertung
d) Unklarheitenregelung des § 305 c II BGB
e) Natur des Sicherungsmittels
f) Ergebnis
C. Fazit
Literaturverzeichnis
- BGH NJW 1994, 861-864
- BGH NJW 1998, 671-677
- BGH NJW 1999, 940-941
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- OLG Karlsruhe ZIP 2005, 1248-1249
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- Weber, Hansjörg, in WM 1994, 1549-1560; zitiert: Weber in WM 1994, 1549, S.
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A. Einleitung
Die folgende Arbeit behandelt die Globalzession in der Insolvenz, insbesondere bei Zahlungsvergleichen über globalzedierte Forderungen. Nach einer Vorstellung des Absonderungsrechts und der Globalzession, auch in Bezug auf eventuelle Unwirksamkeitsgründe, folgt eine Hinterfragung der Anfechtbarkeit der Globalzession.
Im Anschluss daran wird die Bedeutung von Zahlungsvergleichen des Insolvenzverwalters über globalzedierte Forderungen im Hinblick auf dessen Befugnis zum Abschluss solcher Zahlungsvergleiche und deren Rechtsfolgen untersucht. Ziel dieser Ausführungen ist die Beantwor- tung der Frage, ob die Vergleichsforderung von der Globalzession er- fasst wird, oder ob durch sie die Insolvenzmasse gemehrt wird.
B. Die Globalzession in der Insolvenz, insbesondere bei Zahlungsver- gleichen
Einleitend folgt eine Darstellung zum Absonderungsrecht mit Blick auf die Globalzession. Diese bildet die Grundlage für die Ausführungen zur Abschlussmöglichkeit von Zahlungsvergleichen durch den Insolvenzverwalter und deren Rechtsfolgen.
I. Das Absonderungsrecht
Ein Schuldner ist insolvent, wenn er seine Gläubiger nicht aus seinem Vermögen befriedigen kann, er ist entweder überschuldet, zahlungsunfähig oder es droht die Zahlungsunfähigkeit (materielle Insolvenz)1. Nach der Feststellung der materiellen Insolvenz folgt i. d. R. ein Insolvenzverfahren (formelle Insolvenz).
Das Insolvenzverfahren als Gesamtvollstreckungsverfahren dient der gemeinschaftlichen, gleichmäßigen und bestmöglichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger, § 1 S. 1 InsO. Es gilt der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung (par conditio creditorum)2. Während des Verfahrens gibt es verschiedene Beteiligte: Insolvenz- und Massegläubiger, Aus- und Absonderungsberechtigte3.
Insolvenzgläubiger werden gemeinschaftlich und gleichmäßig (quo- tal), Massegläubiger vorab in vollem Umfang befriedigt. Aussonde- rungsberechtigte können ein dingliches oder persönliches Recht geltend machen, wonach dieser Gegenstand nicht zur Insolvenzmasse gehört. Da die Gegenstände nicht zur Insolvenzmasse gehören dürfen sie nicht verwertet und zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger genutzt werden, sie sind herauszugeben4. Die Absonderungsberechtigten nehmen nicht am Insolvenzverfahren teil, § 47 S. 2 InsO.
Zwischen den Aussonderungsberechtigten und den Insolvenzgläubigern stehen die Absonderungsberechtigten.
Das Recht der Absonderung bedeutet für den Berechtigten die bevorzugte Befriedigung aus dem Veräußerungserlös von Gegenständen, die zur Haftungsmasse des Schuldners gehören und an welchen ein Absonderungsrecht bestanden hat5.
Die Absonderung dient der Bewährung der Sicherungsrechte in der In- solvenz6. Für das bewegliche Vermögen ist die abgesonderte Befriedi- gung in §§ 50 f., 166 ff. InsO geregelt, für das unbewegliche in §§ 49, 165 InsO. § 51 InsO stellt dabei einige andere Gläubiger denen des § 50 InsO gleich. Die wohl wichtigste Gruppe ist dabei die des § 51 Nr. 1 InsO, in welcher die Sicherungsübereignung und die Sicherungszession7 zu finden sind. Der Sicherungseigentümer ist zwar Eigentümer oder Inhaber der Forderung, kann aber nicht nach § 47 InsO die Aussonderung sondern lediglich die Absonderung nach § 49 ff. InsO verlangen. Dem Inhaber eines Sicherungsrechts an einem zum Schuldnervermögen gehörenden Gegenstand gebührt nicht die Sache selbst, sondern lediglich der in ihr verkörperte Sachwert8.
Der Absonderungsberechtigte ist kein Insolvenzgläubiger, dennoch muss er am Insolvenzverfahren teilnehmen9. Er ist aber gegenüber den eigentlichen Insolvenzgläubigern privilegiert: Im Anschluss an die Verwertung und nach Abzug der Kosten für Feststellung und Verwer- tung wird er vorab unverzüglich und wenn möglich vollständig befrie- digt, § 170 I 2 InsO. Seine Befriedigung erfolgt insofern außerhalb des eigentlichen Insolvenzverfahrens, in dem eine quotale Befriedigung der Gläubiger stattfindet10.
Verbleibt von dem Verwertungserlös nach der Befriedigung des Ab- sonderungsberechtigen noch ein Überschuss, so fließt dieser in die In- solvenzmasse ein und wird zur Befriedigung der „richtigen“ Insol- venzgläubiger im eigentlichen Insolvenzverfahren verwendet11. Die Absonderung gibt dem Berechtigten die Möglichkeit, seine sämt- lichen Forderungen einschließlich Nebenforderungen und unter Be- rücksichtigung der Kostenbeiträge aus dem Verwertungserlös einzel- ner Gegenstände oder Forderungen (an denen ihm ein Absonderungs- recht zusteht) unverzüglich zu befriedigen, § 170 I 2 InsO12.
II. Die Globalzession
Die Globalzession ist eine besondere Form der Vorausabtretung13. Eine Globalzession liegt vor, wenn ein Schuldner in einem Verfügungsvertrag14 einem Gläubiger alle gegenwärtigen und künftigen Forderungen gegen Dritte, z.B. aus Warenlieferungen und Leistungen von Anfangsbuchstaben A bis Z, gem. § 398 BGB abtritt15. Es findet eine Übertragung sämtlicher Forderungen statt16.
1. Grundsätze
Die wirksame Begründung einer Globalzession setzt voraus, “ dass die nach einem Gattungsmerkmal bestimmten, global abgetretenen zu- künftigen Forderungen des Schuldners im Zeitpunkt ihrer Entstehung hinsichtlich Gläubiger, Schuldner und Rechtsgrund hinreichend be- stimmbar sind, insbesondere muss für die künftigen Forderungen be- stimmbar sein, welche neue Forderung als Sicherheit nachrückt“17.
Bei bereits im Zeitpunkt der Abtretung bestehenden Forderungen ist die Sicherungsabtretung mit dem wirksamen Abschluss der Siche- rungsvereinbarung vorgenommen. Bei künftigen Forderungen ist für die Wirksamkeit der Abtretung auf den Zeitpunkt des Entstehens der Forderungen abzustellen18. Die Zulässigkeit der Abtretung künftiger Forderungen ist allgemein anerkannt19. Die Forderungen gehen mit ihrer Entstehung auf den Globalzessionar über20. Auch für das Absonderungsrecht ist insoweit nur der Zeitpunkt des Entstehens der Forderung, nicht der Zeitpunkt der Zession entscheidend21.
Die Verwertung abgetretener Forderungen obliegt gem. § 166 II InsO dem Insolvenzverwalter22. Die Prüfung der Wirksamkeit der Absonderungsrechte gehört zu den schwierigsten Aufgaben des Insolvenzverwalters. Besondere Aufmerksamkeit bedürfen insbesondere die Fragen der Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit, die des Verstoßes gegen § 138 I BGB (und § 307 I BGB) sowie die der Anfechtbarkeit der Sicherheitsbestellung nach §§ 129 ff. InsO23.
2. Wichtige Fälle einer Unwirksamkeit der Globalzession
Eine Globalzession gem. § 398 BGB kann aus verschiedenen Gründen unwirksam sein. Besondere Beachtung verdienen die Bestimmbarkeit der abgetretenen Forderungen und die Sittenwidrigkeit.
a) Die Bestimmbarkeit der abgetretenen Forderungen
Eine wirksame Abtretung von Forderungen (gleich ob gegenwärtig oder künftig) setzt deren Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit voraus24. Eine konkret fragliche Forderung muss eindeutig unter den Abtretungsvertrag subsumierbar sein25.
Bestimmt ist die Forderung, wenn bei Vertragsschluss Rechtsgrund, Gegenstand, Höhe und Person des Schuldners eindeutig feststehen26. Für die Bestimmbarkeit genügt die Möglichkeit, dass die Forderungen im Zeitpunkt ihrer Wirksamkeit hinsichtlich Rechtsgrund, Gegenstand, Umfang und Person des Schuldners im Wege der Auslegung individualisiert werden können27.
Bei künftigen Forderungen sind, anders als bei gegenwärtigen Forde- rungen, Entstehen und Inhalt der jeweiligen Forderung zum Zeitpunkt der Abtretung noch nicht konkret zu bestimmen. Dem Sicherungs- nehmer wird kein Anspruch auf individualisierte Sicherungsgegens- tände verschafft28. Dies ist auch nicht notwendig. Ausreichend ist in- soweit, dass die Entstehung der Forderung im Zeitpunkt der Abtretung möglich erscheint und die abgetretene Forderung bestimmt oder be- stimmbar ist29.
b) Sittenwidrigkeit der Globalzession
Die Sittenwidrigkeit der Globalzession setzt konkrete Wirkungen im Einzelfall voraus30. Ein Sittenverstoß im Sinne von § 138 I BGB ist dann anzunehmen, wenn die als Mindestmaß anerkannten moralischen Grundsätze objektiv verletzt werden31. Ob daneben auch noch ein sub- jektiver Verstoß gegeben sein muss wird kontrovers diskutiert32. Die wohl vorzugswürdige Ansicht geht davon aus, dass bereits ein objekti- ver Verstoß für eine Sittenwidrigkeit ausreichend sein kann. Wenn be- reits ein objektiver Verstoß vorliegt und dadurch ein Zustand herbei- geführt wird, der von der Rechtsordnung nicht zugelassen werden kann, so ist dieser Verstoß für die Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäfts ausreichend. Ergibt sich dagegen die Sittenwidrigkeit nicht bereits aus einem objektiven Verstoß gilt es, die subjektive Seite zu betrachten33. Nach einer Gesamtwürdigung der Umstände des Rechtsgeschäfts kann durch einen subjektiven Verstoß eine Sittenwidrigkeit des Rechtsge- schäfts eintreten34.
Folge der Sittenwidrigkeit ist die Nichtigkeit der Globalzession gem. 138 I BGB35 (bzw. § 307 I BGB). Die Nichtigkeitsfolge hat absolute Wirkung, Jeder mit einem berechtigten Interesse an der Nichtigkeit kann sich auf diese berufen36.
Im Rahmen einer Globalzession wird mit den gegenwärtigen und künftigen Forderungen häufig ein erheblicher Teil des Umlaufvermögens des Schuldners erfasst, ein Sittenverstoß kann sowohl ihm gegenüber als auch gegenüber Dritten vorliegen37.
Globalzessionen künftiger Forderungen zur Sicherung eines Kredits sind im Geschäftsverkehr üblich. Sie sind jedoch nur wirksam, wenn bestimmte Kriterien, insbesondere die Sittenwidrigkeit beachtet wer- den38.
Für das Vorliegen einer Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB (oder § 307 I BGB) sind nach Rechtsprechung und Literatur drei Merkmale be- sonders zu beachten: Gläubigerbenachteiligung, Knebelung und Über- sicherung39.
Übersicherung und Knebelung liegen dabei so eng beieinander, dass diese nicht trennscharf unterschieden werden können, sie werden daher zusammen behandelt.
i. Übermäßige Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit des Schuld-
Von einer übermäßigen Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit des Schuldners (Knebelung) ist zu sprechen, wenn dem Schuldner die Freiheit der Vermögensdisposition genommen wird40. Dabei werden dem Schuldner die wirtschaftliche Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit ganz oder zu einem wesentlichen Teil genom- men und unzumutbare Beschränkungen auferlegt, die ihn für eine übermäßig lange Zeit binden41. Dazu müssen dann noch besondere Umstände hinzutreten, welche „zu einer unerträglichen, die wirtschaft- liche und soziale Lebensstellung vernichtenden Abhängigkeit des Schuldners führen“42. Nach der Rechtsprechung ist davon insbesonde- re dann auszugehen, wenn aufgrund der Globalzession eine Übersiche- rung eintritt43. Für Globalzession und sonstige Kreditsicherheiten gilt das gleiche Wirksamkeitserfordernis: das Verbot der Übersicherung44. Von einer Übersicherung ist zu sprechen, wenn zugunsten des Siche- rungsnehmers ein Missverhältnis zwischen dem Wert der Globalzessi- on und der durch sie gesicherten Gesamtforderung vorliegt45.
Die Übersicherung kann von Beginn an vorliegen, sie kann aber auch erst nachträglich eintreten46.
Eine anfängliche Übersicherung ist anzunehmen, wenn im Insolvenz- fall (bzw. Verwertungsfall) der realisierbare Wert der Sicherheiten in einem auffälligen Missverhältnis zu der gesicherten Forderung steht47. Bei einer anfänglichen Übersicherung ist die Globalzession nicht nur unter dem Aspekt der Knebelung, sondern auch unter dem Aspekt der mangelnden Rücksichtnahme auf die Interessen anderen Gläubiger nichtig48.
Zur Abwendung einer Sittenwidrigkeit wegen nachträglicher Übersi- cherung konnte früher laut BGH49 zwischen den Parteien eine Freiga- beklausel vereinbart werden, die eine konkrete Deckungsgrenze und eine ausdrückliche Verpflichtung zur Freigabe enthalten musste. Nach neuer Rechtsprechung kommt es auf eine ausdrückliche Freiga- beklausel oder eine zahlenmäßig bestimmbare Deckungsgrenze nicht mehr an. Zur Abwendung einer nachträglichen Übersicherung genügt ein ermessensunabhängiger Freigabeanspruch des Sicherungsgebers, der sich (ggf. erst durch ergänzende Vertragsauslegung, §§ 133, 157 BGB) direkt aus der Sicherungsabrede ergibt50.
Im Regelfall sind in den Sicherungsabreden Einziehungs- und Verfü- gungsermächtigungen für den Schuldner enthalten, er kann seine Ge- schäfte weiterhin tätigen, die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit bleibt damit erhalten51.
Eine Sittenwidrigkeit könnte sich auch bei der Kollision von Globalsi- cherheit und verlängertem Eigentumsvorbehalt von Lieferanten erge- ben. In diesem Fall kollidieren Forderungen, die aufgrund eines ver- längerten Eigentumsvorbehaltes vom Schuldner an seine Lieferanten abzutreten waren oder noch abzutreten sind, mit der Globalzession. Die Globalzession ist in diesem Fall nichtig, soweit sie auch solche Forderungen erfasst, die dem verlängerten Eigentumsvorbehalt unter- fallen52.
Eine dingliche Teilverzichtsklausel53 kann den Vorrang des verlänger- ten Eigentumsvorbehalts gewährleisten und damit die Nichtigkeitsfol- ge abwenden. Von einer ausreichenden wirtschaftlichen Bewegungs- freiheit des Schuldners ist dann auszugehen, wenn die Forderungen an den Globalzessionar erst dann abgetreten werden, wenn sie nicht mehr von dem verlängerten Eigentumsvorbehalt erfasst werden54.
ii. Beeinträchtigung vorrangiger Interessen konkurrierender Gläu- biger
Von einer Beeinträchtigung vorrangiger Interessen konkurrierender Gläubiger (Gläubigergefährdung oder auch Gläubigerbenachteiligung) ist zu sprechen, wenn sich die Bank auch solche Forderungen abtreten lässt, die der Schuldner, der seine Waren unter einem verlängerten Ei- gentumsvorbehalt kauft, abtreten müsste aber infolge der Globalzessi- on nicht mehr an seine Lieferanten abtreten kann55. Wie bei der wirt- schaftlichen Bewegungsfreiheit56 kommt es zu einer Kollision zwi- schen Globalzession und dem Eigentumsvorbehalt der Lieferanten. Dem Schuldner wird durch die umfassende Zession die Möglichkeit genommen, seinen Lieferanten eine Sicherheit zu verschaffen. Diese werden aber nur bei Vorliegen einer entsprechenden Sicherheit tätig. Der Schuldner müsste Forderungen, die er bereits in der Globalzession abgetreten hat, erneut abtreten. Der Globalzessionar (i. d. R. eine Bank) zwingt den Kunden zum Vertragsbruch gegenüber seinen Lieferanten (Vertragsbruch-Problematik)57.
Nach ständiger Rechtsprechung ist daher eine Globalzession sitten- widrig, soweit die künftig an Lieferanten abzutretenden Forderungen nicht in jedem Fall mit dinglicher Wirkung vorgehen58. Eine schuldrechtliche Verzichtsklausel ist in einem solchen Fall nicht ausreichend59. Um das Vorgehen des verlängerten Eigentumsvorbehal- tes zu gewährleisten muss der Globalzessionar die Forderungen von vornherein durch eine dingliche (Teil-)Verzichtsklausel aus der Glo- balzession ausnehmen und ihnen somit Vorrang einräumen60. Durch eine wirksame dingliche Verzichtsklausel kann also (ebenso wie bei der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit des Schuldners) auch im Hinblick auf die Beeinträchtigung vorrangiger Interessen konkur- rierender Gläubiger die Nichtigkeitsfolge abgewendet werden.
3. Die Globalzession in der Insolvenz
Im Insolvenzfall wird die Globalzession nach den §§ 51 Nr. 1, 50 I InsO behandelt. Dem Globalzessionar steht an den abgetretenen Forderungen ein Absonderungsrecht zu61.
Als Absonderungsberechtigter ist der Globalzessionar kein „echter“ Insolvenzgläubiger. Er nimmt zwar am Insolvenzverfahren teil62, ist aber gegenüber den Insolvenzgläubigern privilegiert: nach der Ver- wertung der vor der Verfahrenseröffnung begründeten und fälligen Forderungen durch den Insolvenzverwalter gem. § 166 II InsO und nach Abzug der Kosten für Feststellung und Verwertung wird der Globalzessionar vorab vor den Insolvenzgläubigern gem. § 170 I 2 In- sO unverzüglich und wenn möglich vollständig befriedigt.
[...]
1 Uhlenbruck, Uhlenbruck, § 16, Rn. 19.
2 Uhlenbruck, Pape, § 1, Rn. 2.
3 Foerste, S. 34, Rn. 57; S. 40, Rn. 75; S. 45, Rn. 85, 86.
4 Bork, S.157, Rn. 281 ff .
5 Foerste, S. 192, Rn. 368.
6 Ehricke/ Biehl, S. 66, Rn. 80 lit. a).
7 S. u. B. II. 3.
8 Bork, S.163, Rn. 293; Ehricke/ Biehl, S. 66, Rn. 80 lit. a).
9 Foerste, S. 45, Rn. 86.
10 Foerste, S. 5,6, Rn. 8.; Braun, Bäuerle, § 49, Rn. 1.
11 Bork, S. 164, Rn. 293; Foerste, S. 192, Rn. 368.
12 Braun, Bäuerle, vor §§ 49-52, Rn. 1 f.; MüKo-InsO, Tetzlaff, vor §§ 166-173, Rn. 67; § 170, Rn. 38.
13 Schimansky/ Bunte/ Lwowski, Ganter, § 96, Rn. 93.
14 Jauernig, Stürner, § 398, Rn. 18.
15 Gottwald/ Adolphsen, Huber, § 47, Rn. 21; MüKo-BGB, Roth, § 398, Rn. 13; Schimansky/ Bunte/ Lwowski, Ganter, § 96, Rn. 93.
16 Prütting/ Wegen/ Weinreich, Müller, § 398, Rn. 9.
17 Braun, Bäuerle, § 51, Rn. 32.
18 Gottwald/ Adolphsen, Huber, § 47, Rn. 21.
19 RGZ 136, 100, 102; MüKo-BGB, Armbrüster, § 138, Rn. 98; Schimansky/ Bunte/ Lwowski, Ganter, § 96, Rn. 64.
20 Uhlenbruck, Brinkmann, § 51, Rn. 21; BGH ZIP 2013, 1181, 1182; Gehrlein in ZIP 2011, 5, 6; Schimansky/ Bunte/ Lwowski, Ganter, § 96, Rn. 65.
21 Wimmer, Wegener, § 166, Rn. 8.
22 Braun, Dithmar, § 166, Rn. 17; Ganter in ZIP 2014, 53.
23 MüKO-InsO, Tetzlaff, vor §§ 166-173, Rn. 58, 59.
24 BGH NJW 2000, 276, 277; Palandt, Grüneberg, § 398, Rn. 14; Uhlenbruck, Brinkmann, § 51, Rn. 21.
25 Jauernig, Stürner, § 398, Rn. 11.
26 Sievers, S. 39.
27 Prütting/ Wegen/ Weinreich, Müller, § 398, Rn. 15; RGZ 136, 100, 103; BGH NJW 2000, 276, 277; Wimmer, Imberger,§ 51, Rn. 48.; Sievers, S. 39
28 BGH ZIP 2008, 183, 185.
29 Palandt, Grüneberg, § 398, Rn. 11; RGZ 136, 100, 103; Westermann, S. 19.
30 Jauernig, Stürner, § 398, Rn. 22.
31 Sievers, S. 45.
32 Staudinger, Sack/ Fischinger, § 138, Rn. 75ff.; MüKo-BGB, Armbrüster, § 138 Rn. 129ff.
33 BGHZ 94, 268, 272 f.; Staudinger, Sack/ Fischinger, § 138, Rn. 75, 76; MüKo-BGB, Armbrüster, § 138 Rn. 129.
34 MüKo-BGB, Armbrüster, § 138 Rn. 130.
35 MüKo-BGB, Armbrüster, § 138 Rn. 155 ff.; Jauernig, Mansel, § 138, Rn. 12,14; Staudinger, Sack/ Fischinger, § 138, Rn. 107 ff.; Weber, S. 209, 304.
36 Sievers, S. 51.
37 Sievers, S. 46.
38 Nerlich/ Römermann, Andres, § 47, Rn. 31.
39 Gottwald/ Adolphsen, Gottwald/ Adolphsen, § 43, Rn. 89, 90; Weber, S. 304; MüKoBGB, Armbrüster, § 138, Rn. 99; Weber in WM 1994, 1549.
40 Weber in WM 1994, 1549, 1550; Schimansky/ Bunte/ Lwowski, Ganter, § 90 , Rn. 346; Weber, S. 305.
41 Sievers, S. 48.
42 Sievers, S. 48.
43 Nerlich/ Römermann, Andres, § 47, Rn. 32; BGH NJW 1994, 861, 863.
44 Uhlenbruck, Brinkmann, § 51, Rn. 22.
45 Weber in WM 1994, 1549, 1550; Schimansky/ Bunte/ Lwowski, Ganter, § 99, Rn. 349.;Weber, S. 305.
46 Uhlenbruck, Brinkmann, § 51, Rn. 10.
47 MüKo-BGB, Armbrüster, § 138, Rn. 101.
48 MüKo-BGB, Armbrüster, § 138, Rn. 101.
49 BGH NJW 1994, 861, 863.
50 BGH NJW 1998, 671; Uhlenbruck, Brinkmann, § 51, Rn. 11; MüKo-BGB, Armbrüster, § 138, Rn. 100.
51 Sievers, S. 49.
52 Brinkmann, S. 280.
53 Bohlen in ZInsO 2010, 2283, 2285; OLG Celle, ZInsO 2011, 686.
54 OLG Celle, ZInsO 2011, 686,687.
55 Weber, S. 305; Nerlich/ Römermann, Andres, § 47, Rn. 34; MüKo-BGB, Armbrüster, § 138, Rn. 102, 104.
56 S. o. B. II. 2. b) i.
57 Nerlich/ Römermann, Andres, § 47, Rn. 34; Staudinger, Sack/ Fischinger, § 138, Rn. 428; MüKo-BGB, Armbrüster, § 138, Rn. 102; Weber in WM 1994, 1549
58 Gottwald/ Adolphsen, Gottwald/ Adolphsen, § 43, Rn. 90, 92; Prütting/ Wegen/ Wein- reich, Müller, § 138, Rn. 146; BGH NJW 1999, 940; Bohlen in ZInsO 2010, 2283, 2284.
59 BGH NJW 1999, 940, 941; MüKo-BGB, Armbrüster, § 138, Rn. 103.
60 Weber in WM 1994, 1549, 1950; Nerlich/ Römermann, Andres, § 47, Rn. 34; OLG Celle, ZInsO 2011, 686; MüKo-BGB, Armbrüster, § 138, Rn. 103.
61 Bork, S. 158, Rn. 285; Gessner in ZIP 2012, 455.
62 Foerste, S. 45, Rn. 86.