Für viele soziologische Forschungen ist es heutzutage notwendig, die individuellen Lebensverläufe der befragten Personen zu erfragen und auszuwerten. Diese Lebensverlaufsdaten werden in der Regel durch ein Interview mithilfe eines geschulten Interviewers erhoben, oder durch standardisierte Fragebögen von den Personen selbst angegeben. Diese Lebensverlaufsdaten haben die Eigenschaft, dass sie sowohl retrospektiv, als auch prospektiv erhoben werden können. Ich möchte mich innerhalb dieser Hausarbeit allerdings nur auf den retrospektiven Aspekt der Erhebung von Lebensverlaufsdaten beziehen.
Es stehen zwei Strategien zur retrospektiven Datenerhebung zur Verfügung: Zum einen die Erhebung in einem retrospektiven Panel, wobei nach allen Ereignissen von Interesse gefragt wird, die zwischen zwei Erhebungswellen stattgefunden haben; zum anderen die retrospektive Einmal-Erhebung, bei der zum Befragungszeitraum sämtliche Ereignisse von Interesse in der Vergangenheit abgefragt werden.
Allerdings bergen diese retrospektiv erfragten Daten einige Fehlerquellen in sich. So kann es z.B. geschehen, dass die befragten Personen sich nicht mehr an den, den Forscher interessierenden Teil aus dem Lebensverlauf, erinnern, dass Ereignisse fehldatiert werden oder ganz und gar vergessen oder verdrängt werden. Dies geschieht unwissentlich und ohne Intention des Befragten und hängt mit der Konstruktion und der Arbeitsweise des menschlichen Gedächtnisses zusammen. Diese möchte ich, soweit es der Rahmen dieser Hausarbeit zulässt, modellhaft beschreiben. Es gilt dabei herauszufinden, welche Gesetzmäßigkeiten sich beim Speichern von Erinnerungen finden lassen und welche Annahmen wir über die Funktion der Informationsspeicherung an sich treffen können.
Nachfolgend werde ich einen kurzen Überblick über die möglichen Erinnerungsfehler in den Retrospektivbefragungen geben und die wichtigsten genauer beschreiben. Dabei werde ich die Folgen von Erinnerungseigenschaften von zum Beispiel unerwarteten, emotional aufgeladenen und folgenschweren Ereignissen eingehen. Im Anschluss daran werde ich Möglichkeiten aufzeigen, wie man, zum Beispiel durch die Fragebogenkonstruktion, diese Erinnerungsfehler minimieren kann und diese kurz evaluieren. In dieser Hausarbeit möchte ich mich einzig und allein auf autobiografische Ereignisse und Erinnerungen beziehen, da alles weitere den eng gesetzten Rahmen überschreiten würde.
Inhaltsverzeichnis (Table of Contents)
- Einleitung
- Die Funktionsweise des autobiografischen Gedächtnisses
- Von der Wahrnehmung zur Erinnerung
- Die Ordnung von Erinnerungen im Gedächtnis
- Theorien über das Vergessen
- Der Erinnerungsprozess
- Ereigniseigenschaften und ihr Einfluss auf die Erinnerungsgenauigkeit
- Die emotionale Bedeutsamkeit von Ereignissen
- Folgenschwere und Unerwartetheit als Kriterien für das bessere Behalten von Erinnerungen
- Serialität von Ereignissen
- Dauer von Ereignissen
- Der Einfluss der vergangenen Zeit auf die Erinnerungsgenauigkeit
- Möglichkeiten zur Reduzierung von Erinnerungsungenauigkeiten
- Eingrenzen der Referenzmenge
- Den Befragten viel Zeit einräumen
- Die Nutzung von Abrufhinweisreizen
- Bounded Recall und der Life History Calendar
- Angaben über Dritte
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte (Objectives and Key Themes)
Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit den Herausforderungen, die mit retrospektiven Datenerhebungen in der soziologischen Forschung einhergehen. Das Ziel ist es, die Funktionsweise des menschlichen Gedächtnisses zu beleuchten und zu erklären, wie Erinnerungsfehler bei der Abfrage vergangener Lebensereignisse entstehen können. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie diese Fehlerquellen identifiziert und potenziell minimiert werden können.
- Die Funktionsweise des autobiografischen Gedächtnisses
- Die Entstehung von Erinnerungsfehlern in retrospektiven Befragungen
- Der Einfluss von Ereigniseigenschaften auf die Erinnerungsgenauigkeit
- Methoden zur Reduzierung von Erinnerungsungenauigkeiten
- Die Bedeutung von Bounded Recall und Life History Calendars
Zusammenfassung der Kapitel (Chapter Summaries)
Die Einleitung führt in die Thematik der retrospektiven Datenerhebung in der soziologischen Forschung ein und beleuchtet die Herausforderungen, die mit Erinnerungsfehlern verbunden sind. Anschließend werden die Prozesse des Enkodierens und Abrufs von Erinnerungen im autobiografischen Gedächtnis dargestellt. Dabei wird auf die Rolle des Kurzzeit- und Langzeitgedächtnisses sowie auf Theorien über das Vergessen eingegangen.
Im folgenden Abschnitt werden die Auswirkungen von Ereigniseigenschaften auf die Erinnerungsgenauigkeit untersucht. Es wird erläutert, wie die emotionale Bedeutsamkeit, die Folgenschwere und die Unerwartetheit von Ereignissen das Behalten von Erinnerungen beeinflussen.
Schließlich werden verschiedene Möglichkeiten zur Reduzierung von Erinnerungsungenauigkeiten in retrospektiven Befragungen vorgestellt. Dazu zählen das Eingrenzen der Referenzmenge, die Gewährung von ausreichend Zeit für die Befragten, die Nutzung von Abrufhinweisreizen sowie die Anwendung von Bounded Recall und Life History Calendars.
Schlüsselwörter (Keywords)
Retrospektive Datenerhebung, autobiografisches Gedächtnis, Erinnerungsfehler, Ereigniseigenschaften, emotionale Bedeutsamkeit, Folgenschwere, Unerwartetheit, Bounded Recall, Life History Calendar.
- Arbeit zitieren
- Bernd Lauert (Autor:in), 2012, Erinnerungseffekte in Retrospektivbefragungen. Fragebogenkonstruktion zur Minimierung der Erinnerungsfehler, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/334690