Das Wappen zeigt „al-qur`ān al-karīm“ - den erhabenen, den heiligen Koran umschlosssen von zwei gekreuzten Schwertern. Darunter sind die arabischen Worte „wa a´iddū“ zu lesen: „und bereitet euch vor“. Auch dies ein Verweis auf den Koran, den Teil einer Sure , der in deutscher Übersetzung lautet: „So rüstet wider sie, was ihr vermögt an Kräften und Rossehaufen, damit in Schrecken zu setzen Allahs Feind und euern Feind und andre außer ihnen, die ihr nicht kennt, Allah aber kennt.“ Nun haben Wappen allegorischen Charakter. Sie vermitteln also bildhaft eine Aussage, die zumeist den Kern, die Maxime einer Gemeinschaft darstellt. Im Fall der Muslimbruderschaft nun scheint diese Maxime klar zu lauten: „Mit Schwert und Koran gegen die Ungläubigen, die Feinde Allahs!“.
Ein Zeitsprung. Es ist März 2004. In einem Raum des ägyptischen Journalistenverbands stellt die Führung der Bruderschaft ihre Vorstellungen zur Reform der ägyptischen Gesellschaft vor. Soziale Ungerechtigkeit, ineffektive Politik und technologische Rückschrittlichkeit werden als die Schwachpunkte des Systems bezichtigt, in 13 Artikeln wird die Liberalisierung und Pluralisierung des politischen Systems gefordert sowie die Schaffung einer unabhängigen Justiz und die Trennung von Militär und Staatsapparat. Die Religionsfrage taucht lediglich in Zusammenhang mit der angestrebten Wirtschaftsordnung auf, die auf islamischem Recht gründen soll, darüber hinaus in einem Artikel, der Glaubensfreiheit innerhalb der Gesellschaft postuliert.
Zwei Monate später. Dieselbe Führung ruft auf einer Großdemonstration zu Ehren des ermordeten Hamas-Führers Yassin zum ğihād gegen Israel auf. Daraufhin werden die Muslimbrüder in Kommentaren als „Opportunisten“ bezeichnet, deren liberale Gesinnung nur Fassade sei, die dazu diene ihr eigentliches Ziel – die Übernahme der absoluten Macht und die Reislamisierung der Gesellschaft – zu verschleiern. Liberaler Modernismus gepaart mit militantem Fundamentalismus? Lassen sich solche scheinbar offensichtlichen Widersprüche tatsächlich miteinander vereinbaren? Dieser Frage gehe in der folgenden Arbeit auf den Grund.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Entstehung der ägyptischen Neo-Muslimbrüder
- „ğamā'a al-iḥwān al-muslimīn“ - die Gemeinschaft der Muslimbrüder
- Die Spaltung der islamistischen Bewegung
- Sayyid Qutb und der islamische Radikalismus
- Der Konservativismus der Neo-Muslimbrüder – Wiederaufnahme des Missionskonzepts
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die ägyptische Neo-Muslimbruderschaft und deren scheinbar widersprüchliche Positionierung zwischen liberalen Reformen und militantem Fundamentalismus. Sie analysiert die Entwicklung der Bruderschaft von ihren Anfängen bis zu den Veränderungen nach der nasseristischen Repression. Die Arbeit beleuchtet die Gründe für die Spaltung der islamistischen Bewegung und die unterschiedlichen Interpretationen des islamischen Glaubens.
- Die Entstehung und Entwicklung der Muslimbruderschaft in Ägypten
- Die Spaltung der islamistischen Bewegung nach der nasseristischen Repression
- Der Einfluss von Sayyid Qutb auf den islamischen Radikalismus
- Der Wandel des Missionskonzepts der Neo-Muslimbrüder
- Der Konflikt zwischen liberalen Zielen und militantem Fundamentalismus innerhalb der Bruderschaft
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung stellt die scheinbar widersprüchliche Positionierung der ägyptischen Muslimbruderschaft zwischen liberalen Reformforderungen und Aufrufen zum Dschihad dar. Sie führt das Wappen der Bruderschaft an, welches Schwert und Koran zeigt, als Symbol für diesen Widerspruch. Die Ereignisse von März und Mai 2004, mit gegensätzlichen Botschaften der Bruderschaftsführung, dienen als Ausgangspunkt für die Untersuchung der Frage, ob liberaler Modernismus und militanten Fundamentalismus vereinbar sind.
Die Entstehung der ägyptischen Neo-Muslimbrüder: Dieses Kapitel behandelt die Geschichte der Muslimbruderschaft von ihrer Gründung durch Hasan al-Banna 1928 bis zu ihrer Unterdrückung unter Nasser. Es beschreibt die anfängliche sozial-religiöse Ausrichtung der Bruderschaft, die Betonung der individuellen Islamisierung durch Missionierung („ad-dawa“) und den späteren zunehmenden politischen Einfluss und die Konfrontation mit dem ägyptischen Staat. Der Tod al-Bannas und die nasseristische Verfolgung werden als entscheidende Wendepunkte hervorgehoben, die zu einem Paradigmenwechsel führten und die Bildung der „Neo-Muslimbrüder“ nach sich zogen. Die „miḥna“ (große Heimsuchung) wird als Metapher für die Repression und die Opferrolle der Muslimbrüder verwendet.
Die Spaltung der islamistischen Bewegung: Dieses Kapitel behandelt die Spaltung der islamistischen Bewegung nach den nasseristischen Repressionen. Ein Schwerpunkt ist Sayyid Qutbs ideologischer Einfluss und die Entstehung des islamischen Radikalismus. Qutbs Konzept der „ğahilīya“ (Zeit der Unwissenheit) und die Ablehnung säkularer Gesellschaften werden erläutert, ebenso wie das „takfir“-Konzept (Deklarierung von Ungläubigkeit). Im Gegensatz dazu wird der konservativere Zweig der Bewegung beschrieben, welcher eine weitere Konfrontation mit dem Regime als kontraproduktiv erachtet und stattdessen eine Wiederaufnahme des Missionskonzepts favorisiert. Der Unterschied zwischen der schrittweisen Reform von innen heraus (al-Banna) und dem Umsturz durch gewaltsamen Dschihad (Qutb) wird herausgestellt. Die soziale Herkunft der Anhänger beider Richtungen wird ebenfalls betrachtet.
Schlüsselwörter
Muslimbrüder, Neo-Muslimbrüder, Ägypten, Islamismus, Radikalisierung, Sayyid Qutb, Hasan al-Banna, ğahilīya, takfir, ad-dawa, ğihād, liberaler Modernismus, Fundamentalismus, Nasserismus, miḥna.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zur ägyptischen Neo-Muslimbruderschaft
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit untersucht die ägyptische Neo-Muslimbruderschaft und deren scheinbar widersprüchliche Positionierung zwischen liberalen Reformen und militantem Fundamentalismus. Sie analysiert die Entwicklung der Bruderschaft von ihren Anfängen bis zu den Veränderungen nach der nasseristischen Repression und beleuchtet die Gründe für die Spaltung der islamistischen Bewegung sowie die unterschiedlichen Interpretationen des islamischen Glaubens.
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit behandelt die Entstehung und Entwicklung der Muslimbruderschaft in Ägypten, die Spaltung der islamistischen Bewegung nach der nasseristischen Repression, den Einfluss von Sayyid Qutb auf den islamischen Radikalismus, den Wandel des Missionskonzepts der Neo-Muslimbrüder und den Konflikt zwischen liberalen Zielen und militantem Fundamentalismus innerhalb der Bruderschaft.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit enthält eine Einleitung, ein Kapitel zur Entstehung der ägyptischen Neo-Muslimbrüder, ein Kapitel zur Spaltung der islamistischen Bewegung, sowie Zusammenfassungen der einzelnen Kapitel und eine Liste der Schlüsselwörter. Die Einleitung stellt den scheinbaren Widerspruch zwischen liberalen Reformforderungen und Aufrufen zum Dschihad dar und verwendet das Wappen der Bruderschaft (Schwert und Koran) als Symbol hierfür.
Welche Rolle spielt Sayyid Qutb?
Sayyid Qutbs ideologischer Einfluss auf die Spaltung der islamistischen Bewegung wird ausführlich behandelt. Seine Konzepte der „ğahilīya“ (Zeit der Unwissenheit), die Ablehnung säkularer Gesellschaften und das „takfir“-Konzept (Deklarierung von Ungläubigkeit) werden erläutert und im Gegensatz zum konservativeren Zweig der Bewegung gesetzt, der eine Wiederaufnahme des Missionskonzepts favorisiert.
Was ist der Unterschied zwischen den beiden Hauptströmungen innerhalb der Bewegung?
Die Arbeit hebt den Unterschied zwischen der schrittweisen Reform von innen heraus (al-Banna) und dem Umsturz durch gewaltsamen Dschihad (Qutb) hervor. Auch die soziale Herkunft der Anhänger beider Richtungen wird betrachtet.
Welche Schlüsselbegriffe sind wichtig für das Verständnis der Thematik?
Wichtige Schlüsselbegriffe sind Muslimbrüder, Neo-Muslimbrüder, Ägypten, Islamismus, Radikalisierung, Sayyid Qutb, Hasan al-Banna, ğahilīya, takfir, ad-dawa, ğihād, liberaler Modernismus, Fundamentalismus, Nasserismus und miḥna.
Welche Ereignisse werden als besonders wichtig dargestellt?
Der Tod al-Bannas und die nasseristische Verfolgung werden als entscheidende Wendepunkte hervorgehoben, die zu einem Paradigmenwechsel und der Bildung der „Neo-Muslimbrüder“ führten. Die Ereignisse von März und Mai 2004 mit gegensätzlichen Botschaften der Bruderschaftsführung dienen als Ausgangspunkt für die Untersuchung der Vereinbarkeit von liberalem Modernismus und militantem Fundamentalismus.
Wie wird die "miḥna" (große Heimsuchung) im Kontext der Arbeit verwendet?
Die „miḥna“ wird als Metapher für die Repression und die Opferrolle der Muslimbrüder verwendet, um die Erfahrungen der Bewegung unter der nasseristischen Herrschaft zu beschreiben.
- Quote paper
- Cornelia Weinberger (Author), 2004, Die ägyptische Neo-Muslimbruderschaft - Legalisten wider Willen?, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/31752