Laura Himmelreichs Artikel „Der Herrenwitz“ über ein Interview mit Rainer Brüderle, das dessen sexistische Äußerungen und Übergriffigkeiten schilderte, führte schon bald nach Veröffentlichung zu einer großen medialen Aufmerksamkeit für das Thema Sexismus. Dabei steht Brüderle exemplarisch für einen alltäglichen Sexismus, wie er überwiegend von Frauen erlebt wird.
Die über 80.000 Tweets unter dem Hashtag „Aufschrei“, initiiert von Anne Wizorek, werden in der medialen Diskussion regelmäßig als Beleg für Sexismen aller Art verwendet. Darunter fallen allerdings auch Tweets, die deutlich sexistische und antifeministische Positionen zum Ausdruck bringen oder dem Thema die Ernsthaftigkeit entziehen wollen. So gehörte der Tweet: „Meine Frau wollte auch etwas zu #Aufschrei twittern. Das W-Lan reicht aber nicht bis in die Küche“ zu den am meisten weitergeleiteten Mitteilungen. Neben solchen Verharmlosungen einer Thematik, die laut einer repräsentativen Studie 58,2 Prozent aller Frauen betrifft, zeigten sich vereinzelt antifeministische Tweets, die vor „Feminazis“ und deren „FeminaziSS“ warnten. Die Diskussionen um #Aufschrei wurden auch von Organisationen und Einzelpersonen begleitet, die nach eigener Aussage für Gleichberechtigung eintreten, sich allerdings klar antifeministisch positionieren.
Der für tatsächliche Gleichberechtigung eintretende Verein AGENS warf Wizorek vor „[...] IHRE Moralvorstellungen an die Öffentlichkeit zu bringen. Da ist es wieder, das Opfer-Abo der Frau und der ‚Manngleich - Täter - Mythos‘[sic!]. Der muss immer wieder am Kochen gehalten werden. Es ist der Radikalfeminismus, der die Geschlechter-Apartheid gezielt anheizt.“ AGENS ist neben MANNdat und wgdvl.com eine der bekanntesten maskulistischen Organisationen, welche sich als Teil einer Männerbewegung verstehen, die allerdings durch ihre antifeministische Positionierung keine Gemeinsamkeiten mit der historischen Männerbewegung und deren antisexistischem Ansatz haben. Im vergangenen Jahrzehnt entstanden mehrere maskulistische Organisationen und vor allem Diskussionsforen, in denen neben einem antifeministischen Konsens misogyne, homophobe, antietatistische und/oder neofaschistische Positionen vorherrschen. (...)
Ziel der vorliegenden Arbeit ist, zum einen einen Überblick über maskulistische Netzwerke und deren Strategien zu erarbeiten und zum anderen die Spaltungslinien innerhalb der maskulistischen Netzwerke zu analysieren.
Inhalt
1. Exposition der Fragestellung
2. Historische Männerbewegung
3. Moderner Maskulismus
4. Maskulistische Organisationen/Foren
4.1 MANNdat
4.2 Väteraufbruch für Kinder
4.3 Familiennetzwerk Deutschland
4.4 AGENS
4.5 AG Männer der Piratenpartei
4.6 Interessengemeinschaft Antifeminismus (IGAF)
4.7 WikiMANNia
4.8 Wieviel „Gleichberechtigung“ verträgt das Land (wgvdl.com)
5. Elemente des Maskulismus
5.1 Antifeminismus
5.2 Anti-Etatismus
5.3 Biologismus
5.4 Männliche Opferideologie
5.5 Homophobie
6. Strömungen
6.1 Rechtsoffenener bis neofaschistischer Maskulismus
6.2 Christlich-konservativer Maskulismus
6.3 Liberaler Maskulismus
7. Fazit
II. Literaturverzeichnis
1. Exposition der Fragestellung
Laura Himmelreichs Artikel „Der Herrenwitz“[1] über ein Interview mit Rainer Brüderle, das dessen sexistische Äußerungen und Übergriffigkeiten schilderte, führte schon bald nach Veröffentlichung zu einer großen medialen Aufmerksamkeit für das Thema Sexismus. Dabei steht Brüderle exemplarisch für einen alltäglichen Sexismus, wie er überwiegend von Frauen erlebt wird. Die über 80.000 Tweets unter dem Hashtag „Aufschrei“[2], initiiert von Anne Wizorek, werden in der medialen Diskussion regelmäßig als Beleg für Sexismen aller Art verwendet. Darunter fallen allerdings auch Tweets, die deutlich sexistische und antifeministische Positionen zum Ausdruck bringen oder dem Thema die Ernsthaftigkeit entziehen wollen. So gehörte der Tweet: „Meine Frau wollte auch etwas zu #Aufschrei twittern. Das W-Lan reicht aber nicht bis in die Küche“[3] zu den am meisten weitergeleiteten Mitteilungen. Neben solchen Verharmlosungen einer Thematik, die laut einer repräsentativen Studie 58,2 Prozent aller Frauen betrifft[4], zeigten sich vereinzelt antifeministische Tweets, die vor „Feminazis“[5] und deren „Feminazi-SS“[6] warnten. Die Diskussionen um #Aufschrei wurden auch von Organisationen und Einzelpersonen begleitet, die nach eigener Aussage für Gleichberechtigung eintreten, sich allerdings klar antifeministisch positionieren. Der für tatsächliche Gleichberechtigung [7] eintretende Verein AGENS warf Wizorek vor „[...] IHRE Moralvorstellungen an die Öffentlichkeit zu bringen. Da ist es wieder, das Opfer-Abo der Frau und der ‚Mann- gleich - Täter - Mythos‘[sic!]. Der muss immer wieder am Kochen gehalten werden. Es ist der Radikalfeminismus, der die Geschlechter-Apartheid gezielt anheizt.“[8]
AGENS ist neben MANNdat und wgdvl.com eine der bekanntesten maskulistischen Organisationen, welche sich als Teil einer Männerbewegung verstehen, die allerdings durch ihre antifeministische Positionierung keine Gemeinsamkeiten mit der historischen Männerbewegung[9] und deren antisexistischem Ansatz haben. Im vergangenen Jahrzehnt entstanden mehrere maskulistische Organisationen und vor allem Diskussionsforen, in denen neben einem antifeministischen Konsens misogyne, homophobe, antietatistische und/oder neofaschistische Positionen vorherrschen. Die Gemeinsamkeit dieser Gruppen besteht in der Behauptung einer gezielten Unterdrückung von Männern, die als Opfer einer Gleichstellungspolitik gesehen werden. Demzufolge sehen sie sich als Freiheitskämpfer_innen gegen eine sog. Femokratie, in der Frauen immer mehr Rechte zu Lasten von Männern erlangen. Dabei handelt es sich jedoch keineswegs um eine homogene Bewegung.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist, zum einen einen Überblick über maskulistische Netzwerke und deren Strategien zu erarbeiten und zum anderen die Spaltungslinien innerhalb der maskulistischen Netzwerke zu analysieren.
Hierzu werden in Kapitel 2 zunächst die Entstehung und Differenzierungen der historischen Männerbewegung betrachtet. Den fundamentalen Bruch mit dieser Bewegung und der damit einhergehenden Entstehung der Maskulist_innen zeigt Kapitel 3. Kapitel 4 untersucht die wichtigsten Netzwerke aus Vergangenheit und Gegenwart hinsichtlich ihrer Bedeutung für den Maskulismus und ihrer strategischen Ausrichtung. Die Analyse der konstituierenden Elemente maskulistischer Theorie erfolgt in Kapitel 5. Da es sich um eine heterogene Szene handelt, erfolgt in Kapitel 6 eine Einordnung der vorgestellten Netzwerke in drei Hauptströmungen, die sich durch unterschiedliche Schwerpunkte und gegenseitige Abneigung auszeichnen. Abschließend erfolgt in Kapitel 7 ein Fazit auf Grundlage der vorangegangen Untersuchung.
2. Historische Männerbewegung
Andreas Kemper ist Autor mehrerer Bücher zum Thema Maskulismus und war selbst Teil der Männergruppenszene in der BRD. Er datiert die Entstehung der bundesdeutschen Männerbewegung auf das Jahr 1973 und charakterisiert sie als „Gruppen von Männern [...], die ihre Männlichkeit im Umfeld patriarchaler Verhältnisse infrage stellten und sich theoretisch und praktisch am Feminismus orientierten“[10]. Um den geringen politischen Einfluss und die geringe Größe der Männerbewegung im Vergleich zur Frauenbewegung zu verdeutlichen, findet sich in der Literatur der Begriff „Männergruppenszene“[11] als Synonym.
Die sich an der Frauenbewegung orientierende Männergruppenszene entstand aus linksradikalen Zusammenhängen parallel zur zweiten bundesdeutschen Schwulenbewegung. Eine der ersten Männergruppen geht auf die Initiative Volker Elis Pilgrims zurück, der kurz zuvor das Buch Der Untergang des Mannes veröffentlichte, welches u.a. für seine Definition „der Mann ist sozial und sexuell ein Idiot“[12] bekannt ist. Ein erstes bundesweites Männergruppentreffen fand 1975 statt. Ein zentrales Thema war Homophobie. Durch das Wachsen alternativer Bewegungen ab dem Ende der 1970er Jahre gewann die Männergruppenszene an Bedeutung und institutionalisierte sich zunehmend z.B. in Volkshochschulen, womit auch eine Entpolitisierung einherging.[13]
Es „[...] ging nicht mehr um ‚Gegengesellschaft‘, sondern um ‚Rollenfindung‘, darum, Wege aus der ‚Identitätskrise‘ zu finden“[14]. 1985 fand das bis dato größte Männergrup-penszenetreffen Wenn MÄNNER ihre TAGE haben statt, an dem über 1.000 Männer teilnahmen. Hier wurde auch antifeministischen Positionen Raum gegeben, wodurch die beginnende Differenzierung der Männerbewegung in drei wesentliche Strömungen deutlich wurde: eine profeministische bürgerliche und autonome Männergruppenszene sowie die antifeministische Neue-Mann-Bewegung. Die bürgerliche Männergruppenszene institutionalisierte sich zunehmend. Es entstanden Männerbüros und -foren sowie der Väteraufbruch für Kinder e.V., der sich als antipatriarchal und antisexistisch verstand, jedoch auch mit antifeministischen Gruppen kooperierte.
Die Differenzierung der Männerbewegung schlug 1993 auf dem Männertreffen in eine Spaltung um. Ursächlich waren Auseinandersetzungen um die Teilnahme des Wortführers der biologisierenden Wild-Men-Bewegung John Bellicchi, in dessen Folge Männlichkeit zunehmend positiv konnotiert und Workshops mit biologistischen Konzeptionen angeboten wurden.[15] Seit Mitte der 1990er Jahre verlor insbesondere die autonome Männergruppenszene an Bedeutung, wohingegen sich die bürgerliche Strömung weiter institutionalisierte. So vernetzten sich beispielsweise 1994 die wenigen bundesdeutschen Männerforscher zum Arbeitskreis Kritische Männerforschung, Männertherapien wurden entwickelt, Angebote für Väter- und Jungengruppen und gegen Männergewalt geschaffen und Ende 2010 das aus 31 Gruppen bestehende Bundesforum Männer gegründet.[16]
Zusammenfassend charakterisiert die Männerbewegung oder Männergruppenszene ein profeministischer und antisexistischer Ansatz. Die Spaltungen der 1990er Jahren in eine autonome und bürgerliche Männerbewegung einerseits und die Neue-Mann-Bewegung andererseits, markierte einen ersten Ansatzpunkt für maskulistische Argumentationsmuster. Die zunehmende Institutionalisierung der bürgerlichen Strömung führte zu einer Entpolitisierung wohingegen die autonome Männergruppenszene marginalisiert ist. Vor diesem Hintergrund gewannen die Maskulist_innen an Einfluss, die durch ihren Antifeminismus klar von der historischen Männerbewegung abzugrenzen sind. Um diese Abgrenzung auch begrifflich zu verdeutlichen, werden maskulistische Organisationen als Teil einer Männer rechts bewegung bezeichnet.
3. Moderner Maskulismus
In Bezugnahme auf den Einfluss der Wild-Men-Bewegung, die auf spirituellen Unterschieden von Männern und Frauen basierte und in der Männer als Zivilisationsopfer betrachtet wurden, resümiert Kemper, dass „[...] auch aufgrund dieser Unfähigkeit der Mainstream-Männerbewegung, mit den esoterischen und essentialisierenden Ansätzen einen politisch-kritischen Umgang zu finden, [...] sich [...] die antifeministische Männerrechtsszene ungestört entwickeln [konnte; D.B]“[17]. Die Wild-Men-Bewegung war neben Vaterrechts-Organisationen, esoterischen Zirkeln und der weniger bedeutsamen Free-Men-Bewegung Teil der Neue-Mann-Bewegung, aus deren Umfeld männerrechtsbewegte Organisationen entstanden, die sich später selbst als Maskulist_innen bezeichneten. Hierbei plädiert Kemper für eine Trennung der Begriffe Maskulismus und Maskulinismus. Kemper definiert Maskulinismus in Anlehnung an feministische Theorien „[...] als die ideologische Legitimation hegemonialer Männlichkeit [...]“[18] und den Maskulismus „[...] als die Ideologie der Männerrechtsbewegung, so ist der Maskulismus nur eine aktuelle Erscheinungsweise des Maskulinismus“[19].
Inwieweit es sich dabei tatsächlich um eine soziale Bewegung handelt ist fraglich. So schließt Hinrich Rosenbrock, dessen Magisterarbeit die antifeministische Männerrechtsbewegung zum Thema hatte, im Anschluss an seine Untersuchung, „[...] dass die antifeministische Männerrechtsbewegung bei ihrer inhaltlichen Ausrichtung, Organisationsstruktur und Mobilisierungsfähigkeit erhebliche Schwachstellen aufweist“[20] in dessen Folge der Begriff Bewegung, aufgrund der geringen Größe, der unzureichenden Mobilisierungsfähigkeit sowie der Schwächen in der inhaltlichen Argumentation (u.a. das Fehlen einer Formulierung konkreter Ziele und einer gemeinsamen Historie) aus wissenschaftlicher Sicht unangemessen ist.[21]
4. Maskulistische Organisationen/Foren
Im Folgenden werden die Netzwerke der antifeministischen Männerrechtsbewegung vorgestellt. Hierbei wird deutlich, dass es sich nicht um eine homogene Szene handelt. Vielmehr unterscheiden sich die Organisationen sowohl in ihrer Radikalität als auch in ihrer Strategie der politischen Einflussnahme.
[...]
[1] Himmelreich, Laura (2013): Der Herrenwitz. In: Stern. H. 5/2013 vom 24.01.2013. S.46-50.
[2] Vgl. Twitter.com (Hrsg.) (2013): Ergebnisse für #Aufschrei. Online unter: <https://twitter.com/search?q=%23aufschrei>; Stand: 07.03.2013.
[3] Vgl. Fleischhauer, Jan (2013): #In #großer #Sorge. Online unter: <http://www.spiegel.de/politik/deutschland/gauck-und-sexismusdebatte-der-aufschrei-empoerungsgestus-a-887367.html>; Stand: 08.03.2013.
[4] Vgl. Diehl, Charlotte/Rees, Jonas/Bohner, Gerd (2013): Zur „Sexismus-Debatte“: Ein Kommentar aus wissenschaftlicher Sicht. Online unter: <http://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=1&cad=rja&ved=0CDMQFjAA&url=http%3A%2F%2Fwww.uni-bielefeld.de%2Fpsychologie%2Fae%2FAE05%2FDiehl_Rees_Bohner_Kommentar-zur-Sexismus-Debatte_lang_2013-02-07.pdf&ei=-1A7UbaRKIXNtQaCk4DAAQ&usg=AFQjCNGCp7ZIdR2iM7DWqhYafw4ur7kMWg&bvm=bv.43287494,d.Yms>; Stand: 01.03.2013. S. 1.
[5] @Berufszyniker_9 (2013): „Kaum gehen den entarteten #Feminazis die #Argumente (?) aus, denunziert die Feminazi-#SS immer wieder Kritiker #aufschrei #verlogen #billig.“ 03.03.2013. 06:27 Uhr. Online unter: <https://twitter.com/Berufszyniker_9/status/308222150249172992>; Stand: 01.03.2013.
[6] Ebd.
[7] AGENS (Hrsg.) (2013): Über AGENS. Online unter: <http://agensev.de/was-wollen-wir/>; Stand: 09.03.2013.
[8] Kuhla, Eckhard (2013): Knigge statt Flirt. Online unter: <http://agensev.de/agens-meint/knigge-statt-flirt/>; Stand: 09.03.2013. Herv. i. Orig.
[9] Zur Diskussion der Charakterisierung als Bewegung vgl. Kapitel 2
[10] Kemper, Andreas (2012): Männerbewegung versus Männerrechtsbewegung. In: Kemper, Andreas (Hrsg.): Die Maskulisten. Organisierter Antifeminismus im deutschsprachigen Raum. Unrast-Verlag. Münster. S. 28-44. S. 28.
[11] Connell, Robert (2000): Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. 2. Aufl. Leske und Budrich. Opladen. S. 42.
[12] Pilgrim, Volker Elis (1990): Der Untergang des Mannes. rororo Mann, Reinbek. S 14.
[13] Vgl. Kemper, Andreas (2011): [r]echte Kerle. Zur Kumpanei der MännerRECHTSbewegung. Unrast. Münster. S. 19 ff.
[14] Ebd. S. 25.
[15] Vgl. Kemper (2011): [r]echte Kerle. A.A.O. S. 27 ff.
[16] Vgl. Kemper (2012): Männerbewegung. A.A.O. S. 33 f.
[17] Vgl. Kemper (2012): Männerbewegung. A.A.O. S. 34.
[18] Kemper (2011): [r]echte Kerle. A.A.O. S. 64.
[19] Ebd.
[20] Rosenbrock, Hinrich (2012): Die antifeministische Männerrechtsbewegung. Denkweisen, Netzwerke und Online-Mobilisierung. 2. Aufl. Berlin. S. 42.
[21] Vgl. Ebd.