Das Modul Schulpädagogik ist Inhalt zahlreicher pädagogischer Studiengänge. Wenn auch in Bereichen der Berufsfachschulen häufig junge Erwachsene ausgebildet werden, also von Bildung Erwachsener gesprochen werden kann, handelt es sich nicht um "Erwachsenenbildung"! Vielmehr greift auch in diesem Bereich die Schulpädagogik und die Ausbildungsgänge unterliegen beispielsweise im Bereich der Pflege den Berufsfachschulordnunghen.
Das vorliegende Vorlesungsskript gibt eine Einführung und Überblick über den Komplex Schulpädagogik und kann als Ansatzpunkt für weitere Ausarbeitungen der Studierenden herangezogen werden.
Inhaltsverzeichnis
1 Schulpädagogik
1.1 Erste Annährung
1.2 Definitionen
1.3 Gegenstand der Schulpädagogik
1.4 Schulpädagogik als Bestandteil der Pädagogik
1.5 Inhalte der Schulpädagogik
Schulpädagogik
Erste Annäherung
Begriff „Schulpädagogik“ geht auf Soziologen und Kulturphilosophen Georg Simmel zurück.
Erste Nennung im WS 1915/1916 in seiner Pädagogik-Vorlesung an der Universität Straßburg.
Begriff „Schulpädagogik“ tritt dabei nur im Titel, nicht im Text auf.
„Der Begriff wurde zunächst im Hinblick auf die berufsspezifische Ausbildung der Lehrer im Bereich der pädagogischen Akademien in den 1920er Jahren verwandt.“
„Schulpädagogik versteht sich in dieser Tradition als ‚angewandte Erziehungswissenschaft‘ […].“
Definition
„Die Schulpädagogik ist eine Teildisziplin der Pädagogik (Erziehungswissenschaft).
Als wissenschaftliche Disziplin beschäftigt sie sich mit der Theorie und Praxis der Entwicklung und Reflexion wissenschaftlicher Konzepte zur Gestaltung von Schulleben und Unterricht.“
Schulpädagogik:
- befasst sich mit allen Dimensionen des schulischen Lehrens und Lernens in einer […] Organisation.
- beschreibt die […] Bereiche einer schulischen Organisation (Schulentwicklung) und die theoretischen Grundlagen des Lehrens und Lernens in einem […] organisierten Bildungssystem.
„Schulpädagogik ist die Theorie und Praxis der Entwicklung und Reflexion wissenschaftlicher Konzepte zur Gestaltung von Schulleben und Unterricht.“
„Die Schulpädagogik ist die Theorie des pädagogisch orientierten Handelns im Feld schulischer Sozialisation.“
„Schulpädagogik ist eine Teildisziplin der Erziehungswissenschaft, deren Forschungsinteresse auf das Unterrichten und Erziehen in der Institution Schule zentriert ist. Die Schulpädagogik entwickelt die Theorie des Unterrichts im Rahmen einer Theorie der Schule.“
Gegenstand der Schulpädagogik
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
- Beschreibung und Begründung von Schule als Institution
- Aufbau von Schul- und Bildungssystemen (Schulsystemtheorie)
- Erziehungs- und Bildungsprozesse innerhalb von Unterricht und Schule
- Inhalte des Lernens und deren Begründung (Curriculum- und Lernplantheorie) (Vogel 2014:8)
Schultheorie: Wozu ist Schule da?
Bildungsfunktion:
Schulische Instrumente / Aufgaben:
Portfolioarbeit, Lerntagebücher, Teamentwicklungsmaßnahmen
Schultheorie: Wozu ist Schule da? (Hilbert Meyer)
„Huckepackfunktionen“ (Sekundärfunktionen):
- Schule als Wirtschaftsfaktor
- Schule als Kulturträger der Region
- Schule als…
Cave: Heimlicher Lehrplan
Heimlicher Lehrplan
Hierarchische Ordnung:
Der Lehrer ist Platzverteiler, Rednerlistenführer, Zeit- und Proviantmeister. Er erwartet Gehorsamkeit auch ohne Angabe von Gründen. Die Schüler lernen, sich in ein formales System von Über- und Unterordnungen einzufügen. Sie erfahren, dass konformes Verhalten belohnt und abweichendes Verhalten bestraft wird.
Leistungsbezogene Konkurrenz:
Der Lehrer ermahnt die Faulen und lobt die Fleißigen. Er unterrichtet kollektiv und zensiert individuell. Die Schüler lernen, dass der eigene Leistungserfolg auf dem Misserfolg der Konkurrenten fußt.
Sprachliche Normierung:
Der Lehrer normiert die im Klassenzimmer zugelassene Sprache. Er unterdrückt den Jargon der jugendlichen Subkulturen. Die Schüler passen sich an. Sie erlernen die Sprache der Schule (und das ist die Mittelschichtsprache) oder sie schweigen.
Maskierung:
Die Lehrer erwarten möglichst in allen Fächern „intrinsische Motivation“ und sachbezogene persönliche Interessen. Das ist aber objektiv eine Überforderung. Deshalb müssen sich die Schülerinnen und Schüler arrangieren. Und dabei sind sie ausgesprochen erfinderisch und zumeist auch erfolgreich.
Maskierung:
Philipp Jackson (1975) nennt das „Maskierung“: „Die Klassenetikette verlangt, interessiert zum Lehrer zu blicken und bei passender Gelegenheit die Stirn gedankenvoll in Falten zu legen - auch wenn man mit seinen Gedanken kilometerweit weg ist.“ (Jackson 1975:28)
Grundfunktionen der Schule nach Helmut Fend:
- Qualifikationsfunktion
- Sozialisationsfunktion
- Selektionsfunktion
- Legitimations- und Integrationsfunktion
Qualifikationsfunktion:
- Vermittlung von Fertigkeiten und Kenntnissen, die zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben befähigen.
- Insbesondere Kenntnisse, um einen Beruf ausüben zu können
- Berufsorientierte Einstellungen wie Fleiß, Lernbereitschaft, Mobilität
Sozialisationsfunktion:
➔ Enkulturationsfunktion!
Kulturelles System besteht aus Wissen und Fertigkeiten (Lesenen, Schreiben, Rechnen), diese sollen durch die Qualifikationsfunktion reproduziert werden, damit der Mensch in die jeweilige Kultur eingegliedert werden kann. (Sozialisation)
Selektionsfunktion:
- Schule reproduziert die Sozialstruktur der Gesellschaft
- Weist aufgrund individueller Leistungsfähigkeit Position in der Gesellschaft zu
➔ Allokationsfunktion
Verteilung auf zukünftige Berufslaufbahnen
Legitimations- und Integrationsfunktion:
- Vermittlung von Normen und Werte
- Normative Grundlagen des Herrschaftssystem werden reproduziert
- Zustimmung zum politischen System wird erzeugt
- Stabilisierung der Gesellschaft soll erreicht werden
6 Schulforschung
Horst Siegfried Kolb; BA, MSc Schulpädagogik 58
Geht u. a. folgenden Fragen nach:
- Schulgeschichte
- Wirksamkeit von Schule
- Wirksamkeit von Unterricht
- Lehrer- / Schülerverhalten
- …
nutzt:
- Quantitative Methoden
- Qualitative Methoden
- Triangulationen
- Meta-Analysen
7 Schulforschung am Beispiel John Hattie
Schulforschung am Beispiel John Hattie
- Hattie-Studie: Metaanalyse von Meta-Analysen zu Einflussfaktoren schulischen Lernens
- Zusammenfassung der empirischen Schul- und Unterrichtsforschung aus über 800 Meta-Analysen
- 60.000 einzelne empirische Untersuchungen
- Lernergebnisse von 88 Millionen Schülerinnen und Schülern
Schulforschung am Beispiel John Hattie
Effektstärkenmaß d: Einschätzung der Wirksamkeit der Faktoren, Maß für die praktische Relevanz von Einflussgrößen; z. B. Mittelwertuntersuchungen im Wissens- und Kompetenzzuwachs zweier Gruppen in Einheiten der Standardabweichung (Streuungsmaß). Hattie geht ab d=0.40 von einem beachtlichen Effekt aus.
Kritisches:
- Qualität einzelner Metastudien und Einzelstudien erscheint fraglich
- Unklare Stringenz der Ableitung von Schlussfolgerungen aus den empirischen Analysen
- Häufig fehlen fachspezifische Aussagen und Altersgruppendifferenzierung
Kritisches:
- Viele der als wirkungslos identifizierten Faktoren können wirksam sein (z. B. offener Unterricht) und umgekehrt (z. B. Feedback)
- Nicht alle Studien wurden korrekt analysiert und eingebunden, manche Studien wurden doppelt gewertet (Off 2014)
Kritisches:
- Studien beziehen sich auf angelsächsische Länder und sind mit Situationen in deutschsprachigen Ländern nicht vergleichbar (z. B. Lehrerausbildung) (Off 2014)
Fazit:
- Hattie-Studie stellt Reflexionsangebote für Schul - und Unterrichtsentwicklung bereit.
- Eine kritische Auseinandersetzung mit den Ergebnissen ist unter Betrachtung weiterer wissenschaftlicher Befunde geboten.
Fazit:
- Reflexion muss sich auch auf das subjektive Professionswissen relevanter schulischer Bezugsgruppen richten.
- Teile von externen Evaluationsergebnisse stimmen mit Hatties Befunden überein.
8 Schulentwicklung
Grundsatz: Schulentwicklung ist Aufgabe der gesamten Schule!
„Schulleitung, Lehrerkollegium, Eltern und Schüler müssen dabei gleichermaßen mitwirken, um das gemeinsame Verantwortungsbewusstsein für die ganze Schule zu aktivieren.“
Trotzdem kommt dem Schulleiter eine Sonderrolle zu, denn er trägt die „pädagogische, organisatorische und rechtliche Gesamtverantwortung“.
(§ 49 BFSO Pflege 2014)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Drei-Wege-Modell der Schulentwicklung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
9 Erziehung
9.1 Definitionen
9.2 Gesetzliche Verankerung
- Findet in der Erwachsenbildung Erziehung statt?
- Findet in der Ausbildung innerhalb der Gesundheitsberufe / Medizinalfachberufe (Pflege, Rettungsdienst…) Erziehung statt?
Erziehung: Definitionen
erziehen (Verb)
- jemandes (besonders eines Kindes) Geist und Charakter bilden und seine Entwicklung fördern
- zu einem bestimmten Verhalten anleiten
erziehen (Verb): Synonyme
angewöhnen, anhalten zu, aufziehen, bilden, formen, großziehen, prägen; (abwertend) dressieren anleiten, ausbilden, befähigen, beibringen, belehren, drillen, heranbilden, heranziehen, lehren, schulen, unterrichten; (gehoben) unterweisen; (besonders Soldatensprache) schleifen aufziehen, heranziehen, heranzüchten, ziehen, züchten abrichten, dressieren
erziehen (Verb): Herkunft
mittelhochdeutsch erziehen, althochdeutsch irziohan, eigentlich = herausziehen, beeinflusst von lateinisch educare, Edukt
„Erziehung ist die absichtliche Einwirkung von Erziehern auf die heranwachsende Generation zum Zwecke der Persönlichkeitsbildung.“
„Unter Erziehung werden soziale Handlungen verstanden, durch die Menschen versuchen, das Gefüge der psychischen Dispositionen anderer Menschen in irgendeiner Hinsicht dauerhaft zu verbessern oder seine als wertvoll beurteilten Komponenten zu erhalten oder die Entstehung von Dispositionen, die als schlecht bewertet werden, zu verhüten.“
„Die kürzeste Formulierung für diesen Begriffsinhalt ist folgender Satz: Als Erziehung werden Handlungen bezeichnet, durch die Menschen versuchen, die Persönlichkeit anderer Menschen in irgendeiner Hinsicht zu fördern.“
„Die sozialen Handlungen, die als ‚Erziehung‘ bezeichnet werden, zielen darauf ab, in anderen Menschen psychische Dispositionen zu schaffen, vorhandene Dispositionen zu ändern oder (unter bestimmten Umständen) zu erhalten und den Erwerb unerwünschter Dispositionen zu verhüten.“
„Unter Erziehung versteht man die Einübung von Kindern und Jugendlichen (im Jargon manchmal: „Edukanden“) in diejenigen körperlichen, emotionalen, charakterlichen, sozialen, intellektuellen und lebenspraktischen Kompetenzen, die in einer gegebenen Gesellschaft oder Kultur bei allen Menschen oder bei allen Trägern bestimmter sozialer Rollen vorausgesetzt werden.“
Erziehung: Gesetzliche Verankerung
Art. 1 BayEUG
Schulen haben den in der Verfassung verankerten Bildungs- und Erziehungsauftrag zu verwirklichen.
Sie sollen Wissen und Können vermitteln sowie Geist und Körper, Herz und Charakter bilden.
Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung, vor der Würde des Menschen und vor der Gleichberechtigung von Männern und Frauen, Selbstbe- herrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungs- freudigkeit, Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne und Verantwortungsbewusstsein für Natur und Umwelt.
Die Schülerinnen und Schüler sind im Geist der Demokratie, in der Liebe zur bayerischen Heimat und zum deutschen Volk und im Sinn der Völkerversöhnung zu erziehen.
Bei der Erfüllung ihres Auftrags haben die Schulen das verfassungsmäßige Recht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder zu achten.
Literaturverzeichnis
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