Mit der Ukraine-Krise wurde eine Vertrauenskrise zwischen Journalisten und ihren Lesern medial reflektiert und inszeniert. Sie offenbarte sich nicht zuletzt in den Nutzerforen der Zeitungen, in denen Artikel diskutiert und teils scharf kritisiert werden - so scharf, dass sich äußernde User mit Begriffen wie "Putinversteher" diskreditiert werden.
Diese Arbeit nimmt solche Entwicklungen zum Anlass, die Diskussionskultur solcher Foren aus kultur-/figurationssoziologischer Perspektive beispielhaft an zwei Themen auf den Portalen Spiegel Online und Sueddeutsche.de zu untersuchen.
Unter Gesichtspunkten der Figurationssoziologie sind dabei Fragen zu klären wie: Welche Ziele verfolgen die Nutzer? Gibt es Meinungsführer? Wird aufeinander Bezug genommen, oder diskutiert man nebeneinander und damit aneinander vorbei? Welche sprachlichen Konventionen bilden sich aus?
Wie wird auf Provokationen reagiert, wie leicht driftet eine Diskussion ab?
Stets spielt in der Onlinekommunikation die Moderation eine wichtige Rolle. Trolle, Spam, Shitstorms - es gibt zahlreiche Phänomene mit plakativen Namen, an denen eine Forendiskussion scheitern kann.
Die Arbeit setzt daher einen Fokuspunkt auf den Vergleich der zwei unterschiedlich rigiden Regulierungsansätze der Onlineplattformen von Spiegel und SZ.
Inhalt
1. Einleitung
1.1. Methodik
1.2. Material
2. Grundlagen
2.1. Die Plattformen Spiegel Online und Sueddeutsche.de
2.2. Theoretische Konzepte
3. Analyse
3.1. Nutzeroberflächen von Spiegel Online und Sueddeutsche.de
3.2. Kommunikationsanalyse
3.2.1. Nutzertypen und ihre Ziele
3.2.2. Gepflogenheiten, Umgangston und Streitkultur
3.3. Vergleich
4. Schluss
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die mediale Berichterstattung zur Ukraine-Krise offenbart Probleme in der Kommunikation zwischen Journalisten und ihren Lesern. Das öffentliche Vertrauen in eine unabhängige, neutrale Presse scheint zu sinken; das zeigen u.a. der zu neuer Berühmtheit gekommene Begriff der „Lügenpresse“ und das große Interesse am medienkritischen Werk Udo Ulfkottes. Dass dem Misstrauen durchaus faktische Missstände zugrunde liegen, zeigt etwa Uwe Krögers Studie „Meinungsmacht – Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten“, in der Beziehungsnetzwerke von Journalisten untersucht werden. Teil der Problemursache ist sicherlich die „'us' to 'them'“-Kommunikationsform des klassischen Journalismus, die etwa Alan Rusbridger mit dem „Open Journalism“-Projekt des britischen Guardian aufzubrechen versucht, indem er viele Leute statt nur einzelner Experten mit den Möglichkeiten des Internets an der Berichterstattung partizipieren lässt: „So you have to be really, really confident your expert voice is worth a multiple of free voices, if what you want to do is create a model that’s actually a 19th-, 20th-century model, where you’re going to insist your content is worth paying for.” [Rusbridge in Ellis 2012]
Einen Ausbruch aus diesem One-to-Many-Modus stellen aber bereits User-Foren dar, wie sie auf den Onlinepräsenzen deutscher Zeitungen schon seit Langem Standard sind. Hier sammeln sich diverse Nutzer, um miteinander zu kommunizieren und zu diskutieren, und nicht nur, wie im Falle des Artikel-Lesens, zu rezipieren. Anders als über ältere Feedback-Kanäle wie Leserbriefe, entstehen durch diese Plattformen Netzwerke zwischen den Nutzern. Wie produktiv diese für die Beteiligten seien können, deutet etwa Schreyer in einem Telepolis-Artikel an: „Manche Leser gaben dabei an, die eigentlichen Artikel selbst kaum noch vollständig zu lesen, sondern rasch zu eben jenen Leserkommentaren zu springen, da dort oft die interessanteren Informationen zu finden seien” [Schreyer 2014]. Allerdings bringt eine solche Kommunikation in Verbindung mit der Anonymität des Internets auch Probleme mit sich. Spam, Trolle[1], Shitstorms[2] – viele Schlagworte kennzeichnen viele Bruchstellen, an denen eine fruchtbare Diskussion Online scheitern kann. Das führt dazu, dass neben der gebräuchlichsten Form der Kommentare direkt unter den redaktionellen Artikeln neue Modelle für Diskussionsplattformen erprobt werden, etwa durch die Süddeutsche Zeitung.
Diese Arbeit möchte aus kultursoziologischer Perspektive beispielhaft an den Portalen Spiegel Online und Sueddeutsche.de untersuchen, wie die Diskussion und Vernetzung der Nutzer in den Foren abläuft. Unter Gesichtspunkten der Figurationssoziologie sind Fragen zu klären wie: Welche Ziele verfolgen die Nutzer? Gibt es Meinungsführer? Wird aufeinander Bezug genommen, oder diskutiert man nebeneinander und damit aneinander vorbei? Welche sprachlichen Konventionen bilden sich aus? Wie wird auf Provokationen reagiert, wie leicht driftet eine Diskussion ab? Dabei soll verglichen werden, inwieweit restriktiveres Vorgehen im Falle von Sueddeutsche.de im Gegensatz zu der freieren Form von Spiegel.de die Nutzerinteraktion verändert und somit zumindest innerhalb der Grenzen des verwendeten Materials der Einfluss unterschiedlicher Moderationsformen aufgezeigt werden.
Dem begrenzten Umfang der Arbeit geschuldet kann dabei lediglich explorativ vorgegangen werden. Sie will Tendenzen aufzeigen und Hinweise geben, welche Fragestellungen für Anschlussuntersuchungen lohnenswert sein könnten. Um quantitativ verlässliche Aussagen treffen zu können, müssten Nutzerforen in wesentlich größerem Maßstab ausgewertet werden, als es im hier gegebenen Rahmen möglich ist.
1.1. Methodik
Um die unter 1. gestellten Fragen zu beantworten, wähle ich ein Thema aus, das in vergleichbarer Weise auf Spiegel.de und Sueddeutsche.de verhandelt wurde und untersuche inhaltsanalytisch dessen zugehörige Nutzerdiskussion. Im Sinne Bettina Hollsteins [Hollstein 2010] wird folglich qualitativ vorgegangen: Das Vorhaben ist ein interpretativer „Nachvollzug von Sinn und von Sinnbezügen“ [ebd., S.459] auf Basis der im unter 1.2. näher charakterisiertem Material zu findenden Äußerungen. Ziel ist demnach eine begrenzte Exploration der untersuchten Netzwerke, an die sich „quantitative, hypothesenprüfende Untersuchung[en]“ [ebd., S.461] anschließen können. Untersucht werden besonders die Bedingungen des Gelingens (Austausch statt aneinander vorbei reden, Bezugnahme, respektvoller Umgang) bzw. Scheiterns (Flaming[3], Trolling) der Diskussion unter dem Einfluss der Moderationsstrategien von Spiegel und SZ.
Der theoretische Rahmen der Arbeit wird unter 2.2. abgesteckt. Dort werden Arbeiten aus dem Bereich der Online- und Netzwerkforschung herangezogen, um Fragestellungen und ein grobes Raster für die Analyse der Nutzervernetzung zu bilden. Es folgt unter 3. die Analyse des Materials, die mit einem Blick auf die Nutzeroberflächen beginnt, bevor sie in die eigentliche Kommunikation einsteigt. Unter 3.3. werden die Ergebnisse für beide Plattformen dann vergleichend gegenübergestellt. 4. fasst die Ergebnisse der Arbeit zusammen und gibt eine persönliche Einschätzung.
Gerne wäre ich nicht rein inhaltsanalytisch vorgegangen, sondern einem Mixed-Method-Approach gefolgt, wie ihn auch Hollstein für potentiell ertragreich hält, und hätte Kurzinterviews mit Nutzern und Seitenbetreibern einbezogen. Das wird leider dadurch erschwert, dass in den Nutzerprofilen beider Plattformen keine Kontaktmöglichkeiten zu finden sind (siehe 3.1.). Auch reagierten beide Seitenbetreiber nicht auf Email-Anfragen, sodass ich diese Idee letztlich fallen ließ.
1.2. Material
Das unter 3. zu analysierende Material muss im Umfang so eingeschränkt werden, dass es sich im Rahmen dieser Arbeit handhaben lässt, sollte aber gleichzeitig umfangreich genug sein, um Schlüsse ziehen zu können und einen Vergleich der beiden Plattformen zu ermöglichen.
Um diese Anforderungen zu erfüllen wird eine Diskussion zu einem sehr ähnlichen Thema auf Spiegel.de [URL: http://www.spiegel.de/politik/ausland/cia-folter-warum-die-verantwortlichen-nicht-bestraft-werden-a-1007908.html, Abruf: 22.2.15] und Sueddeutsche.de [URL: http://www.sueddeutsche.de/politik/ihr-forum-praesident-obama-will-cia-mitarbeiter-nicht-strafrechtlich-belangen-die-richtige-entscheidung-1.2260430, Abruf: 22.2.15] herangezogen. Es geht um den CIA-Folterbericht über Verhörmethoden während der Amtszeit von George W. Bush, der im September 2014 öffentlich bekannt wurde [Fischer 2014] und speziell die wohl ausbleibende juristische Verfolgung der Verantwortlichen. Im Süddeutsche-Forum wurde ab dem 10.12.14 unter dem Titel „Präsident Obama will CIA-Mitarbeiter nicht strafrechtlich belangen. Die richtige Entscheidung?“ diskutiert. Es wurden dazu 129 Kommentare abgegeben. Auf Spiegel.de verfassten Nutzer zum thematisch verwandtesten Artikel „Juristische Aufarbeitung: Warum die CIA-Folter ungesühnt bleiben wird“ 112 Kommentare (Stand: 15.02.15 – während das SZ-Forum nach wenigen Tagen gesperrt wird, sind auf Spiegel weiterhin Kommentare möglich, wenn auch unwahrscheinlich). Die beiden Threads[4] sind also sowohl thematisch als auch vom Umfang her gut für einen Vergleich geeignet.
Am Leitfaden von Heise/Schmidt [Heise/Schmidt 2014] soll hier kurz auf eventuelle forschungsethische Probleme dieser Materialverwendung eingegangen werden. Die Foren sind öffentlich ohne Registrierung einsehbar, sodass sich Fragen, wie ob ein extra für die Beobachtung angelegtes Profil zu erkennen gegeben wird, nicht stellen. Zwar wird methodisch „nicht reaktiv“ [ebd. 526] vorgegangen, was aufgrund der fehlenden Durchschaubarkeit für die untersuchten Individuen eher kritisch zu hinterfragen sei als reaktives Vorgehen. Zieht man aber ihre grafische Heuristik [ebd. 530] heran, kann die Methode trotz einer gewissen Sensibilität, da politische Einstellungen preisgegeben werden, dennoch im Bereich „informed consent nicht notwendig“ verortet werden. Das Entscheidende sei die „nutzerseitige Annahme von Privatheit“ [ebd. 528] – in öffentlich zugänglichen Foren hochfrequentierter Webseiten, um die es sich in beiden Fällen handeln, kann vernünftigerweise nicht von einem hohen Maß an Privatheit ausgegangen werden. Auf eine Anonymisierung der Namen der zitierten Nutzer wird daher und wegen der Unpersönlichkeit der Profile (s. 3.1.) verzichtet. Eine Volltextsuche nach den Zitaten im Material würde die echten Nutzer ohnehin problemlos aufdecken.
2. Grundlagen
Dieses Kapitel stellt unter 2.1. den Gegenstand der Arbeit, d.h. die Plattformen Spiegel Online und Sueddeutsche.de mit ihren unterschiedlichen Herangehensweisen an das Thema Nutzerdiskussionen vor. Unter 2.2. werden die theoretischen, (kultur-)soziologischen Konzepte vorgestellt, auf die sich die Analyse unter 3. stützt.
2.1. Die Plattformen Spiegel Online und Sueddeutsche.de
Auf beiden Plattformen findet keine unzensierte Diskussion statt – Leserkommentare werden vor Veröffentlichung durch die Redaktion geprüft und evtl. verweigert. Zwischen Erstellung und Veröffentlichung des Kommentars kann also einige Zeit vergehen. Ansonsten findet die Diskussion auf Spiegel.de wesentlich unreglementierter statt: Die Kommentare werden, wie es für Web-Präsenzen von Zeitungen üblich ist, direkt unter den Artikeln abgegeben. In der Forums-Ansicht erscheinen diese dann als Threads nach Themen sortiert. Zusätzlich finden sich dort die Bereiche „SPAM“ und „Treffpunkt“, deren kommunikative Inhalte keinen journalistischen Grundtexten zugehörig sind, sondern nur der Interaktion der Forennutzer dienen. Es findet sich auf der Seite kein ausgeschriebener Verhaltenskodex o.Ä.
Sueddeutsche.de wählt seit September 2014 einen anderen, restriktiveren Ansatz (die folgende Beschreibung stützt sich auf die eigene Darstellung der Süddeutschen [Wüllner 2015]). Die Kommentarfunktion direkt unter den Artikeln wurde abgeschafft, die Redaktion wählt stattdessen täglich zwei bis drei Themen aus, die diskutiert werden dürfen und in die sich die SZ selbst „als Stimme der Redaktion“ intensiver einbringen möchte. Nach wenigen Tagen werden die Themen geschlossen und können nicht mehr kommentiert werden, sind aber im Archiv einsehbar. Dabei will man „einen starken Moderator einsetzen“, der nicht alles veröffentlicht, sondern „die besten Antworten“ auswählt; so sollen etwa wiederholte Meinungen ausgefiltert werden [Sueddeutsche.de 2012].
Grund für die Umstellung sei, dass das bisherige Modell nicht mehr vernünftig moderierbar gewesen wäre, und man mit der Umstellung auf kritische Leserstimmen reagiere, die Moderation und Diskussionsniveau bemängelten. „Das bisherige System, wie Debatten auf den meisten Seiten geführt werden, hat zu viele Schwächen.” [ebd.] Derlei Probleme identifiziert etwa Ernst von Kardoff für virtuelle Kommunikation allgemein: Die im Netz (vermeintlich) herrschende Anonymität setze „die Schwelle zur Einhaltung der Regeln des sozialen Takts herab.“ [Kardoff 2008]
Unter diesen Gesichtspunkten scheint es lobenswert, neue Wege der Kommunikation zu suchen. Allerdings wird die Umstellung auch kritisch gesehen. So stellt etwa das Online-Magazin Telepolis die Frage, ob nicht durch die redaktionelle Themenauswahl und starke Moderation die freie Diskussion zu stark beschnitten werde und sie missbraucht werden könnte, um kritische Töne auszublenden, indem besonders „heiße“ Themen wie eben die Ukraine-Krise nicht mehr freigegeben werden [Schreyer 2014].
In jedem Fall läuft das Korrekturlesen beider Seiten Vorteilen der Online-Kommunikation entgegen. Rainie und Wellman betonen für die Zeiten von Social Media etwa: „[...] readers [...] may sometimes receive a response with greater speed than they would have in the days when readers would mail in their comments and await their publication – if they even made it to publication.“ [Rainie/Wellman 2012, S.225] Bei Spiegel und SZ müssen Nutzer noch immer auf Publikation ihrer Beiträge warten und hoffen.
[...]