Die Rolle des Strafverteidigers wirft bereits nach den allgemeinen Vorschriften der StPO viele rechtliche und tatsächliche Unklarheiten auf. Im Jugendstrafverfahren begegnen diese den besonderen Anforderungen des JGG. Um die daraus resultierenden Fragestellungen nach erzieherischer Befähigung und Verbindlichkeit des Erziehungsgedankens beantworten zu können, befasst sich die Arbeit im ersten Teil mit der grundsätzlichen Rechtsposition des Strafverteidigers. Es werden seine Stellung sowie seine Rechte und Pflichten erläutert, ehe darauf eingegangen wird, wie es sich verhält, wenn der Verteidiger die Täterschaft seines Mandanten kennt.
Im zweiten Teil werden die jugendstrafrechtlichen Besonderheiten in Bezug auf den Charakter des JGG und Verfahrensausgestaltungen angesprochen. Es wird gefragt, ob eine erzieherische Befähigung des Verteidigers erforderlich und ob bzw. inwieweit er an den Erziehungsgedanken gebunden ist. Ferner muss beleuchtet werden, ob sich eine Bindung an den Erziehungsgedanken mit allgemeinen Verteidigeraufgaben verträgt. Beachtung wird sodann der Rolle der Eltern geschenkt. Der Verteidiger ist im Kontakt mit diesen und dem Jugendlichen dazu gehalten, behutsam vorzugehen, viel stärker als im allgemeinen Strafrecht eine vertrauliche Ebene herzustellen und sich ganz speziellen Problemen von Mandant und Eltern zu widmen. Abschließend werden die gewonnenen
Gliederung
Literaturverzeichnis
A) Strafverteidigung nach der StPO
I) Stellung des Verteidigers
1) Organtheorie
2) Interessenvertretertheorie
3) Vertragstheorie
4) Verfassungsrechtlich-prozessuale Theorie
5) Eigene Bewertung
II) Rechte des Verteidigers
III) Pflichten des Verteidigers
IV) Verteidigung trotz Täterschaft?
1) Ausgangskonstellation
2) Mandatsniederlegung
B) Strafverteidigung nach dem JGG
I) Besonderheiten des JGG
1) Charakter des Erziehungs- bzw. Täterstrafrechts
2) Besondere Verfahrensausgestaltungen des JGG
II) Der Verteidiger im Jugendstrafverfahren
1) Erzieherische Befähigung des Verteidigers?
2) Umgang mit dem Jugendlichen und den Eltern
C) Zusammenfassung
D) Fazit
Literaturverzeichnis
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Zieger, Matthias: Verteidigung in Jugendstrafsachen, 6. Auflage, C. F. Müller 2013, Heidelberg, München, Landsberg, Frechen, Hamburg [zit.: ‚‚Zieger‘‘]Vorbemerkung
Die Rolle des Strafverteidigers wirft bereits nach den allgemeinen Vorschriften der StPO viele rechtliche und tatsächliche Unklarheiten auf. Im Jugendstrafverfahren begegnen diese den besonderen Anforderungen des JGG. Um die daraus resultierenden Fragestellungen nach erzieherischer Befähigung und Verbindlichkeit des Erziehungsgedankens beantworten zu können, befasst sich die Arbeit im ersten Teil mit der grundsätzlichen Rechtsposition des Strafverteidigers. Es werden seine Stellung sowie seine Rechte und Pflichten erläutert, ehe darauf eingegangen wird, wie es sich verhält, wenn der Verteidiger die Täterschaft seines Mandanten kennt. Im zweiten Teil werden die jugendstrafrechtlichen Besonderheiten in Bezug auf den Charakter des JGG und Verfahrensausgestaltungen angesprochen. Es wird gefragt, ob eine erzieherische Befähigung des Verteidigers erforderlich und ob bzw. inwieweit er an den Erziehungsgedanken gebunden ist. Ferner muss beleuchtet werden, ob sich eine Bindung an den Erziehungsgedanken mit allgemeinen Verteidigeraufgaben verträgt. Beachtung wird sodann der Rolle der Eltern geschenkt. Der Verteidiger ist im Kontakt mit diesen und dem Jugendlichen dazu gehalten, behutsam vorzugehen, viel stärker als im allgemeinen Strafrecht eine vertrauliche Ebene herzustellen und sich ganz speziellen Problemen von Mandant und Eltern zu widmen. Abschließend werden die gewonnenen Erkenntnisse zusammengefasst und ein Fazit wird gezogen.
A) Strafverteidigung nach der StPO
Die Verteidigung ist im 11. Abschnitt der StPO (§§ 137 - 150) geregelt. § 137 I bestimmt, dass sich der Beschuldigte1 in jeder Verfahrenslage eines Verteidigers (maximal 3) bedienen darf. Wählen darf er die in §§ 138 I, II, 139 bezeichneten Personen. Der auf diese Weise zustande gekommene Vertrag ist als Geschäftsbesorgung (§ 675 BGB) zu qualifizieren2. Neben der Wahlverteidigung (§§ 137 - 139) kennt die StPO die notwendige Verteidigung, welche in den §§ 140 - 142 geregelt ist. Sie kommt oftmals in Betracht, weil der Beschuldigte über zu geringe finanzielle Mittel verfügt, sich einen Wahlverteidiger zu leisten3.
§§ 138 a ff. sehen Ausschließungsgründe für den Verteidiger vor. Das Erfordernis eines Verteidigers ergibt sich sowohl aus Art. 6 III lit. c EMRK als auch aus dem Rechtsstaatsprinzip des GG (Art.20 III)4, nicht jedoch aus Art.103 I GG5. Unterschieden wird ferner zwischen formeller und materieller Verteidigung6.
I) Stellung des Verteidigers
Der Verteidiger ist kein Vertreter des Beschuldigten, sondern Beistand7, zumal eine Vertretung im zivilrechtlichen Sinne grundsätzlich nicht vorgesehen ist8. Zur Bestimmung seiner rechtlichen Stellung im System der Rechtspflege ist neben der Organtheorie, die sich als herrschende Auffassung bezeichnen lässt, auf die Interessenvertretertheorie sowie auf die verfassungsrechtlich-prozessuale Theorie einzugehen.
1) Organtheorie
Ausgangspunkt der Organtheorie9 sind die §§ 1 - 3 BRAO, wonach der Verteidiger ein unabhängiges Organ der Rechtspflege ist. Er nimmt auch öffentliche (nicht: staatliche)10 Aufgaben wahr. Er soll für die Gleichstellung11 zwischen staatlichen Strafverfolgungsorganen und dem Beschuldigten sorgen und verhindern, dass dieser (oft mangels Rechtskenntnis) zum bloßen Objekt des Verfahrens wird, sodass dieser eigene Mitwirkungsmöglichkeiten zur Wahrung seiner Rechte erlangt12. Dies geschieht, indem der Verteidiger einen fairen Prozess garantiert, obwohl er nicht unparteiisch ist. Er muss intensive Gegenwehr gegen die Strafverfolgungsorgane betreiben. Dabei darf er seine Rechte jedoch nicht übertreten, etwa durch das Verfälschen von Beweismitteln oder die Lüge, beispielsweise die unwahre Behauptung, der Beschuldigte habe ihm gegenüber glaubwürdig gesagt, er habe ‚‚nichts getan‘‘; ebenso verhält es sich mit dem Rat an den Beschuldigten, unwahr auszusagen13. Darüber hinausgehende Pflichten, insbesondere zur Überführung, gegenüber den Strafverfolgungsorganen hat er nicht14. Daher wird der Verteidiger teilweise als Störfaktor bei der Wahrheitsfindung gesehen15. Wegen der Wahrnehmung öffentlicher Interessen muss die Freiheit des Verteidigerhandelns begrenzt sein. Nach der eingeschränkten Organtheorie16 muss das zulässige Verteidigerhandeln auf den Kernbereich der Rechtspflege beschränkt sein, wobei eher mit einem Fallkatalog als mit generellen Kriterien gearbeitet wird17.
2) Interessenvertretertheorie
Diese Theorie18 hält es für unvereinbar, dass der Verteidiger, der den Beschuldigten vertritt, zugleich der Wahrheitsfindung verpflichtet sein soll. Auch gelte § 1 BRAO, sofern überhaupt strafprozessgestaltend, nicht für die StPO, da diese nur Verteidiger und keine Rechtsanwälte kenne19. Deren Vertreter sehen den Verteidiger als bloße Hilfe des Beschuldigten, die materielle Verteidigung obliege diesem ausschließlich selbst. Dem Verteidiger müssen in defensiver wie offensiver Hinsicht umfassende Möglichkeiten zustehen, da er nur auf diese Weise eine unerlässliche Vertrauensstellung zum Mandanten aufbauen könne, wenn er diesen umfassend verteidigen darf20.
3) Vertragstheorie
Als Unterfall der Interessenvertretertheorie ist die Vertragstheorie zu nennen. Der Unterschied liegt darin, dass hiernach ein Lügerecht des Verteidigers nicht existiert21.
4) Verfassungsrechtlich-prozessuale Theorie
Eine letzte Meinung stützt sich auf Art. 2 I i.V.m. Art. 20 III GG und besagt, dass beim Begriff der Prozesshandlung (Konkretisierung von Verfahrensnormen) anzusetzen und statthaft sei, was von einem prozessualen Zweck gedeckt ist und das Gesetz dem Verteidiger die Lüge nicht verbietet. Dabei verbleibe dem Beschuldigten das Recht, dem Rat seines Verteidigers nicht zu folgen22.
[...]
1 Zum Beschuldigtenbegriff; BGHSt 34, 138, 140; Ranft, § 20 Rn. 323; für Beurteilungsspielraum der Behörde Beulke, StV 1990, S. 180, 181; dagegen Bach, JURA 2007, S.12, 14f.
2 BGHZ 45, 223, 228.
3 Beulke, Rn. 165.
4 Eisenberg, NJW 1991, 1257, 1260.
5 BVerfGE 110, 226, 254; 9, 124, 132; a.A. bei Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 1179.
6 Dazu Schroeder/Verrel § 13 Rn. 76 f.
7 OLG Celle NStZ 1988, 426; Beulke, Rn.148 a.A. Spendel, Kohlmann-FS, 686.
8 Vgl. dazu §§ 136, 230f. StPO, ausnahmsweise §§ 145a, 234, 350 II, 411 II StPO.
9 BVerfGE 34, 293, 300; OLG Düsseldorf StV 1998, 65, 66; Meyer-Goßner/Schmitt, Vor § 137 Rn. 1.
10 Beulke, Rn. 150.
11 BVerfGE 46, 202, 210.
12 BVerfGE 63, 380, 390.
13 Vgl. Beulke, Rn. 150, 178.
14 Beulke, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, § 137 Rn. 8; Gössel, ZStW 1982, 5, 28.
15 Eisenberg, NJW 1991, 1257, 1261.
16 Beulke, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, § 137 Rn. 8.
17 Beispiele für erlaubtes und verbotenes Handeln bei Beulke, Rn. 175 f.
18 Bernsmann, StraFO 1999, 226, 228 f.; Ostendorf, NJW 1978, 1345, 1349.
19 Bernsmann, StraFO 1999, 226, 228.
20 Bernsmann, StraFO 1999, 226, 229.
21 Lüderssen, StV 1999, 537, 538; Jahn, JR 1999 1, 2.
22 Bspw. Paulus, NStZ 1992, 305, 310.