Welche funktionalen Ansätze gibt es in der Translationswissenschaft? Was versteht man unter adäquatem Übersetzen und welche Möglichkeiten bietet die Alternative des äquivalenten Übersetzens? Fragen wie diese führen zusammen mit einigen Beispielen durch die Seminararbeit.
Dafür müssen zunächst die Begrifflichkeiten der Adäquatheit und der Äquivalenz erklärt sowie deren größte Unterschiede und Gemeinsamkeiten genannt werden.
Darauf folgt der Hauptteil dieser Arbeit, in dem die funktionalen Ansätze der Translationswissenschaft erläutert werden. Darunter fallen hier die Skopostheorie, die Theorie vom Translatorischen Handeln sowie die Scenes-and-frames-Semantik.
Anschließend wird die Option des äquivalenten Übersetzens kurz vorgestellt und deren Vorgehensweise und Ziele näher erklärt. Am Schluss steht ein Fazit, in dem die Ergebnisse knapp zusammengefasst und interpretiert werden.
Inhalt
1. Einleitung
2 Was ist adäquates und äquivalentes Übersetzen?
3 Die funktionalen Ansätze der Translationswissenschaft
3.1 Skopostheorie
3.2 Theorie vom Translatorischen Handeln
3.3 Scenes-and-frames-Semantik
4 Eine Alternative: äquivalentes Übersetzen
5 Fazit
6 Quellenverzeichnis
1. Einleitung
Folgende Situation sei gegeben: Ein Verleger erteilt einer Übersetzerin den Auftrag, einen französischsprachigen Reiseführer über Indochina in die deutsche Sprache zu übertragen. Die Übersetzerin bewertet den Ausgangstext als geeignet und legt dem Auftraggeber schließlich ihr Translat vor. Dieser ist von dem deutschsprachigen Reiseführer jedoch nicht überzeugt und hält ihn unter anderem aufgrund der von der Übersetzerin gewählten Sprachebene für nicht-publizierbar. Er verklagt die Arbeitnehmerin und bekommt vor Gericht tatsächlich Recht. Die uneinsichtige Übersetzerin muss eine Geldstrafe von 15.000 Euro zahlen.1
Wie lässt sich das erklären? Das Gericht befand, dass die Frau sich unprofessionell verhalten habe, indem sie nicht berücksichtigte, welches Ziel und welche Leserschaft ihre Übersetzung haben sollte. Außerdem hätte sie den Ausgangstext von vornherein als unbrauchbar für den ihr erteilten Translationsauftrag einstufen müssen.2 Die Übersetzerin hat also die Funktionalität missachtet und den Text nicht adäquat, sondern äquivalent übertragen. Genau um diese Thematik soll es in dieser Hausarbeit gehen. Welche funktionalen Ansätze gibt es überhaupt in der Translationswissenschaft? Was versteht man unter adäquatem Übersetzen und welche Möglichkeiten bietet die Alternative des äquivalenten Übersetzens? Fragen wie diese sollen zusammen mit einigen Beispielen durch die Hausarbeit führen.
Dafür müssen zunächst die Begrifflichkeiten der Adäquatheit und der Äquivalenz erklärt sowie deren größte Unterschiede und Gemeinsamkeiten genannt werden. Darauf folgt der Hauptteil dieser Arbeit, in dem die funktionalen Ansätze der Translationswissenschaft erläutert werden. Darunter fallen hier die Skopostheorie, die Theorie vom Translatorischen Handeln sowie die Scenes-and-frames-Semantik. Anschließend wird die Option des äquivalenten Übersetzens kurz vorgestellt und deren Vorgehensweise und Ziele näher erklärt. Am Schluss steht ein Fazit, in dem die Ergebnisse knapp zusammengefasst und interpretiert werden.
2 Was ist adäquates und äquivalentes Übersetzen?
Adäquatheit kommt von dem lateinischen Wort adaequare und bedeutet so viel wie Angemessenheit oder Anpassen.3 Bezeichnet man die Übersetzung eines Ausgangstextes als adäquat, so ist damit gemeint, dass während des Übersetzungsprozesses der Sinn und Zweck des Translats als vorrangig angesehen wird.4 Das heißt, dass eine größtmögliche Übereinstimmung von Übersetzung und Kommunikationsziel gefunden werden soll. Der Ausgangstext kann somit verändert und zum Beispiel gekürzt oder ergänzt werden. Dies richtet sich nach dem jeweiligen Übersetzungsauftrag, denn er bestimmt den angestrebten Zweck des Translats.5 Hierzu ein einfaches Beispiel: Ein Übersetzer bekommt den Auftrag, einen Artikel, der in einer englischsprachigen, medizinischen Fachzeitschrift erschienen ist, für ein deutsches, populäres Magazin zu übersetzen. Er entscheidet sich dafür, die medizinischen Fachbegriffe zu umschreiben oder zu ersetzen, damit die Leserschaft des deutschen Magazins, die sich hauptsächlich aus Laien zusammensetzt, den Artikel nachvollziehen kann.6 Der Übersetzer hat den Ausgangstext also adäquat übersetzt.
Eine äquivalente Translation setzt dagegen voraus, dass der Ausgangstext sowie die Übersetzung in ihrer jeweiligen Kultur den gleichen Rang beziehungsweise die gleiche Wertigkeit haben.7 Dafür muss die Übersetzung die kommunikative Funktion des Originals beibehalten.8 Christiane Nord definiert Äquivalenz, kommend vom lateinischen Wort aequivalentia, was in etwa Gleichwertigkeit bedeutet9, auch als Treue gegenüber dem Originaltext.10 Wird eine Übersetzung als äquivalent bezeichnet, so sollte sich in dieser folglich eine größtmögliche Übereinstimmung von Zieltext und Ausgangstext finden lassen und nicht von Zieltext und Kommunikationsziel wie in adäquaten Translaten.11 Hätte der Übersetzer im obigen Beispiel also die Fachtermini nicht umschrieben oder ersetzt, sondern sie trotz der sich ändernden Leserschaft beibehalten, so hätte er eine äquivalente Übersetzung angefertigt.
3 Die funktionalen Ansätze der Translationswissenschaft
Nachdem die Begrifflichkeiten nun erläutert wurden, widmet sich dieses Kapitel jenen Übersetzungstheorien, die den Fokus auf die Adäquatheit und den kommunikativen Charakter der Übersetzung richten. Vorher sei noch gesagt, dass nicht vergessen werden sollte, dass auch das translatorische Handeln eine Form der Kommunikation ist. Denn es ist nicht nur der Autor, der mithilfe des Geschriebenen der Leserschaft etwas mitteilt, sondern auch der Übersetzer, der durch sein Translat mit dem Publikum des Zieltextes kommuniziert. Daher gelten auch bei einer Übersetzung die Prinzipien des kommunikativen Handelns als Grundlage.12
3.1 Skopostheorie
Die Skopostheorie wurde 1984 von den Linguisten Katharina Reiß und Hans Josef Vermeer aufgestellt. Das Wort Skopos meint dabei so viel wie Zweck oder Ziel.13 Laut dieser Theorie ist die Aufgabe des Übersetzers folgende:
Er [der Translator] soll anhand eines AT [Ausgangstextes] mit anderen (sprachlichen) Mitteln einen neuen Text verfassen, der für andere Rezipienten bestimmt ist und unter anderen kulturellen Gegebenheiten funktionieren soll als der AT.14
Das bedeutet also, dass es das Ziel des Übersetzers ist, einen neuen Text in einer anderen Sprache zu erschaffen, der zwar den Originaltext als Quelle hat, aber andere sprachliche Mittel verwendet. Der Gebrauch anderer Mittel ist notwendig, da sich die Übersetzung nicht mehr an die Leserschaft des Ausgangstextes richtet, sondern an einen neuen Rezipienten, der einen anderen kulturellen Hintergrund hat als der Leser des Originals. Reiß und Vermeer betonen dabei, dass das Translat nicht dieselbe Funktion erfüllen muss wie der Ausgangstext, es also keine Funktionskonstanz vorliegen muss. Die Funktion des Ausgangstextes ist für die Translation vorerst sogar unwichtig. Die oberste Priorität ist dagegen, dass die Übermittlung der intendierten Informationen im übersetzten Text funktioniert und der Zieltext somit die Informationen weitergibt, die er laut dem Skopos auch weitergeben soll.15 Damit dies erfolgreich vonstattengeht, sollten die drei Komponenten Zielorientierung, Adressatorientierung sowie Kulturorientierung beachtet werden, die in den folgenden Absätzen erläutert werden.
Eine der wichtigsten Fragen, die sich der Translator vor seiner Arbeit stellen muss, ist die Frage nach dem Wozu. Wozu soll die Übersetzung angefertigt werden und welchen Sinn und Zweck muss sie laut Übersetzungsauftrag erfüllen? Soll sie eine werbende, eine informierende oder eine narrative Funktion ausüben? In der Skopostheorie gilt dabei nicht die Annahme, dass alle Informationen aus dem Originaltext übernommen werden müssen. Stattdessen sollten nur solche Informationen ausgewählt werden, die für den Skopos tatsächlich relevant sind. Der zu übersetzende Text ist somit lediglich ein Angebot an Informationen und kann je nach Zielorientierung ergänzt oder gekürzt werden. An dieser Stelle zeigt sich sehr deutlich, dass bei dieser Theorie die Adäquatheit und nicht die Äquivalenz im Vordergrund steht.16
Dazu ein Beispiel: Ein aus der USA stammender Mann möchte sich um eine Stelle in einer deutschen Firma bewerben, wofür er seine Arbeitszeugnisse übersetzen lassen soll. Dem beauftragten Übersetzer muss nun die Funktion seiner Arbeit bewusst sein, denn an dieser Stelle könnte er einen für den Amerikaner fatalen Fehler begehen. Amerikanische Arbeitszeugnisse enthalten nämlich in der Regel lediglich eine Affirmation über die Beschäftigung, aber keine weiteren Informationen zu der sozialen Leistung oder anderen Fähigkeiten wie es in deutschen Arbeitszeugnissen der Fall ist. Würde das Arbeitszeugnis ohne eine Anmerkung des Translators übersetzt werden, so würde es bei dem möglichen Arbeitsgeber vermutlich zu einem negativen Eindruck des Bewerbers kommen. Folglich muss der Übersetzer eine Erklärung zum Arbeitszeugnis hinzufügen, sofern er das Kommunikationsziel einhalten möchte.17
Der nächste Bestandteil der Skopostheorie ist die Frage nach dem Rezipienten des Zieltextes. Für wen soll die Übersetzung angefertigt werden und welchen Personenkreis oder Leser soll sie ansprechen? Für welches Geschlecht oder welche Alters- und Interessengruppe ist sie gedacht? Die Antworten auf diese Fragen sind entscheidend, denn der Übersetzer muss sein Zielpublikum genau kennen, um dessen Wissen einschätzen zu können. Sollten nämlich bei dem Rezipienten während des Lesens aufgrund der Übersetzung Unklarheiten entstehen, so hat der Translator sein Ziel verfehlt. Im Übersetzungsprozess darf die Tatsache nicht in den Hintergrund treten, dass der Originaltext sich an eine Leserschaft mit einem bestimmten Wissensstand richtet, dieser Wissensstand sich aber nicht mit dem der Leserschaft des Translats decken muss. Der Übersetzer sollte also so handeln, dass sein Publikum den Zieltext vollständig verstehen kann.
Als Beispiel lässt sich hier ein Textausschnitt aus einem Artikel der New York Times anführen, in dem es um Schlaflosigkeit während der Schwangerschaft geht. Übersetzt werden soll er für ein deutsches Apothekenmagazin, dessen Leserschaft größtenteils aus Hausfrauen mittleren Alters besteht.
(1a) One of the cruel jokes of motherhood is that the sleeplessness of pregnancy, followed by the sleeplessness generated by an infant (a period in which a staggering – truly – 84 percent of women experience insomnia), is not followed by a makeup period of rest. It is merely the setup for what can become a permanent modus operandi.18
(1b) Einer der grausamen Scherze der Mutterschaft ist, dass auf die Schlaflosigkeit in der Schwangerschaft keine Erholungsphase folgt. Es ist eher eine Vorbereitung auf das, was zu einem dauerhaften Zustand werden kann. Denn erschreckende 84% der Frauen leiden unter Schlaflosigkeit, die durch das Neugeborene ausgelöst wird.
Die verschachtelte Satzstruktur aus dem Artikel der New York Times wurde in der Übersetzung aufgelöst und in einfachere, kürzere Sätze umgewandelt. Die Anordnung der Informationen wurde geändert und Fachbegriffe wie modus operandi durch simplere Wörter ersetzt. Der Zieltext wurde also den deutschen Leserinnen, ihrem Wissen und Sprachniveau angepasst, statt den Sprachstil des Ausgangstextes - angepasst an die Rezipienten der New York Times - beizubehalten.
Die letzte Komponente betrifft die Kultur, in der der Ausgangstext stehen soll. Für welche Kultur wird hier übersetzt? In welche Situation wird er platziert? Dieser Faktor sollte nicht unterschätzt werden.19 Kultur beeinflusst alle Lebensbereiche eines Individuums sowie dessen Wahrnehmung und Handlung20 und somit hat sie auch Einfluss auf die Gestaltung und das Verständnis eines Textes. Ein Übersetzer sollte bedenken, dass die Textstelle, die er übersetzt, niemals unabhängig von einem ganzen Text steht. Dieser Text wiederum ist Teil einer Situation und die Situation ist in die Kultur eingebettet. Die zu übersetzende Textstelle ist folglich ein Bestandteil eines großen Gefüges und kann nicht losgelöst von der Kultur betrachtet werden. Ignoriert der Übersetzer diesen Zusammenhang, kann dies negative Folgen haben. Im gravierendsten Fall wird das Translat vom Leser nicht verstanden und funktioniert somit nicht.21
Beispielhaft für die Kulturorientierung wäre ein englischsprachiger Artikel, der für eine deutsche, jüdische Tageszeitung übersetzt werden soll. Im Original kommt folgender Satz vor:
(2) Apparently, a growing number of Americans are running from organized religion, but by no means running from God.
Im Judentum wird es zum Teil sehr streng genommen mit der Auffassung, dass sich kein Bild von Gott gemacht werden darf. Dazu kann auch gehören, dass das Wort an sich in einem geschriebenen Text unkenntlich gemacht wird, aus Gott also G’tt22 wird. Würde ein Übersetzer diese sprachliche Besonderheit in der Kultur nicht beachten, wäre es kein allzu großer Fauxpas. Jedoch ist es ein Zeichen des Respekts und der Akzeptanz, wenn er die kulturelle Gegebenheit berücksichtigt.
[...]
1 Kadric, Kaindl, Kaiser-Cooke (2010), S. 79
2 Ebd.
3 Spree auf Online-Wörterbuch Philosophie (2012)
4 Reiß/Vermeer (1991), S. 139 ff.
5 Kadric, Kaindl, Kaiser-Cooke (2010), S. 74
6 Kadric, Kaindl, Kaiser-Cooke (2010), S. 76
7 Reiß (1971), S. 11 ff.
8 Reiß/Vermeer (1991), S. 133
9 Duden Online (2012)
10 Nord (2009), S. 24
11 Kadric, Kaindl, Kaiser-Cooke (2010), S. 74
12 Kadric, Kaindl, Kaiser-Cooke (2010), S. 73
13 Kadric, Kaindl, Kaiser-Cooke (2010), S. 73 ff.
14 Dizdar (1998), S. 106
15 Dizdar (1998), S. 105
16 Kadric, Kaindl, Kaiser-Cooke (2010), S. 74
17 Kadric, Kaindl, Kaiser-Cooke (2010), S. 75
18 Paul (2011) auf nytimes.com
19 Kadric, Kaindl, Kaiser-Cooke (2010), S. 76
20 Thomas (1993), S. 380 ff.
21 Kadric, Kaindl, Kaiser-Cooke (2010), S. 76 ff.
22 Zum Beispiel Neumann (2011) auf jüdische-allgemeine.de