„In meiner Vision leben zwei freie Völker Seite an Seite. Jedes hat seine eigene Flagge und seine eigene Hymne.“ - Benjamin Netanjahu. In diesem Ausspruch des israelischen Ministerpräsidenten kommt zum Ausdruck, worüber schon seit Jahrzenten debattiert wird - die Schaffung eines souveränen Staates Palästina im Gebiet der südlichen Levante. Diese Zwei-Staaten-Lösung gilt weithin als einziges Mittel zur Beilegung des Nahostkonflikts, weshalb sich sowohl Israel als auch die Palästinenser um dieses Ziel bemühen. Jedoch stehen diesem Bestreben nicht nur strategische sondern auch religiös-historische Interessen auf beiden Seiten im Weg, für die bisher noch keine Lösung gefunden werden konnte. Hierfür seien die Verteilung der knappen Wasserressourcen und die Zukunft der ‘Heiligen Stadt’ Jerusalem nur als zwei Beispiele genannt.
Beschäftigt man sich mit dem Prozess der Eigenstaatlichkeit der Palästinenser, so drängt sich die Frage auf, ab wann überhaupt von einem souveränen Staat Palästina gesprochen werden kann. Welche Voraussetzungen müssen dafür erfüllt sein und sind diese eventuell schon de facto gegeben, allerdings noch nicht von der gesamten Weltgemeinschaft anerkannt?
Diese Erwägungen führen zur eigentlichen Frage dieser Arbeit hin: Gibt es einen Palästinenserstaat? Zur Beantwortung dieser Themenstellung werden im ersten Kapitel zunächst die allgemeinen Kriterien für einen Staat erörtert und diese dann auf das ‘Gebilde Palästina’ angewendet, um zu prüfen, inwieweit Palästina die Voraussetzungen für einen Staat erfüllt und welche Probleme gegebenenfalls bestehen. „Vorrangiges Ziel eines jeden neuen Staats ist die Mitgliedschaft in den vereinten Nationen. Sie wird als ‘Ritterschlag der Eigenstaatlichkeit‘ angesehen [...].“ Aufgrund dieser enormen Bedeutung der Aufnahme in die Vereinten Nationen sollen in der zweiten Hälfte des Hauptteils die Bedingungen dafür erläutert werden. Da Palästina seit dem 29.11.2012 bereits Beobachterstaat ohne Mitgliedschaft in den UN ist, 4 werden anschließend seine Chancen auf eine Vollmitgliedschaft geklärt.
Inhaltsverzeichnis
A. Einleitung
B. Erfüllt Palästina die völkerrechtlichen Voraussetzungen eines Staates?
I. Merkmale eines Staates
1. Staatsvolk
2. Staatsgebiet
3. Staatsgewalt
4. Mögliche Streitpunkte
II. Anwendung auf Palästina und auftretende Probleme
1. Staatsvolk
2. Staatsgebiet
3. Staatsgewalt
4. Zwischenfazit
C. Ist eine Vollmitgliedschaft Palästinas bei den Vereinten Nationen möglich?
I. Voraussetzungen für einen Beitritt Palästinas zu den Vereinten Nationen
1. Staatseigenschaft
2. Friedensliebe
3. Akzeptanz der Verpflichtungen der UN-Charta
4. Beurteilung der Akzeptanz der Verpflichtung der UN-Charta durch die UN.
5. Der Verlauf des Aufnahmeprozesses
6. Kritikpunkte des Aufnahmeverfahrens
III. Chancen einer Vollmitgliedschaft
1. Der Beobachterstatus als Ausgangspunkt
2. Der Verlauf der Aufnahmebemühungen
3. Zwischenfazit
D. Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis/Internetquellen
A. Einleitung
„In meiner Vision leben zwei freie Völker Seite an Seite. Jedes hat seine eigene Flagge und seine eigene Hymne.“ - Benjamin Netanjahu1
In diesem Ausspruch des israelischen Ministerpräsidenten kommt zum Ausdruck, worüber schon seit Jahrzenten debattiert wird - die Schaffung eines souveränen Staates Palästina im Gebiet der südlichen Levante2. Diese Zwei-Staaten-Lösung gilt weithin als einziges Mittel zur Beilegung des Nahostkonflikts, weshalb sich sowohl Israel als auch die Palästinenser um dieses Ziel bemühen. Jedoch stehen diesem Bestreben nicht nur strategische sondern auch religiös-historische Interessen auf beiden Seiten im Weg, für die bisher noch keine Lösung gefunden werden konnte. Hierfür seien die Verteilung der knappen Wasserressourcen und die Zukunft der ‘Heiligen Stadt’ Jerusalem nur als zwei Beispiele genannt.
Beschäftigt man sich mit dem Prozess der Eigenstaatlichkeit der Palästinenser, so drängt sich die Frage auf, ab wann überhaupt von einem souveränen Staat Palästina gesprochen werden kann. Welche Voraussetzungen müssen dafür erfüllt sein und sind diese eventuell schon de facto gegeben, allerdings noch nicht von der gesamten Weltgemeinschaft anerkannt? Diese Erwägungen führen zur eigentlichen Frage dieser Arbeit hin:
Gibt es einen Palästinenserstaat?
Zur Beantwortung dieser Themenstellung werden im ersten Kapitel zunächst die allgemeinen Kriterien für einen Staat erörtert und diese dann auf das ‘Gebilde Palästina’ angewendet, um zu prüfen, inwieweit Palästina die Voraussetzungen für einen Staat erfüllt und welche Probleme gegebenenfalls bestehen.
„Vorrangiges Ziel eines jeden neuen Staats ist die Mitgliedschaft in den vereinten Nationen. Sie wird als ‘Ritterschlag der Eigenstaatlichkeit‘ angesehen [...].“3 Aufgrund dieser enormen Bedeutung der Aufnahme in die Vereinten Nationen sollen in der zweiten Hälfte des Hauptteils die Bedingungen dafür erläutert werden. Da Palästina seit dem 29.11.2012 bereits Beobachterstaat ohne Mitgliedschaft in den UN ist,4 werden anschließend seine Chancen auf eine Vollmitgliedschaft geklärt.
B. Erfüllt Palästina die völkerrechtlichen Voraussetzungen eines Staates?
I. Merkmale eines Staates
Auf den ersten Blick mag die Fragestellung nach den Merkmalen eines Staates irritierend wirken, da eine Staatlichkeit gerade für die Länder der westlichen Welt wohl von keinem angezweifelt werden dürfte. Diese Klarheit herrscht allerdings im Hinblick auf andere politische Gebilde auf dem Erdball nicht. Darunter fällt in besonderer Weise auch der ‘Staat Palästina’, welcher am 15. November 1988 von Yassir Arafat ausgerufen5 und inzwischen von 130 Staaten international anerkannt wurde.6 Doch reicht das, um einen eigenen Staat zu konstituieren? Was sind die völkerrechtswissenschaftlichen Kriterien dafür?
Schweisfurth verwendet zur Beantwortung dieser Frage Jellineks Definition aus der allgemeinen Staatslehre:
„Als Rechtsbegriff ist der Staat demnach die mit ursprünglicher Herrschermacht ausgerüstete Körperschaft eines seßhaften Volkes oder, um einen neuerdings gebräuchlichen Terminus anzuwenden, die mit ursprünglicher Herrschermacht ausgestattete Gebietskörperschaft.“7
Nach dieser Definition braucht ein politisches Gebilde folglich drei Elemente, um als ‘Staat im Sinne des Völkerrechts’ anerkannt zu werden: ein Staatsvolk, ein Staatsgebiet und eine Staatsgewalt. Diese Ansicht zieht sich in teils leicht abgewandelter Form durch die wissenschaftliche Literatur und ist allgemein als die ‘Drei-Elemente-Lehre’ bekannt.8 Zum Verständnis dieser drei Merkmale bedarf es einer näheren Betrachtung:
1. Staatsvolk
Aus Jellineks Aussage geht bereits hervor, dass ohne ein Volk kein Staat möglich ist. Das leuchtet ein, da zunächst Menschen benötigt werden, die sich überhaupt auf einem Gebiet niederlassen können und durch ihren dauerhaften9 Aufenthalt dort eine permanente ‘Gebietskörperschaft’ gestalten. Deren Mitglieder besitzen die Staatsangehörigkeit, welche ein besonderes Band von gesetzlichen Rechten und Pflichten (z. B. Recht auf politische Mitwirkung, Pflicht zum Militärdienst) zwischen dem Individuum und dem Staat manifestiert, und sie zu Staatsbürgern macht. Die Staatsbürger wiederum bilden das Staatsvolk.10 Völkerrechtlich ist die Anzahl der Bürger nicht relevant; auch personell sehr kleine Staaten wie z. B. Monaco werden als solche anerkannt.11
Die Hoheitsgewalt, die der Staat über die Inhaber seiner Staatsangehörigkeit ausübt, wird als Personalhoheit bezeichnet. Doch nicht alle Personen auf dem Territorium eines Staates besitzen die dazugehörige Staatsangehörigkeit und unterliegen somit der Personalhoheit. Staatsangehörige anderer Staaten sowie Staatenlose fallen unter die Territorial- oder Gebietshoheit, die alle Personen umfasst, die sich auf dem Staatsgebiet befinden.12
2. Staatsgebiet
Ebenso wichtig wie das Staatsvolk ist nach Jellinek das Staatsgebiet. Denn wo soll sich eine Bevölkerung aufhalten, wenn nicht auf einem dafür verfügbaren Territorium? Das Staatsgebiet umfasst „einen Teil der festen Erdoberfläche“13 auf dem das Staatsvolk leben kann, wobei dieser natürlich sein muss und nicht künstlich geschaffen. Es ist ein dreidimensionales Gebilde, welches orthogonal zur Erdoberfläche bis zum Erdmittelpunkt nach unten reicht und nach oben auch die darüber befindlichen Luftschichten umfasst. Auch wenn oftmals von Territorium (von lat. terra = Erde) die Rede ist, so sind auch Binnengewässer, Küstenmeere, Flüsse u. ä. davon mit eingeschlossen.14
Ein sich logisch aus dem Staatsgebiet ergebendes Faktum sind die Staatsgrenzen. Diese müssen allerdings nicht endgültig festgelegt sein; es genügt ein bestehendes, unbestrittenes Kerngebiet.15 Ebenso wie beim Staatsvolk kommt es völkerrechtlich weder beim Kern- noch beim Gesamtgebiet auf die Größe an.16
Wie bereits angesprochen hat der Staat auf seinem Staatsgebiet die Territorialhoheit inne. Davon abzugrenzen ist die ‘territoriale Souveränität’, welche die Befugnis beschreibt, über das Territorium zu verfügen.17
3. Staatsgewalt
Die Staatsgewalt kann im Gegensatz zu den ‘natürlichen’ Elementen eines Staates (Staatsvolk, Staatsgebiet) als organisatorisches Element bezeichnet werden, welches die beiden letztgenannten zusammenfasst und daraus einen funktionierenden Staat schafft. Mit Staatsgewalt ist jedoch nicht unbedingt die Gewaltenteilung in Judikative, Legislative und Exekutive gemeint; diese Dreiteilung kann nicht als Maßstab dienen, da die Ausprägung in den verschiedenen Staaten differiert. Schweisfurth stellt deshalb im Einklang mit dem Völkerrecht die Definition auf, „Staatsgewalt [sei] Personalhoheit und Gebietshoheit.“18
Die Herrschaft über einen Staat verlangt einen gewissen ‘Staatsaufbau’, welcher die Macht im Staat ordnet. Vollzogen wird dieser durch die Verfassung, welche zwar nicht in schriftlicher Form vorzuliegen hat, jedoch muss die Machtorganisation deutlich werden. So werden verschiedene Institutionen wie eine Regierung (oder regierungsähnliche Behörden) und weitere Einrichtungen gefordert, die Aufgaben und Kompetenzen des Regierens übernehmen. Diese Organe dürfen allerdings nicht nur pro forma eingesetzt sein (Schweisfurth bezeichnet das als „virtuellen Staat“), sondern müssen in der Lage sein, ihre Herrschaft effektiv auszuüben. Des Weiteren wird eine „Aussicht auf Dauerhaftigkeit“ gefordert, ohne die ein Staat nicht permanent bestehen kann. Dies trägt der spontanen Entstehung neuer Staaten Rechnung, die beispielsweise durch Revolution oder Putsch entstehen. Sie werden vom Völkerrecht nicht sofort als Staaten betrachtet, da nicht feststeht, ob ihre Existenz in dieser Form gewahrt bleibt.19
Ganz im Gegensatz zur westlichen Vorstellung eines Staates muss jedoch die Herrschaft nicht demokratisch legitimiert sein. Auch Herrschaften, die durch verfassungsmäßig illegale Handlungen wie Putsch oder Revolution entstehen, haben Anspruch auf Gültigkeit im Sinne des Völkerrechts, solange sie die genannten Kriterien der Organisation, Effektivität und Dauerhaftigkeit erfüllen. Dies leitet sich aus dem Grundsatz des Völkerrechts ab, sich nicht in innerstaatliche Handlungen einzumischen, es sei denn, völkerrechtliche Verpflichtungen wie z. B. die Wahrung der Menschenwürde würden verletzt.20
Ein Begriff, der im Zusammenhang mit Staaten immer wieder fällt, ist deren Unabhängigkeit oder Souveränität (gleichbedeutend i. S. d. Völkerrechts). Sie beschreibt die rechtliche Ungebundenheit eines Staates.21 Das bedeutet jedoch keineswegs, dass ein Staat sich nicht durch Verträge binden oder Teil eines supranationalen Bündnisses wie der UNO oder der EU werden darf, um souverän zu sein. Gerade dadurch drückt sich ja in besonderem Maße die Selbstbestimmtheit der Staaten aus. Die innerstaatliche Macht muss sich lediglich in diesem Rahmen innenpolitisch wie außenpolitisch frei entfalten können. Somit kann eine Unterteilung in innere und äußere Souveränität stattfinden, wobei die innere „volle Selbstregierung“22 und die äußere „rechtliche Unabhängigkeit von anderen Staaten“23 bedeutet. Näher betrachtet meint „volle Selbstregierung“, dass der Aufbau der inneren Struktur und die innere Ordnung nicht von einer anderen Regierung errichtet und kontrolliert sind; die rechtliche Unabhängigkeit von Staaten besagt, dass die Regierung das höchstgeordnete Organ im Staate ist, und nicht etwa andere Regierungen, Staaten oder Staatenverbünde. Diese höchste Ordnung wird besonders durch die eigenmächtigen diplomatischen Beziehungen zu anderen Staaten deutlich.24 Die einzige Ausnahme hierbei bildet das Völkerrecht, welches als einzige Rechtsordnung über allen Staaten steht und verbindlich ist.25
Nun könnte man die Souveränität als viertes Staatselement auffassen, was jedoch nicht der Fall ist. Sie kann lediglich als Eigenschaft der Staatsgewalt ausgelegt werden, was schließlich die Folge hat, dass auch das Fehlen der Eigenschaft ‘unabhängig’ nicht dazu führt, dass ein Staat nicht als solcher existiert.26
4. Mögliche Streitpunkte
Natürlich gibt es auch bei der Definition der Staatselemente verschiedene Standpunkte, etwa bei der Bedeutung der Fähigkeit diplomatische Beziehungen zu anderen Ländern aufzubauen oder der Anerkennung durch Drittstaaten. Diese sollen im Folgenden kurz erläutert werden.
[...]
1 Vieweger, Streit um das Heilige Land (2010), S. 247.
2 Die südliche Levante umfasst das Gebiet des ehemaligen britischen Mandats sowie die daran angrenzenden Teile des Sinai, des Libanon, Syriens und des Ostjordangebietes in Jordanien.
3 Talmon, Mitgliedschaft/Repräsentation von Staaten (2000), S. 393.
4 Vgl. Schaller, Palästinas Aufwertung zum Beobachterstaat in den Vereinten Nationen (2012), S. 1f.
5 Vieweger, Streit um das Heilige Land (2010), S. 204.
6 Stand 2011, vgl. Schaller, Palästinas Aufwertung zum Beobachterstaat in den Vereinten Nationen (2012), S. 4. Die aktuellste Angabe in Wikipedia spricht von 134 Staaten.
7 Zitiert in: Schweisfurth, Völkerrecht (2006), S. 9.
8 Vgl. Schweisfurth, Völkerrecht (2006), S. 10.
9 ‘Dauerhaft’ spielt hier auf die wandernden Völkerschaften an, denen früher das Recht auf Staatsbildung lgem. lder VRO abgesprochen wurde; vgl. hierzu Schweisfurth: Völkerrecht. S. 11.
10 Vgl. Schweisfurth, Völkerrecht (2006), S. 10.
11 Vgl. Schweisfurth, Völkerrecht (2006), S. 16f.
12 Vgl. Schweisfurth, Völkerrecht (2006), S. 10.
13 Bluntschli, Deutsches Staats-Wörterbuch (1861), S. 209.
14 Vgl. Schweisfurth, Völkerrecht (2006), S. 11.
15 Vgl. Schweisfurth, Völkerrecht (2006), S. 11.
16 Vgl. Schweisfurth, Völkerrecht (2006), S. 16f.
17 Vgl. Schweisfurth, Völkerrecht (2006), S. 11.
18 Schweisfurth, Völkerrecht (2006), S. 12.
19 Vgl. Schweisfurth, Völkerrecht (2006), S. 12f.
20 Schweisfurth, Völkerrecht (2006), S. 13.
21 Schweisfurth, Völkerrecht (2006), S. 13f.
22 Schweisfurth, Völkerrecht (2006), S. 14.
23 Schweisfurth, Völkerrecht (2006), S. 14.
24 Vgl. Schweisfurth, Völkerrecht (2006), S. 14.
25 Vgl. Schweisfurth, Völkerrecht (2006), S. 13f.
26 Schweisfurth, Völkerrecht (2006), S. 14.