Die Klage über den Verfall der deutschen Sprache ist kein ausschließliches Phänomen des 21. Jahrhunderts. Schon in früheren Epochen wurde ein drohender Untergang des Deutschen konstatiert. Mit der Rechtschreibreform von 1996 bzw. 2006 und mit populärwissenschaftlichen Autoren wie beispielsweise Bastian Sick nahmen die Diskussionen um das Für und Wider deutscher Rechtschreibnormen und -varianten neue Züge an. Gerade um die Verwendung des sogenannten „Deppenapostrophs“ entbrannten hitzige Debatten in verschiedensten Medien, an denen sich eine breite Öffentlichkeit beteiligte.
Sowohl in der Öffentlichkeit als auch in den Schulen fehlt allerdings das Verständnis für die Prozesshaftigkeit von Rechtschreibnormen. Somit verwundert es dann auch nicht, dass man in deutschen Lehrplänen vergebens nach Rüstzeug für Schüler sucht, um sich an solchen Diskussionen um Norm und Varianz effektiv beteiligen zu können. Varianz wird im Klassenzimmer eher von der Lehrperson unterdrückt und die Schüler lernen nur die Variante, die der Lehrer für „besser“ hält. Damit wird auch eine gründliche Reflexion von orthographischen Regeln unterbunden, die es Schülern ermöglichen würde, ein tieferes Verständnis der Regeln zu erlangen und Sprachbewusstsein aufzubauen.
In der vorliegenden Arbeit soll am Beispiel des Apostrophs gezeigt werden, welche Chancen der kritisch-reflektierende Umgang mit Norm und Varianz im Unterricht bietet. Hierfür werden zunächst die Funktionen und die Geschichte des Apostrophs betrachtet. Daran anschließend sollen die Voraussetzungen (Sprachreflexion- und Sprachbewusstsein) und die Konsequenzen (Sprachkritik) eines effektiven Umgangs mit Norm und Varianz aus didaktischer Sicht beleuchtet werden. Darauf aufbauend werden dann die gewonnenen Erkenntnisse auf die öffentliche Diskussion über den Apostroph angewendet.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Apostroph im Deutschen
2.1 Funktionen
2.2 Geschichte
3. Norm und Varianz
4. Der Apostroph in der öffentlichen Diskussion
5. Umgang mit der öffentlichen Diskussion im Unterricht
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Klage über den Verfall der deutschen Sprache ist kein ausschließliches Phänomen des 21. Jahrhunderts. Schon in früheren Epochen wurde ein drohender Untergang des Deutschen konstatiert. Mit der Rechtschreibreform von 1996 bzw. 2006 und mit populärwissen-schaftlichen Autoren wie beispielsweise Bastian Sick nahmen die Diskussionen um das Für und Wider deutscher Rechtschreibnormen und -varianten neue Züge an. Gerade um die Verwendung des sogenannten „Deppenapostrophs“ entbrannten hitzige Debatten in verschiedensten Medien, an denen sich eine breite Öffentlichkeit beteiligte.
Sowohl in der Öffentlichkeit als auch in den Schulen fehlt allerdings das Verständnis für die Prozesshaftigkeit von Rechtschreibnormen. Somit verwundert es dann auch nicht, dass man in deutschen Lehrplänen vergebens nach Rüstzeug für Schüler sucht,[1] um sich an solchen Diskussionen um Norm und Varianz effektiv beteiligen zu können. Varianz wird im Klassenzimmer eher von der Lehrperson unterdrückt und die Schüler lernen nur die Variante, die der Lehrer für „besser“ hält. Damit wird auch eine gründliche Reflexion von ortho-graphischen Regeln unterbunden, die es Schülern ermöglichen würde, ein tieferes Verständnis der Regeln zu erlangen und Sprachbewusstsein aufzubauen.
In der vorliegenden Arbeit soll am Beispiel des Apostrophs gezeigt werden, welche Chancen der kritisch-reflektierende Umgang mit Norm und Varianz im Unterricht bietet. Hierfür werden zunächst die Funktionen und die Geschichte des Apostrophs betrachtet. Daran anschließend sollen die Voraussetzungen (Sprachreflexion- und Sprachbewusstsein) und die Konsequenzen (Sprachkritik) eines effektiven Umgangs mit Norm und Varianz aus didaktischer Sicht beleuchtet werden. Darauf aufbauend werden dann die gewonnenen Erkenntnisse auf die öffentliche Diskussion über den Apostroph angewendet.
2. Der Apostroph im Deutschen
2.1 Funktionen
Der Apostroph besitzt im Deutschen vier verschiedene Funktionen: er wird als Aus-lassungssignal bei Normverstößen, Suffixersatz, Grenzsignal vor Suffixen und als Ab-kürzungssignal gebraucht.[2]
Als Auslassungssignal bei Normverstößen wurde der Apostroph genutzt, wenn Schemata von Wortformen nicht eingehalten wurden; beispielsweise ‹ich nehm’ das›, ‹ich brauch’ das›. Diese Funktion wurde mit der neuen Rechtschreibung weitestgehend abgeschafft. Nun muss in solchen Fällen nur noch ein „Apostroph bei Wörtern mit Auslassungen [gesetzt werden], wenn die verkürzten Wortformen sonst schwer lesbar oder missverständlich wären ‹§ 96 (2)›.“[3] Zum Beispiel ist das der Fall bei ‹’s ist schon spät.› oder ‹Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll...›. Wie das letzte Beispiel andeutet, tritt dieses Phänomen vor allem in poetischen Texten auf. Die verkürzten Schreibungen entstehen aber auch aus dem Willen heraus, die geschriebene Sprache möglichst parallel zur gesprochenen Sprache zu halten; beispielsweise bei der schriftlichen Wiedergabe von Dialogen.[4]
Der Apostroph dient als Suffixersatz bei artikellosen Eigennamen, die im Nominativ mit [s] auslauten und „repariert“ hier einen unerwünschten Effekt des Lautprinzips.[5] Beispiele hierfür sind ‹Hans Sachs’ Gedichte› oder ‹das Leben Johannes’ des Täufers›. Hier greift ‹§ 96 (1)› des Dudens.[6]
Als Grenzsignal vor Suffixen dient der Apostroph, um Wortteile mit unterschiedlicher Schreibweise voneinander zu trennen. Dieser morphemabgrenzende Apostroph kann an der Grenze zwischen logographischer und alphabetischer Schreibung auftauchen (‹der 68’er›, ein ‹5’ling›), zwischen abgekürzter (quasi-logographischer) und alphabetischer Schreibung (‹B.’s Werke›, ‹B’s Werke›) und zwischen syllabischer und alphabetischer Schreibung (‹des Kfz’s›, ‹des IQ’s›).[7] Zu beachten ist jedoch, dass das Setzen eines Apostrophs an solchen Grenzen nicht der amtlichen Regelung entspricht. Etwas halbherzig heißt es dazu im Duden: „Normalerweise wird vor einem Genitiv-s kein Apostroph gesetzt. Das gilt auch für Genitiv-s und Plural-s bei Initialwörtern und Abkürzungen.“[8] Korrekt sind im Umkehrschluss nur Schreibungen wie ‹der 68er›, ‹Bs Werke› oder ‹des Kfzs› bzw. in letzterem Fall auch ‹des Kfz›. Desweiteren wird der Apostroph häufig bei Eigennamen vor dem Flexionssuffix -s und vor dem adjektivischen Derivationssuffix -sch gesetzt.[9] Zum Beispiel bei ‹Carlo’s Taverne› und bei der ‹Einstein’sche Relativitätstheorie›. Hierbei soll der Apostroph dem Leser helfen, die Nominativform leichter zu erkennen. War das Setzen des Apostrophs bei diesen Wortformen vor 1996 noch verboten, steht es dem Schreiber seit 2006 frei, ob er hier ein Apostroph setzen möchte oder nicht.[10]
Eher peripheren Status hat der Apostroph als Abkürzungssignal in Wortformen wie beispielsweise ‹D’dorf› für ‹Düsseldorf›, ‹Ku’damm› für ‹Kurfürstendamm› oder ‹M’glad-bach› für ‹Mönchengladbach›.[11]
Der Apostroph, der eigentlich als Hilfsmittel zur besseren Lesbarkeit von Wortformen dienen sollte, wurde nach der alten Rechtschreibung inflationär gebraucht, also auch in Fällen, in denen die Lesbarkeit gar nicht beeinträchtigt war.[12] Mit den Neuregelungen wurden diese Fälle eingedämmt, der Gebrauch erleichtert und größere Wahlfreiheiten geschaffen, jedoch wird im Allgemeinen dazu geraten, wenn die Möglichkeit besteht, kein Apostroph zu setzen.[13]
2.2 Geschichte
Der Apostroph wird nicht erst seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert als orthographisches Hilfsmittel genutzt, sondern diente schon im antiken Griechenland als Auslassungszeichen.[14] Jedoch erfuhr der Apostroph in vielen Sprachen erst seit dem 17. Jahrhundert systematische Verwendung als Markierung von Vokalellison.[15] Vor allem in lyrischen Texten spielte er daher eine wichtige Rolle, in denen Vokale reduziert wurden, um das Versmaß einzuhalten. Während der Apostroph schon seit dem 16. Jahrhundert Einzug in die Druckersprache Frankreichs und Englands hielt, ist dies für Deutschland erst Anfang des 17. Jahrhunderts zu verzeichnen.[16] In Deutschland war es Martin Opitz, der maßgeblich dazu beitrug, hier den Elisionsapostroph salonfähig zu machen. Sein „Buch von der Deutschen Poeterey“ (1624) lieferte detaillierte poetologische Vorschriften zum Gebrauch des Apostrophs.[17] Neben der Funktion als Auslassungszeichen sind im 17. Jahrhundert auch erste vereinzelte Belege für Genitiv-Apostrophe[18] vorhanden und seit dem 18. Jahrhundert auch für den Plural-Apostroph.[19] Um 1800 wurde der Apostroph dann auch in deutschen Grammatiken behandelt.[20] Während sich der Elisionsapostroph allgemeiner Akzeptanz erfreute, stand man dem Apostroph als Morphemgrenzensignal eher skeptisch gegenüber. Diese ablehnende Haltung wurde noch verstärkt, da Jakob Grimm und andere sich gegen den Genitiv-Apostroph als überflüssiges Zeichen aussprachen.[21] In seinem „Vollständigen Orthographischen Wörterbuch“ von 1880 schrieb Konrad Duden, dass es nicht von Nöten sei, den Genitiv-Apostroph zu setzen, und brandmarkte ihn damit als regelwidrig.[22] Der Usus im 20. Jahrhundert zeigt allerdings, dass sich sowohl Genitiv- als auch Plural-Apostroph in einigen Kreisen noch einer gewissen Beliebtheit erfreuten; beispielsweise bei Thomas Mann und Heimito von Doderer.[23] Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts lebte besonders der Gebrauch des Genitiv-Apostrophs wieder neu auf. Diesem Gebrauch trug die neue Rechtschreibung Rechnung, hob die Regelwidrigkeit des Apostrophs als Stammform-kennzeichnung wieder auf und stellte seinen Gebrauch dem Schreiber frei.[24]
3. Norm und Varianz
Orthographische Normen bieten eine grundlegende Hilfe zum Steuern von Schreibprozessen. Auch wenn Normen oft das Stigma anhängt, ihre Befolgung würde Individualität unterdrücken, sind sie hier unverzichtbar für die Orientierung und Regulierung von Schülern und Erwachsenen gleichermaßen. Die bloße Vermittlung von orthographischen Normen im Unterricht ist allerdings nur wenig effektiv. Viel wichtiger ist es, dass die Normen die Lernprozesse der Schüler unterstützen, wodurch sie nicht nur fähig sind Normverstöße oder Schwierigkeiten zu benennen bzw. zu erkennen, sondern auch, um sie „als Signale für Schritte im Lernprozess zu deuten und die je nötige Unterstützung zu bieten.“[25] Dies setzt voraus, dass Schüler sich mit Normen differenziert auseinandersetzen. Sie müssen sich ihrer Notwendigkeit, Genese, Veränderlichkeit und Veränderbarkeit bewusst werden.[26] Während die Vermittlung von Sprachnormen fest in den Lehrplänen und in den Bildungsstandards verankert ist, sucht man hier vergebens nach einer Reflexion über orthographische Normen. Sprachreflexion wird zwar gefordert, hat aber thematisch im Bereich der Orthographie noch nicht Einzug in Schulbücher und Lehrpläne gefunden.[27]
Im Bereich der Orthographie wünschen sich Schüler klare und eindeutige Regeln, um möglichst keine Fehler zu machen. Im Umkehrschluss fällt es Schülern allerdings meist schwer sich auf die Existenz mehrerer Varianten einzulassen. Auf Hinweise der Lehr-personen,
[...]
[1] Hier und im Folgenden bezeichnet „Schüler“ logischerweise sowohl Personen weiblichen als auch männlichen Geschlechts. Gleiches gilt in dieser Arbeit auch für Leser, Lerner, Lehrer und ähnliche Bezeichnungen.
[2] Vgl. http://www.personal.uni-jena.de/~x1gape/Pub/Bindestrich_Apostroph_1989.pdf (Stand: 16.01.2014), S. 1. publiziert als: Gallmann, Peter: Syngrapheme an und in Wortformen. Bindestrich und Apostroph im Deutschen. In: Peter Eisenberg und Hartmut Günther (Hrsg.): Schriftsystem und Orthographie, Tübingen: Niemeyer 1989, S. 85-110.
[3] Siehe Dudenredaktion (Hrsg.): Duden. Die deutsche Rechtschreibung, 24., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Leipzig u.a.: Dudenverlag 2006, S. 35.
[4] Vgl. Gallmann, Peter: Syngrapheme an und in Wortformen, S. 15.
[5] Vgl. http://www.personal.uni-jena.de/~x1gape/Ortho/V_Apostroph_Skript.pdf (Stand: 06.04.2014), S. 4.
[6] Vgl. Duden, S. 36.
[7] Vgl. http://www.personal.uni-jena.de/~x1gape/Ortho/V_Apostroph_Skript.pdf (Stand: 06.04.2014), S. 5.
[8] Vgl. Duden, S. 36.
[9] Vgl. http://www.personal.uni-jena.de/~x1gape/Ortho/V_Apostroph_Skript.pdf (Stand: 06.04.2014), S. 5.
[10] Vgl. Duden, S. 36.
[11] Vgl. http://www.personal.uni-jena.de/~x1gape/Ortho/V_Apostroph_Skript.pdf (Stand: 06.04.2014), S. 4.
[12] Vgl. Gallmann, Peter und Horst Sitta: Handbuch Rechtschreiben, Zürich: Lehrmittelverlag des Kantons Zürich 1996, S. 180.
[13] Vgl. Camenzind, Samuel: Der Apostroph. In: Muttersprache 117 (2007), S. 360.
[14] Vgl. Ebd. S. 352.
[15] Vgl. Bredel, Ursula: Die Interpunktion des Deutschen. Ein kompositionelles System zur Online-Steuerung des Lesens, Tübingen: Niemeyer 2008, S. 105.
[16] Vgl. Bredel, Ursula: Die Interpunktion des Deutschen, S. 184.
[17] Vgl. Ebd.
[18] An dieser Stelle sei noch angemerkt, dass der deutsche Genitiv-Apostroph zwar eine Entsprechung im Englischen hat, er wurde aber deswegen nicht gleich aus dem Englischen übernommen. Denn er hat sich gerade im 19. Jahrhundert großer Beliebtheit erfreute. Also in einer Zeit, in der nur wenig Deutsche dem Englischen mächtig waren. Vgl. Gallmann, Peter und Horst Sitta: Handbuch Rechtschreiben, S. 180f.
[19] Vgl. Bredel, Ursula: Die Interpunktion des Deutschen, S. 188.
[20] Vgl. Camenzind, Samuel: Der Apostroph, S. 352.
[21] Vgl. Ebd. S. 353.
[22] Vgl. Ebd.
[23] Vgl. Bredel, Ursula: Die Interpunktion des Deutschen, S. 189.
[24] Vgl. §97. Duden, S. 36.
[25] Peyer, Ann: Language Awareness. Neugier und Norm. In: Angelika Linke u.a. (Hrsg.): Sprache und mehr. Ansichten einer Linguistik der sprachlichen Praxis, Tübingen: Niemeyer Verlag 2003, S. 340.
[26] Vgl. Kilian, Jörg: Didaktische Konzepte zur Sprachkritik im Unterricht des Deutschen als Erstsprache. In: Aptum 2 (2009), S. 107f.
[27] Vgl. Kilian, Jörg: Didaktische Konzepte zur Sprachkritik, S. 116.