1. Einleitung
Die Frage nach dem Ich, nach dem Selbst, nach dem was man ist, kann vielerlei Züge annehmen. Ihren Ursprung findet sie in der Philosophie und beweist dabei eine Popularität mit iterativem Charakter. Werke wie „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ von Richard David Precht, die eher im populärwissenschaftlichen Teil anzusiedeln sind, sorgen in der heutigen Zeit dafür, dass wir uns mit solchen alten Fragestellungen immer noch beschäftigen.
Neben dem Ursprung in der Philosophie, lässt sich diese Frage aber auch in beliebig vielen anderen Gebieten zur Anwendung bringen. Wenn wir nach dem Ich fragen, schwingen dabei sämtliche Aspekte mit, die einen Menschen ausmachen und somit ergibt sich für die Frage ein mannigfaltiger Rahmen. Fragt man in der Psychologie, so wird mit hoher Wahrscheinlichkeit die Antwort von Determiniertheiten bestimmt sein, die unseren Körper betreffen. Im gesellschaftlichen Sinne lassen sich genauso viele Ausprägungen finden. Wer bin ich im politischen Sinne? Wer bin ich in meiner Familie? Wer bin ich auf Arbeit? Soziale Beziehungen bestimmen und Formen uns und kreieren ein Ich, das nicht immer ein selbstbestimmtes sein muss. Alle diese Konstruktionen des Selbst scheinen von außen beeinflusst zu sein und doch gibt es auch die Frage nach dem Ich die, so zumindest die naheliegende Vermutung, nur von innen heraus beantwortet werden kann.
Wer bin ich in sexueller und geschlechtlicher Hinsicht? Was bin ich? Ohne weitere Überlegungen anzustellen ließe sich diese Frage wohl relativ schnell und eindeutig beantworten – Mann oder Frau. Was dabei jedoch viel zu oft vergessen wird ist alles das, was dazwischen liegt. Die Differenzierung des Geschlechts in Mann (männlich) und Frau (weiblich), ist zu kurz gedacht und das radikal. Die Natur vermag verschiedenste Formen von Sein im humanen Sinne hervorzubringen. Dabei spielt die Frage nach Abnormität, Vereinzelung oder Gendefekt gar keine Rolle, wie sie die Medizin jedoch gerne stellt. Seien es zwittrig geborene Menschen, jene die sich im Laufe ihres Lebens im falschen Körper fühlen und eine Geschlechtsumwandlung mitmachen oder noch andere, sie alle beweisen dass eine Unterteilung in Mann und Frau uneindeutig ist.
Dabei ist die biologische Differenzierung nur die erste Instanz vielfältiger Geschlechtszuschreibungen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Was bedeutet Geschlecht?
3. Was ist Geschlechtsidentität?
4. Identität
5. Körper
6. Rolle
7. Zwang
8. Abschließende Betrachtungen
9. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Frage nach dem Ich, nach dem Selbst, nach dem was man ist, kann vielerlei Züge annehmen. Ihren Ursprung findet sie in der Philosophie und beweist dabei eine Popularität mit iterativem Charakter. Werke wie „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ von Richard David Precht, die eher im populärwissenschaftlichen Teil anzusiedeln sind, sorgen in der heutigen Zeit dafür, dass wir uns mit solchen alten Fragestellungen immer noch beschäftigen.
Neben dem Ursprung in der Philosophie, lässt sich diese Frage aber auch in beliebig vielen anderen Gebieten zur Anwendung bringen. Wenn wir nach dem Ich fragen, schwingen dabei sämtliche Aspekte mit, die einen Menschen ausmachen und somit ergibt sich für die Frage ein mannigfaltiger Rahmen. Fragt man in der Psychologie, so wird mit hoher Wahrscheinlichkeit die Antwort von Determiniertheiten bestimmt sein, die unseren Körper betreffen. Im gesellschaftlichen Sinne lassen sich genauso viele Ausprägungen finden. Wer bin ich im politischen Sinne? Wer bin ich in meiner Familie? Wer bin ich auf Arbeit? Soziale Beziehungen bestimmen und Formen uns und kreieren ein Ich, das nicht immer ein selbstbestimmtes sein muss. Alle diese Konstruktionen des Selbst scheinen von außen beeinflusst zu sein und doch gibt es auch die Frage nach dem Ich die, so zumindest die naheliegende Vermutung, nur von innen heraus beantwortet werden kann.
Wer bin ich in sexueller und geschlechtlicher Hinsicht? Was bin ich? Ohne weitere Überlegungen anzustellen ließe sich diese Frage wohl relativ schnell und eindeutig beantworten – Mann oder Frau. Was dabei jedoch viel zu oft vergessen wird ist alles das, was dazwischen liegt. Die Differenzierung des Geschlechts in Mann (männlich) und Frau (weiblich), ist zu kurz gedacht und das radikal. Die Natur vermag verschiedenste Formen von Sein im humanen Sinne hervorzubringen. Dabei spielt die Frage nach Abnormität, Vereinzelung oder Gendefekt gar keine Rolle, wie sie die Medizin jedoch gerne stellt. Seien es zwittrig geborene Menschen, jene die sich im Laufe ihres Lebens im falschen Körper fühlen und eine Geschlechtsumwandlung mitmachen oder noch andere, sie alle beweisen dass eine Unterteilung in Mann und Frau uneindeutig ist.
Dabei ist die biologische Differenzierung nur die erste Instanz vielfältiger Geschlechtszuschreibungen. Neben offensichtlichen Merkmalen die unseren Körper bestimmen, ist es das soziale Umfeld in dem wir aufwachsen, dass uns eine spezifische Geschlechtlichkeit zukommen lässt oder sogar aufoktroyiert. Am Ende legen wir also nicht selber fest Mann oder Frau zu sein, sondern werden in eine Passform gezwängt, die schon vor der Geburt eines jeden Bestand hatte.
Der Text versucht zu zeigen und zu belegen, dass diese Behauptungen wie sie gerade getroffen wurden einen wahren Kern besitzen. Kann man wirklich davon sprechen, dass die bipolare Aufteilung der Geschlechter ein überholtes System in der heutigen Zeit darstellt? Was dabei wirklich wahr bzw. richtig ist, mag auch am Ende spekulativer Natur sein, bleibt es doch eine rein subjektive Entscheidung die jeder für sich selbst treffen muss. Was aber funktioniert, ist ein „Aufbrechen“ der vorhandenen Strukturen und Denkweisen, um anhand der aufgegliederten Stränge einzelne Punkte einem systematischen Vergleich von Theorien und Denkansätzen zu unterziehen.
Auf dem Weg dorthin wird zunächst ein grober Umriss von der Begrifflichkeit Geschlecht angefertigt. Daran anschließend wird der Fokus auf die Geschlechtsidentität gelegt und was sich ganz allgemein hinter ihr verbirgt. Gefolgt werden diese überblicksartigen Darstellungen von der angesprochenen Feingliederung. Dabei richtet sich das Augenmerk auf die Konstrukte Rolle, Identität, Zwang und Körper mit Bezug auf die Geschlechterfrage. Die Arbeiten von Judith Butler zu diesem Thema dienen als Ausgangspunkt für eine differenzierte Betrachtung. Differenziert, weil ihren Ansichten die anderer Autoren gegenübergestellt werden. Als Ergebnis bleiben in voller Erwartung am Ende „die feinen Unterschiede“ (Bourdieu, 2006) zwischen den Geschlechtern, welche es auch immer sind. Bourdieu hat gezeigt, dass Geschmack eine Folge von sozialen Konstruktionen ist, bleibt hier die Frage, ob Geschlecht das auch ist und ob fein der richtige Terminus ist.
2. Was bedeutet Geschlecht?
Bevor die Begrifflichkeit Geschlecht näher betrachtet werden kann, muss zunächst eine Unzulänglichkeit in der deutschen Sprache diesbezüglich erörtert werden. Geschlecht lässt sich in ein biologisches und ein kulturelles/soziales aufteilen. Geschlecht ist demnach eine Überlagerung von zwei unterschiedlichen Konstrukten. Folglich ist die Verwendung durch einen starken Mangel geprägt. Im englischen Sprachgebrauch haben sich für die Unterscheidung zwei Begriffe ausgeprägt. ‚sex’ beschreibt dabei das biologische und ‚gender’ das kulturelle bzw. soziale Geschlecht. Diese Differenzierung wird im weiteren Verlauf noch wichtig werden. Darüber hinaus lassen sich dennoch deutsche Termini finden, die diese Unterscheidung auszudrücken vermögen. Geschlecht steht dabei für die biologische Ausprägung und Geschlechtsidentität für den kulturellen/sozialen Part in der Typologisierung (vgl. Butler, 2012, S. 22ff; von Braun, 2006, S. 10f, Stephan, 2006, S. 52).
Im klassischen biologischen Sinne ist die Rede von der Dualität der Geschlechter, der Zweigeschlechtlichkeit, ein binäres System. Unterschieden wird in Mann und Frau und dementsprechend auch in männlich und weiblich. Das biologische Geschlecht, also die Determinierung innerhalb der Gene, gilt als invariant und damit als ein unumstößlicher Fakt. Spätestens mit der Geburt und der Betrachtung der Genitalien des Säuglings, legt sich durch den Arzt oder eine entsprechende Person für den Rest des Lebens das Geschlecht fest. Bestehende Unterschiede, wie zum Beispiel das Vorhandensein von männlichen wie weiblichen Geschlechtsmerkmalen (intersexuelle Merkmale), werden umgehend versucht zu beseitigen, um eine eindeutige Zugehörigkeit gewährleisten zu können. Natürliche Varianz wird durch die Pathologisierung zu einem Makel, den es zu beseitigen gilt (vgl. Spannbauer, 2000, S. 29f; Trautner, 1991, S. 322f; Butler, 1998, S. 74).
„Unsere westliche Kultur ist von dem Glauben geprägt, dass es nur zwei Geschlechter gibt. Indem der Staat und das Rechtssystem ein Zwei-Geschlechter-System aufrechterhalten, befinden sie sich jedoch im Widerspruch zur Natur. Denn vom Standpunkt der Biologie aus gibt es viele Abstufungen von weiblich zu männlich; man könnte sogar schon sagen, dass innerhalb dieses Spektrums mindestens fünf Geschlechter auszumachen sind und vielleicht sogar noch mehr“ (Fausto-Sterling, 1993, S. 21., zit. nach, Spannbauer, 2000, S. 38).
Das biologische bzw. genetische Geschlecht kennt mehr Ausprägungen als die Ausprägung in XX -Chromosom (weiblich) und XY -Chromosom (männlich). Lässt man den Aspekt einer pathologischen Veränderung außen vor und betrachtet lediglich die Andersartigkeit, ergibt sich ein wesentlich breiteres Wahrnehmungsfeld.
Männer mit der Chromosomkonstellation XXY haben das sogenannte Klinefelter-Syndrom. Im Schnitt betrifft diese Veränderung einen von 500 Jungen. Sie unterscheiden sich durch einen etwas weiblicheren Körperbau, geringeren Bartwuchs und kleineren Hoden. Zudem ist die Qualität ihrer Spermien meistens nicht ausreichend um Kinder zu zeugen. Die Auswirkungen der Konstellation XYY sind für die betroffenen Männer höchst unterschiedlich. Während viele während ihres gesamten Lebens nichts davon merken, sind sie im Durchschnitt etwas größer und haben einen leicht niedrigeren Intelligenzquotienten. Bei den Frauen kann es passieren, dass lediglich ein X-Chromosom ausgebildet wurde. Hier liegt die Wahrscheinlichkeit bei 1:2500. Neben Kleinwüchsigkeit ist auch oftmals das Hormon Östrogen in geringeren Mengen vorhanden. Das wiederum führt dazu, dass sie meistens keine Kinder bekommen können (vgl. Herden, 2013, S. 2). Obgleich diese Veränderungen in den Genen einen grundsätzlichen Charakter der Andersartigkeit aufweisen, muss in keinem Fall von einem grundsätzlichen Mangel gesprochen werden, der diesen Personen anlastet. Zu diesem wird er erst im Laufe der Entwicklung gemacht, in Abgrenzung zu Geschlechtsspezifikationen die als normal gelten. Durch diese Typisierung wird eine zusätzliche künstliche Differenz erschaffen, die sowieso schon im binären Verhältnis von männlich und weiblich besteht.
Geschlechterdifferenzen würden die meisten Personen als etwas Offensichtliches beschreiben. Neben den äußerlichen Merkmalen wie z.B. den Geschlechtsteilen, verrät auch der Körperbau in den meisten Fällen relativ eindeutig, zu welchem Geschlecht wir gehören. Daneben gibt es aber noch mehr Dinge, die Mann und Frau trennen und unterscheiden. Frauen besitzen z.B. ein größeres emotionales Einfühlungsvermögen und Männer sind von Natur aus etwas aggressiver. Am Ende sind dies nur klischeehafte Zuschreibungen, die in der heutigen Zeit immer mehr an Bedeutung verlieren (vgl. Gildemeister, 2004, S. 28f).
Die Ursache für diese Geschlechterdifferenzen lässt sich vordergründig aber nicht nur in der Genetik bzw. in der biologischen Beschaffenheit finden. Obgleich das Wesen eines Menschen zu einem bestimmten Teil von der genetischen Grundlage bestimmt ist, bleibt ein nicht unbedeutender Teil für die Sozialisation. Unser Umfeld hat während des Aufwachsens einen enormen Einfluss auf die Ausprägung der Geschlechtsidentität, die abgekoppelt von den eigentlichen Geschlechtsmerkmalen betrachtet werden muss (vgl. Butler, 2012, S. 23f; Bublitz, 2002, S. 50ff).
3. Was ist Geschlechtsidentität?
Wie bereits erwähnt ist der inzwischen gebräuchlichste Begriff für Geschlechtsidentität, auch in der deutschsprachigen Fachliteratur, ‚gender’. Daneben kann aber auch vom sozialen oder vom kulturellen Geschlecht die Rede sein. Ihnen allen gemeinsam ist ein sozial-konstruktivistischer Charakter. Die Geschlechtsidentität einer Person ist nicht als angeborene Disposition zu verstehen, die sich im Laufe des Lebens nicht mehr verändern kann. Vielmehr ist sie als eine Geschlechterrolle zu verstehen, die sich im interaktionistischen Sinne ständig weiterentwickelt und hochgradig flexibel ist. Es handelt sich dabei um dynamische Prozesse in der Auseinandersetzung mit der Umwelt. Darin eingeschlossen ist der Umgang mit anderen Individuen. In der Interaktion bilden sich Spezifika des geschlechtlichen Selbst heraus. Wir lernen unsere Rolle auszufüllen (vgl. Bührmann, Diezinger, & Metz-Göckel, 2007, S. 140ff; Gildemeister, 2008, S. 167ff; Weinbach, 2004, S. 41ff; Villa, 2001, S. 55f; Macha, 2011, S. 107).
„Der Wirkungszusammenhang von Umfeld und Eigenaktivität der Individuen ist reflektiert in dem Verständnis von Geschlecht als Interaktionsprozess. In dieser interaktionistischen Perspektive auf die Geschlechtszugehörigkeit kommt es vor allem auf ihre glaubwürdige Darstellung für andere an, auf eine situationsangepasste kompetente Präsentation der Geschlechtsidentität für ein bestimmtes Publikum“ (Bührmann, Diezinger, & Metz-Göckel, 2007, S. 140).
In diesem Zusammenhang wird auch von ‚doing gender’ gesprochen, wodurch unter anderem der konstruktivistische Charakter zum Ausdruck gebracht wird. „“Doing gender“ zielt darauf ab, Geschlecht bzw. Geschlechtszugehörigkeit nicht als Eigenschaft oder Merkmal von Individuen zu betrachten, sondern jene sozialen Prozesse in den Blick zu nehmen, in denen „Geschlecht“ als sozial folgenreiche Unterscheidung hervorgebracht und reproduziert wird“ (Gildemeister, 2010, S. 137). Dabei sind viele Vorgänge und Abläufe jedoch eher von informeller Natur, sprich sie sind nicht aktiv zu fassen, sondern laufen oft verdeckt und unerkannt ab. Im Grunde geht es darum das Jungen und Mädchen sich verschiedene Regeln aneignen, um in etwaigen Situationen und Interaktionen ihrem Geschlecht entsprechend handeln zu können und sich somit auch eindeutig voneinander abgrenzen zu können. Durch eine so geartete, spezifische Zuordnung gelangen die Jungen und Mädchen schlussendlich zu der sozialen Anerkennung die sie benötigen, um im sozialen Miteinander bestehen zu können (vgl. Bührmann, Diezinger, & Metz-Göckel, 2007, S. 140ff; Gildemeister, 2008, S. 167ff; Weinbach, 2004, S. 41ff; Villa, 2001, S. 55f; Macha, 2011, S. 107).
„Sozialisation umfasst demnach den komplexen Prozess, in dem Menschen die Kultur, Normen und Regeln ihrer Gesellschaft lernen, reproduzieren und dadurch befähigt werden, gemäß ihrer Stellung in der Gesellschaft zu handeln. Im Verlauf ihrer Sozialisation, die in einer Vielzahl von sozialen Institutionen stattfindet, lernen Menschen, was es vor dem jeweiligen gesellschaftlichen Hintergrund bedeutet, eine Frau oder ein Mann zu sein“ (Küppers, 2012, S. 4).
Den Normen zuwider handeln bedeutet aber auch, Sanktionen erfahren zu müssen. Nonkonformistisches Verhalten führt dazu, dass das soziale Umfeld mit Unverständnis reagiert, weil die einstudierten und tradierten Verhaltensmuster anscheinend nicht vollends bzw. nicht korrekt übernommen/verinnerlicht wurden. Das Rollenverständnis ist demnach ein anderes, bzw. in den Augen der anderen ein falsches. Innerhalb der Gesellschaft ist eine klar strukturierte geschlechtliche Unterteilung ein wichtiges, strukturelles Element im täglichen Miteinander. Neben der Altersangabe ist es das wichtigste Ordnungskriterium, dem wir uns unterordnen müssen, ganz gleich ob wir wollen oder nicht. Nur so ist ein ‚Überleben’ im kulturellen, sozialen und politischen Sinne garantiert. Ohne klare Abgrenzung des Geschlechts ist ein problemloser und ungezwungener Umgang nicht gewährleistet.
Diese deterministische Sichtweise gilt es aufzubrechen und das nicht zuletzt durch den Rückgriff, wie bereits beschrieben, auf das Konstrukt des ‚doing gender’(vgl. Bührmann, Diezinger, & Metz-Göckel, 2007, S. 140ff; Gildemeister, 2008, S. 167ff; Weinbach, 2004, S. 41ff; Villa, 2001, S. 55f; Macha, 2011, S. 107). "Geschlecht ist nicht etwas, was wir haben, schon gar nicht etwas, was wir sind. Geschlecht ist etwas, was wir tun" (Mühlen Achs, 1998, S. 21., zit. nach., Küppers, 2012, S. 5).
4. Identität
Eine Identität besitzen wir alle und das gilt hier als unbestreitbarer Faktor. Was jedoch äußerst streitbar ist, betrifft die Tatsache wie sich die Identität eines Individuums ausbuchstabiert. Eine Definition zu liefern, wäre ein mutmaßlich hoffnungsloses Stückwerk. Darauf soll an dieser Stelle wohlwissend verzichtet werden. Eines kann man aber durchaus konstatieren und das ist die Tatsache, dass in der Betrachtung von Identität, stets ein flexibles Konstrukt zu Grunde gelegt werden muss. Die Diskussionen im Internet sind aktueller denn je. Die Debatte streitet über eine ‚doppelte Identität’ im realen Leben und im Internet. Dieses doppelte Ich findet seine Ausprägung in dem was ich ganz reell darstelle und abbilde und in dem zu dem ich mich selber mache, bzw. zu dem ich glaube mich zu machen. Unser Ich im Gestrüpp der unendlichen Weiten des ‚World Wide Web’ wird bestimmt von Profilen die wir angelegt haben. Accounts mit denen wir teilnehmen am physisch entkoppelten, sozialen Miteinander. Ganz unbewusst haben wir uns viele Male selbst neu geschaffen. Vielfältige Ich’s re-/konstruiert um uns selbst in der virtuellen Wirklichkeit präsentieren zu können. So zumindest die Annahme, derer wir alle zusehends mehr oder minder auf dem Leim gehen. Denn die Freiheiten in der Gestaltung werden zusehends eingeschränkt. Populärste Beispiele dafür sind Facebook und Google+. War es zu Beginn noch möglich sein Ich fiktiv zu gestalten, wurden mit dem Laufe der Zeit immer mehr Restriktionen durch Facebook eingeführt. Der so geschaffene Pfad, auf den alle gezwängt werden, führt unweigerlich in die Richtung von der Angabe des reellen Namens. Daran ist der Umstand geknüpft, dass sich willentlich falsche Konstruktionen des Ich nicht mehr aufrecht erhalten lassen. Bei Google+ gab es von vornherein die Pflicht zum Klarnamen. Die Weiterentwicklung dieser grundlegenden Gesetzmäßigkeiten waren scheinbare Optionen. Viele Seiten die eine Anmeldung erfordern, haben im Laufe der Entwicklung diese Optionen implementiert. Diese sind dergestalt, dass man nicht mehr gezwungen ist sich ein neues Ich zu schaffen, sondern man kann das bereits bestehende (beispielsweise das bei Facebook) nutzen um sich unkompliziert und schnell einzuloggen. Bestes Beispiel hierfür ist der Musikstreamingdienst Spotify. Das erfolgreichste Portal für kostenfreien bzw. sehr günstigen Musikgenuss hat seit Beginn eng mit Facebook zusammengearbeitet. Ohne zeit zu verlieren kann sich der neue Benutzer sofort mit seinem bestehenden Facebookaccount anmelden und loslegen. Wozu das aber alles? Dem Nutzer wird zusehends die Möglichkeit genommen sein eigenes Ich zu definieren. Unter dem Aspekt der Praktikabilität wird er dazu angehalten sich nicht immer wieder neu zu definieren. Die Kreation die am Ende dabei herauskommt ist eine zweite Identität, technisiert, virtuell, individuell gedacht, jedoch immer stärker determiniert. Unser Verhalten im Internet wird genau analysiert und uns wird gesagt wer wir sind und was wir mögen. Die speziell auf Jeden zugeschnittene Werbung ist dabei nur ein Punkt. Was ursprünglich also ein Prozess freier Entscheidungen war, nämlich pure Selbstbestimmung, ist jetzt immer mehr ein Prozess der Zuschreibung und Anrufung. Wer ich bin sagt mir das Internet (vgl. Tuma, 2010).
Was aber ist mit unserem anderen Ich? Das reelle? Sind wir dort Herr unseres Selbst? Von Selbstbestimmtheit zu sprechen fällt in diesem Zusammenhang einfach, lassen sich doch vielfältige Gründe finden, wie und warum ich mein Ich selber gestalte. Elementar im sozialen Miteinander ist unsere Vorstellung von der Geschlechtsidentität. Durch die Einordnung in eine der Geschlechtskategorien, die ganz klassisch in männlich und weiblich eingeteilt werden, legen wir einen wichtigen Grundstein um sozial ‚überleben’ zu können. In der Abgrenzung zum ‚anderen’ Geschlecht werden Verhältnisse und Differenzen geschaffen, die an sich gesellschaftlich tradiert sind, aber gleichzeitig auch einen Rahmen für die alltägliche Interaktion schaffen (vgl. Gildemeister, 2005, S. 197; Hagemann-White, 1984, S. 78f). „Das eigene Geschlecht ist ‚hochgradig identitätsrelevant, es lässt sich als ‚Nebenrolle’ schwerlich abwickeln und wird stattdessen typisch so massiv zugemutet und persönlichkeitsstrukturell ‚angeeignet’, dass man es ‚mit Haut und Haaren’ ist’“ (Tyrell, 1986, S. 453, zit. nach, Weinbach, 2004, S. 39f).
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