In der Soziologie herrscht seit ihrem Bestehen ein Multiparadigmatismus vor, der zwar die Disziplin selbst bereichert, aber einen gezielten Vergleich diverser soziologischer Theorien aus verschiedenen Denkrichtungen stark erschwert oder teilweise gar unmöglich macht. Eine Idee, diesem Mangel an Vergleichsmöglichkeiten entgegenzutreten ist Essers Modell der soziologischen Erklärung. Jedoch stellt sich hier die Frage, inwieweit es möglich ist, den multiparadigmatischen Zustand in welchem sich die Soziologie befindet zu überwinden indem man eine integrative Theorie zu entwerfen versucht, ohne dass schon bestehende Theoriegebilde verloren gehen, bzw. außen vor gelassen werden. Aus diesen Überlegungen heraus entwickelten sich ein Disput zwischen Esser und Luhmann, welche dieser Idee der integrativen Sozialtheorie gegensätzlich gegenüberstehen.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es nun, der soziologischen Kontroverse zwischen Luhmann und Esser zur Idee der integrativen Sozialtheorie zunächst näher zu betrachten und danach einen Vermittlungsversuch zu unternehmen und die Tragfähigkeit der beiden Standpunkte auszuloten.
Hierzu sollen zunächst einmal die beiden Theoriekonzeptionen der beiden Soziologen dargestellt werden. Es gilt, zum einen Luhmanns Systemtheorie in den für die Kritik an Esser wichtigsten Punkten kurz zu umreißen – eine vollständige Ausführung des Theoriegebildes würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen – zum anderen wird der Fokus dann auf das Modell der soziologischen Erklärung Essers gerichtet. Hier gilt es, das Modell detailliert zu erklären, da dieses den Auslöser der Kontroverse zwischen den beiden Soziologen darstellt.
Im weiteren Verlauf gilt das Hauptaugenmerk dann wieder Luhmann und dessen Kritik. Hier sollen die Widersprüche der beiden Theorien noch einmal pointiert herausgearbeitet werden, bevor zum Ende ein Vermittlungsversuch unternommen werden soll und die Ergebnisse dieser Arbeit noch einmal in einer kurzen Zusammenfassung dargestellt werden.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Kapitel I: Die Theoriegebilde
I. 1: Die Theoriekonzeption Luhmanns
I. 2: Die Theoriekonzeption Essers
Kapitel II: Das Modell der soziologischen Erklärung in der Kritik
Kapitel III: Ein Vermittlungsversuch
Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Einleitung
In der Soziologie herrscht seit ihrem Bestehen ein Multiparadigmatismus vor, der zwar die Disziplin selbst bereichert, aber einen gezielten Vergleich diverser soziologischer Theorien aus verschiedenen Denkrichtungen stark erschwert oder teilweise gar unmöglich macht. Eine Idee, diesem Mangel an Vergleichsmöglichkeiten entgegenzutreten ist Essers Modell der soziologischen Erklärung. Jedoch stellt sich hier die Frage, inwieweit es möglich ist, den multiparadigmatischen Zustand in welchem sich die Soziologie befindet zu überwinden indem man eine integrative Theorie zu entwerfen versucht, ohne dass schon bestehende Theoriegebilde verloren gehen, bzw. außen vor gelassen werden. Aus diesen Überlegungen heraus entwickelten sich ein Disput zwischen Esser und Luhmann, welche dieser Idee der integrativen Sozialtheorie gegensätzlich gegenüberstehen.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es nun, der soziologischen Kontroverse zwischen Luhmann und Esser zur Idee der integrativen Sozialtheorie zunächst näher zu betrachten und danach einen Vermittlungsversuch zu unternehmen und die Tragfähigkeit der beiden Standpunkte auszuloten.
Hierzu sollen zunächst einmal die beiden Theoriekonzeptionen der beiden Soziologen dargestellt werden. Es gilt, zum einen Luhmanns Systemtheorie in den für die Kritik an Esser wichtigsten Punkten kurz zu umreißen - eine vollständige Ausführung des Theoriegebildes würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen - zum anderen wird der Fokus dann auf das Modell der soziologischen Erklärung Essers gerichtet. Hier gilt es, das Modell detailliert zu erklären, da dieses den Auslöser der Kontroverse zwischen den beiden Soziologen darstellt.
Im weiteren Verlauf gilt das Hauptaugenmerk dann wieder Luhmann und dessen Kritik. Hier sollen die Widersprüche der beiden Theorien noch einmal pointiert herausgearbeitet werden, bevor zum Ende ein Vermittlungsversuch unternommen werden soll und die Ergebnisse dieser Arbeit noch einmal in einer kurzen Zusammenfassung dargestellt werden.
Kapitel I: Die Theoriegebilde
In diesem Kapitel soll wie erwähnt der Fokus auf der Erläuterung der beiden theoretischen Standpunkte liegen. Zunächst gilt es, Luhmanns Systemtheorie zu umreißen um die spätere Kritik nachvollziehen zu können. Als nächstes wird dann das Modell der soziologischen Erklärung Essers erklärt, was später wiederum als Anknüpfungsstelle für die Luhmann‘sche Kritik fungiert.
I.1: Theoriekonzeption Luhmanns
An dieser Stelle sei noch einmal darauf hingewiesen, dass hier keinesfalls der Anspruch erhoben wird, Luhmanns Systemtheorie in Gänze darzustellen und zu erklären, da dies schon alleine eine Arbeit rechtfertigen würde. Vielmehr sollen die wichtigsten Punkte kurz erläutert werden, welche für das Kritikverständnis an Esser benötigt werden.
Als erstes bleibt es natürlich dabei, zu klären, was ein System für Luhmann überhaupt ist, nämlich immer ein realer Sachverhalt und somit niemals ein Modell oder gedankliche Konstruktion. Diese Systeme sind allesamt einer selektiven Distinktion unterworfen, welche das System von der Umwelt abgrenzt, wodurch ein Diskurs auf verschiedenen Analyseebenen ermöglicht wird. Ebenfalls gilt es zu erwähnen, dass Systeme nach Luhmann autopoetisch sind, da sie „die Elemente aus denen sie bestehen, durch die Elemente, aus denen sie bestehen, selbst produzieren und reproduzieren.“[1]
Ein weiterer wichtiger Punkt bei Luhmanns Systemtheorie ist die Kommunikation - sie ist das Letztelement aller Operationen, der Antrieb der Autopoiesis und ist das einzige, was wirklich kommunizieren kann.[2] Sie erfordert immer die Möglichkeit einer Anschlusskommunikation, denn nur wenn diese gegeben ist, ist auch Kommunikation gegeben. Luhmann bezeichnet die Kommunikation als eine emergente Synthese also drei Selektionen, und zwar Information, Mitteilung und Empfang.[3] Die bloße Übertragung ist also noch keine Kommunikation, ein „evolutionärer Selektionsprozeß (sic!)“[4] ist nötig. Dadurch erschließt sich, dass die Gesellschaft „ein auf Basis von Kommunikation geschlossenes Sozialsystem“[5] bildet.
Da nun schon auf eine bestimmte Art von System hingedeutet wurde, sollen hier kurz die drei Systemarten genannt, und zwei davon knapp erläutert werden. Soziale Systeme unterteilt Luhmann in drei verschiedene Formen: Gesellschafts-, Interaktions- und Organisationssysteme. Wie oben bereits erwähnt sind sie autopoietisch. Dies ist notwendig, da eine Kommunikation ein Ereignis darstellt, welches im Moment des Geschehens bereits wieder vorbei ist und somit eine Anschlussmöglichkeit erzeugen muss, um reproduziert zu werden.[6]
Weiterhin gibt es psychische Systeme, welche durch Gedanken operieren. Das besondere im Vergleich zu den sozialen Systemen ist, dass das Individuum hier eine Rolle spielt. Sie sind des Weiteren operativ geschlossen, d. h. es ist kein unmittelbarer Zugang von einem zum anderen psychischen System möglich. Somit ergeben sich nur zwei denkbare Operationen: Die Beobachtung und die Kontaktaufnahme mittels Kommunikation. Die dritte Systemart sind organische Systeme, welche allerdings hier außen vor gelassen werden.
Als abschließender Punkt soll nun noch erläutert werden, wie es möglich ist, trotz autopoietisch-bedingter operativer Geschlossenheit der psychischen und sozialen Systeme, sowie der These „nur die Kommunikation [könne] kommunizieren“[7], nämlich nach Luhmann dank der strukturellen Kopplung. Diese bewirkt, dass „ein System […] mit Elementen seiner Umwelt (also auch einem anderen System) für Zeitpunkte von Ereignissen strukturell gekoppelt“[8] wird.
I.2: Theoriekonzeption Essers
Esser hat als Vertreter der rational-choice-Theoretiker das Modell der soziologischen Erklärung entwickelt. Esser sieht keine befriedigende Leistung in der Soziologie, sollten nur konkrete Beschreibungen sozialer Prozessen gegeben werden. Er fordert vielmehr die ursächliche Erforschung der Ursachen, welche das soziale Geschehen antreiben. Als Methode entwickelte er daher das Modell der soziologischen Erklärung.[9]
Dieses Modell soll drei zentrale Fragen klären: 1. Warum ist soziale Aktivität entstanden? 2. Warum dauert sie an? 3. Warum gibt es Transformationen im sozialen Geschehen? Das Modell der soziologischen Erklärung unternimmt also den Versuch, das Soziale als Phänomen und Folge einer jeweils bestimmten Ursache zu deuten und zu erklären, bzw. analysieren.[10]
Das herausstechende Merkmal, was Esser diesem Modell anträgt, ist die allgemeine Gültigkeit für alles Soziale. Die historischen Zusammenhänge und Besonderheiten sollen vernachlässigt, dafür die typisch aktuelle Allgemeinsituation hervorgehoben werden. Der zentrale Punkt der im Modell gegebenen Erklärung ist also kein je einzelner Akteur und sein individuelles Handeln, sondern das Kollektiv, der Zusammenhang zwischen den Individuen und deren Struktur. Folgt man diesem Modell, so, laut Esser, ist es möglich, Regelmäßigkeiten zu erkennen.
Zentral für das Anwenden und Verstehen des Modells ist die Annahme, dass die soziale Reproduktion von Ressourcen - materiellen wie immateriellen - und deren Verteilung abhängt.
[...]
[1] Luhmann 1985a, S. 403
[2] Vgl. Luhmann 1987 S. 4
[3] Vgl. ebd. S. 5
[4] Reese-Schäfer 1999, S. 21
[5] Luhmann 1997, S. 205
[6] Vgl. Baecker 1992, S. 230 ff.
[7] Luhmann 1987, S. 4
[8] http://www.luhmann-online.de/glossar/strukturelle_kopplung.htm
[9] Vgl. Esser 1996, S. 20
[10] Vgl. Greshoff 2005, S. 233 ff.