Wenn man sich auf die Suche nach fotografischen Zeugnissen der Opfer des ersten Weltkrieges begibt, wird man schnell fündig. Die Menge an Fotografien ist enorm. Oft stößt man auf Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die bereits während des Krieges veröffentlicht
wurden. Häufig findet sich auf den Fotografien die Figur des „Kriegsbeschädigten“, dessen fragmentierter Körper und seine Rekonstruktion in Szene gesetzt wurden. Rund 2,7 Millionen deutsche Soldaten erlitten im ersten Weltkrieg innere und äußere Schäden,
erkrankten psychisch oder trugen durch Granatensplitter und Einschüsse so schwere Verletzungen davon, dass ihnen Gliedmaßen amputiert werden mussten1. Kriegsinvalidität war kein Einzelschicksal, sondern trat als Massenerscheinung auf. Die
vielen verletzten Soldaten verliehen der Realität des Krieges ein Gesicht. Die ständige Konfrontation mit den zerstörten Körpern zwang die Gesellschaft zur Auseinandersetzung mit der Gewalt des modernen Krieges. Der Einsatz von Senfgas, der im ersten Weltkrieg
erstmalig erfolgte, markierte einen Wendepunkt in der Kriegsführung. Der chemische Kampfstoff verletzte und entstellte Heerscharen von Soldaten. Staatliche Institutionen bedienten sich in dieser Zeit des Mediums Fotografie, um eine bestimmte Deutungsweise der versehrten Körper zu erzeugen. Die Bilder der
Kriegsinvaliden wurden instrumentalisiert, um den Krieg für die Bevölkerung sichtbar zu machen und verletzte Soldaten im Sinne einer Vaterlands-Rhetorik als Kriegshelden zu porträtieren. Die Abbildung der Rekonstruktion verlorener Gliedmaßen hatte vor allem den Zweck, medizinisch-technische Aspekte darzustellen und die Möglichkeit der Wiederherstellung versehrter Körper zu betonen. Außerdem fungierten sie als unbestreitbarer Beweis für den Fortschritt der deutschen Medizintechnik und wurden im Kontext der Kriegsopferfürsorge zu Informationszwecken publiziert.
Die Abbildung der Kriegsinvaliden des ersten Weltkriegs entsprach speziellen Narrativen, die in der folgenden Arbeit dargestellt und analysiert werden sollen. Thematisch richtungsweisend ist hierbei die Frage, inwiefern Fotografie als visuelles Instrument der Vermittlung von Kriegserfahrung eingesetzt wurde. Die Arbeit findet ihren Abschluss in einem resümierenden Fazit.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Medizinische Fotografie von Kriegsinvaliden
- Bedeutung der Prothetik
- Enttabuisierung der Verletzung
- Distributionswege der medizinischen Fotografie
- Typischer Aufbau der Invaliden-Fotos
- Der Körper als Medium der Sinnstiftung
- Begrenzung des Schreckens
- Rekonstruktion des Körpers
- Demonstration der Arbeitsfähigkeit
- Beispiel „Kriegsbeschädigter mit Armprothese“
- Beschreibung
- Analyse
- Konklusion
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Frage, wie die Fotografie von Kriegsinvaliden des Ersten Weltkriegs als visuelles Instrument zur Vermittlung von Kriegserfahrungen eingesetzt wurde. Sie analysiert insbesondere die Inszenierung und Bedeutung der technischen Rekonstruktion von Kriegsinvaliden im Kontext der medizinischen Fotografie.
- Die Bedeutung der Prothetik in der Rehabilitation von Kriegsverletzten
- Die Enttabuisierung der Verletzung und ihre Darstellung in medizinischen Publikationen
- Die Rolle der Fotografie als Medium der Sinnstiftung und ihre Instrumentalisierung durch staatliche Institutionen
- Die Rekonstruktion des Körpers als Mittel der Arbeitsfähigkeit und zur Stabilisierung von Wert- und Normensystemen
- Die Analyse eines konkreten Beispiels: „Kriegsbeschädigter mit Armprothese“
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik ein und beleuchtet die historische Situation der Kriegsinvaliden im Ersten Weltkrieg. Kapitel 2 fokussiert auf die medizinische Fotografie von Kriegsinvaliden und beleuchtet die Bedeutung der Prothetik, die Enttabuisierung der Verletzung sowie die Distributionswege und den typischen Aufbau der Invaliden-Fotos. Kapitel 3 analysiert die Rolle des Körpers als Medium der Sinnstiftung und die Begrenzung des Schreckens durch die Rekonstruktion des Körpers und die Demonstration der Arbeitsfähigkeit. Kapitel 4 widmet sich einem konkreten Beispiel, dem „Kriegsbeschädigten mit Armprothese“, und analysiert dessen Inszenierung in der Fotografie.
Schlüsselwörter
Kriegsinvaliden, Fotografie, Prothetik, Enttabuisierung, Sinnstiftung, Körperrekonstruktion, Arbeitsfähigkeit, Mediale Körperpolitiken, Erster Weltkrieg, Kriegsfotografie,
- Arbeit zitieren
- Maximiliane Rüggeberg (Autor:in), 2012, Der Körper als Medium der Sinnstiftung, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/201456