Die drei Autorinnen probieren in ihren Texten aus, jede auf eine andere Weise und mit anderen Auswirkungen und Lösungen, wie es sich als Frau in einem Männerkörper bzw. als Mann lebt. Der Fokus dieser Arbeit liegt auf dem Text von Irmtraud Morgner die „Gute Botschaft der Valeska in 73 Strophen“ und dessen Vollzug der Geschlechtsumwandlung. Wie sich die Verwandlungsmetaphorik kontrastiv zu den beiden anderen enthaltenen Texten von Sarah Kirsch und Christa Wolf verhält, wird zum Schluss der Arbeit als Vergleichsaspekt, zur Abrundung und als Ausblick erläutert.
Inhaltsverzeichnis
1. Publikationshintergrund des Bandes „Geschlechtertausch: Drei Geschichten über die Umwandlung der Verhältnisse“ von Sarah Kirsch, Irmtraud Morgner und Christa Wolf
2. Die Wirkungsweise des Phantastischen
2.1 Der Geschlechtertausch: phantastisch vs. märchenhaft
2.2 Gesellschaftskritik
3. Darstellung von Geschlechterbildern
3.1 Keine Emanzipation der Frauen ohne Emanzipation der Männer
3.2 Ideal der Utopie der Gleichheit: Versöhnung der Geschlechter
4. Verwandlungsmetaphorik kontrastiv zu Sarah Kirschs „Blitz aus heiterm Himmel“ und Christa Wolfs „Selbstversuch – Traktat zu einem Protokoll“
5. Die Geschlechterbeziehung muss neu verhandelt werden
6. Literaturverzeichnis
1. Publikationshintergrund des Bandes „Geschlechtertausch: Drei Geschichten über die Umwandlung der Verhältnisse“ von Sarah Kirsch, Irmtraud Morgner und Christa Wolf
Der Band Geschlechtertausch: Drei Geschichten über die Umwandlung der Verhältnisse erschien 1980, eine Zeit zu der Deutschland noch in die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik geteilt war. Alle drei Autorinnen sind gebürtige Berlinerinnen und Bürger der Deutschen Demokratischen Republik. Diese Tatsache bedingt einen Blick auf die Situation der Frau in der DDR.
Man nannte die DDR auch den „Hort der Gleichberechtigung“[1], zumindest beanspruchte man diesen Titel, im Rahmen der Etablierung des Sozialismus, die Gleichberechtigung der Frauen verwirklicht zu haben. Doch was steckt hinter diesen großen Worten?
Frauen konnten ohne Probleme arbeiten gehen, da es genügend Kinderkrippen gab.[2] Allerdings verdienten die Frauen in der Regel weniger als die Männer und arbeiteten oft unter ihrem Qualifikationsniveau. Selbstverständlich war, dass sich die Frau neben ihrem Beruf noch um Kinder und Haushalt kümmerte. Die Frauen waren somit einer Doppelbelastung ausgesetzt. Die Alternative der „Hausfrau“ oder des kinderlosen Singels war gesellschaftlich nicht akzeptiert. Frauen, die keine Kinder wollten oder homosexuell waren, wurden vom Staat sogar benachteiligt.
Die Realität zeigt, dass man eher von einem Mythos der Gleichberechtigung sprechen sollte.[3] Irmtraud Morgner beschrieb diese Verhältnisse als eine Situation, die von Frauen verlangt „[…] wie Männer zu arbeiten und wie Frauen dazu […]“.[4]
Vor diesem Hintergrund probieren die drei Autorinnen in ihren Texten aus, jede auf eine andere Weise und mit anderen Auswirkungen und Lösungen, wie es sich als Frau in einem Männerkörper bzw. als Mann lebt. Der Fokus dieser Arbeit liegt auf dem Text von Irmtraud Morgner die „Gute Botschaft der Valeska in 73 Strophen“ und dessen Vollzug der Geschlechtsumwandlung. Wie sich die Verwandlungsmetaphorik kontrastiv zu den beiden anderen enthaltenen Texten von Sarah Kirsch und Christa Wolf verhält, wird zum Schluss der Arbeit als Vergleichsaspekt, zur Abrundung und als Ausblick erläutert.
2. Die Wirkungsweise des Phantastischen
Nach dem Lesen jedes phantastischen Textes, stellt sich die Frage: Warum ist er phantastisch? Oder ist er überhaupt phantastisch? Mit dieser Frage im Hinterkopf soll auf die Wirkungsweise des Phantastischen bei dem Geschlechtertausch der Figur der Valeska eingegangen werden.
2.1 Der Geschlechtertausch: phantastisch vs. märchenhaft
Die Umwandlung von einem weiblichen Körper hin zu einem männlichen, also die Metamorphose an sich, ist ein phantastisches Element. Man zögert und weiß zuerst nicht, ob die Verwandlung eine Einbildung der Valeska, „von Ungerechtigkeit beflügelt […]“[5] und auf Grund des übermäßigen Kaffeegenusses ist oder ob sie tatsächlich stattgefunden hat. Nach Louis Vax entsteht das Phantastische „[…] aus der Verstörung der Vernunft.“[6] Mit dem Fortschreiten des Textes begibt man sich in die Welt des Wunderbaren, da die Verwandlung als solche, und Valeska als Mann, akzeptiert wird. Valeska beschreibt die Veränderung ihrer äußeren Erscheinung und das, was sie als „Zuwachs“[7] bezeichnet sehr genau:
Er lag geklemmt auf den geschlossenen, auch plötzlich schütter bewachsenen Oberschenkeln. Valeska spreizte sie sogleich, um nichts zu demolieren, betrachtete verwirrt die ebenmäßige Fältelung des Beutels entlang der Naht, die halb verdeckt war. Das Glied lag schräg zur linken Leistenbeuge hin, glatt gehäutet, unbeschnitten, zwei Sommersprossen vor der Spitze (GT, S.37).
Die detaillierte Beschreibung über die Entdeckung des veränderten, männlichen Körpers birgt die Entscheidung für das Wunderbare, man lässt sich darauf ein. „Keine Koffeinhalluzination“ (GT, S.37), für Valeska eher ein „[…] übler Scherz, den sie ohne Zögern Rudolfs schlechter Laune zutraute“ (GT, S.37).
Der Übergang vom phantastischen zum märchenhaften ist fließend. Man begibt sich in eine Welt, in der die Grenzen unbekannt sind, die aber als solche akzeptiert und nicht weiter hinterfragt wird. Die Verwandlung der Valeska irritiert vorerst, wird aber als textintern mögliche Erscheinung hingenommen.
Das ‚wie’ der Metamorphose ist märchenhaft. Valeska trinkt Kaffee, spricht den Wunsch „Man müsste ein Mann sein“ zum dritten Mal aus und verwandelt sich.
Sprung in die Stickluft der Kochnische, Anwerfen der eloxierten Apparatur, Dampfbildung, köstlicher Geruch, bald hitzte das Getränk Zunge und Gurgel. Erwartung diffuser Hochgefühle. Vorm Spiegel, wo Valeska bemüht war, mit einem nassen Waschlappen die tränendicken Lider abzuschwellen, äußerte sie zum dritten Male unwillkürlich mit eigner, ihr fremder Stimme den abartigen Wunsch (GT, S.36).
Zudem kann die Metamorphose bei Bedarf durch die Einnahme einer Baldriantinktur rückgängig gemacht werden. Valeska spricht von einem „[…] zauberischen Racheakt […]“ (GT, S.38) Rudolfs, weil sie sich kritisch über seine Art der Haushaltsführung geäußert hatte. Weiterhin wird der Kaffee als „[…] das belebende Getränk aus der Maschine […]“ (GT, S.38) bezeichnet. Auch das Vokabular, wie „Zutat, Wunder, Zauber, hexenhaft“, erinnert an ein Märchen.
Das anfängliche Zögern und die Unklarheit über die Metamorphose wird durch vollkommene Akzeptanz der textinternen Welt ersetzt, Valeskas Sohn „[…] wunderte sich über das Wunder am wenigsten, ihm erschien die Welt sowieso wundervoll“ (GT, S.62). Der Weltentwurf ist stimmig, wie in einem Märchen, ‚es stört nichts’. Es wird sogar als „Zwischenfall“ (GT, S.39) bezeichnet von dem sich Valeska nicht aufhalten lassen darf „[…] selbst von [einem] wunderbaren nicht […]“ (GT, S.39).
Doch wozu verwandelt sich die Protagonistin in einen Mann?
2.2 Gesellschaftskritik
Allein der Wunsch, von der Verwandlung vorerst abgesehen, ein Mann zu sein, der in Valeska keimt und immer mehr in den Vordergrund tritt, ist ein Abbild ihrer inneren Veränderung. Zu Beginn des Textes ist Valeska passiv, sie „vertraute vielmehr wie auch bei anderen Gelegenheiten irgendeinem natürlichen Fortgang […]“(GT, S.27). Diese Passivität durchzieht ihr Leben, sowohl den Beruf, als auch die Beziehung zu Rudolf:
Rudolf betrieb seine Forschungen in der Überzeugung, der größte Wissenschaftler seines Fachs zu sein. Alle Bekannten sahen ihm diese beflügelnde Skurrilität nach. Keiner hätte sie Valeska nachgesehen. Der Frau war Größenwahn auch gänzlich fern. Sie hielt sich für eine jederzeit ersetzbare Mitarbeiterin, die jedesmal selbst überrascht war, wenn sie einen Auftrag erfolgreich erledigt hatte (GT, S.27-28).
Diese Textstelle greift die von der Gesellschaft ‚gemachten’ Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit auf. Vereinfacht gesprochen: die Frau ist passiv, der Mann aktiv.[8]
Doch diese scheinbar klaren Verhältnisse drohen „nach der sieghaften Verteidigung einer aufsehenerregenden Hypothese […]“ (GT, S.28) Valeskas zu verschwinden. Auf ihrem Heimweg begegnet ihr etwas, „[…] das sie sich als Gesicht erklärte. Befremdlicherweise war es ihr eigenes“ (GT, S.28).
[...]
[1] Konrad Adenauer Stiftung, DDR Mythos und Wirklichkeit: Mythos: In der DDR waren Frauen gleichberechtigt 18 August 2010 <http://www.kas.de/wf/de/71.6655/>.
[2] Dorothee Schmitz-Köstner, Trobadora und Kassandra und...: weibliches Schreiben in der DDR (Köln: Pahl-Rugenstein, 1989) S.11 ff.
[3] Konrad Adenauer Stiftung, DDR Mythos oder Wirklichkeit <http://www.kas.de/wf/de/71.6655/>.
[4] Zitat Irmtraud Morgner.
[5] Sarah Kirsch, Irmtraud Morgner, Christa Wolf, Geschlechtertausch: Drei Geschichten über die Umwandlung der Verhältnisse (Darmstadt: Luchterhand, 1980) S.37.
[6] Louis Vax, „Die Phantastik“, Phaicon: Almanach der phantastischen Literatur I, Hrsg. Zondergeld, Rain A. (Frankfurt: Insel Verlag, 1974) S.11-43, hier S.37.
[7] Sarah Kirsch, Irmtraud Morgner, Christa Wolf, Geschlechtertausch, S.37. (= GT, S. …)
[8] Auf die Geschlechterbilder soll im Rahmen der Gender Studies im Folgenden noch genauer eingegangen werden.