Der Kündigungsprozess der Supermarktkassiererin Barbara Emme stand wie kaum ein anderer Fall in neuerer Zeit im Mittelpunkt einer regen öffentlichen Debatte um Gerechtigkeit und Gleichbehandlung durch die Arbeitsgerichte. Frau Emme war wegen des unberechtigten Einlösens zweier Pfandbons im Wert von 1,30 € außerordentlich gekündigt worden.
Das Arbeitsgericht Berlin und das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg wiesen die hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage ab. Das Bundesarbeitsgericht indes erachtete die Kündigung durch Urteil vom 10.6.2010 für unwirksam, weil unverhältnismäßig. Auf der Grundlage der vorangegangenen Diskussion um die Entscheidungen der Vorinstanzen und ausgehend von den nicht immer sachlichen Reaktionen in der Presse und der Politik stieß nunmehr auch die Entscheidung der Revision auf eine beachtliche Rückmeldung aus der Literatur. Dabei war und ist nicht immer ersichtlich, ob der sachliche Gehalt der Entscheidung des 2. Senats das Ausmaß der mitunter pathetisch geführten Debatte rechtfertigt.
Daher erscheint die Untersuchung lohnenswert, ob und inwieweit sich das Urteil des BAG in die bisherige Rechtsprechung und die dazu ergangene Kritik der Fachliteratur einfügt. Hierbei liegt ein besonderes Augenmerk darauf, wie überzeugend sich das BAG mit den einschlägigen Rechtsfragen auseinandersetzt und diese Problematiken arbeitsrechtlich fortentwickelt. Überdies soll diese Arbeit den Blick auf die tatsächlichen Folgen des Urteils für Rechtsanwender und Rechtsunterworfene weiten.
Inhaltsverzeichnis
- A. Heranführung
- B. Die BAG-Entscheidung im Gefüge bisheriger Rechtsprechung und der Literatur
- I. Das Urteil als solches
- 1. Arbeitgeberfreundliche Rechtsprechung bis zum 10.6.2010
- 2. Kritik in Presse, Fachliteratur und Politik
- 3. Selbstverständnis des BAG: Fortführung der Rechtsprechung
- II. Die rechtlichen Wertungen des BAG
- 1. Wichtiger Grund ,, an sich"
- a) Verhältnis der Verdachts- zur Tatkündigung
- b) Festhalten an der Zweistufenprüfung
- c) Grundsätzliche Eignung vermögensrelevanter Pflichtverstöße
- d) Keine Bagatellgrenze
- aa) Keine Vergleichbarkeit mit Beamtenrecht
- bb) Keine Vergleichbarkeit mit Strafrecht
- cc) Praktische Erwägungen stehen nicht entgegen
- dd) Generalklausel als rechtsdogmatisches Hindernis
- 2. Interessenabwägung
- a) Bisher faktisches Überwiegen des Kündigungsinteresses
- b) Abwägungsmaßstab
- c) Eigene Abwägung durch das BAG
- aa) Keine Zurückverweisung nach § 563 I ZPO
- bb) Einfluss des Prozessverhaltens
- d) Abwägungsgesichtspunkte
- aa) Art und Schwere des Verstoßes
- bb) Dauer der (störungsfreien) Betriebszugehörigkeit
- cc) Vertrauensverhältnis
- e) Abwägungsergebnis des 2. Senats
- C. Auswirkungen der Entscheidung
- I. Erwartungen in der Fachliteratur
- 1. Besserer Arbeitnehmerschutz
- 2. Verschärfte Abmahnungspraxis
- a) Im Zweifel für die Abmahnung
- b) Ende des zeitbedingten Entfernungsanspruchs?
- c) Abmahnung als konkludenter Kündigungsverzicht?
- 3. ,,Freischuss\" für langjährige Mitarbeiter?
- 4. Revisionsrechtliche Neuerung?
- II. Bisherige Instanzenrechtsprechung seit dem „Emmely“-Urteil
- 1. Bisher kein praktikabler Maßstab
- 2. Kein bevorstehender Paradigmenwechsel
- D. Fazit
- Bewertung der BAG-Entscheidung im Kontext der bisherigen Rechtsprechung
- Analyse der rechtlichen Wertungen des BAG, insbesondere im Hinblick auf den „wichtigen Grund“ und die Interessenabwägung
- Diskussion der Auswirkungen der Entscheidung auf die Abmahnungspraxis und den Arbeitnehmerschutz
- Beurteilung der bisher vorliegenden Instanzenrechtsprechung nach dem „Emmely“-Urteil
- Zusammenfassende Bewertung der Bedeutung der Entscheidung für die Entwicklung des Arbeitsrechts
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Das Prüfungsseminar „Die Fortentwicklung des Arbeitsrechts durch BAG und EuGH“ befasst sich mit der „Emmely“-Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 10. Juni 2010. Die Arbeit analysiert das Urteil im Kontext der bisherigen Rechtsprechung und Fachliteratur, untersucht die rechtlichen Wertungen des BAG und beleuchtet die Auswirkungen der Entscheidung auf die Praxis.
Zusammenfassung der Kapitel
Der erste Teil des Seminars führt in das Thema ein und stellt die „Emmely“-Entscheidung des BAG im Kontext der bisherigen Rechtsprechung und der Fachliteratur dar. Im zweiten Teil werden die rechtlichen Wertungen des BAG im Detail analysiert, wobei insbesondere der Begriff des „wichtigen Grundes“ und die Interessenabwägung im Mittelpunkt stehen. Der dritte Teil befasst sich mit den Auswirkungen der Entscheidung auf die Praxis, insbesondere auf die Abmahnungspraxis und den Arbeitnehmerschutz. Im vierten Teil wird die bisherige Instanzenrechtsprechung nach dem „Emmely“-Urteil beleuchtet. Abschließend wird ein Fazit gezogen, welches die Bedeutung der Entscheidung für die Entwicklung des Arbeitsrechts bewertet.
Schlüsselwörter
„Emmely“-Entscheidung, Bundesarbeitsgericht, Arbeitsrecht, Kündigungsschutz, wichtiger Grund, Interessenabwägung, Abmahnung, Arbeitnehmerschutz, Instanzenrechtsprechung, Paradigmenwechsel, Rechtsprechung, Fachliteratur.
- Arbeit zitieren
- Konstantin Esch (Autor:in), 2011, Die "Emmely"-Entscheidung des BAG, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/191441