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Seminararbeit, 2011
50 Seiten, Note: 14
Jura - Zivilrecht / Handelsrecht, Gesellschaftsrecht, Kartellrecht, Wirtschaftsrecht
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
I. Einführung und Problematik
1. Entstehung des FHB
a) 101 Jahre FHB nach WBG und WZG
aa) Der Polyestra-Entscheidung vorangehend
bb) Die Polymar-/Polyestra-Entscheidungsfolge
cc) Der Polyestra-Entscheidung nachfolgend
b) Entwicklung des FHB ab 1995
2. Bestimmung und Abgrenzung des Begriffs des FHB
a) Verwendung als Synonym
b) Verwendung als Schranke
c) Verwendung zur Bezeichnung eines allgemeinen Rechtsgedankens
d) Festlegung des im Folgenden verwendeten Begriffs
3. Zusammenfassung
II. Rechtfertigung des FHB
1. Funktionen der Marke
2. Schutzzweck des FHB
a) Abgrenzung von § 8 II Nr. 1 MarkenG
b) Abgrenzung von § 3 II MarkenG
3. Aspekte der Rechtfertigung
a) Freie Kommunikation und Schranken des Markenrechts
b) Spezieller: Schutz der beteiligten Verkehrskreise
c) Schutz der Mitbewerber im MarkenG
d) Garantie des unverfälschten Wettbewerbs
4. Zusammenfassung
III. Umfang des FHB
1. Auslegung des § 8 II Nr. 2
a) Eigenschaften und Merkmale iSv. § 8 II Nr. 2
b) Beschreibung der beanspruchten Waren / DL
c) Verkehr
aa) Literaturmeinungen
bb) BGH-Rechtsprechung
cc) EuGH-/EuG-Rechtsprechung
dd) Zusammenfassung und Stellungnahme
d) Zu betrachtendes Zeichen
e) „zur Bezeichnung dienen können“
aa) Subjektiver Tatbestand: das Inverbindungbringen
bb) Objektiver Tatbestand: „zukünftiges FHB“
cc) Bezeichnung nur wesentlicher Merkmale
dd) Erforderlichkeit eines unmittelbaren Warenbezugs
f) Merkmal der Ausschließlichkeit
2. Veranschaulichung anhand einzelner Zeichenarten
a) Wortmarken
aa) Wortmarken, die keine Kombinationen darstellen
bb) Neuschöpfungen / Kombinationen
cc) Buchstaben- und Zahlenmarken
b) Dreidimensionale Warenformen
aa) Vorgabe des EuGH
bb) Nationale Rechtsprechung nach Linde/Winward/Rado
cc) Überblick über die Literaturmeinungen
dd) Zusammenfassung und Stellungnahme
c) Abstrakte Farbmarken
3. Grenzen und Schranken des Umfangs
a) Angelehnte Zeichen
b) Verkehrsdurchsetzung
c) Schranke des § 23 Nr. 2
d) Relevanz von Ausweichmöglichkeiten
4. Zusammenfassung
IV. Endergebnis und Schluss
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das Freihaltebedürfnis (FHB) 1 war ein nicht-kodifizierter Rechtsgedanke, der von den deutschen Gerichten zur Wirkungszeit des WZG entwickelt wurde.2 Damit sollte verhindert werden, dass bestimmte Warenzeichen, die wegen gewisser Kri- terien als freihaltebedürftig angesehen wurden,3 registriert werden konnten.4 Mit dem Inkrafttreten des neuen Markengesetzes auf Grundlage der europäischen Ge- setzgebung im Jahre 1995 wurde die Problematik um das FHB weiter verschärft. In der Unsicherheit über die Begrifflichkeit in Literatur und Rechtsprechung ver- wässerte der Begriff des FHB zunehmend.5 Daher gilt es die Entwicklung des FHB nachzuvollziehen, den für diese Untersuchung geltenden Begriff zu definie- ren, ihn in den Gesamtkontext des (europäischen) Markenrechts einzuordnen und daraufhin Rechtfertigung und Umfang zu erörtern.
These: „ Das Freihaltebed ü rfnis gibt es nicht. “
Am 29. Oktober 1874 formulierte § 3 II des Entwurfs zum „Gesetz über Marken- schutz:6 „ Im Uebrigen ist die Eintragung zu versagen, wenn die Zeichen Zahlen, Buchstaben, W ö rter, ö ffentliche Wappen oder Ä rgernis erregende Darstellungen enthalten. “
Gesetz wurde dann jedoch § 3 II des ersten reichseinheitlichen Warenzeichenge- setzes7 mit folgendem Wortlaut: „ Im ü brigen ist die Eintragung zu versagen, wenn die Zeichen ausschlie ß lich in Zahlen, Buchstaben oder Worten bestehen, oder wenn sie ö ffentliche Wappen oder Ä rgernis erregende Darstellungen enthal- ten “. Eine wortlaut-getreue Auslegung dieses Gesetzes lehnte das Reichsgericht aber schon 1883 ab und erklärte Zeichen, die neben Buchstaben noch weitere, „ nicht in die Augen fallende fig ü rliche “8 Bestandteile aufwiesen, als nur aus Buchstaben bestehend und damit nicht eintragungsfähig.9 Die rechtsfortbildende Anwendung durch die Gerichte führte schnell zu sehr strengen Anforderungen an das Warenzeichen.
Mit dem „Gesetz zum Schutz der Waarenbezeichnungen“ vom 12. Mai 1894 wur- den folgerichtig erstmals Wortmarken geschützt. Nun lautete § 4 I Nr. 1 WBG:
„ Die Eintragung in die Rolle ist zu versagen f ü r Freizeichen sowie f ü r Warenzei chen, welche ausschlie ß lich in Zahlen, Buchstaben oder solchen W ö rtern beste hen, die Angaben ü ber Art, Zeit und Ort der Herstellung, ü ber die Beschaffenheit, ü ber die Bestimmung, ü ber Preis-, Mengen- oder Gewichtsverh ä ltnisse der Ware enthalten “. An der umfangreicheren Formulierung lässt sich schon die zunehmende Sensibilisierung für das entstehende FHB, sowie die Verkomplizierung durch das Einführen neuer Markenformen, ablesen.
Abgesehen von der Neuordnung des WBG als Warenzeichengesetz am 5. Mai 1936 änderte sich für das FHB bis zum Inkrafttreten des MarkenG am 1. Januar 1995 nichts. Die deutsche Rechtsprechung hatte also mehr als hundert Jahre Zeit um das FHB zu entwickeln.
Die Spruchpraxis des Patentamts und des BPatG gingen ursprünglich davon aus, dass ein an beschreibenden Angaben bestehendes FHB im der Anmeldung nach- folgenden Widerspruchsverfahren zu berücksichtigen sei.10 Eingetragenen Zei- chen, die Abwandlungen beschreibender Angaben darstellen, konnte der Schutz im Widerspruchsverfahren gegenüber jüngeren Zeichen dann versagt werden, wenn die beschreibende Angabe im jüngeren Zeichen so stark herausgestellt war, dass Verwechslungen der beiden Zeichen im Verkehr nicht mehr auszuschließen waren. Die Versagung war hinzunehmen, weil der Inhaber des älteren Zeichens die Grundlage für die Streitigkeit mit der Anlehnung an die beschreibende Anga- be selbst gelegt hatte. Dadurch sollte verhindert werden, dass durch die Registrie- rung eines angelehnten Zeichens das freizuhaltende Zeichen faktisch im Wider spruchsverfahren monopolisiert werden konnte.11 Es konnten also Zeichen ange- meldet werden, die verwechselbar mit den freizuhaltenden Angaben waren, weil dem Anmelder damit kein Ausschließlichkeitsrecht eingeräumt wurde.12 Zurück- gewiesen wurden nur Zeichen, bei denen die Abweichungen vom Verkehr unbe- merkt geblieben oder für Druck- oder Hörfehler gehalten worden wären.13
In der Polymar-Entscheidung entschied der BGH, dass die Prüfung der absoluten Schutzhindernisse des § 8 nicht im Widerspruchsverfahren statt zu finden habe.14 Diesen Grundsatz bestärkte er in weiteren Entscheidungen:15 Zeichen, die zu- nächst als eintragungsfähig und damit schutzfähig anerkannt worden waren, sollte der volle Schutz nicht im Widerspruchsverfahren versagt werden können, da das bedeutet hätte, dass ein eigentlich nicht schutzfähiges Zeichen eingetragen worden war. Die absoluten Schutzhindernisse mussten nun bereits im Eintragungsverfah- ren geprüft werden.16 Folglich wurde das Eintragungsverbot auf angelehnte Zei- chen ausgedehnt, da ansonsten der Mitbewerber in der uneingeschränkten Ver- wendung der beschreibenden Angabe leicht hätte behindert werden können.17 Au- ßerdem sollte nun unabhängig von der Bekanntheit der Marke die Eintragung verweigert werden, wenn abzusehen war, dass sich das Zeichen als beschreibende Angabe durchsetzen würde.18
Im Ergebnis war der Rechtsgedanke vom FHB trotz der dogmatischen Umwälzungen gleich geblieben. Das FHB wurde aber nun z.B. auf Grund der NichtEintragbarkeit von angelehnten19 Begriffen strenger gehandhabt.20
Als besonders praktikabel stellte sich die Rechtsprechung nicht heraus, weil sie faktisch zu einer sehr hohen Zahl von abgelehnten Zeichen führte. Das lag insbe- sondere in der schwierigen Beurteilbarkeit der künftigen Entwicklungen und der Bestimmung der „ohne weiteres“21 vorliegenden Verwechselbarkeit begründet.22 Zusätzlich entwickelten sich Streits rund um die verstärkte Berücksichtigung von § 16 WZG.23 Daher gelang es dem BPatG nach etwa 20 Jahren im Zuge der Indo- rektal-Entscheidung den BGH zum Einlenken zu bewegen.24 Der BGH versuchte nun, den Begriff der Verwechslungsgefahr sachgemäßer zu handhaben und damit das Markenregister erneut weiter zu öffnen.25
Mit der Einführung des MarkenG im Jahre 1995 wurde der EuGH für die Auslegung des Rechts entscheidend. Als erstes lehnte er in der ChiemseeEntscheidung26 das vom BGH entwickelte „konkrete, aktuelle, ernsthafte FHB“27 und damit das deutsche FHB ab.28 Der BGH übernahm diese neue Entwicklung zügig, in der Literatur wurde hingegen noch lange das Vorliegen eines FHB und nicht der Tatbestand des § 8 II Nr. 2 geprüft.29
Häufig wird das FHB schlicht als Synonym für den in § 8 II Nr. 2 verwendet. Der Begriff läuft also parallel mit dem Eintragungshindernis an sich. Diese Ansicht erkennt zwar an, dass es ein Interesse an der Freihaltung gibt, ob und wie diesem entsprochen wird, entscheide allerdings allein der Gesetzgeber. Das FHB stellt damit einen Schutzversagungsgrund dar, der in Ausnahmefällen überkommen werden kann.30
Verbreitet ist die Ansicht, dass das FHB Motiv und Grenze allein des § 8 II Nr. 2 darstellt. Dabei sollen nicht alle beschreibenden Zeichen von der Eintragung ab- gelehnt werden, sondern nur wenn ein aktuelles, konkretes und ernsthaftes FHB für die betreffenden Waren in der entsprechenden Warengruppe vorliegt.31 Dadurch wird das ansonsten sehr weite Eintragungsverbot beschränkt.
Auch als allgemeinen Rechtsgedanke findet das FHB Anhänger. Bestimmte Zei- chen seien zur generellen Benutzung freizuhalten. Das FHB sei nicht auf einzelne Markenformen oder Eintragungshindernisse einzugrenzen, sondern sei eher als ein dem gesamten Markenrecht zu Grunde liegendes Prinzip zu verstehen.32 Die- ses gelte dabei unabhängig von seiner momentanen gesetzlichen Berücksichti- gung.
Das FHB in seiner Grundkonzeption hat die letzten 130 Jahre überdauert. Heute wie damals ist es erforderlich gewisse Zeichen freizuhalten. Die folgende Untersuchung geht daher von einem FHB als allgemeinem Rechtsgedanken aus.
Die - zugegeben - etwas reißerische Eingangsthese hat sich also bestätigt: „Das Freihaltebedürfnis ist tot - es lebe das Freihaltebedürfnis!“, um es mit den Worten der französischen Monarchen zu sagen. Tot ist das deutsche FHB, wie es in 100- jähriger Rechtsprechungspraxis geformt wurde, es lebt das europäisierte FHB, welches zu rechtfertigen und einzuordnen der Inhalt der folgenden Arbeit sein soll.
[...]
1 Alle Paragraphen ohne Gesetzesangabe sind solche des MarkenG.
2 Wuesthoff, GRUR 1955, 7 ff.; Beyerle, 65.
3 Bunke, GRUR 1979, 356 (360).
4 Beyerle, 65; Frisch, 18.
5 Beier, GRUR Int 1992, 243 (243); Frisch, 29.
6 Deutscher Reichstag, 1874 Aktenstück Nr. 20, 632.
7 Deutsches Reichsgesetzblatt, 1874, Nr. 28, 143 ff.
8 RG 09.10.1883 II 203/83, RGZ 10, 56 (57).
9 Stenglein/Appelius, 69.
10 Str ö bele, GRUR 1981, 706 (706).
11 BPatG 09.07.1964 25 W 1262/61, GRUR 1965, 428 (428); BPatG 11.06.1964 25 W 3028/61, GRUR 1965, 428 (428).
12 Miosga, Mitt. 1958, 1 (3); Baumbach/Hefermehl, Bd. 2 WZR, § 31 Rn 42; Busse/Starck, WZG, § 4 Rn 37.
13 DPA 28.10.1958 H 7402/26d, Mitt. 1959, 34 (34); BPatG 08.02.1963 24 W 1320/61, GRUR 1964, 313 (313).
14 BGH 10.05.1963 Ib ZB 24/62, GRUR 1963, 630 (632); Tr ü stedt, GRUR 1967, 403 (406).
15 BGH 24.11.1965 Ib ZB 4/64, GRUR 1966, 676 (677); BGH 14.02.1968 Ib ZB 6/66, GRUR 1968, 414 (414).
16 Das realisierte der BGH in der Polyestra-Entscheidung: BGH 22.05.1968 I ZB 12/67, GRUR 1968, 694 (694 f.); Krit. dazu: Wenz, GRUR 1981, 716 (719); Heil, GRUR 1981, 699 (701).
17 Str ö bele, GRUR 1981, 706 (707).
18 BGH 19.10.1979 I ZB 5/78, GRUR 1980, 106 (107) mit krit. Anm. von Kicker, (107); Lange, Marken- und Kennzeichenrecht, § 3 Rn 483; BGH entsprach damit den Vorgaben der WHO: Schuppert, PharmR 2001, 206 (212).
19 Sambuc, GRUR 1997, 403 (404).
20 Teplitzky, FS Gamm, 303 (308).
21 Busse/Starck, WZG, § 4 Rn 34.
22 Str ö bele, GRUR 1981, 706 (710 ff.).
23 Zusammenfassend: Gamm, GRUR 1974, 539 (539 ff.); Heydt, GRUR 1976, 7 (7 ff.); den Streit schon sehend Heydt, GRUR 1966, 676 (680) in seiner Anm. zur Shortening-Entscheidung; s.a. Erwiderung von Harder, GRUR 1967, 287 (287).
24 BGH 23.05.1984 I ZB 6/83, GRUR 1984, 815 (816) mit Anm. v. Kicker, (818); Eisenf ü hr, GRUR 1994, 340 (341).
25 Sambuc, GRUR 2009, 333 (334); BGH 18.04.1985 I ZB 4/84, GRUR 1985, 1053 (1054); BGH 14.12.1988 I ZB 6/87, GRUR 1989, 349 (350).
26 EuGH 04.05.1999 C-108 / C-109/97, GRUR 1999, 723 (723 ff.).
27 Fezer, § 8 Rn 304; Frisch, 161; Das hatte der deutsche Gesetzgeber nicht kommen sehen: Amtl. Begr. MarkenG, zu § 8.
28 Generalanwalt Jacobs, Schlussanträge zu C-383/99, Rn 81; ausführlicher dazu im Kap. III.
29 s. nur BGH 20.11.2003 I ZB 15/98, GRUR 2004, 502 (505).
30 Frisch, 25; BGH 15.07.1999 I ZB 47/96, GRUR 1999, 1093 (1094).
31 Ingerl/Rohnke, § 8 Rn 198 f.; SH/ Str ö bele, § 8 Rn 224; Althammer, WZG, § 4 Rn 26.
32 Eichmann, GRUR Int 2000, 483 (486); K ö rner/Gr ü ndig-Schnelle, GRUR 1999, 535 (539); Kur, MarkenR, 2000, 1 (1 Fn 7); Sack, WRP 2001, 1022 (1023); W ü rtenberger, GRUR 2003, 912 (914); Klaka, GRUR 1996, 613 (615 ff.); Sambuc, GRUR 1997, 403 (403 ff.); Baechler, GRUR Int 2006, 115 (121 f.).