Wer sich mit den Epistulae morales ad Lucilium1 befasst, wird schnell feststellen,
dass dort auffallend häufig von Natur und Vernunft die Rede ist. Allerdings bietet
Seneca selbst keine explizite Definition dieser Begriffe an.
Aus diesem Grund will diese Arbeit dem Anspruch genügen, das senecanische
System2 – wenn man hier von einem solchen sprechen kann – an der Richtschnur
genau dieser zentralen Begriffe entlang nachzubauen. Die damit nun in den Fokus
gerückten Begriffe Natur und Vernunft haben im senecanischen Sinne keine
Zieldimensionen, sondern den Charakter von Wegmarken, an denen ein in der
Manier Senecas Strebender nicht vorbei kommt. Beide Begriffe bilden
gewissermaßen Eckpfeiler: der eine in anthropologischer Hinsicht, dagegen der
andere hinsichtlich der Welt. Vernunft ist eine anthropologische Voraussetzung,
Natur bzw. Naturgemäßes ist eine den Menschen umgebende Voraussetzung für
das von Seneca erklärte Ziel.
Dieses Ziel ist kein geringeres als Bildung,3 allerdings nicht im heute
gebräuchlichen Sinne von Schulbildung, sondern eher im Sinne von moralischer
und seelischer Festigkeit. Diese Zieldimension wird im Verlauf dieser Arbeit
notwendigerweise eine tiefere Erläuterungen erfahren, steht aber – wie oben
schon angedeutet – nicht im Zentrum der Untersuchung. Dabei ist die
Argumentationslinie dieser Arbeit nicht unbedingt deckungsgleich mit der des
Seneca. [...]
1 Dies ist der Originaltitel des dieser Arbeit zugrunde liegenden Textes. In der deutschen Fassung darf
dieser in etwa mit „Briefe an Lucilius, über Ethik“ übersetzt werden. Zitiert wird im Folgenden immer die
Ausgabe: Seneca, Philosophische Schriften, Übersetzung und Anmerkungen von Otto Apelt, Felix Meiner
Verlag, Hamburg 1993 (im Folgenden werden nur die jew. Briefe und Paragrafen in den Fußnoten genannt)
2 Unter System wird ein Komplex
von Elementen verstanden, die miteinander verbunden und voneinander abhängig sind und insofern eine
strukturierte Ganzheit bilden. Es ist darunter genauer ein geordnetes Ganzes zu verstehen, dessen Teile
nach bestimmten Regeln, Gesetzen oder Prinzipien ineinander greifen. Vgl. Philosophielexikon, Personen
und Begriffe der abendländischen Philosophie von der Antike bis zur Gegenwart, Hrsg. Hügli/Lübcke,
Rowohlts Enzyklopädie, Hamburg 1997
3 Bildung kann begrifflich bei Seneca häufig auch unter sittlicher Vollkommenheit zu verstehen sein. [...]
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung und Grundlegung
- II. Seneca und die Schule der Stoa
- III. Die Briefe
- IV. Natur und Vernunft als Voraussetzungen für die Tugend als höchstes Gut
- V. Die Natur
- V. I Das heutige Naturverständnis
- V. II Das Naturverständnis der Antike
- VI. Die Vernunft
- VI. I Das Verhältnis von Natur und Vernunft
- VI. II Vernunft und Tugend
- VII. Schlussbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit zielt darauf ab, das senecanische System, insbesondere die zentralen Begriffe Natur und Vernunft, zu untersuchen und zu verstehen. Diese Begriffe dienen als Wegmarken für einen in der Manier Senecas Strebenden. Vernunft stellt eine anthropologische Voraussetzung dar, während Natur eine den Menschen umgebende Voraussetzung für das von Seneca erklärte Ziel darstellt.
- Das senecanische System
- Die Bedeutung von Natur und Vernunft in der Stoa
- Das Verhältnis von Vernunft und Tugend
- Die Rolle der Bildung in der senecanischen Philosophie
- Die Aktualität der senecanischen Gedanken
Zusammenfassung der Kapitel
- I. Einleitung und Grundlegung: Dieses Kapitel stellt das Thema der Arbeit vor und erläutert die Bedeutung von Natur und Vernunft in Senecas Werken.
- II. Seneca und die Schule der Stoa: Hier wird Seneca in seinen historischen Kontext eingebettet und die Stoa als philosophische Schule vorgestellt.
- III. Die Briefe: In diesem Kapitel werden die Briefe an Lucilius als ein zentrales Werk Senecas vorgestellt und deren Bedeutung für die Entwicklung seiner Philosophie erläutert.
- IV. Natur und Vernunft als Voraussetzungen für die Tugend als höchstes Gut: Hier wird die Bedeutung von Natur und Vernunft für die Erreichung der Tugend als höchstes Gut beleuchtet.
- V. Die Natur: Dieses Kapitel befasst sich mit dem Verständnis von Natur, sowohl in der heutigen Zeit als auch in der Antike.
- VI. Die Vernunft: In diesem Kapitel wird das Verhältnis von Natur und Vernunft sowie die Bedeutung der Vernunft für die Entwicklung der Tugend untersucht.
Schlüsselwörter
Diese Arbeit befasst sich mit den zentralen Begriffen Natur und Vernunft in der Philosophie des Lucius Annaeus Seneca. Besonders wichtig sind die stoische Ethik, die Tugend als höchstes Gut, die Bedeutung der Bildung sowie die Aktualität der senecanischen Gedanken in der heutigen Zeit.
- Arbeit zitieren
- Friedrich Fiebiger (Autor:in), 2003, Natur und Vernunft - zwei Grundbegriffe der senecanischen Stoa, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/18640