Gleich zu Beginn des Films „Un Chien Andalou“ von 1928 von Luis Buñel und Salvador Dali wird der Betrachter mit einer schockierenden Szenen konfrontiert; während ein Mann beobachtet (Abb. 1) wie eine herannahende Wolke den Mond zu durchschneiden droht (Abb. 4), wird der virtuelle Schnitt durch den Mond gleichzeitig in einer parallelen Szene als realer Schnitt in einen Frauenkörper durchgeführt (Abb. 2, 3, 5). Mit einer Rasierklinge schneidet eine Männerhand einer Frau durch ihr eines Auge und zerteilt dies. Dieser Schnitt durch das Auge der Frau hinterlässt einen schockierenden Eindruck auf den Betrachter. Dabei ist nicht nur die Zerteilung des Auges, sondern auch der Anblick der hellen Flüssigkeit aus dem verletzten Auge, die den Betrachter verstören (Abb. 6).
Der (Augen)-Schnitt in den menschlichen Körper wird bei Buñels und Dalis Film den Zuschauern frontal vorgeführt. Die verstörende Wirkung des Schnitts entwickelt sich dabei in zweierlei Hinsicht, zum einen anhand dessen, was der Schnitt verursacht, das zerstörte und zerfließende Auge, und zum anderen wird mit dem Schnitt im übertragenen Sinn das angegriffen, was der Zuschauer in dem Moment des Sehens der Filmszene selber verwendet, das Auge.
Doch auch wenn der Augenschnitt noch so erschreckend auf den Zuschauer wirkt, so kann man sich dem Eindruck nicht entziehen, dass es sich dabei nicht um eine bloße Verletzung in einem selbstzerstörerischen Sinne handelt. Da sich die Szenen, in denen der scheinbare Schnitt durch den Mond erfolgt, mit denen des tatsächlichen Augenschnitts abwechseln, wird auf den künstlerischen Kontext einer Filmproduktion verwiesen; auf den Filmschnitt. Während der Schnitt in den Körper sowie in den Mond als ein zerstörerisches Moment aufgefasst wird, so ist der Filmschnitt gerade das Mittel, durch den aus dem Filmmaterial der endgültige Film entsteht. Somit wird sowohl auf den zerstörerischen Moment, als auch auf den erschaffenden Moment des Schnitts verwiesen.
Dass der Schnitt ein künstlerisches Potential unabhängig von seiner verletzenden Absicht aufweist, zeigt sich in den vor allem ab den 1960er und 1970er Jahren aufkommenden Performances, in denen Künstler sich immer wieder selbst verletzten und an und mit ihrem Körper Ideen vermittelten. Dabei war es vor allem die italienische und französische Künstlerin Gina Pane, die in ihren Performances in den 1970er Jahren mit ihrem Körper und mit dem Schnitt in die Haut als Ausdruck der Selbstverletzung arbeitete.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: der Film- und der Körperschnitt
- Forschungsüberblick
- Beschreibung der Performances „Psyché“ und „Discours mou et mat“
- Die Selbstverletzung von Gina Pane: Eine Antwort auf das Bild der Frau
- Der Körper als Objekt in der Body-Art
- Die Selbstverletzung am weiblichen Körper
- Die Wiederaneignung des weiblichen Körpers
- Die neue Vermittlungsmöglichkeit der Frau
- Die Wunde als Zeichen
- Die Bildhaftigkeit der Wunde
- Bilder auf den Spiegeln – Gegenbilder auf Panes Körper
- Das Gesicht als Äußerung der Individualität
- Die maskierte Frau
- Die Demaskierung als Befreiung der Frau
- Das Gegenbild bei Discours mou et mat
- Das Gegenbild bei Psyché
- Die Selbstverletzung als eine Annäherung an das weibliche Selbst
- Das Bild der Frau als „Die Eine“
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht die Performances von Gina Pane unter dem Aspekt der Selbstverletzung. Dabei wird analysiert, wie Pane ihren Körper als Medium für die Auseinandersetzung mit dem Bild der Frau in der Kunst einsetzt und welche Bedeutung die Selbstverletzung für ihre künstlerische Praxis hat.
- Die Selbstverletzung als künstlerisches Mittel in den Performances von Gina Pane
- Die Rolle des Körpers in der Kunst und die Frage der Geschlechterrollen
- Die Bedeutung des Schnitts als Symbol für Verletzung, Trennung und Erneuerung
- Die Rezeption der Performances von Gina Pane und ihre Bedeutung für die Kunstgeschichte
- Die Verbindung von Fotografie und Performance in den Arbeiten von Gina Pane
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt den Leser in die Thematik der Selbstverletzung in der Kunst ein und stellt Gina Pane und ihre Performances vor. Der Forschungsüberblick beleuchtet die Forschungslage zur Performancekunst und zur Arbeit von Gina Pane. Kapitel 3 beschreibt die beiden zentralen Performances „Psyché“ und „Discours mou et mat“ im Detail. Kapitel 4 analysiert die Selbstverletzung von Gina Pane als Antwort auf das Bild der Frau in der Kunst. Kapitel 5 geht auf die Wiederaneignung des weiblichen Körpers durch Gina Pane ein, während Kapitel 6 die neue Vermittlungsmöglichkeit der Frau durch die Kunst von Gina Pane untersucht. Kapitel 7 analysiert die Bildsprache der Performances und ihre Bedeutung für die Rezeption des weiblichen Körpers. Kapitel 8 befasst sich mit der Selbstverletzung als Annäherung an das weibliche Selbst. Schließlich wird in Kapitel 9 das Bild der Frau als „Die Eine“ in der Kunst und im Werk von Gina Pane beleuchtet.
Schlüsselwörter
Gina Pane, Performancekunst, Selbstverletzung, Körperkunst, Geschlechterrollen, Fotografie, Bildsprache, Weiblichkeit, Symbolismus, Schnitt, Wunde, „Psyché“, „Discours mou et mat“
- Arbeit zitieren
- Katharina Windorfer (Autor:in), 2011, Der Schnitt in den Performances von Gina Pane, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/176553