Rilkes "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge" interpretiert die biblische Geschichte des verlorenen Sohnes radikal neu als „Legende dessen, der nicht geliebt werden wollte“. Diese Arbeit analysiert, wie Rilke den Familie-Begriff in Die Aufzeichnungen als ambivalente Struktur darstellt: Die Familie ist Quelle von Erinnerung, aber auch Fessel, deren „selbstverständliche Liebe“ den Einzelnen in feste Rollen zwingt und seine authentische Existenz bedroht. Die Flucht des Sohnes wird nicht als Sünde, sondern als existentialistischer Akt der Selbstbefreiung von emotionalen Erpressungsmechanismen gedeutet. Seine Rückkehr markiert keine Versöhnung, sondern eine tiefere, geistige Distanzierung. Rilkes Kritik lehnt nicht die Familie per se ab, sondern einengende, besitzergreifende Liebesmodelle. Sie offenbart eine existentialistische, buddhistische und negative-theologische Perspektive: Die Verneinung der unvollkommenen menschlichen Liebe weist auf die Möglichkeit einer absoluten, freiheitsschenkenden göttlichen Liebe hin. Somit wird die Familie zum Prüfstein für die Suche des modernen Individuums nach einem selbstbestimmten Sein jenseits traditioneller Bindungen.
- Arbeit zitieren
- Xia Huang (Autor:in), 2025, Der Familie-Begriff in Rilkes "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge", München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/1682551