Der römische Geschichtsschreiber Publius (oder Gaius) Cornelius Tacitus, geboren um 55 n. Chr., steht mit seinem Werk am Schluss einer dreihundertjährigen Tradition römischer Geschichtsschreibung. Von Tacitus sind drei kleinere Schriften (Agricola, Germania und Dialogus1), sowie Teile zweier grosser historischer Werke (Historiae und Annales) erhalten. Der Stil seiner Geschichtsschreibung ist äusserst elaboriert, mehrheitlich schwer lesbar, und gilt als erhabene Kunstprosa par excellence2.
Mit seinem Werk Germania, auch bekannt als De origine et situ Germanorum liber, hat Tacitus der Nachwelt ein stilistisch hoch individuelles, sowie bezüglich Gattung nicht eindeutig zuordenbares Werk hinterlassen. Das Werk beinhaltet sowohl ethnographische, geographische, philosophische als auch historische Aspekte und ist literaturwissenschaftlich am ehesten dem historischen Essay3 zuzuordnen. Die Germania gilt in Bezug auf die Verständlichkeit als anspruchsvoll und ist auch für den kontextuell eingeweihten Leser schwer lesbar.
Was macht den Tacitus-Text schwer verständlich?
Mit dieser Frage werde ich mich, mit besonderem Augenmerk auf das Werk Germania, im ersten Teil der vorliegenden Arbeit auseinandersetzen.
Um die oben gestellte Frage zu beantworten, werde ich primär versuchen, die für Tacitus typischen Stilmerkmale zu identifizieren; dies anhand einer vergleichenden Gegenüberstellung eines Textes4 des Kaisers Claudius mit einer von Tacitus umgestalteten literarischen Fassung5 derselben. Anhand einiger Beispiele werde ich die mir am prominentesten scheinenden, kontrastierenden Charakteristika erläutern. In der Folge werde ich prüfen, inwieweit sich die für Tacitus als typisch erweisenden Merkmale auf sein Werk Germania übertragen lassen. Nach Erörterung der Befunde soll, quasi im Sinne einer Negativ-Evidenz, ein „Erholungsexkurs mit Cicero“ den Schweregrad des taciteischen Stils fassbar machen.
Ferner werde ich mich mit der Frage auseinandersetzen:
Warum schreibt Tacitus so wie er schreibt? [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Was macht den Tacitus-Text schwer verständlich?
- Identifizierung von Stilmerkmalen bei Claudius und bei Tacitus
- Beispiele von Stilmerkmalen bei Claudius und bei Tacitus
- Transfer der Befunde auf Tacitus' Germania
- "Erholungsexkurs mit Cicero"
- Warum schreibt Tacitus so wie er schreibt?
- Historische Ausgangslage
- Tacitus kann auch anders!
- Sallust und Tacitus
- "animus" zur Individualität
- Auch ein zeitgenössisches Phänomen
- Zusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit analysiert den Stil des römischen Geschichtsschreibers Tacitus, insbesondere im Kontext seiner Germania, und erörtert die Gründe für die erschwerte Lesbarkeit seines Werkes. Sie untersucht, inwiefern Tacitus' Stilmerkmale, wie beispielsweise Brevitas und Obscuritas, aus der historischen Ausgangslage und der zeitgenössischen Rhetorik resultieren.
- Identifizierung von Stilmerkmalen bei Tacitus im Vergleich zu Claudius
- Analyse der Wirkung von Brevitas und Obscuritas in der Germania
- Einfluss der historischen Ausgangslage auf Tacitus' Stil
- Untersuchung der Rolle von Individualität und zeitgenössischen Phänomenen im Stil des Tacitus
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Diese Einleitung stellt Tacitus und sein Werk Germania vor und verdeutlicht die Schwierigkeiten, die sich aus der komplexen Sprache seines Werkes ergeben.
- Was macht den Tacitus-Text schwer verständlich?: Dieses Kapitel analysiert die typischen Stilmerkmale von Tacitus im Vergleich zu Claudius anhand einer Rede des Kaisers. Es untersucht die Merkmale von Brevitas, Obscuritas und Inconcinnitas bei Tacitus im Kontrast zu Claudius' Prolixitas und Perspicuitas.
- Beispiele von Stilmerkmalen bei Claudius und bei Tacitus: Dieses Kapitel illustriert die stilistischen Unterschiede zwischen Claudius und Tacitus anhand von konkreten Beispielen aus deren Texten. Es zeigt auf, wie Tacitus durch Brevitas, Pointiertheit und Antithesen, im Gegensatz zu Claudius' Prolixitas und Perspicuitas, den Text verdichtet und eine besondere Wirkung erzielt.
- Transfer der Befunde auf Tacitus' Germania: Dieses Kapitel untersucht, inwiefern die in Kapitel 2 identifizierten stilistischen Merkmale auf das Werk Germania übertragbar sind. Es analysiert, wie Tacitus in der Germania die komplexen Inhalte verdichtet und gleichzeitig eine besondere Atmosphäre schafft.
- "Erholungsexkurs mit Cicero": Dieses Kapitel dient als Kontrastbeispiel und soll den Schweregrad von Tacitus' Stil verdeutlichen, indem es Ciceros stilistische Klarheit und Leichtigkeit hervorhebt.
- Warum schreibt Tacitus so wie er schreibt?: Dieses Kapitel beleuchtet die historischen und zeitgenössischen Faktoren, die Tacitus' Stil beeinflusst haben könnten. Es untersucht, inwiefern die politische Situation unter Domitian, sowie Tacitus' individuelles Streben nach Individualität, seine sprachlichen Entscheidungen prägten.
Schlüsselwörter
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit den stilistischen Besonderheiten des römischen Geschichtsschreibers Tacitus, insbesondere im Kontext seiner Germania. Zentrale Begriffe sind Brevitas, Obscuritas, Inconcinnitas, Prolixitas, Perspicuitas, sowie die historische Ausgangslage, Individualität und die zeitgenössische Rhetorik.
- Quote paper
- Sunniva Baumberger (Author), 2009, Stil des Tacitus, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/155341