Zum Problem des jüdischen Selbsthasses im deutschen Kaiserreich und der K. u. K.- Monarchie existieren keine empirischen Studien, die sich detailliert mit Sozialverhalten und Sozialpsychologie der Juden beschäftigen. Sowohl bei Lessing, Weiniger und Freud finden sich aber hilfreiche Spuren über die sozialpsychologischen Ursachen und Mechanismen von jüdischem Selbsthass. Lessing versucht den Selbsthass als Resultat der Haltlosigkeit zwischen Tradition und moderner Gesellschaft zu fassen und schließlich in einem nietzscheanischen Plädoyer für die bedingungslose Annahme der Position des Außenseitertums aufzulösen. Freud analysiert die im jüdischen Humor angelegte Neigung zur Selbstkritik und versucht sich durch seine sachliche Analyse selbst vom jüdischen Jargon zu emanzipieren.
Otto Weiningers Buch über Geschlecht und Charakter stellt wohl das zwiespältigste Werk über den jüdischen Selbsthass dar. Neben haltlosen und pseudophilosophisch begründeten Abwertungen des Judentums finden sich darin auch erstaunlich hellsichtige Passagen über die Psychologie des Selbsthasses, welche die von mir besprochene Analyse über die Identifikation mit den Projektionen der Mehrheit und ihre Wendung gegen sich selbst vorwegzunehmen scheinen.
Inhaltsverzeichnis
- Die Situation der deutschsprachigen Juden um die Jahrhundertwende
- Zur Psychologie des Selbsthasses
- Theodor Lessing: „Jüdischer Selbsthass“
- Otto Weininger: „Geschlecht und Charakter“
- Sigmund Freud: „Das Unbehagen in der Kultur“
- Fazit
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit befasst sich mit dem Diskurs über jüdische Identität zur Zeit der Wiener Moderne und analysiert die Schriften von Sigmund Freud, Theodor Lessing und Otto Weininger im Hinblick auf das Phänomen des „jüdischen Selbsthasses“. Die Arbeit untersucht, wie diese Autoren die Assimilationsprozesse jüdischer Intellektueller in der damaligen Zeit reflektierten und welche Rolle dabei die Vorstellung einer spezifischen „jüdischen“ Identität spielte.
- Die soziale und kulturelle Situation der „Grenzjuden“ um die Jahrhundertwende
- Die Rolle von Nietzsches Philosophie in der jüdischen Selbstfindung
- Die psychologischen Mechanismen des Selbsthasses
- Die Bedeutung der Biographie für das Verständnis des „jüdischen Selbsthasses“
- Die Kritik an der Assimilation und die Suche nach einer neuen Identität
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet die Situation der deutschsprachigen Juden um die Jahrhundertwende. Es wird der Begriff des „Grenzjuden“ eingeführt, der die ambivalente Position jüdischer Intellektueller beschreibt, die sich zwar kulturell assimilierten, aber sozial weiterhin marginalisiert blieben. Die Faszination für Nietzsches Philosophie wird als Ausdruck dieser Identitätskrise interpretiert.
Das zweite Kapitel widmet sich der Psychologie des Selbsthasses. Es wird argumentiert, dass der Selbsthass aus der Internalisierung von Fremdprojektionen resultiert, die die kulturelle Mehrheit hinsichtlich der Eigenschaften der „Anderen“ vornimmt. Die Assimilationsbemühungen der „Grenzjuden“ führen dazu, dass sie selbst an die Existenz einer „schlechten“ Seite in sich glauben und diese bekämpfen, um von der Mehrheit akzeptiert zu werden.
Das dritte Kapitel analysiert Theodor Lessings Essay „Jüdischer Selbsthass“. Lessing untersucht die Lebensläufe von sechs jüdischen Persönlichkeiten und zeigt, wie der Selbsthass aus der Ambivalenz zwischen Assimilation und Abgrenzung resultiert. Die Arbeit beleuchtet Lessings Kritik an der Assimilation und seine Suche nach einer neuen jüdischen Identität.
Das vierte Kapitel befasst sich mit Otto Weiningers Werk „Geschlecht und Charakter“. Weininger argumentiert, dass die jüdische Identität durch eine spezifische „jüdische Seele“ geprägt ist, die durch eine Tendenz zur Selbstverleugnung und zum Selbsthass gekennzeichnet ist. Die Arbeit untersucht Weiningers misanthropische Sichtweise und seine Kritik an der jüdischen Assimilation.
Das fünfte Kapitel analysiert Sigmund Freuds „Das Unbehagen in der Kultur“. Freud untersucht die psychischen Folgen der Zivilisation und argumentiert, dass die Unterdrückung der Triebe zu einem Gefühl des Unbehagens führt. Die Arbeit beleuchtet Freuds Theorie der Kultur und ihre Relevanz für das Verständnis des „jüdischen Selbsthasses“.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen den „jüdischen Selbsthass“, die Assimilation, die jüdische Identität, die Wiener Moderne, Sigmund Freud, Theodor Lessing, Otto Weininger, „Grenzjuden“, Nietzsche, Sander Gilman, Jacob Golomb, Kulturkritik, Psychoanalyse, Antisemitismus, Diaspora, Selbstverleugnung, Kultur und Zivilisation.
- Arbeit zitieren
- Christian Müller (Autor:in), 2010, Der Diskurs über jüdische Identität zur Zeit der Wiener Moderne, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/152440