Für viele schwerkranke Menschen ist die Organspende oft die letzte Chance, weiterzuleben. Trotz zahlreicher Aufklärungsprogramme ist die Spendenbereitschaft in Deutschland jedoch so niedrig, dass jährlich mehrere tausend lebensrettende Transplantate fehlen. Immer wieder werden ethische, moralische und praktische Aspekte zur Organspende diskutiert, um die Zahl der erfolgreichen Behandlungen bei Organversagen zu erhöhen.
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um als Organspender:in in Frage zu kommen? Warum herrscht in Deutschland ein dramatischer Mangel an Spenderorganen? Nach welchem System erfolgt die Organspende derzeit in Deutschland und was soll sich daran ändern? Aus welchen Gründen lehnen in Deutschland viele Menschen eine Organspende ab? Wie funktioniert die Verteilung der Spenderorgane?
Diese und weitere zentrale Fragen beantwortet der Transplantationsmediziner Dr. Rainer Günther in seinem Buch. Besonderes Augenmerk legt er dabei auf das Spendensystem in Deutschland und nach welchen Regelungen mehr Transplantationen erfolgen können. Dabei legt er besonderen Wert auf ethische und moralische Aspekte, die die Diskussion um die Organspende prägen. Warum ist Organspende so wichtig und welche Hürden gilt es zu überwinden, um das Leben von Menschen mit Organversagen zu retten?
INHALTSVERZEICHNIS
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung und Problemstellung
1. Organspende nach Kreislaufstillstand
2. Normative Grundlagen derOrganspende in Deutschland
3. Wissenschaftliche Daten zum Hirnfunktionsausfall nach Kreislaufstillstand
4. Grundlegende ethische Fragen zum Thema DCDD
5. Diskussion derOption von cDCDD in Deutschland
5.1 Todesdefinition
5.2 Patientenschutz
5.3 Entscheidung der BÄK
5.4 Umsetzung von cDCDD in Deutschland
6. Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Einleitung und Problemstellung
Transplantationsmedizin ist für viele schwerstkranke Patientinnen mit terminalen Organversagens oft die einzig lebensrettende Therapie. Die Zahl der in Deutschland auf ein lebensnotwendiges Organ wartenden Patientinnen übersteigt seit Jahren bei weitem die Anzahl der zur Verfügung stehenden Organe.
Die Leopoldina hat bereits mit Ihrem Diskussionspapier von 2015 (Leopoldina 2015) die entscheidenden Fragen zur Transplantationsmedizin in Deutschland zusammengefasst:
„Die Transplantationsmedizin wirft ethisch und rechtlich zwei Grundfragen auf:
- Die erste ist darauf gerichtet, unter welchen Voraussetzungen Organspenden erfolgen dürfen und wie der bestehende erhebliche Mangel an lebenswichtigen Spenderorganen auf legitime Weise verringert werden kann.
- Die zweite Frage zielt auf die gerechte Verteilung dieser knappen Ressource.“
In der vorliegenden Arbeit wird der erste Punkt aufgegriffen und mit dem Schwerpunkt Organspende nach Kreislauftod (controlled Donation after Circulatory Determination of Death, cDCDD) diskutiert.
Die Gründe für den Organmangel in Deutschland sind dabei vielgestaltig.
Nach Gutmann (Gutmann 2016) „[haben] die Konstruktionsfehler des deutschen Transplantationssystems dazu geführt, dass die Zahl der Organspender mittlerweile auf einen Wert von etwa zehn pro 1.000.000 Einwohner gesunken ist - eine Zahl, die nur weniger als ein Drittel der spanischen Organspende Zahlen erreicht und allenfalls für einen Entwicklungsland angemessen ist. Infolgedessen sterben Patienten, die nicht sterben müssten. Wenig spricht für die Annahme, dass der deutsche Staat im Status quo auch nur jenes Mindestmaß an Schutz, dass er den Lebens- und Gesundheitsinteressen der Patienten auf den Wartelisten von Verfassungswegen schuldet, verwirklichen kann“
Die Zahl der Organspenden zeigt seit 2012 einen stetigen Abwärtstrend und hat im Jahr 2017 mit 797 realisierten Organspendern einen Tiefstand erreicht (Abb. 1).
Zusammen mit den strukturellen Problemen, scheinen die 2012 öffentlich gewordenen Richtlinienverstöße bei der Organvergabe zu einem weiteren Vertrauensverlust in die Transplantationsmedizin geführt und in der Folge den bereits vorher dokumentierten Rückgang der gespendeten Organe verstärkt zu haben.
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Organspenden in Deutschland 1998-2021. Darstellung der absoluten Zahl der hirntoten Spender und der Rate hirntoten Spende per 1.000.000 Einwohner in Deutschland. DBD, donation after brain death (Datenquelle: DSO-Jahresbericht 2021)
Von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) werden regelmäßig Repräsentativumfragen zum Wissen, Einstellung und Verhalten der Bevölkerung zur Organ- und Gewebespende durchgeführt.
Das Thema Organspende wird in Deutschland dabei überwiegend positiv bewertet. In den letzten 10 Jahren hatte durchschnittlich 80% eine positive Haltung zur postmortalen Organspende. Die hypothetische Bereitschaft zur Organspende beträgt 73 Prozent und ist somit seit 2010 konstant hoch (Zimmering 2021).
Weniger positiv ist die Einstellung zum Transplantationssystem: Ein Viertel der Befragten vermutet, dass gespendete Organe in Deutschland nicht gerecht verteilt werden. Mehr als zwei Drittel haben von den in den Medien berichteten Unregelmäßigkeiten bei Organvergaben Kenntnis und für etwa die Hälfte dieser Befragten haben sich die Vorfälle negativ auf Ihr Vertrauen in das deutsche Organspende System ausgewirkt.
Das Vertrauen in Transplantationsmediziner:innen ist im Gegensatz dazu hoch: 70 Prozent der Befragten äußern ein sehr großes oder großes bzw. 93 Prozent zumindest ein mittelmäßig großes Vertrauen darauf, dass sich Ärztinnen in erster Linie für die Lebensrettung des potenziellen Spenders und nicht für den Erhalt von Spenderorganen einsetzen. Nur 7 Prozent verlassen sich nicht darauf.
Ein weiterer Grund für den Organmangel ist die rückläufige Erkennung und Meldung potenzieller Organspender in den Krankenhäusern. Dies hat bereits zu einer Vielzahl von regulatorischen Maßnahmen geführt (Abb. 2).
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Regulatorische Maßnahmen im Organspende Prozess in Deutschland 1997 - 2022.
Unabhängig von den skizzierten Strukturproblemen, verringert sich die Anzahl der primär hirntoten Spender aber auch durch die Verbesserung der Verkehrssicherheit, der Optimierung der Akutversorgung von Hirnverletzten der bundeweiten Implementierung von Stroke-Units und den Innovationen in der Intensivmedizin.
Die Spenderzahlen in Deutschland waren auch 2021 mit 11,2 Transplantationen pro 1.000.000 Einwohner weiterhin die niedrigste im ganzen Eurotransplant-Bereich - das ist deutlich weniger als das weltweit definierte Potential von 40 pro 1.000.000 Einwohner. Leider zeichnet sich auch für 2022 ein weiterer, signifikanter Rückgang ab. Die aktuelle Statistik der DSO weist für den Zeitraum Januar bis August 2022 einen erneuten Rückgang der realisierten postmortalen Organspender im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um -10,2 % auf 562 postmortale Organspender auf (DSO 2022). Das entspricht genau den Organspende Zahlen von 2016.
Alle bisherigen Maßnahmen (Abb. 2) haben somit in Summe zu keiner Steigerung der Spenderzahlen in Deutschland geführt.
In derselben Situation befanden sich die um die Jahrtausendwende auch eine Vielzahl anderer europäischer Länder. Hier konnten, neben weiteren Maßnahmen, durch die Implementierung von DCDD, ein signifikanter Anstieg der Organspende Zahlen realisiert werden (Abb. 3 und Abb. 7)
In Deutschland wurde ein DCDD-Konzept bisher von den Entscheidungsträgern im Organspende Prozess abgelehnt.
Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist, anhand der aktuellen normativen, geisteswissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Datenlage zu überprüfen, ob eine cDCDD in Deutschland zum jetzigen Zeitpunkt möglich wäre.
Bei dervorliegenden Arbeitwird von folgenden Prämissen ausgegangen:
- Die Dead donor rule (DDR) ist die wesentliche Grundlage für die Organtransplantation - Die Entnahme von lebenswichtigen Organen zur Transplantation ist nur nach Eintritt des Todes zulässig und kein Patient darf durch Organentnahme getötet werden.
§ 3 Absatz 1 Sat 1 Nummer 2 des Transplantationsgesetzes (TPG) - die Entnahme von Organen oder Geweben ist nur zulässig, wenn der Tod des Organ- oder Gewebe-Spenders nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechend festgestellt ist - definiert die Dead Donor Rule im TPG.
- Der Hirntod ist der Tod des Menschen - Nach aktueller medizinischer und juristischer Lehre, wird der Hirntod als hinreichendes Todeskriterium angesehen. Der „State oft the Art“ diagnostizierte Hirntod gilt als hinreichendes Todeskriterium, da er unveränderbar ist.
§ 3 Absatz 2 Nummer 2 TPG macht das Hirntodkriterium zur Entnahme Voraussetzung: Die Entnahme von Organen oder Geweben ist unzulässig, wenn nicht vor der Entnahme bei dem Organ oder Gewebespender der endgültige, nicht behebbare Ausfall der gesamten Funktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstammes nach Verfahrensregeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft. Entsprechend festgestellt ist.
- Maastricht III Kriterium (cDCDD): Kontrollierte/erwartete Herzkreislaufstillstand nach Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen auf der Intensivstation.
Die Prämissen entsprechen den zentralen Kriterien klinisch etablierter cDCDD- Programme wie z.B. der Schweiz.
Die Argumente werden in folgenden Schritten dargelegt:
Im ersten Kapitel wird das DCDD-Konzept dargelegt
Der Folgeabschnitt fasst die normativen Bedingungen und die bisherige Diskussion in Deutschland zusammen.
- Im dritten Kapitel werden die aktuellen wissenschaftlichen Daten zur Hirnfunktion nach kontrollierten Kreislaufversagen zusammengefasst.
- Der nächste Abschnitt liefert eine Zusammenstellung der wesentlichen ethischen Fragen zu DCDD
- Im Kapitel „Diskussion der Option von cDCDD in Deutschland“ werden die zentralen Fragen diskutiert und ein Konzept für die Umsetzung in Deutschland skizziert.
In der Diskussion wird dargelegt, dass aufgrund der jetzt vorliegenden wissenschaftlichen Daten, unter Beibehaltung der DDR und des Hirntodkonzeptes, eine cDCDD aus wissenschaftlichen und ethischen Gründen gerechtfertigt ist. Ein strukturiertes cDCDD-Programm sollte somit auch in Deutschland möglich sein, insbesondere dann, wenn sich die aktuellen Stakeholder einer wissenschaftlichen Diskussion stellen und eine gesamtgesellschaftliche Diskussion ermöglicht wird.
1. Organspende nach Kreislaufstillstand
Ein strukturiertes DCDD-Programm ist international eine etablierte Maßnahme, um der sinkenden Anzahl an Organspenden entgegenzuwirken. In zahlreichen Ländern nimmt daher die Anzahl von Organspenden nach Kreislaufstillstand zu (Dominguez-Gil 2021).
Ein typisches Beispiel stellt die Entwicklung der Organspende Zahlen in Spanien dar (Abb. 3). Von einer bereits sehr hohen Spenderrate mit > 30 Spendern /1.000.000 Einwohnern konnte, durch die strukturierte Implementation eines cDCDD-Programmes, innerhalb von wenigen Jahren, die Spenderzahl auf das weltweit definierte Spenderpotential von 40/1.000.000 Einwohnern angehoben werden (Matesanz2017).
Eine Übersicht über die etablierten und geplanten DCDD-Programme in Europa ist in Abbildung 4 dargestellt. Deutschland ist eines der wenigen Länder ohne ein entsprechendes Programm (Lomero 2020).
Außerhalb Europas haben z.B. Japan, Australien und die Vereinigten Staaten langjährige Erfahrungen mit der DCDD.
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Organspender in Spanien (absoluteAnzahl und Rate pro Millionen Population), Spender nach Hirntod, kontrollierte und unkontrollierte Spender nach Kreislauftod, Jahre 1989 - 2015. Quelle: Organizacion Nacional de Transplantes. cDCDD; controlled donation after circulatory determinated death; uDCDD; uncontrolled donation after circulatory determinated death; DBD, donation after brain death; PMP, per 1.000.000 population. Modifiziert nach Matesanz 2017
In den Anfängen der Transplantationsmedizin wurden die ersten Organspenden nach Eintreten des Herzstillstandes beim Spender durchgeführt. Diese Praxis wurde bald zugunsten der Entnahme von Organen bei hirntoten Spendern („Non heart beating donation“, NHBD) weitgehend aufgegeben. Grund war die sich entwickelnde maschinelle Beatmungstechnik und die besseren Langzeitergebnisse nach NHBD wegen der kürzeren Organ Ischämie Zeit.
Eine Kommission der Harvard Medical School veröffentlichte im Jahr 1968 eine genaue Definition der irreversibel erloschenen Gesamtfunktionen des Gehirns und schlug vor, den entsprechenden Zustand als „Hirntot“ zu bezeichnen, als sicheres Todeszeichen anzuerkennen und als Todeskriterium festzulegen (Ad hoc Comitee of the Harvard Medical School 1968). Begründet wurde dies damit, sowohl den Status der komatösen Patienten zu klären und die maschinelle Beatmung einstellen zu können, als auch Kontroversen bei der Beschaffung von Organen zur Transplantation zu vermeiden. Eine gute Übersicht zu diesem Thema wurde von Moskopp erstellt (Moskopp 2017).
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4: DCDD-Programme in Europa. Grün: Länder mit aktiven DCDD-Programmen; Gelb: Länderdie ein DCDD-Programm planen; Rot: Länderohne aktives/geplantes DCDD-Programm; Blau: Länder ohne Informationen zu aktiven/geplanten DCDD-Programmen. Modifiziert nach Lomero 2020.
Durch die weltweit zunehmenden Transplantationsprogramme zeichnete sich um die Jahrtausendwende eine zunehmende Diskrepanz zwischen den Organspende Zahlen und dem medizinisch notwendigen Transplantationsbedarf ab. In diesem Kontext wurde das Herz-Kreislauftod-Konzept wieder als Option wahrgenommen.
Der frühere Begriff der Organspende nach „nicht mehr schlagendem Herzen“ (non heart beating donation, NHBD) wurde bald aufgegeben. Er bezog sich auf die elektrische Aktivität des Herzens. Der irreversible Ausfall der Hirnfunktion ist jedoch durch den Stillstand des Blutkreislaufes bedingt und wird durch die Bezeichnung Donation after circulatory determination of death (DCDD) besser abgebildet.
Mit der Wiederaufnahme des DCDD-Konzeptes in Europa, wurde 1995 von der Maastricht-Gruppe eine Klassifizierung von DCDD-Spendern eingeführt (Tabelle 1) und letztmalig 2013 überarbeitet (Thuong 2016).
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Maastricht-Kriterien zur Organspende nach Herz-Kreislauf-Stillstand (donation after circulatory determinated death, DCDD). aDie Kategorie V wurde erst 2000 hinzugefügt. DCDD „donation after circulatory determinated death“. Modifiziert nach de Jonge 2016.
Der Faktor Zeit ist bei DCDD ein wesentliches Element (Abb. 5). Zum einen muss nach dem Herzstillstand genügend Zeit verstrichen sein, damit der irreversibler Funktionsausfall des Gehirns aufgrund der fehlenden Durchblutung gesichert festgestellt werden kann und das Todeskriterium erfüllt ist (Dead Donor rule). Zum anderen muss hinsichtlich der Erhaltung der Organqualität die Zeit zwischen derTodesfeststellung und der Organentnahme so kurz wie möglich sein.
Eine wichtige Besonderheit der DCDD wird durch den Begriff: „No Touch Periode7“Hands off“ umrissen. Die „Not Touch Periode“ ist bei cDCDD der Zeitabschnitt zwischen dem Eintreten des Kreislaufstillstandes, den Tests zur Sicherung der Todesfeststellung und dem Beginn der Organentnahme. Diese „No Touch Periode“ dauertje nach Land zwischen 5-20 Minuten.
Nach der „No Touch Time“ wird zunächst der Herz-Kreislauf-Tod diagnostiziert. Alle Prozeduren zur Feststellung des Todes bei DCDD beinhalten immer als ersten Schritt die Messung der Kreislauffunktion. Dabei kommen unterschiedliche Methoden wie die Abwesenheit eines arteriellen Pulses (z. B Doppler), das Fehlen der der Herzfunktion (z.B. ECHO), Stillstand der elektrischen Herzaktivität (EKG) oder das Absinken des Blutdrucks (invasive, arterielle Blutdruckmessung) zurAnwendung.
Zusätzlich werden in unterschiedlichem Maße neurologische Sachverhalte geprüft. Hier werden dieselben klinischen Untersuchungen durchgeführt, die auch als Todesnachweis
für hirntote Spender notwendig sind (beidseits weite nicht auf Licht reagierende Pupillen, keine Hirnreaktionen auf schmerzhafte Reize; Fehlender Husten- und Schluckreflex, keine Spontanatmung) um auch das Fehlen der Hirnstammfunktion zu verifizieren.
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abb. 5: Übersicht über die zeitlichen Abläufe bei der Organspende nach Hirntod und HerzKreislauftod. NDD: Neurologie determinated death; cDCDD: controlled donation by circulatory determinated death. Modifiziert nach Murphy 2021.
In der Schweiz erfolgt die Organentnahme bei cDCDD erst nachdem der Gesamthirntod sicher diagnostiziert ist (sog. sekundäre Hirntod) (SAMW 2017).
Eine weitere Herausforderung bei der DCDD besteht darin, die Prozesse der Entscheidung zum Therapieabbruch und zur Organentnahme zu trennen. Dies wird sichergestellt durch eine strikte Trennung der Aufgaben und Entscheidungen zwischen dem Behandler-Team der Intensivstationen, dem hinzugezogenen TransplantationsKoordinator und dem Explantationsteam.
In den Niederlanden wird z.B. die DCDD-Organentnahme von einem externen und völlig autonomen Explantationsteam (Zelfstanding Uitnahme Team, ZUT) durchgeführt. Um das Spenderkrankenhaus zu entlasten, wird die gesamte chirurgische und anästhesielogischer Ausrüstung mitgenommen. Notwendig ist lediglich ein freier Operationssaal und ein Narkosegerät. Diese Maßnahmen reduzieren erheblich die Vorbereitungszeit zur Organspende (de Jonge 2016).
Länder mit erfolgreich umgesetzten DCDD-Programmen haben dies in erster Linie durch die Etablierung nationaler ethischer, professioneller und rechtlicher Rahmenbedingungen erreicht, um sowohl öffentliche als auch professionelle Bedenken in Bezug auf alle Aspekte der DCDD umfassend anzusprechen. Zusätzlich mussten auch viele praktische Fragen zur Logistik und Aufgabenteilung der DBD und DCDD geregelt werden.
2. Normative Grundlagen der Organspende in Deutschland
Deutschland hat eines der strengsten, normativen Bollwerke, zur Verhinderung von cDCDD aufgebaut. Gutmann spricht von einem „Abwehrzauber“ (Gutmann 2016).
Der Gesetzgeber hat die Ausgestaltung der Organspende-, Verteilungs- und Transplantations-Prozesse an die Bundesärztekammer (BÄK) übertragen. Die BÄK ist die Spitzenorganisation der ärztlichen Selbstverwaltung. Sie ist formal jedoch keine Kammer oder Körperschaft des öffentlichen Rechts, sondern ein freiwilliger und privatrechtlicher Zusammenschluss der Landesärztekammern in der Rechtsform eines nicht rechtsfähigen Vereins des Privatrechts i. S. d. § 54 BGB. Für den Bereich der Transplantationsmedizin wurde der BÄK aber unmittelbare gesetzliche Aufgaben zugewiesen.
Das Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen und Geweben (Transplantationsgesetz - TPG) beinhaltet die gesetzlichen Grundlagen für die Transplantationsmedizin in Deutschland (TPG 2021).
In Abschnitt 2 des TPG (§§ 3-7) ist die Entnahme von Organen und Geweben bei toten Spendern geregelt:
- § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des TPG definiert die Dead Donor Rule.
- § 3 Absatz 2 Nummer 2 TPG bestimmt das Hirntodkriterium zur Organentnahme als Voraussetzung.
- § 5 Absatz 1 TPG definiert den Ablauf derTodesfeststellung.
In §19Absatz 2 TPG wird die Entnahme eines Organs oder Gewebes ohne eine solche Hirntoddiagnostik - also die in der Mehrzahl der europäischen Nachbarstaaten zulässige DCDD - für strafbar erklärt und mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder mit Geldstrafe bedroht. Diese gesetzgeberische Entscheidung wird durch eine Richtlinie der Bundesärztekammer vom Dezember 2000 flankiert, der zufolge ein im Ausland nicht gemäß den deutschen Gesetzesvorschriften entnommenes Organ in Deutschland nicht transplantiert werden dürfe (BÄK 2000).
Das TPG verpflichtet die Bundesärztekammer, Richtlinien zu einzelnen Bereichen der Transplantationsmedizin zu erstellen, die sich am Stand der medizinischen Wissenschaft orientieren (§ 16 TPG). Diese Richtlinien sind „generell abstrakte Handlungsanweisungen“, werden von der „Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer“ (StäKO) erarbeitet und sollen unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft immer wieder aktualisiert werden (StäKO 2020). Die StäKO wurde 1994 von der BÄK gegründet. Ihr gehören Vertreterinnen aus der Medizin, dem Recht, der Philosophie, zu behandelnde Personen sowie Angehörige von organspendenden Personen an. Die Mitglieder werden von den jeweiligen Verbänden berufen und dürfen selbst nicht am alltäglichen Organspende- oder Organtransplantationsprozess beteiligt sein. Die StäKo hat gemäß ihrem Statut (§1 Abs. 1 Nr.1.) die Aufgabe Empfehlungen zu Grundsätzen und Vorschläge für die Richtlinien für die Organspende, Organvermittlung und Organverteilung zur erarbeiten.
Die BÄK hat entsprechend derVorgaben des TPG folgende Richtlinien formuliert:
- Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes
- Richtlinie zur medizinischen Beurteilung von Organspendern und zur Konservierung von Spenderorganen
- Richtlinien für die Wartelistenführung und die Organvermittlung
- Richtlinie zu Maßnahmen der Qualitätssicherung im Zusammenhang mit einer Organtransplantation
Diese Richtlinien, sind für alle am Transplantationsprozess Beteiligten gem. § 16 TPG bindend und teilweise strafbewehrt
Daneben hat die Bundesärztekammer noch weitere Empfehlungen und Stellungnahmen zum Thema Organtransplantation veröffentlicht.
Die Transplantationsmedizin in Deutschland unterliegt insgesamt einem streng kontrollierten Regelwerk (Abb. 6), das nach den 2012 öffentlich gewordenen Richtlinienverstößen bei derOrganvergabe noch intensiviert wurde.
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abb. 6: Gesetzliche Kontrollen des Transplantationssystems. Quelle: DSO-Jahresbericht 2021
Bereits 1998 (BÄK 1998) hatte die BÄK in einer Stellungnahme zur Organentnahme nach Herzstillstand („Non heart-beating donor“) erklären lassen: „Ein Herz- und Kreislaufstillstand von 10 Minuten bei normaler Körpertemperatur ist bisher nicht als sicheres „Äquivalent zum Hirntod“ nachgewiesen und kann deshalb nicht die Todesfeststellung durch Nach- weis von sicheren Todeszeichen ersetzen“. Seitdem ist die BÄK von dieserAuffassung nicht mehr abgewichen.
Zusammenfassend lehnt das TPG und die BÄK die Kriterien für DCDD mit der Begründung ab, dass der irreversible Herzstillstand bisher weder durch die Dauer noch durch andere Kriterien als sichere Todeszeichen nachgewiesen werden kann, und darum, kein sicheres Äquivalent zur Hirntoddiagnostik ist.
In einer gemeinsamen Stellungnahme vom März 2014 (5. März 2014 die am 21. März 2014 ergänzt wurde) erklärten die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), die Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC) sowie die Deutsche Gesellschaft für Neurointensiv und Notfallmedizin (DGNI) zur Feststellung des Hirntodes vor Organentnahme (DGN 2014): „Das Derzeit diskutierte Konzept des non-heart-beating Donors, das die geltenden Hirntoddefinition als Voraussetzung für eine Organentnahme ergänzen soll, ist weiterhin strikt abzulehnen, da es ein höheres Risiko für Fehldiagnosen in sich birgt.“ Die neurologischen Fachgesellschaften begründen ihre Ablehnung folgendermaßen: „Korrekt ist zwar, dass sich die klinischen Ausfallsymptome des Gehirns nach einem mindestens zehnminütigen Herz- und Kreislaufstillstand ohne Reanimationsbemühungen nachweisen lassen. Es ist aber keineswegs erwiesen, dass zu diesem Zeitpunkt die Gesamtfunktion des Gehirnes unwiederbringlich, das heißt irreversibel, ausgefallen ist. Gerade dies ist aber die Voraussetzung für die Todesfeststellung mittels Hirntod Nachweis“ (DGN 2014)
Das auch in Deutschland der Herzkreislauftod als Option für eine Organspende initial in Betracht gezogen wurde, wird in der Stellungnahme des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages (Wissenschaftlicher Dienst des Bundestags 2018) ausgeführt: „Der deutsche Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P vom 16. April 1996 zum Gesetz über die Spende, Entnahme und die Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz - TPG) hatte in der Überschrift zum Zweiten Abschnitt klargestellt, dass die Organentnahme nach endgültigem, nicht behebbarem Ausfall der gesamten Hirnfunktion oder Stillstand von Herz und Kreislauf vorgesehen ist. Diese beiden Alternativen wurden in § 5 des Gesetzentwurfs wieder aufgegriffen. Im TPG, das am 1. Dezember 1997 in Kraft getreten ist, wurden diese Formulierungen so nicht übernommen“.
Der Deutsche Ethikrat hat sich der Auffassung des TPG, der BÄK und der Fachgesellschaften in seiner Stellungnahme zu Hirntod und Organentnahme vom Februar2015 mehrheitlich angeschlossen (Ethikrat 2015).
In seiner Stellungnahme äußert sich der Deutsche Ethikrat auf insgesamt fünf von 189 Seiten zum Thema DCDD (Ethikrat 2015). Die Mehrheit der Mitglieder lehnt die DCDD mit derselben Begründung ab wie die die BÄK und die Fachgesellschaften. Zusätzlich wendet der Ethikrat ein, dass die Abläufe der DCDD (insbesondere die Abläufe zur Organprotektion: Zeitfenster, Organunterstützung) für die Angehörigen und die Mitarbeiterinnen der Intensivstationen eine besondere Belastung darstellen würden. Eine Minderheit des Deutschen Ethikrates hält aber zumindest die Schweizer Praxis mit der begleitenden Hirntoddiagnostik („sekundärer Hirntot“) für ethisch vertretbar.
3. Wissenschaftliche Daten zum Hirnfunktionsausfall nach Kreislaufstillstand
Seit 1998 führt die Bundesärztekammer aus, dass nach dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand, die Diagnostik des Hirn-Funktionsausfall nach 10- minütigen Herz-Kreislauf-Stillstand nicht gesichert sei. Diese Aussage wurde in den nachfolgenden Stellungnahmen und Richtlinien unverändert wiederholt.
Zum Zeitpunkt der Stellungnahmen der BÄK lagen noch keine validen Studien zum Hirnfunktionsausfall nach kontrollierten Kreislaufstillstand vor. Der zitierte wissenschaftliche Kenntnisstand bezog sich auf klinische Verläufe die unter Reanimationsbedingungen erhoben wurden.
Wissenschaftliche Untersuchungen unter den skizzierten kontrollierten cDCDD Bedingungen, mit einer validen apparativen Diagnostik des Herzkeislaufstillstandes, sind erst neueren Ursprungs (Shemie 2018).
Ein der ersten grundlegenden Arbeiten stammt von Pana (Pana 2016). In seinem Review konnte anhand von tierexperimentellen und Human-Studien gezeigt werden, dass nach plötzlichen und nachfolgend persistierenden Herzkreislaufstillstand, nach spätestens 30 Sekunden, dauerhaft keine Hirn-Aktivität mehr nachweisbar war. Eine weitere Übersichtsarbeit bestätigt die Befunde und verweist in diesem Zusammenhang auf die relevanten Unterschiede des Hirnfunktionsausfalls in Abhängigkeit vom Ausmaß der Einschränkung der Kreislauffunktion (Shemie 2018). Es bestehen nachweisbare Unterschiede zwischen einer verminderten, aber partiell erhaltenen Kreislauffunkton wie sie unter Reanimationsbedingungen auftritt und ein kontrolliertes, vollständiges Sistieren der Durchblutung des Gehirns, wie bei cDCDD.
Eine aktuelle klinische Studie unterstützt diese Ergebnisse auch bezüglich der des dauerhaften sistieren der Herzfunktion nach Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen (Dhanani 2021). In dieser prospektiven Beobachtungsstudie konnte gezeigt werden, dass spätestens nach 4 Minuten und 20 Sekunden nach initialer Pulslosigkeit keine Herzaktion mehr nachweisbarwar.
Alle diese Ergebnisse wurden unter Bedingungen durchgeführt, wie sie in den cDCDD Protokollen für die No-touch Phase vorgeschrieben sind.
Die medizinische Wissenschaft hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht, das gilt insbesondere für die Neurowissenschaften, aber auch für die Diagnostik und Therapie des Herz-Kreislaufsystems. Für eine sehr gute Zusammenfassung der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse der Pathophysiologie des Gehirns nach Ischämie, verweise ich auf die Übersichtsarbeiten von Daniele (Daniele 2021) und Sandroni (Sandroni 2021).
Ergänzt werden diese Befunde durch hochrangig publizierte Arbeiten an zur Organprotektion bei Schweinen nach Herz-Kreislaufstillstand (Andrijevic 2022). Auf Ebene der Zellen und des Gewebes konnte die Funktion alle untersuchten Organe funktionsfähig gehalten werden. Hirnfunktionen konnten jedoch zu keinem Zeitpunkt nachgewiesen werden.
International gibt es weiterhin aber auch erhebliche Unterschiede in den gesetzlichen Regelungen und Normierungen bezüglich der Definitionskriterien und Festlegung des Zeitpunktes des Hirntodes. Greer hat dabei in seiner aktuellen Zusammenfassung einen wesentlichen Schritt zur Vereinheitlichung von Protokollen und Verfahren zur Bestimmung des Hirntodes geleistet (Greer2020).
4. Grundlegende Ethische Fragen zum Thema DCDD
Mit Wiederaufnahme der DCDD-Programme in Europa und Nordamerika erfolgte ein intensiver ethische Diskurs, der immer noch anhält. Der überwiegende Anteil der Diskussion findet in den USA statt (Murphy 2021, Dalle Ave 2017). Für die Situation in Deutschland hat Gutmann einen wesentlichen Debattenbeitrag geleistet (Gutman 2016). Der Deutsche Ethikrat hat sich mit dieser Thematik bisher nur am Rande beschäftigt (Ethikrat2016).
In Analogie zu DBD stehen im Wesentlichen zwei Punkte im Zentrum der Debatte:
- Spenderschutz: Sicheren Todesfeststellung und einem würdevollen Sterben
- Empfängernutzen: Explantation möglichst vitaler, funktionsfähiger Organe
In Tab. 2 sind die wesentlichen Diskussionspunkte der Debatte aufgeführt.
In seiner aktuellen Übersichtsarbeit weist Murphy darauf hin „dass ein Großteil der Meinungsverschiedenheiten rund um DCDD im Grunde eine Debatte über die Definition des Todes ist“ (Murphy 2021).
Die Irreversibilität des Herz-Kreislaufstillstandes ist ein zentrales Kriterium unseres alltäglichen Todesverständnisses und auch die Basis der Todesfeststellung im ärztlichen Alltag, wie in den gesetzlichen Vorgaben und Leitlinien zur ärztlichen Leichenschau vorgeben ist (AWMF 2018)
Im intensivmedizinischen Bereich wird auch der Hirntod als hinreichendes Kriterium für die Feststellung des Todes angesehen. Der Zeitpunkt des Todes fällt nach diesem Konzept mit dem Nachweis des irreversiblen Hirnfunktionsausfall, des Gesamthirntodes zusammen. Die Diagnose gilt als sicher. Nach herrschender medizinischer und juristischer Lehre wird der lege artis diagnostizierte Hirntod wird mit dem Tod des Menschen und seiner Person gleichgesetzt (Körtner2016).
Zur juristischen Definition des Todes führt Gutmann aus „Der Tod als Rechtsbegriff ist ein normativer Begriff, der die Reichweite des strafrechtlichen Lebensschutzes am Ende des Lebens definiert. Ein adäquater juristischer Todesbegriff muss den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft berücksichtigen. Ohne durch diesen determiniert zu sein“ (Gutmann 2016).
Grundsätzlich hat das Todesverständnis drei Komponenten (Youngner 1992):
- ein Konzept oder eine Definition dessen, was es bedeutet zu sterben
- operative Kriterien zur Feststellung, dass derTod eingetreten ist
- und spezifische medizinische Tests, die zeigen, ob die Kriterien erfüllt wurden oder nicht
Das Todeskriterium des irreversiblen Herz-Kreislauf-Stillstandes sollte dabei nicht als Alternative zum Hirntodkriterium, sondern lediglich als Variante desselben betrachtet werden.
Da die Einhaltung der DDR das entscheiden Moment der BÄK für die Ablehnung der DCDD in Deutschland ist, wird in der nachfolgenden Diskussion ein Schwerpunkt auf diesen Diskussionspunkt gelegt.
5. Diskussion der Option von cDCDD in Deutschland
Die Zahl der Organspender in Deutschland ist die niedrigste im Eurotransplant Bereich. Trotz der bereits eingeleiteten Maßnahmen (Abb. 2) deuten die Zahlen für 2022 auf einen weiteren signifikanten Rückgang der Spenderzahlen hin (DSO 2022).
In derselben Situation befanden sich die Niederlande im Jahr 1999 (de Jonge 2016) und die Schweiz nur einige Jahre später (Weiss 2018). Mit der strukturierten Einführung der DCDD und flankierenden Maßnahmen konnte die Spenderzahl in diesen Ländern zwischenzeitlich signifikant gesteigert werden (Abb. 3 und Abb. 7). Das Gleiche gilt auch für andere europäische Nachbarländer.
Bereits 2016 hatte eine Gruppe aus deutschen Transplantationsmedizinern, Transplantationschirurgen und der DSO angesichts der signifikant rückläufigen Organspenden gefordert, dass aufgrund des Organmangels in Deutschland, auch die DCDD-Option in Betracht gezogen werden sollte (Tacke 2016). Es stellt sich nun die Frage, warum von den Entscheidungsträgern des Organspende Prozesses in Deutschland, angesichts des manifesten Organmangels, DCDD weder als Option umgesetzt noch diskutiert wird.
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2: Zentrale ethische Diskussionsthemen bei cDCDD. Modifiziert nach Murphy2021
Tabelle 2 zeigt eine Übersicht der aktuellen Diskurspunkte zu DCDD auf. Jeder dieser einzelnen Punkte wäre es wert zu diskutieren. In der vorliegenden Arbeit kann aber aufgrund des vorgegebenen Rahmens nur die konkrete Situation in Deutschland diskutiert werden.
Vorab muss noch einmal darauf hingewiesen werden, dass im deutschen Organspende Prozess, der BÄK die entscheidende normative Rolle zugewiesen wurde (s. Kap 2). Normative Betrachtungen sollten aber eigentlich nicht an Standesvertretungen oder einzelne Berufsgruppen delegiert werden (Gutmann 2016). Auch die Leopoldina führt in Ihrem Diskussionspapier zum Organspende Prozess in Deutschland dazu aus: „Weiterhin ergeben sich grundlegende verfassungsrechtliche Probleme: Die Bundesärztekammer als ein Organ der ärztlichen Selbstverwaltung ist nur bedingt legitimiert, solche letztendlich immer normativen Festlegungen zu treffen. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist für sie der Gesetzgeber, das heißt das Parlament, zuständig“ (Leopoldina 2016).
Die Stellungnahmen der BÄK, der neurologischen Fachgesellschaften und der Mehrheit des Deutschen Ethikrates, eine DCDD in Deutschland nicht umzusetzen, gründen sich aufzwei Kernpunkte:
- Ein Herz-Kreislaufstillstand von 10 Minuten bei normaler Köpertemperatur sei nach dem aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht als sicheres Äquivalent zum Hirntod nachgewiesen und könne daher nicht die Todesfeststellung durch Nachweis von sicheren Todeszeichen ersetzen
- Es bestehe bei DCDD die Gefahr, dass der Umgang mit schwerstkranken Menschen am Lebensende, gezielt auf den Akt der Organentnahme ausgerichtet werde und der Patient oder seine Angehörigen sich genötigt fühlen könnten, einem vorzeitigen Therapieabbruch oder nur auf die DCDD ausgerichtete Organ protektiven Maßnahmen zuzustimmen.
Beide Kritikpunkte betreffen die Wirkmächtigkeit der DDR, Patienten vor Schaden zu schützen. Die Achtung der Person ist das grundlegende Prinzip, das der DDR zugrunde liegt und die DDR hängt von einer kohärenten Definition des Todes ab. DDR und DCDD sind somit unausweichlich miteinander verflochten.
Es wird zunächst (Kap. 5.1) anhand der beiden Kritikpunkte analysiert, ob unter den bestehenden normativen Bedingungen in Deutschland (Kap. 2), dem aktuellen wissenschaftlichen (Kap. 3) Kenntnisstand und den in der Einleitung aufgeführten Prämissen:
- Einhaltung der Dead Donor Rule
- Gesamthirntod als einheitliches Todeskriterium
- Maastricht Ill-Kriterien
eine cDCDD in Deutschland aktuell umsetzbarwäre.
Nachfolgend schließt sich eine Diskussion zur Patientensicherheit (Kap. 5.2) der Legitimation der aktuellen Stakeholder des deutschen Organspende Prozesses (Kap. 5.3) an.
Abschließend (Kap. 5.4) wird dargestellt, wie eine cDCDD in Deutschland umgesetzt werden könnte.
5.1 Todesdefinition
Unabdingbare Voraussetzung für eine postmortale Organentnahme ist der zuvor eingetretene Tod des potenziellen Spenders. Das zugrunde liegende Todeskonzept ist bis heute eines der interdisziplinär meist umstrittenen Themengebiete der Transplantationsmedizin. Nach Murphy, ist „ein Großteil der Meinungsverschiedenheiten rund um DCDD im Grunde eine Debatte über die Definition des Todes“ (Murphy 2021). Im Vordergrund steht dabei, ob das bei DCDD verwendete Todeskriterium und die damit verbundenen Verfahren der Todesfeststellung ausreichend sicher sind, um die DDR einzuhalten.
Grundsätzlich hat das Todesverständnis drei Komponenten (Youngner 1992):
- ein Konzept oder eine Definition dessen, was es bedeutet zu sterben
- operative Kriterien zur Feststellung, dass derTod eingetreten ist
- spezifische medizinische Tests, die zeigen, ob die Kriterien erfüllt wurden oder nicht
Das Verständnis des Todes basiert neben biologischen Erkenntnissen und der medizinischen Praxis auch auf sozialen Normen und der jeweiligen Kultur. Daher können die Kriterien für seine Bestimmung nicht restriktiv an die ontologische Kategorie des Todes gebunden sein. Da die BÄK sich in Ihrer ablehnenden Stellungnahme auf die medizinische Wissenschaft beruft, wird diese Argumentationslinie aufgegriffen.
Die BÄK hat sich 1995 und 1998 in zwei Stellungnahmen zusammen mit der Deutschen Transplantationsgesellschaft gegen das DCDD (NHBD)-Konzept ausgesprochen (BÄK 1998). Die wesentliche Begründung war, dass nach dem damaligen wissenschaftlichen Kenntnisstand, ein Herz-Kreislauf-Stillstand von 10 min bei normaler Körpertemperatur nicht als sicheres Äquivalent zum Hirntod nachgewiesen werden könne und deshalb nicht den Nachweis sicherer Todeszeichen ersetzen könne. Auch eine biologisch unmögliche Reanimation und der damit verbundene irreversible Herzstillstand sei bisher weder durch dessen Dauer noch durch andere Kriterien als sicheres Todeszeichen sicher definiert worden. Die Stellungnahme wurde mit einem Beschluss des 110. Deutschen Ärztetages 2007 noch einmal manifestiert (BÄK 2007).
Die BÄK-Stellungnahme ist in Bezug auf Beziehung zwischen Herz-Kreislauf-Stillstand und den Hirntod in zweifacher Hinsicht zu kritisieren.
Zum einen lagen zum Zeitpunkt der Stellungnahme der BÄK noch gar keine wissenschaftlichen Untersuchungen zum Hirnfunktionsausfall nach kontrolliertem HerzKreislauf-Stillstand vor. Die BÄK begeht den wissenschaftlichen Kardinalfehler eines Analogieschlusses anhand von Befunden, die bei Herz-Kreislauf-Stillstand unter nicht kontrollierten, Reanimationsbedingungen erhoben wurden. Bedingungen, die den Ablauf einer cDCDD nicht korrekt abbilden. Die pathophysiologischen Mechanismen der Hirnschädigung unter Reanimationsbedingungen (Sandroni 2021) sind nicht vergleichbar mit den Mechanismen bei persistierenden Herzkreislaufstillstand im Rahmen einer cDCDD. Die wissenschaftliche Begründung der BÄK basiert somit bereits auf einerfalschen Prämisse.
Zum anderen zeigen die in Kap. 3 aufgeführten aktuellen Studienergebnisse, dass nach spätestens 5-minütigen, apparativ gesicherten Herz-Kreislauf-Stillstand, keine Wiederaufnahme der Herzfunktion (Dhanani 2021) und keine Hirnfunktion mehr nachweisbar ist (Shemie 2018, Daniele 2021).
Das entspricht auch der lebensweltlichen cDCDD-Erfahrung. In der wissenschaftlichen Literatur findet sich keine Publikation, die ein spontanes Wiedereinsetzen der Kreislauffunktion mit Reperfusion des Hirnstromgebietes bei cDCDD beschreibt.
Anhand der aktuell vorliegenden Daten ist somit das cDCDD Konzept mit einem kontrollierten Herz-Kreislauf-Stillstand und konsekutiven Hirnfunktionsausfall nicht nur plausibel, sondern auch evidenzbasiert.
Selbst wenn man davon ausgehen sollte, dass Die BÄK zu dem Zeitpunkt der Stellungnahme keine entsprechend Datengrundlage zur Verfügung stand, muss kritisiert werden, dass sie sich seitdem dem wissenschaftlichen Diskurs nicht stellt, obwohl sie in Ihren Stellungnahmen und dem Statut der StäKO immer wieder darauf hinweist, das ihre Entscheidungen auf dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand gründen. Es ist an der Zeit zu fragen, warum eine der Wissenschaft verpflichtete BÄK immer noch an Behauptungen festhalten kann, die nicht mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand entsprechen.
Bereits Gutmann weist darauf hin „dass sich die Autoren dieser (BÄK-) Stellungnahme, bei ihrer Abfassung nicht im Wissenschaftssystem bewegten, sondern Interessenpolitik betrieben, die vor allem den exklusiven Zugriff der Neurologen auf die Todesfeststellung absichern sollte“ (Gutmann 2016).
Neben den evidenzbasierten Befunden zur Todesfeststellung, muss aber auch im Zusammenhang mit dem DCDD Prozess, die operativen Kriterien zur Todesfeststellung diskutiert werden.
Zur pragmatischen Feststellung des Todes sind die sog. sicheren Todeszeichen wie Leichenstarre, Leichenflecken und Verwesungszeichen als Kriterien allgemein und in allen Gesellschaften akzeptiert. Dies gilt auch für den Todesfeststellung im ärztlichen Alltag, sofern kein Organspende Prozess initiiert werden soll. Die Abläufe der Leichenschau sind in Deutschland gesetzlich vorgebgeben und leitlinienbasiert (AWMF 2018)
Im Kontext der Organspende wird das Hirntodkonzept weltweit in seiner klinischen Aussage akzeptiert. (Guidelines fort he determination of Death 1981; Moskopp 2017).
Die Klärung der Beziehung zwischen den beiden etablierten Standards für die Todeserklärung - neurologische Kriterien und Kreislaufkriterien - ist somit wesentlich für die Etablierung eines DCDD-Konzeptes unter den Prämissen der DDR mit Einhaltung des Hirntodkriteriums
Grundsätzlich gibt es zwei grundlegenden Möglichkeiten, die Beziehung zwischen Kreislauf- und Hirntod zu verstehen (Youngner 1999, den Hartogh 2019)
a) Kreislauf- und Gehirnfunktionen sind gleichermaßen lebensnotwendig. Der Verlust der Gehirn- oder Kreislauffunktion führt daher zum Tod (Guidelines fort he determination of Death 1981)
b) Der Kreislauftod ist ein Stellvertreter für den Hirntod, worauf es wirklich ankommt. Der Kreislauftod ist nur der im klinischen Alltag übliche Weg, um den Hirntod festzustellen (Menikoff 2002). Da das Gehirn ohne Kreislauf nicht funktionsfähig ist, ist es vernünftig anzunehmen, dass der Kreislauftod zum Hirntod führt (Bernat 2010). Die notwendige und hinreichende Bedingung für das Leben ist aber die Gehirnfunktion, da die Herz-Kreislaufunktion apparativ auch langfristig ersetzt werden kann.
In der Literatur besteht wachsender Konsens darüber, dass (b) die Beziehung korrekt darstellt (Manara 2019). Wie Dalle Ave und Bernat argumentieren, „ist das fundamentale Todeskriterium durch den Weg des Kreislaufstillstands auch das Kriterium des Gesamthirntodes“ (Dalle Ave 2017).
Der Kreislaufstillstand ist somit ein Stellvertreter für den Hirntod. Im Kontext von cDCDD wären daher sowohl, der dem Verfahren immanente Kreislauftod, als auch der Hirntod als Todeskriterium zu verwenden.
5.2 Patientenschutz
Der zweite Kritikpunkt der BÄK ist, dass ein Patient im cDCDD-Prozess vorschnell und möglicherweise aus fremdnützigen Gründen für tot erklärt und nicht mehr angemessen medizinische versorgt wird. Belege für diese Behauptung („Dammbruchargument“) werden jedoch nicht aufgezeigt.
Auch Gutmann mahnt 2016 noch an, dass „im zeitlichen Spannungsfeld zwischen gesicherter Todesfeststellung und optimaler Organprotektion, bestände die Notwendigkeit die no-touch Phase immer weiter zu verkürzen“ .„Dieser Zeitdruck intensiviert mögliche Ziel- und Interessenkonflikte und spitzt das für die postmortale Organentnahme ohnehin bestehenden Problemen der Behandlung potenzieller Organspender im Präfinalstadium, das heißt der Durchführung von Organ erhaltenden medizinischen Maßnahmen bis zur Entnahme der Organe weiter zu“. Er spricht von einer „Optimierungslogik des Medizinsystems“ (Gutmann 2016).
Hinter diesen Ausführungen steht die Sorge, dass im DCDD-Prozess Patienten instrumentalisiert oder als bloßes Mittel zum Zweck - Organbeschaffung - betrachtet werden könnten. Die Achtung der Menschenwürde und Patientenautonomie liegt dem deontologischen Aspekt der DDR zugrunde. Kein Mensch darf durch die Organentnahme geschädigt werden darf. Die deontologische Grundlage der DDR verlangt aber nicht, dass Spender niemals als Mittel verwendet werden können, sondern dass sie niemals nur als Mittel verwendet werden dürfen.
Das die, im positiven Sinne, tutioristische Position der BÄK, im Kontext von cDCDD aus der Zeit gefallen ist, liegt zum einen in der erhaltenen Entscheidungsmöglichkeit des potenziellen Spenders bei cDCDD begründet. Während bei DBD mit dem immer plötzlichen, unerwarteten Eintritt des primären Hirnfunktionsausfalls, der potenzielle Organspender nur anhand seines vorzeitig dokumentierten Willens, bei der Entscheidungsfindung beteiligt ist, kann der cDCDD-Spender selbst den Entscheidungsprozess aktiv mitgestalten. Das Eintreten des Todes bei cDCDD ist somit entscheid basiert. Die betroffene Person entschließt sich in der konkreten Situation, eine Therapie abzubrechen, die dann zum Herz-Kreislaufversagen und nachfolgend zum Hirntod führt. Die Organspende bei cDCDD wird damit allein durch die Entscheidung des Organspenders selbst gerechtfertigt, nicht aber durch das Faktum des Todes an sich, wie bei DBD.
Hinzukommt, dass sich in den letzten Jahren auch die Prozesse der Entscheidungsfindung am Lebensende im klinischen Alltag gewandelt haben. Der cDCDD-Prozess ist eine Handlung am Lebensende (HAL). Handlungen am Lebensende beinhalten komplexe Einschätzungen mit multiplen Einflussfaktoren sowohl im Behandlungsteam als auch auf Seite des Patienten und seiner Angehörigen. Therapieziele sind dabei nicht nur eine Lebensverlängerung. Auch ein Therapieverzicht mit der Intention der Verbesserung der Lebensqualität, Symptomlinderung und Begleitung des Sterbenden ist eine genuin ärztliche Aufgabe. Der Therapieverzicht sollte immer eine gemeinsame Entscheidung zwischen Behandler-Team und Betroffenen sein, wobei das Entscheidungsgewicht sich auch aus der Interpretation der medizinischen Situation ergibt. Die Spannbreite reicht von primären Therapieverzicht bis zu den verschiedenen Formen des sekundären Therapieverzichtes (Therapiebegrenzung, Therapiereduktion, Therapiebeendigung), die cDCDD immanent sind. Die Behandlungsteams müssen - auch wiederholt - die jeweilige Prognose neu bewerten und Entscheidungen treffen.
Den Tod nicht als Versagen der Medizin, sondern als eine mit dem menschlichen Leben verbundene Konsequenz wahrzunehmen ist dabei eine wesentliche Basis von HAL.
Bei infauster Prognose, wenn lebenserhaltende Maßnahmen aus faktischen oder normativen Gründen ausscheiden, entfallen auch die Pflicht und das Recht des Arztes, eine initial möglicherweise noch kurativ ausgerichtete Therapie fortzusetzen. Es gibt auf Seiten des Patienten auch keine unbedingte Lebenspflicht, das uneingeschränkte Recht auf Leben ist davon unberührt. Wenn aber die primäre Entscheidung zum Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen konsekutiv mit einer Organspende verbunden ist, sollte dies auch respektiert werden.
In den letzten Jahren wurde auch in Deutschland ein Diskurs über die Grenzen der modernen Intensivmedizin bei HAL intensiviert. Eine aktuelle Zusammenfassung findet sich im Positionspapier der Sektion Ethik der DIVI und der Sektion Ethik der DGIIN: Überversorgung in der Intensivmedizin: erkennen, benennen, vermeiden (Michalsen 2021). Im intensivmedizinischen Kontext ist es mittlerweile gängige Praxis Entscheidungen über HAL gemeinsam zu treffen. Unterstützt wurde dies durch Gründung von Klinischen Ethik-Komitees und der Implementation von strukturierten Programmen zur gemeinsamen Entscheidungsfindung (Shared Decision Making) (Hower 2020).
Zusätzlich stellen die aufgrund der Unregelmäßigkeiten bei den Organvergabe von 2012 intensivierten, gesetzlichen Kontrollstrukturen (Abb. 6) sicher, dass Entscheidungsprozesse im Rahmen der Organspende und Organtransplantation regelmäßig überprüft und Verstöße gegebenenfalls geahndet werden.
5.3 Entscheidung der BÄK
Deutschland hat eines der strengsten, normativen Bollwerke, zur Verhinderung von cDCDD aufgebaut. Gutmann spricht sogar von einem „Abwehrzauber“ (Gutmann 2016).
Der Gesetzgeber hat die Ausgestaltung der Organspende-, Verteilungs- und Transplantations-Prozesse an die Bundesärztekammer (BÄK) übertragen. Die Entscheidung der BÄK, aufgrund des von ihr interpretierten „Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“, cDCDD in Deutschland gem. ihrer Richtlinien cDCDD zu verbieten, hat aber auch direkten Einfluss auf die Organverteilungsprozesse. Den Richtlinien kommt die zentrale Steuerungswirkung im deutschen Transplantationswesen zu. Sie bilden die tragende Säule des Transplantationsrechts.
Im Vergleich zu den Ländern wie Niederlande (Dominguez-Gil 2021, de Jonge 2016), Schweiz (Abb. 7) und Spanien (Abb. 3), wir mit der Umsetzung der aktuellen Richtlinie der potenzielle Organspenderpool in Deutschland nicht ausgeschöpft. Die BÄK beschränkt sich damit nicht auf die reine Todesfeststellung, sondern wird auch normativ tätig. Im deutschen Gesundheitswesen gehört die Einbeziehung externen Sachverstandes (Bsp. G-BA) in die Entscheidungsfindung zur alltäglichen Realität. Kritisch zu hinterfragen istjedoch, wieweit die Auswirkungen der Entscheidungen außerhalb des medizinischen Sachstandes tragen. Fricke führt dazu aus: „Die Reichweite der Entscheidungsmacht privater Gremien und die Vorfahrt der Selbstregulierung ist aber im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Grenzen kritisch im Auge zu behalten. Denn die damit zwangsläufig verbundene Reduktion der staatlichen Reglementierungen trifft auf verfassungsrechtliche Hürden u. a. in Gestalt des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips“ (Fricke 2022).
Die Einbeziehung der BÄK als das medizinische Fachgremium zur Beantwortung medizinischer Sachverhalte ist prinzipiell nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber sollte aber die nichtmedizinischen, normativ-ethischen Entscheidungen zur Organverteilung, selbst treffen. Im Zusammenhang mit der Normierung von Maßnahmen die unmittelbar die Verteilung begrenzter medizinischer Ressourcen regeln, sind zwingend ethische Grundsätze heranzuziehen. Normative Wertentscheidungen liegen dabei außerhalb der medizinischen Expertise des BÄK.
Fricke fasst ihre Bewertung der BÄK im Transplantation Prozess wie folgt zusammen: „Bei der Richtlinientätigkeit der BÄK nach § 16Abs. 1 S. 1 Nrn. 2, 5 TPG handelt es sich um exekutive Rechtsetzung. Die durch die Ermächtigungsnorm im Wege der Beleihung erfolgte Übertragung von Normsetzungskompetenzen ist aber bereits formal verfassungswidrig und verstößt gegen Art. 80 GG. Ferner mangelt es der BÄK an einer hinreichenden demokratischen Legitimation bereits auf Ebene der sachlich-inhaltlichen Legitimationskomponente, da es an einer ausreichenden gesetzlichen Vorsteuerung durch § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG und § 12 Abs. 3 TPG fehlt. Die Vorschriften werden dem Parlamentsvorbehalt nicht gerecht.“ (Fricke 2022).
5.4 Umsetzung von cDCDD in Deutschland
Die praktische Umsetzung von cDCDD mit den vorgegebenen Prämissen, wäre in Deutschland durch eine Adaptation des Schweizer-Modells am konsequentesten möglich. In der Schweiz wird nach Feststellung des Kreislaufstillstandes (fehlende Herzaktivität) mittels transthorakaler Echokardiographie (TTE) und Verstreichen einer Wartezeit von mindestens 10 Minuten ohne Durchführung von Reanimationsmaßnahmen, klinisch anhand der bekannten Untersuchungsmerkmale (Koma; beidseits weite, lichtstarre Pupillen; Fehlen der okulozephalen Reflexe; Fehlen der Korneal Reflexe; Fehlen zerebraler Reaktionen auf Schmerzreize; Fehlen des Husten- und Schluckreflexes; Fehlen der Spontanatmung) der Hirntod durch zwei dafür qualifizierte Ärzte diagnostiziert (SAMW 2017).
Das Hirntodkonzept und damit auch die DDR sind somit erfüllt. Durch den erfolgreichen Einsatz postmortaler, Organ protektiver Techniken (HOPE, NRP) ist einer Diskussion um die Verkürzung der no-touch Phase die Grundlage entzogen (Schlegel 2019, Schlegel 2022, Hessheimer2019).
Bereits 2016 wurde von einer Minderheit des Deutschen Ethikrates zu Protokoll gegeben, „dass das Schweizer Verfahren der NHBD eine veritable Ergänzung zur in Deutschland standardisierten Hirntoddiagnostik darstellt“. Weiterhin wird ausgeführt: „Die Schweizer Praxis mit der begleitenden Hirntoddiagnostik, lasse dem natürlichen Prozess des Sterbens mehr Raum und böte den Angehörigen eine intensivere Möglichkeit, dieses Sterben zu begleiten und führe deshalb nicht zu einer außergewöhnlicheren Belastung als die klassische Prozedur der Organspende bei standardisierte Hirntod-Diagnostik“ (Deutsche Ethikrat2016).
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abb. 7: Organspender in der Schweiz (absolute Anzahl und Rate pro Millionen Population), Spender nach Hirntod, kontrollierte und unkontrollierte Spender nach Kreislauftod, Jahre 2008 - 2017. Quelle: Weiss 2018. cDCDD; controlled donation after circulatory determinated death; DBD, donation after brain death; PMP, per 1.000.000 population.
Für die post-mortalen Organisation und Durchführung der Organentnahme bietet sich das Modell der Niederlande mit den ZOTs an (de Jonge 2016).
Die klinisch-praktische Umsetzung der Abläufe dürfte dabei auf keine wesentlichen Schwierigkeiten stoßen, da eine Vielzahl der deutschen Transplantationsmediziner:innen im Rahmen ihre Ausbildung in Europa und Nordamerika, bereits in DCDD Programmen Erfahrung gesammelt hat.
Der DSO würde, wie bei DBD, die Aufgabe zukommen, die Abläufe zu koordinieren und den Prozess vor Ort zu unterstützen.
Zur Einbeziehung der Bevölkerung wäre es wünschenswert, die regelmäßige Bundesweite Repräsentativbefragung der BZgAzum „Wissen, Einstellung und Verhalten der Allgemeinbevölkerung (14 bis 75 Jahre) zur Organ- und Gewebespende“ um Fragen zu cDCDD zu erweitern. In der umfangreichen Studie der BZgA wird zwar die Thematik „Hirntod“ abgefragt, die Einstellung der Bevölkerung zum Herz-Kreislauftod findet aber keine Erwähnung (Zimmering 2021). Entsprechende Umfragen werden in anderen Ländern bereits durchgeführt und wissenschaftlich ausgewertet (O'Leary 2022).
Mit der vom G-BA geförderten Implementierung von Shared Decision Making im Krankenhaus, können jetzt Entscheidungshilfen geschaffen werden, damit im klinischen Alltag sowohl evidenzbasierte medizinische Informationen als auch die persönlichen Präferenzen des Patienten im gemeinsamen Entscheidungsprozess berücksichtigt werden können (Hahlweg 2022, Danner2020).
Da die bisherigen Maßnahmen zur Förderung der Organspende in Deutschland keinen nachweisbaren Zuwachs an Organspenden bewirkt haben, sollte der deutsche DCDD „Abwehrzauber“ überdacht und die Thematik mit allen Teilnehmern des Organspende Prozesses diskutiert werden.
Es ist zu hoffen, dass die BÄK, im Sinne der Patienten, die Entscheidungskraft aufbringen wird, ihre bisherigen Stellungnahmen zu überdenken und sich dem aktuellen wissenschaftlichen und medizinischen Kenntnisstand zu stellen.
Im Kontext des demokratischen Legitimationsdefizits sowie der der normativen Auswirkungen der Richtlinien der BÄK, sollte aber auch diskutiert werden, die Richtlinientätigkeit aus dem privaten Sektor herauszunehmen. Dies könnte z.B. durch die Berufung einer Sachverständigengruppe, die beim Bundesministerium für Gesundheit angesiedelt sein könnte, gewährleistet werden. Ein normiertes Anhörungsverfahrung unter Beteiligung der BÄK, würde zusätzlich den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft, sicherstellen.
Das schlechte Philosophie Leben kosten kann, ist auf dem Gebiet der Organtransplantation bekanntermaßen nichts neues (Richards 2012).
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https://dso.de/organspende/statistiken-berichte/organspende (zuletzt aufgerufen am: 20.09.2022)
Richtlinie gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenfuhrung und Organvermittlung zur Herz- und Herz-Lungen-Transplantation, https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/RL/RiliOrgaWlOvHerzTx20191210.pdf
DOI:10.3238/arztebl.2019.rili_baek_OrgaWlOvHerzTx20191210 (zuletzt aufgerufen am 10.08.2022)
Richtlinie gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenfuhrung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/RL/RiliOrgaWlOvLeberTx20190924.pdf DOI: 10.3238/arzte bl.2019.rili_baek_OrgaWlOvLeberTx20190924 (zuletzt aufgerufen am 10.08.2022)
Richtlinie gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG für die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG, Vierte Fortschreibung. Im Internet abrufbar unter: https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/irrev.Hirnfunktionsausfall.pdf DOI:10.3238/arztebl.2015.rl_hirnfunktionsausfall_01 (zuletzt aufgerufen am 10.08.2022)
Satzung der Bundesärztekammer, Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Ärztekammern, in der vom 117. Deutschen Ärztetag 2014 beschlossenen Fassung, https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/Bundesaerztekammer_Satzung_2014.pdf (zuletzt aufgerufen am: 15.08.2022)
Häufig gestellte Fragen
Was ist die Hauptaussage dieser Arbeit über Organspende nach Kreislaufstillstand (cDCDD)?
Die Arbeit argumentiert, dass aufgrund der aktuellen wissenschaftlichen Datenlage, unter Beibehaltung der Dead Donor Rule (DDR) und des Hirntodkonzeptes, eine cDCDD in Deutschland aus wissenschaftlichen und ethischen Gründen gerechtfertigt ist. Es wird vorgeschlagen, ein strukturiertes cDCDD-Programm in Deutschland zu implementieren, um den Organmangel zu beheben, insbesondere durch eine wissenschaftliche und gesellschaftliche Diskussion.
Was sind die Gründe für den Organmangel in Deutschland?
Die Gründe sind vielfältig und umfassen Konstruktionsfehler im Transplantationssystem, Richtlinienverstöße bei der Organvergabe, die zu Vertrauensverlust führten, rückläufige Erkennung und Meldung potenzieller Organspender in Krankenhäusern sowie die Verbesserung der Verkehrssicherheit und der Akutversorgung von Hirnverletzten, die zu weniger hirntoten Spendern führen.
Was ist cDCDD (controlled Donation after Circulatory Determination of Death)?
cDCDD bezieht sich auf die Organspende nach dem kontrollierten/erwarteten Herz-Kreislauf-Stillstand nach Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen auf der Intensivstation. Es ist ein etabliertes Verfahren in vielen Ländern zur Steigerung der Organspendezahlen.
Welche normativen Grundlagen der Organspende gelten in Deutschland?
In Deutschland gelten strenge normative Grundlagen, die im Transplantationsgesetz (TPG) festgelegt sind. Dazu gehören die Dead Donor Rule, die das Hirntodkriterium zur Organentnahme als Voraussetzung festlegt, und die Festlegung des Ablaufs der Todesfeststellung. Die Bundesärztekammer (BÄK) spielt eine zentrale Rolle bei der Ausgestaltung der Organspende-Prozesse durch Richtlinien.
Warum lehnt die Bundesärztekammer (BÄK) cDCDD in Deutschland ab?
Die BÄK lehnt cDCDD ab, weil sie der Ansicht ist, dass ein Herz-Kreislauf-Stillstand von 10 Minuten bei normaler Körpertemperatur nicht als sicheres Äquivalent zum Hirntod nachgewiesen ist und daher nicht die Todesfeststellung durch Nachweis von sicheren Todeszeichen ersetzen kann. Es wird auch die Gefahr gesehen, dass der Umgang mit schwerstkranken Menschen am Lebensende gezielt auf die Organentnahme ausgerichtet wird.
Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es zum Hirnfunktionsausfall nach Kreislaufstillstand?
Aktuelle Studien zeigen, dass nach spätestens 5 Minuten Herz-Kreislauf-Stillstand keine Wiederaufnahme der Herzfunktion und keine Hirnfunktion mehr nachweisbar ist. Dies unterstützt das cDCDD-Konzept, das auf einem kontrollierten Herz-Kreislauf-Stillstand und konsekutiven Hirnfunktionsausfall basiert.
Welche ethischen Fragen sind mit cDCDD verbunden?
Ethische Fragen umfassen den Spenderschutz (sichere Todesfeststellung und würdiges Sterben) und den Empfängernutzen (Explantation möglichst vitaler Organe). Ein zentraler Punkt ist die Debatte über die Definition des Todes und die Irreversibilität des Herz-Kreislaufstillstandes.
Wie könnte cDCDD in Deutschland umgesetzt werden?
Die Arbeit schlägt eine Adaptation des Schweizer Modells vor, bei dem nach Feststellung des Kreislaufstillstandes und Verstreichen einer Wartezeit der Hirntod durch zwei qualifizierte Ärzte diagnostiziert wird. Zudem wird das Modell der Niederlande mit autonomen Explantationsteams (ZOTs) zur postmortalen Organisation und Durchführung der Organentnahme empfohlen.
Welche Rolle spielt die Dead Donor Rule (DDR) in der Diskussion um cDCDD?
Die Einhaltung der DDR ist ein entscheidendes Kriterium für die BÄK bei der Ablehnung der DCDD in Deutschland. Die DDR soll Patienten vor Schaden schützen, indem sie sicherstellt, dass die Organentnahme erst nach dem Tod des Spenders erfolgt. Die Achtung der Person ist das grundlegende Prinzip der DDR.
Wie wird die Patientensicherheit im cDCDD-Prozess gewährleistet?
Die Patientensicherheit wird durch die Möglichkeit des potenziellen Spenders, den Entscheidungsprozess aktiv mitzugestalten, die Etablierung von Klinischen Ethik-Komitees und die Implementation von strukturierten Programmen zur gemeinsamen Entscheidungsfindung (Shared Decision Making) sowie durch die intensivierten, gesetzlichen Kontrollstrukturen sichergestellt.
- Arbeit zitieren
- Dr. Rainer Günther (Autor:in), 2022, Organmangel in Deutschland. Potenziale der kontrollierten Organspende nach Kreislauftod (cDCDD), München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/1503230