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Bachelorarbeit, 2009
22 Seiten, Note: Sehr Gut
Einleitung
Fiktives Patientenbeispiel
1. Botulinumtoxin
1.2 Allgemeine Wirkungsweise von Botulinumtoxin Typ A
1.2.1 Wirkungsweise auf verschiedenen Ebenen
1.3 Anwendungsgebiete
2. Zerebralparesebedingte, spastische Fußdeformitäten
2.1 Zerebralparese
2.2 Spastizität
2.2.1 Spastische Tetraplegie, Diplegie und Hemiplegie
2.3 Fußdeformitäten
2.3.1 Allgemein
2.3.2 Der Spitzfuß (Pes equinus)
2.3.3 Der Plattfuß (Pes planovalgus)
2.3.4 Der Klumpfuß (Pes equinovarus)
3. Die Ganganalyse vor und nach Botulinumtoxininjektion
4. Der / die PhysiotherapeutIn in der Botulinumtoxintherapie
4.1 Faktoren des Gangtrainings
5. Dynamische Therapie als Alternative zu Botulinumtoxin
6. Diskussion
Literaturverzeichnis
Anhang
Anhang A: Patientenbeschreibung
Anhang B: Begriffe des Gangzyklus
Eidesstattliche Erklärung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Botulinumtoxin Typ A wird nun schon seit über zwanzig Jahren in der Behandlung von Spastizität eingesetzt. Auch an der Kinderchirurgie in Graz werden im Durchschnitt drei junge PatientInnen pro Woche mit dieser Methode behandelt.
Die Idee für das Thema dieser Arbeit entstand im Rahmen eines Praktikums im Bereich Neurologie bzw. Neuropädiatrie. Die Mutter eines Kindes mit infantiler Zerebralparese mit spastischem Spitzfuß fragte meinen praktikumsbetreuenden Physiotherapeuten, ob eine erneute Injektion mit Botox® gegen die Fußdeformität sinnvoll sei. Zu diesem Zeitpunkt verband ich diesen Handelsnamen hauptsächlich mit seiner Anwendung in der ästhetischen Medizin. Mein Interesse bezogen auf diese spastizitätsenkende Intervention wurde somit geweckt und ich traf die Entscheidung, mich im Rahmen der ersten Bakkalaureatsarbeit mit dieser Thematik auseinanderzusetzen.
Diese Arbeit gibt allgemeine Informationen über Botulinumtoxin, erklärt verschiedene Begriffe der Diagnose ,Infantile Zerebralparese‘ und erläutert die häufigsten spastischen Fußdeformitäten. Weiters wird die Anwendung dieser Substanz im Hinblick auf die strukturelle und funktionelle Wirkung kritisch hinterfragt. Ein weiterer Punkt beschäftigt sich mit der Frage, welche Rolle der / die PhysiotherapeutIn in diesem Prozess einnimmt, welche Auswirkungen auf das Gangtraining zu erwarten sind und ob es physiotherapeutische Alternativen zu der Behandlung mit Botulinumtoxin gibt.
Bei Sebastian S., sieben Jahre alt, wurde eine spastische Diplegie diagnostiziert. Die obere Extremität ist uneingeschränkt einsetzbar. Auf Strukturebene findet man beim passiven Durchbewegen des oberen Sprunggelenks eine Spastizität der Plantarflexoren. Auf Funktionsebene zeigt sich durch die spastizitätbedingte eingeschränkte Dorsalextension eine Spitzfußstellung auf beiden Seiten. Das Gehen ist auf ebenen Flächen grundsätzlich alleine möglich, jedoch kann Sebastian die Ferse nicht flach auf den Boden aufsetzen. Durch die verkleinerte Unterstützungsfläche neigt das Kind dazu, bei unebener Bodenbeschaffenheit das Gleichgewicht zu verlieren und zu stürzen. Sebastian wirkt von seiner Kognition uneingeschränkt aufnahmefähig. In seiner Partizipation ist er eingeschränkt, da er bei schnellen Spielen (Abfangen, Ballspiele verschiedener Art, etc.) nicht teilnehmen kann.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entdeckte der deutsche Arzt Justinus Kerner dieses Produkt eines Bakteriums, da einige seiner Patienten eine Lebensmittelvergiftung (Botulismus) erlitten, welche nach dem Verzehr verdorbener Würste auftraten. In Folge dessen leitet sich der Name dieses Stoffes aus dem Lateinischen ,botulus‘ (= Wurst) ab (Hüter-Becker & Dölken, 2005).
Bei Botulinumtoxin (BTX) handelt es sich um eines der stärksten bekannten Toxine, welches vom grammnegativen Bakterium Clostridium botulinum ausgeschieden wird. Es besteht aus sieben Untereinheiten (A, B, C, D, E, F und G), welche sich durch ihre Antigene unterscheiden. Bei Typ A handelt es sich um die wirksamste und meist erforschte Untereinheit. Bekannt ist Botulinumtoxin Typ A (BTX/A) unter den Handelsnamen Botox® und Dysport®, wobei sich Botox® durch seine drei bis fünffach größere Wirksamkeit von dem zweiten Produkt unterscheidet (Nolan, Cole & Liptak, 2006).
Das Gift wirkt im Bereich der motorischen Endplatte (neuromuskulären Endplatte), indem es die Ausschüttung von Acetylcholin in den synaptischen Spalt verhindert und somit die cholinerge Übertragung hemmt. Diese Blockierung der Erregungsüberleitung tritt nach ungefähr drei bis zehn Tagen ein und hält im Durchschnitt etwa drei bis sechs Monate an, mit einem Wirkungsmaximum nach zwei bis vier Wochen. Als Folge dieser Denervierung kommt es zur Aussprossung von Kollateralaxonen (,Sprouting‘), welche die Ausschüttung von Acetylcholin übernehmen, bis es zur Regeneration der ursprünglich gehemmten Synapse kommt (Hüter-Becker & Dölken, 2005).
Bjornson et al. (2007) untersuchten in ihrer Studie die Auswirkungen von BTX/A- Injektionen in den Musculus gastrocnemius (M. gastrocnemius) bei Kindern mit spastischer Diplegie und verwendeten hierbei 14 Messungsmethoden, welche folgende fünf Bereiche abdeckten: Pathophysiologie, Beeinträchtigung, funktionelle Einschränkungen / Aktivität, Behinderung / Partizipation und soziale Einschränkung. Die Versuchsgruppe (n=17) erhielt BTX/A, die Kontrollgruppe (n=16) erhielt eine 0,9%ige Kochsalzlösung in die lateralen und medialen Anteile des M. gastrocnemius. Die Injektionen wurden von einem Projektleiter unter elektromyographischem Feedback durchgeführt. Alle Teilnehmer erhielten zusätzlich Physiotherapie für mindestens eine Stunde pro Woche während der sechsmonatigen Studie. Primäre Messungen für die Bereiche Funktionseinschränkung / Behinderung wurden mittels SMS (Spasticity Measure System) und GMFM (Gross Motor Function Measurement) durchgeführt. SMS ist eine elektromechanische Methode um Spastizität auszulösen und zu messen, bei GMFM handelt es sich um eine Messungsmethode für grobmotorische Aktivitäten (in dieser Studie Stehen, Gehen, Laufen und Springen). Sekundäre Messungen beinhalteten QEK (Quantitative Electromyographic Kinesiologiy) zur Messung der maximal willkürlichen Kontraktion des M. gastrocnemius (Bereich Pathophysiologie). Der Bereich ,Beeinträchtigung‘ wurde unter anderen mit der Ashworth-Scale (Skala zur Beurteilung des Muskeltonus) und der passiven Dorsalextension beurteilt. Für den Bereich soziale Einschränkung / Partizipation wurden gemeinsam mit den Kindern und deren Eltern drei Ziele definiert welche mittels Befragung evaluiert wurden. Bei den Auswertungen der Ergebnisse zeigten sich signifikante Veränderungen der BTX/A-Gruppe gegenüber der Placebogruppe durch eine herabgesetzte willkürliche Kontraktion nach drei Wochen, sowie in einer Verringerung der Spastizität (SMS) nach acht Wochen. Spätere Messungszeitpunkte zeigten bezüglich den vorher genannten Punkten keinen Unterschied mehr. Die passive Dorsalextension verbesserte sich nach zwölf Wochen wesentlich gegenüber der Kontrollgruppe. Im Bereich Grobmotorik (GMFM) und sozialer Anteilnahme / Partizipation verbesserten sich beide Gruppen ohne signifikanten Unterschied.
Nach Wissel und Neumann (2005) sind die bis zu diesem Zeitpunkt auf den Markt verfügbaren Botulinumtoxine für folgende Diagnosen zugelassen: Spasmus hemifacialis, Blepharospasmus, idiopathische rotatorische zervikale Dystonie, fokale Spastizität mit dynamischer Spitzfußstellung infolge infantiler Zerebralparese (Kinder mit zwei Jahren und älter), Hand- und Handgelenksspastik bei erwachsenen Schlaganfallpatienten, Armspastik nach Schlaganfall sowie primärer Hyperhydrosis axillaris. Jost und Neumann (2001) erwähnen in ihrem Artikel weitere Möglichkeiten der Botulinumtoxinanwendung bei Sprach- und Sprechstörungen (Stottern, etc.), bei Schmerzzuständen (Spannungskopfschmerzen, Migräne, etc.), im urogenitalen und gastrointestinalen Bereich sowie in der Faltentherapie.
Fietzek und Berweck (2008) beschreiben die Diagnose ,Zerebralparese‘ (Cerebral Palsy, CP) als Sammelbegriff für ätiologisch unterschiedliche Bewegungsstörungen mit dem Leitsymptom ,Spastizität‘ in Folge einer nicht progredienten Läsion des sich noch in Entwicklung befindlichen Gehirns. Aktivitätslimitierend sind die sekundären Veränderungen am Stütz- und Bewegungsapparat infolge von Spastizität und Paresen. Daher soll die Prävention dieser sekundären Störungen den Mittelpunkt der Therapie darstellen. Begleitende Beeinträchtigungen können sensorische Defizite, Störungen der Kognition, der Kommunikation und des Verhaltens sowie Epilepsien und Schmerzen sein. Die Diagnosestellung erfolgt durch eine kernspinttomographische Darstellung des Hirnparenchyms.
Nach Lance (1990, zitiert nach Lance 1980) beschreibt die Spastizität eine motorische Störung, die durch eine geschwindigkeitsabhängige Steigerung der tonischen Dehnungsreflexe infolge einer Übererregbarkeit des Dehnungsreflexes, als eine Komponente des zentralen motorischen Syndroms (Upper Motor Neuron Syndrom) charakterisiert ist.
Die Symptome bei der Läsion des ersten motorischen Neurons werden in Plus- und Minussymptome gegliedert, wobei es sich bei der Spastizität um ein Plussymptom handelt. Die Ursache für die Spastizität kann durch eine Schädigung der kortikalen, absteigenden Bahnen oder deren Ursprungsneurone angenommen werden. Diese verlieren dabei ihren kontrollierenden Einfluss auf die Aktivitätsbereitschaft der Alphamotoneurone, der spinalen Dehnungsreflexe, sowie der Beuge- und Streckreflexe. Letztendlich gibt es eine Vielzahl an Erklärungsmodellen, da die Pathophysiologie noch nicht gänzlich geklärt ist (Hüter-Becker & Dölken, 2007).
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