Selfies, Instagram, Lifecoaching-Bücher: Glaubt man aktuellen Medienberichten leben wir in einer Zeit, in der das Wichtigste zu sein scheint, ein möglichst perfektes Bild von uns selbst nach außen zu tragen. Noch vor allem anderen beschäftigt sich der postmoderne Mensch scheinbar mit sich selbst – vielerorts wird gar fest-gestellt: „Narzissmus gilt als Leitneurose unserer Gesellschaft“.
Zwei Texte, die ihre Hauptakteure deutlich narzisstisch akzentuieren, sind Juli Zehs Neujahr (2018) und Ronja von Rönnes Wir kommen (2016). Beide Werke eröffnen einen tiefen Blick in die Psyche des postmodernen Menschen, welcher das eigene ideale Selbstbild zum Dreh- und Angelpunkt seines Denkens und Handelns macht und sich trotz aller Freiheit und Privilegiertheit letztendlich im Kreisen um sich selbst verliert. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es nun, die Identitätsproblematik beider Protagonisten im Kontext des medial stark präsenten Narzissmus-Diskurses aufzugreifen und herauszustellen, inwiefern eigene und umgebungsbedingte Narzissmus-Strukturen die Selbstfindung der Protagonisten in Neujahr und Wir kommen sabotieren. Inwiefern sind die Akteure als narzisstische Schein-Identitäten zu begreifen? Dies Frage möchte ich diskursanalytisch unter Rekurs auf psychoanalytische und sozialpsychologische Narzissmus-Konzepte klären. Im theoretischen Teil dieser Arbeit befasse ich mich daher zunächst mit den Ansätzen Freuds und Lacans zur Genese des Narzissmus – dies ist notwendig, um die Ich-Struktur der Protagonisten in Neujahr und Wir kommen hinreichend skizzieren zu können. Da in der weiteren Analyse auch das Spannungsfeld zwischen Individuum und Umwelt eine Rolle spielt, kommen neben Heinz Kohuts Selbstpsychologie auch Erklärungen aus der Sozialpsychologie zum Tragen. Abschließend soll schließlich verdeutlicht werden, inwieweit der Zustand beider Protagonisten als narzisstische Krise gewertet werden kann und ob deren literarische Darstellung Rückschlüsse auf eine divergierende Positionierung beider Texte zum Diskurs narzisstischen Zeitgeistes zulässt.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Eine Gesellschaft voller Narzissten?
- 2. Von der Diagnose zum Zeitgeist-Phänomen: Der narzisstische Mensch zwischen Selbstverlust und Ich-Überhöhung
- 2.1. Zwischen Trieb und Imaginärem: Ich-Konstitution und Narzissmus bei Freud und Lacan
- 2.2. Ich VS. Umwelt: Narzisstische Entwicklungstraumata in der Selbstpsychologie Heinz Kohuts
- 2.3. Jenseits des Wettbewerbs: Narzissmus als Leitstruktur postmoderner Gesellschaften
- 3. Narzisstische Schein-Identitäten in Juli Zehs Neujahr und Ronja von Rönnes Wir kommen...
- 3.1. „Erster - Erster“: Selbstoptimierung als Gebot in Juli Zehs Neujahr
- 3.1.1. Aktivität als Ausweg? - Henning als, Turbo-Ich‘.
- 3.1.2. Ich VS. ES: Idealstreben - Verantwortung – Angst vor dem Scheitern
- 3.2. „Ferien im Passiv\": Selbstverwirklichung als Illusion in Ronja von Rönnes Wir kommen...
- 3.2.1. Passivität als Ausweg? – Nora als, schöne Seele'.
- 3.2.2. Ich VS. Maja: Idealisierung – Abhängigkeit – Angst vor Verlust
- 4. Fazit.
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit analysiert die Identitätsproblematik der Protagonisten in Juli Zehs „Neujahr“ (2018) und Ronja von Rönnes „Wir kommen“ (2016) im Kontext des gegenwärtigen Narzissmus-Diskurses. Sie untersucht, wie eigene und umgebungsbedingte Narzissmus-Strukturen die Selbstfindung der Protagonisten beeinflussen und inwiefern sie als narzisstische Schein-Identitäten zu verstehen sind. Die Arbeit befasst sich dabei mit psychoanalytischen und sozialpsychologischen Konzepten des Narzissmus, um die Ich-Struktur der Figuren zu beleuchten und das Spannungsfeld zwischen Individuum und Umwelt zu erforschen. Ziel ist es, die narzisstische Krise der Protagonisten zu bewerten und die Positionierung beider Texte zum Diskurs narzisstischen Zeitgeistes zu analysieren.
- Das Konzept des Narzissmus in der psychoanalytischen Theorie
- Die Rolle von Selbstoptimierung und Selbstverwirklichung im postmodernen Narzissmus-Diskurs
- Die Darstellung von narzisstischen Schein-Identitäten in den Romanen „Neujahr“ und „Wir kommen“
- Die Auswirkungen von Narzissmus auf die Selbstfindung und Beziehungsgestaltung der Protagonisten
- Die Positionierung der Romane im Spannungsfeld zwischen individueller Freiheit und sozialer Vernetzung
Zusammenfassung der Kapitel
Kapitel 1 stellt die These auf, dass wir heute in einer Gesellschaft leben, die von Narzissmus geprägt ist. Es werden aktuelle Medienberichte herangezogen, die auf die Selbstdarstellung und -optimierung im digitalen Zeitalter hinweisen. Die Arbeit fokussiert auf die Romane „Neujahr“ und „Wir kommen“, deren Protagonisten durch narzisstische Züge gekennzeichnet sind. Das Kapitel beleuchtet die Relevanz des Narzissmus-Diskurses für die Analyse der Identitätsproblematik der Figuren.
Kapitel 2 betrachtet den Narzissmus aus psychoanalytischer und sozialpsychologischer Perspektive. Es wird auf die Theorien von Sigmund Freud und Jacques Lacan eingegangen, um die Entstehung des Narzissmus und die Ich-Struktur zu erklären. Des Weiteren wird die Selbstpsychologie von Heinz Kohut herangezogen, die den Einfluss der Umwelt auf die narzisstische Entwicklung betont.
Kapitel 3 analysiert die Figuren Henning in „Neujahr“ und Nora in „Wir kommen“ im Kontext des Narzissmus-Diskurses. Es wird untersucht, wie Selbstoptimierung und Selbstverwirklichung bei den Protagonisten zu narzisstischen Schein-Identitäten führen. Die Kapitel analysieren die Figuren im Detail, indem sie die Konzepte des Ich und des Es in Bezug setzen und das Spannungsfeld zwischen Idealstreben und Angst vor dem Scheitern beleuchten.
Schlüsselwörter
Narzissmus, Selbstoptimierung, Selbstverwirklichung, Schein-Identität, Identitätsfindung, psychoanalytische Theorie, Sozialpsychologie, Freud, Lacan, Kohut, Juli Zeh, Ronja von Rönne, Neujahr, Wir kommen.
- Arbeit zitieren
- Ramona Rangott (Autor:in), 2023, Zwischen Optimierungswahn und Selbstverwirklichungszwang. Narzisstische Schein-Identitäten in Juli Zehs "Neujahr" und Ronja von Rönnes "Wir kommen", München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/1490319