Wie kann man in der Theologie von relevanten Erfahrungen sprechen, wenn das Fundament der Theologie außerhalb des Erfahrbaren und Immanenten liegt? So stellt sich die Frage nach der Möglichkeit der transzendentalen Erfahrung bzw. der Erfahrung des Transzendentalen. Im Hinblick auf die Widersprüche zwischen dem Transzendentalen und der Erfahrung handelt dieser Text von den Möglichkeiten und Grenzen der Vereinbarkeit beider Bereiche sowie von denkbaren Konsequenzen, welche sich aus dem Bereich der Erfahrung für Theologie und Glauben ableiten lassen.
Im Jahr 1787 begann Immanuel Kant die zweite Einleitung der ersten Kritik -der Kritik der reinen Vernunft- wie folgt: „Dass alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfange, daran ist gar kein Zweifel; denn wodurch sollte das Erkenntnisvermögen sonst zur Ausübung erweckt werden, geschähe es nicht durch Gegenstände, die unsere Sinne rühren und teils von selbst Vorstellungen bewirken, teils unsere Verstandestätigkeit in Bewegung bringen, diese zu vergleichen, sie zu verknüpfen oder zu trennen, und so den rohen Stoff sinnlicher Eindrücke zu einer Erkenntnis der Gegenstände zu verarbeiten, die Erfahrung heißt? Der Zeit nach geht also keine Erkenntnis in uns vor der Erfahrung vorher, und mit dieser fängt alle an.“ Diese ausgedrückte Wertschätzung der menschlichen Erfahrung war eine Voraussetzung für das, was als Kopernikanische Revolution in der Philosophiegeschichte bezeichnet werden sollte. Diese philosophische Wende findet mit ihrem Primat der Erfahrung eine theologische Entsprechung im Verständnis Karl Rahners vom Verhältnis zwischen Glauben, Erfahren und Tradition. Die Theologie Karl Rahners steht nicht umsonst im Zusammenhang mit jener theologischen Wendezeit, die, als Aggiornamento bezeichnet, neue Möglichkeiten der Vergegenwärtigung oder Verheutigung von Glaubensinhalten auszuloten versuchte. Sollte ein solches Aggiornamento gelingen, müsste der Bedeutung der persönlichen Erfahrung neuer Raum gewährt werden. Gemäß dieser methodischen und strukturellen Veränderung im Rahmen der Theologie und Philosophie wurde einerseits die Legitimität ihrer Wissensquelle, aus der sich beide Disziplinen speisen, hinterfragt, andererseits sind die Definitionen ihrer Subjekte und Objekte neu festgelegt worden. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Erfahrung und ihre unmittelbare Gewissheit
- Gotteserfahrung und Erfahrungseliten
- Weg der theologischen Erfahrung: Haben oder Sein
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Dieser Text analysiert die Grenzen und Möglichkeiten der Gotteserfahrung im Spannungsfeld zwischen Transzendenz und Erfahrung. Es werden insbesondere die Aspekte der unmittelbaren Gewissheit von Erfahrungen, die Rolle der Erfahrung in der Theologie und die Frage nach der Vereinbarkeit von Gotteserfahrung und menschlichen Erfahrungsdimensionen untersucht.
- Die unmittelbare Gewissheit von Erfahrungen
- Die Bedeutung der Erfahrung in der Theologie
- Die Grenzen und Möglichkeiten der Gotteserfahrung
- Die theologische Relevanz von Erfahrung
- Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspektiven auf Gotteserfahrung
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung beleuchtet die Relevanz von Erfahrung in der Philosophie und Theologie, insbesondere in Bezug auf die Werke von Immanuel Kant und Karl Rahner. Sie verdeutlicht den Paradigmenwechsel in der Theologie, der die Bedeutung der persönlichen Erfahrung hervorhebt.
- Erfahrung und ihre unmittelbare Gewissheit: Dieses Kapitel definiert den Begriff „Erfahrung“ und untersucht seine etymologische Entwicklung. Es betont die Rolle des Erfahrenden als aktiven Autor und passiven Leser von Erfahrungen. Die unmittelbare Gewissheit von Erfahrungen, die zu einer individuellen und scheinbar allwissenden Wahrnehmung der Welt führt, wird erörtert.
Schlüsselwörter
Die zentralen Schlüsselwörter des Textes sind Gotteserfahrung, Erfahrung, Transzendenz, Theologie, Immanuel Kant, Karl Rahner, unmittelbare Gewissheit, Erfahrungseliten, theologische Erfahrung, und Aggiornamento.
- Arbeit zitieren
- Göksel Çelik (Autor:in), 2022, Erfahren, Haben und Sein. Über die Grenzen der Theologie, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/1464585