Die Zeit um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20.Jahrhundert war eine Zeit geprägt von Reformen in vielerlei Hinsicht. Nicht nur politisch und industriell war dies eine Zeit des Umbruchs. Besonders gesellschafts- und bildungstheoretischer Hinsicht entstanden Ideen und Ansätze, die bis in die heutige Zeit hinein das Bildungssystem beeinflussen und einen wichtigen Grundstein für ein völlig neues Verständnis von Pädagogik legten. Die Reformpädagogik des beginnenden 20.Jahrhunderts hatte das Ziel, eine Pädagogik zu schaffen, die den Bedürfnissen des Kindes angepasst war. Ein bedeutender Verfechter dieses Verständnisses ist Célestin Freinet. Sein erklärtes Ziel war es, eine für die damalige Zeit völlig neue Form von Schule zu schaffen, nämlich „[…]eine einheitliche Schule ohne Klassenunterschiede und Privilegien für alle Kinder des Volkes[…]“(Hellmich; Teigeler, 1995, S.95)
Die vorliegende Arbeit soll einen Überblick über die alternativen pädagogischen Ideen des Reformpädagogen Célestin Freinet geben, sowie seine Konzepte zu deren praktischer Umsetzung vorstellen. Darüber hinaus soll die heutige Umsetzung der Freinetpädagogik am Beispiel er Freinetgrundschule Köln dargestellt werden. Den Schluss der Arbeit bildet eine kritische Auseinandersetzung mit der pädagogischen Konzeption Célestin Freinets.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Lebensweg Célestin Freinets
3. Auffassung des Menschenbildes und Erziehungsziel der Pädagogik Célestin Freinets
4. Zentrale Aspekte des didaktischen Konzepts Célestin Freinets
4.1 Forschendes und entdeckendes Lernen
4.2 Bezug zum Leben
4.3 Sinn
4.4 Freiheit und Selbstständigkeit
4.5 Rechte der Kinder
4.6 Individualität
4.7 Ordnung, Disziplin und Demokratie
4.8 Arbeit/Selbsttätigkeit
4.9 Kooperation
5. Konkrete Umsetzung der Didaktik im Unterricht
5.1 Drucken
5.2 Freier Ausdruck
5.3 Freier Text
5.4 Klassenkorrespondenz
5.5 Klassenrat
5.6 Individueller Wochenarbeitsplan
5.7 Gruppenarbeit und Arbeitsateliers
5.8 Leistungsbewertung
6. Schluss
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Zeit um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20.Jahrhundert war eine Zeit geprägt von Reformen in vielerlei Hinsicht. Nicht nur politisch und industriell war dies eine Zeit des Umbruchs. Besonders gesellschafts- und bildungstheoretischer Hinsicht entstanden Ideen und Ansätze, die bis in die heutige Zeit hinein das Bildungssystem beeinflussen und einen wichtigen Grundstein für ein völlig neues Verständnis von Pädagogik legten.
Die Reformpädagogik des beginnenden 20.Jahrhunderts hatte das Ziel, eine Pädagogik zu schaffen, die den Bedürfnissen des Kindes angepasst war. Ein bedeutender Verfechter dieses Verständnisses ist Célestin Freinet. Sein erklärtes Ziel war es, eine für die damalige Zeit völlig neue Form von Schule zu schaffen, nämlich „[…]eine einheitliche Schule ohne Klassenunterschiede und Privilegien für alle Kinder des Volkes[…]“(Hellmich; Teigeler, 1995, S.95)
Die vorliegende Arbeit soll einen Überblick über die alternativen pädagogischen Ideen des Reformpädagogen Célestin Freinet geben, sowie seine Konzepte zu deren praktischer Umsetzung vorstellen. Darüber hinaus soll die heutige Umsetzung der Freinetpädagogik am Beispiel er Freinetgrundschule Köln dargestellt werden. Den Schluss der Arbeit bildet eine kritische Auseinandersetzung mit der pädagogischen Konzeption Célestin Freinets.
2. Der Lebensweg Célestin Freinets
Célestin Freinet wird am 15.10.1896 als Sohn einer kleinbäuerlichen Familie im den südfranzösischen Dorf Gars geboren. Er ist das fünfte Kind von insgesamt sieben Geschwistern. Schon sehr früh macht sich für Célestin Freinet die schwierige finanzielle seiner Familie bemerkbar, indem er bereits im Kindesalter zu landwirtschaftlichen Arbeiten herangezogen wird, um mitzuhelfen, den Lebensunterhalt seiner Familie sicher zu stellen.
Aus diesen Erfahrungen seiner Kindheit „[…]rührt seine tiefe Verbundenheit mit der Natur und mit dem einfachen, natürlichen Leben der Bauern, Hirten und Arbeiter seiner Heimat.“(Hellmich; Teigeler,1995,S.93). Das Leben in der natürlichen Umgebung prägt vor allem Célestin Freinets späteres Verständnis von Pädagogik.
Célestin Freinet besucht später die Volksschule. Er erweist sich als aufgeweckter Schüler und somit bietet sich ihm die Möglichkeit, anschließend ein Gymnasium zu besuchen. Nach erfolgreicher Beendigung seiner Schullaufbahn wird Célestin Freinet von seinen Lehrern für ein Lehramtsstudium vorgeschlagen. In Anbetracht der damaligen Gegebenheiten handelt es sich dabei um eine der wenigen Studienmöglichkeiten für Kinder aus einfacheren Verhältnissen. Mit dem Ziel Lehrer zu werden, wird Célestin Freinet schließlich im Jahre 1913 in das Lehrerseminar von Nizza, der so genannten Ecole Normale, aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt ist er 16 Jahre alt. Aufgrund des zweiten Weltkrieges kann Célestin Freinet sein Studium in der nachfolgenden Zeit jedoch nicht beenden, da er bereits im Jahre 1915 als Offizier in den Kriegsdienst eingezogen wird. Nur kurze Zeit später, im Jahr 1916, wird Célestin Freinet bei Gefechten vor der Stadt Verdun durch einen Lungensteckschuss schwer verwundet .Célestin Freinet leidet daraufhin an schweren Atem-und Sprechschwierigkeiten, die eine hundertprozentige Kriegsschädigung zur Folge haben. Die folgenden vier Jahre verbringt Célestin Freinet daher in Lazaretten sowie Sanatorien, jedoch ohne eine nennenswerte Heilung seines Kriegsleidens. Letztendlich kuriert er sich mit Hilfe von Naturheilverfahren, welche er in seinem Buch „Les dits de Mathieu“ näher erläutert, selbst so weit, dass ihm bereits im Jahre 1920 eine Stelle als Lehrer in der Grundschule Bar-sur-loup anbieten kann.
Da Célestin Freinets vorangegangene Ausbildung am Lehrerseminar jedoch lediglich zwei Jahre andauerte, eignet er sich einen Großteil seiner Kenntnisse durch das Selbststudium pädagogischer Literatur während seiner Aufenthalte in den Lazaretten und Sanatorien an. Sein größtes Interesse liegt dabei in der Beschäftigung mit den Schriften und Erkenntnissen Rousseaus, Pestalozzis und Montaignes. Durch dieses große Interesse tritt er bald darauf in Kontakt mit den führenden Reformpädagogen seiner Zeit, wie zum Beispiel Peter Petersen oder aber auch Berthold Otto, welche er später auf seinen zahlreichen Studienreisen auch persönlich kennen lernen wird.
1920 tritt Célestin Freinet wie bereits erwähnt in den Schuldienst ein und besteht 1923 sein Examen, welches ihn auch zum Erteilen von Unterricht im höheren Schuldienst befähigt. Aufgrund der Folgen seiner Kriegsverletzungen ist es Célestin Freinet jedoch kaum möglich, den Unterricht in der ihm bisher bekannten Art und Weise, nämlich in Form des herkömmlichen Frontalunterrichts, durchzuführen. Seine Atem- und Sprechschwierigkeiten haben zur Folge, dass Célestin Freinet oftmals kaum fünfzehn Minuten am Stück das Wort ergreifen kann und er sich somit alternative Formen des Lehrens und Unterrichtens erarbeiten muss.
In vielen Biographien wird dieser Umstand zum Anlass genommen daraus zu schließen, Célestin Freinet „[…]habe seine Pädagogik der Selbsttätigkeit vorwiegend deshalb entwickelt, um seine angegriffene Gesundheit zu schonen und einen langen Schultag überhaupt durchstehen zu können.“(Dietrich,1995,S.14). Dies trifft sicherlich zu, wie Ausführungen Elise Freinets belegen: „Mit unnachgiebiger Hartnäckigkeit in körperlichen und seelischen Anstrengungen begann der junge Lehrer die ebenso lange wie geduldige Lehrzeit in seinem pädagogischen Beruf. Dies konnte er nur durch einen Kompromiss erreichen, indem er einerseits seine eigene Gesundheit schonte und andererseits den Kindern eine aktivere Rolle im Schulleben zukommen ließ.“(Freinet,E.,1981,S.17-18). Vor allem aber hat Célestin Freinets Pädagogik der Selbsttätigkeit und Individualität zum Ziel, die Schüler zu einem selbstständigen Arbeiten zu motivieren. Somit entwickelt Célestin Freinet eine Abkehr vom bisher üblichen Lehrervortrag, welcher seiner Meinung nach die Schüler zwangsläufig in einen Zustand der Passivität versetze. Ein weiterer Grund für Célestin Freinets Ablehnung des Frontalunterrichts ist darüber hinaus seine Auffassung, dass „der ihm abverlangte Unterricht ohne Beziehung zum Leben der Kinder ist und ihr Interesse mehr dem gilt, was außerhalb des Klassenzimmers im Dorf geschieht“(Laun,1983,S.25).
Célestin Freinets großes Interesse an reformpädagogischen Arbeitsweisen führt ihn mit mehreren bedeutenden Pädagogen seiner Zeit zusammen, deren alternative Erziehungsmodelle und Ideale ihn in weiten Teilen in seiner Arbeit beeinflussen. Als Beispiel ist hier sein Kontakt zu dem Arzt und Pädagogen Ovide Decroly zu nennen, der maßgeblich Célestin Freinets bekannte Idee der Schuldruckerei mit beeinflusste.
Aber auch weitere berühmte Reformpädagogen wie Maria Montessori, John Dewey oder Peter Petersen prägen Célestin Freinets Vorstellungen von Pädagogik. Vor allem aber mit dem Reformpädagogen Peter Petersen verbindet ihn eine tiefe Beziehung, die sich „[…] bis zu seinem Tod in Brief- und Gedankenaustausch[...]“(Jörg, 1981, S.139) zeigt.
Im Jahre 1923 besteht Célestin Freinet sein Examen als Professor für Literatur. Ein Angebot, als Lehrer an einer höheren Schule Unterricht zu erteilen lehnt er ab, um weiterhin an seiner kleinen Schule auf dem Land tätig zu sein. Sein Vorstellungen zur Umsetzung alternativer Lernmethoden, noch verstärkt durch den Kontakt zu anderen Reformpädagogen, lassen Célestin Freinet bald erkennen, dass ihm alleine nicht möglich ist, seine Ideen alleine umzusetzen. Aus diesem Grunde gründet er im Jahre 1924 die „Cooperative de l´Enseignement Laic“(C.E.L.), welche noch bis heute besteht. Diese von ihm gegründete Kooperative ist ein Zusammenschluss von Lehrern in Form einer pädagogischen Gewerkschaft. Die Arbeit der C.E.L. besteht gemäß Célestin Freinets Vorstellungen darin, kindgerechte Arbeitsmaterialien für die Schule zu entwickeln und bereit zu stellen. Im Jahre 1926 unterhält Célestin Freinet bereits neun druckende Schulen, welche mit ihm selbst sowie seiner Klasse auf diese Wege korrespondieren. Im selben Jahr heiratet er seine Frau Elise. Elise Freinet ist wie ihr Mann Lehrerin und ihm bis zu seinem Tode eine treue Mitarbeiterin. Im Jahre 1927 findet der erste Kongress der C.E.L. in der französischen Stadt Tour statt. Zu diesem Zeitpunkt zählt Célestin Freinets Kooperative bereits 41 Lehrerinnen und Lehrer. 1928 führt es Célestin Freinet zum zweiten Male nach Deutschland, wo er am internationalen pädagogischen Kongress des „Leipziger Lehrervereins“ teilnimmt. Auch in den folgenden Jahren zeigt Célestin Freinet stets großes Interesse für Entwicklungen in Deutschland, sowohl in pädagogischer als auch in politischer Hinsicht. So ruft er beispielsweise im Jahre 1933 deutsche Lehrerinnen und Lehrer zum Protest gegen die Machtergreifung Hitlers auf.
Trotz seines großen Interesses und Idealismus in politischer Hinsicht, die ihn 1924 zum Beitritt in die kommunistische Partei Frankreichs bewegen, wehrt sich Célestin Freinet mit aller Entschiedenheit dagegen, seine Kooperative dieser Partei zu überführen.
Schließlich verlässt er die kommunistische Partei Frankreichs 1948 aufgrund der immer stärker werdenden Anfeindungen und den ständigen Versuchen, ihn der Partei untertänig zu machen. Im gleichen Jahr gibt Célestin Freinet seiner Pädagogik die offizielle Bezeichnung „Ecole moderne francaise“ (vgl. Kock, 1995, S.24). Der letzte Kongress seiner „Ecole moderne“, an welchem Célestin Freinet noch persönlich teilnehmen kann, ist die im Jahre 1965 in Brest stattfindende Versammlung. Den darauf folgenden in Perpignan stattfindenden Kongress im Jahre 1966 kann er aus gesundheitlichen Gründen bereits nicht mehr persönlich besuchen. Célestin Freinet stirbt schließlich am 8. Oktober 1966 und wird in seinem Heimatort Gars beigesetzt (vgl. Kock, 1995, S. 24 f.)
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- Arbeit zitieren
- Julia Selbach (Autor:in), 2007, Das didaktische Konzept Freinets und dessen mögliche Umsetzung im Unterricht, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/137255