Hobbes und Rawls, beide Vertreter des Kontraktualismus, veröffentlichten ihre Werke zu unterschiedlichen Epochen. Die Arbeit untersucht die Unterschiede zwischen beiden Theorien, aber v.a. auch die Gemeinsamkeiten, die trotz des großen zeitlichen Abstands bestehen. Der Fokus liegt hier auf der Konzeption der Vernunft.
"Homo homini lupus est" ("Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf") oder "Jedermann soll gleiches Recht auf […] gleiche[] Grundfreiheiten haben, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist."? Diese beiden Zitate lassen auf den ersten Blick verschiedene Menschenbilder und politische Theorien erahnen, doch beide stammen von Anhängern der sogenannten Vertragstheorie oder auch Kontraktualismus. Das erste Zitat kann dem 1588 geborenen Philosophen Thomas Hobbes zugeordnet werden, der sich in seinem Klassiker der politischen Philosophie "Leviathan" mit grundsätzlichen Fragen der Rechtfertigung von Staatsmacht befasst.
Das zweite Zitat entstand erst über 300 Jahre später – im Jahr 1971 – und stammt von einem der wichtigsten Philosophen des 20. Jahrhunderts - John Rawls. Rawls befasst sich in seinem gleichnamigen Werk mit einer "Theorie der Gerechtigkeit". Allein der große zeitliche Abstand zwischen beiden Veröffentlichungen und bei Rawls die Beschäftigung mit Gerechtigkeitsprinzipien im Gegensatz zu Hobbes Beschäftigung mit Staatsgewalt lässt vermuten, dass es zwischen beiden Theorien große Unterschiede geben kann. Dass sowohl Hobbes als auch Rawls dem Kontraktualismus zugeordnet werden, wirft allerdings die Frage auf, welche Gemeinsamkeiten sich im Großen und im Kleinen zwischen beiden Theorien finden lassen.
Hobbes und Rawls - Vertreter des Kontraktualismus: Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was ist das Thema des Textes?
Der Text vergleicht die Vertragstheorien von Thomas Hobbes und John Rawls. Er untersucht Gemeinsamkeiten und Unterschiede ihrer Ansätze zur Rechtfertigung von Staatsmacht und Gerechtigkeitsprinzipien, mit besonderem Fokus auf ihre Konzeptionen von Vernunft und dem Guten.
Wer sind Hobbes und Rawls?
Thomas Hobbes (1588-1679) war ein englischer Philosoph, dessen Werk "Leviathan" eine klassische staatsphilosophische Vertragstheorie darstellt. John Rawls (1921-2002) war ein einflussreicher amerikanischer Philosoph des 20. Jahrhunderts, bekannt für seine "Theorie der Gerechtigkeit".
Was ist der Kontraktualismus?
Der Kontraktualismus, auch Vertragstheorie genannt, ist eine politische Philosophie, die die Legitimität von Moralprinzipien, gesellschaftlicher Ordnung oder politischer Herrschaft auf einen hypothetischen Vertrag zwischen freien und gleichen Individuen in einem Ausgangszustand gründet.
Wie argumentiert Hobbes?
Hobbes beschreibt einen Naturzustand als "Krieg aller gegen alle", geprägt von Egoismus, Konkurrenz und Misstrauen. Um diesem Zustand zu entkommen, schließen Individuen einen Vertrag, der die absolute Macht an einen Staat abgibt, um Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Dieser Staat besitzt das Gewaltmonopol und garantiert Recht und Eigentum.
Wie argumentiert Rawls?
Rawls entwickelt eine "Theorie der Gerechtigkeit als Fairness". In einem "Schleier des Nichtwissens" vereinbaren rationale Individuen zwei Gerechtigkeitsprinzipien: 1. Gleiches Recht auf Grundfreiheiten für alle und 2. Zulassung sozialer und ökonomischer Ungleichheiten nur, wenn sie den am wenigsten Begünstigten den größten Vorteil bringen und faire Chancengleichheit gewährleisten.
Welche Gemeinsamkeiten haben Hobbes und Rawls?
Beide Philosophen sind Vertreter des Kontraktualismus und benutzen ein hypothetisches Vertragsmodell, um ihre jeweiligen Theorien zu begründen. Beide gehen von autonomen Individuen im Ausgangszustand aus.
Welche Unterschiede gibt es zwischen Hobbes und Rawls?
Hobbes konzentriert sich auf die Legitimation von Staatsmacht im Angesicht von Konflikten und Anarchie im Naturzustand. Rawls fokussiert sich auf Gerechtigkeitsprinzipien für die Grundstruktur einer Gesellschaft und die gerechte Verteilung von Ressourcen. Hobbes' Naturzustand ist von Krieg und Egoismus geprägt, während Rawls' Ausgangspunkt weniger konfliktgeladen ist.
Welche Rolle spielen Vernunft und "das Gute" in den Theorien?
Der Text analysiert die unterschiedlichen Konzeptionen von Vernunft und "dem Guten" bei Hobbes und Rawls. Dies ist ein zentraler Aspekt des Vergleichs ihrer Theorien, um die Unterschiede in ihren Schlussfolgerungen zu verstehen.
Welche Quellen werden verwendet?
Der Text stützt sich auf die Originalwerke von Hobbes und Rawls sowie auf Sekundärliteratur von Autoren wie Wolfgang Kersting, Otfried Höffe, Lisa Herzog, Marcus Llanque und Rüdiger Bittner.
Inhaltsverzeichnis
1. Hobbes und Rawls - Vertreter des Kontraktualismus
1. Vertragstheorie als verbindende Metatheorie
2. Arten des Kontraktualismus
2.1 Hobbes auf der Suche nach Rechtfertigung für Staatsmacht
2.2 Rawls auf der Suche nach Gerechtigkeit
3. Rawls und Hobbes im Vergleich
3.1 Unterschiede
3.2 Gemeinsamkeiten
3.3 Schwache Theorien des Guten und der Vernunft
4. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Hobbes und Rawls - Vertreter des Kontraktualismus
„Homo homini lupus est“ („Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“) oder „Jedermann soll gleiches Recht auf [...] gleiche[] Grundfreiheiten haben, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist.“ (Rawls 2021: 81)? Diese beiden Zitate lassen auf den ersten Blick verschiedene Menschenbilder und politische Theorien erahnen, doch beide stammen von Anhängern der sogenannten Vertragstheorie oder auch Kontraktualismus. Das erste Zitat kann dem 1588 geborenen Philosophen Thomas Hobbes zugeordnet werden, der sich in seinem Klassiker der politischen Philosophie „Leviathan“ mit grundsätzlichen Fragen der Rechtfertigung von Staatsmacht befasst. Das zweite Zitat entstand erst über 300 Jahre später - im Jahr 1971 - und stammt von einem der wichtigsten Philosophen des 20. Jahrhunderts - John Rawls. Rawls befasst sich in seinem gleichnamigen Werk mit einer „Theorie der Gerechtigkeit“. Allein der große zeitliche Abstand zwischen beiden Veröffentlichungen und bei Rawls die Beschäftigung mit Gerechtigkeitsprinzipien im Gegensatz zu Hobbes Beschäftigung mit Staatsgewalt lässt vermuten, dass es zwischen beiden Theorien große Unterschiede geben kann. Dass sowohl Hobbes als auch Rawls dem Kontraktualismus zugeordnet werden, wirft allerdings die Frage auf, welche Gemeinsamkeiten sich im Großen und im Kleinen zwischen beiden Theorien finden lassen. In dieser Arbeit soll demnach zunächst ein Überblick über beide Theorien gegeben werden. Im Folgenden werden dann Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten herausgearbeitet; der Fokus dabei wird unter anderem auf die Konzeptionen von Vernunft bzw., „dem Guten“ gelegt. Wie erwähnt zählen beide Untersuchungsgegenstände zu Klassikern der politischen Philosophie und sind damit häufig bearbeitete Themen. Hauptgrundlage der Arbeit bilden neben den Originaltexten (Hobbes 1970 & Rawls 2021) die Arbeiten von Wolfgang Kersting (Kersting 2004, 2005 & 2016), der sich sowohl im Allgemeinen mit dem Kontraktualismus als auch im Speziellen mit den Theorien von Hobbes und Rawls ausführlich beschäftigt hat. Des Weiteren wurden für die Deskription verschiedene Einführungswerke in die politische Philosophie benutzt, bspw. von Otfried Höffe (Höffe 2016), Lisa Herzog (Herzog 2019) und Marcus Llanque (Llanque 2016). Für die Analyse der Vernunft bei Hobbes wurde außerdem auf einen Artikel von Rüdiger Bittner (Bittner 1983) zurückgegriffen.
1. Vertragstheorie als verbindende Metatheorie
Sowohl Thomas Hobbes als auch John Rawls Theorie sind Ausführungen des „Kontraktualismus“ (auch „Vertragstheorie“). Der Vertrag zwischen „freien und gleichen Individuen in einem wohldefinierten Ausgangszustand“ (Kersting 2016: 11) ist der Kernpunkt des Kontraktualismus. Der Vertragsinhalt bezieht sich je nach Zielsetzung bzw. Fragestellung der Theorie auf „moralische[] Prinzipien“, die „rationale Grundlage der institutionellen gesellschaftlichen Ordnung“ oder die „Legitimationsbedingungen politischer Herrschaft“ (Kersting 2016: 11). Zwar spielte das Vertragsmotiv bspw. auch schon bei den Sophisten der griechischen Aufklärung und auch im Mittelalter eine Rolle (vgl. Kersting 2016: 12), doch erst in der Neuzeit wurde es von Thomas Hobbes zu einer „sich entfaltenden Legitimationsargumentation“ (Kersting 2016: 12) ausgebaut. Die Legitimation des Vertragsinhalts, mit welchem Aspekt sich der Vertrag auch befassen mag, stammt daher, dass ein Vertrag nur Vertrag genannt werden kann, wenn alle Parteien ihm ohne Zwang zustimmen. Wenn dies der Fall ist und ein Vertragsschluss zustande kommt, wird durch das Anerkennen gegenseitiger Rechte und Pflichten eine Vertragsrealität geschaffen, die für alle fair bzw. annehmbar ist, denn „volenti non fit iniuria“ - „dem willentlich Zustimmenden kann aus dem, dem er zustimmt kein Unrecht erwachsen.“ (Kersting 2004: 109). Allerdings muss angemerkt werden, dass dieser Vertragsschluss lediglich als theoretisches Konstrukt zur Rechtfertigung von Vorstellungen von Gerechtigkeit oder Staatsmacht, aber keinesfalls als tatsächlich historisches Ereignis aufgefasst werden kann (vgl. Kersting 2004: 112). In einer je nach Autor Ur- oder Naturzustand genannten Situation befinden sich die „autonomen Individuen“ (Kersting 2016: 17), wenn sie über die Inhalte des Vertrags debattieren und diesen dann theoretisch abschließen. Die unterschiedlichen Bezeichnungen lassen erahnen, dass dieser Zustand je nach Autor anders aufgefasst wird; dies wird im weiteren Verlauf noch genauer untersucht. Der Argumentationsstrang des Kontraktualismus lässt sich in einen Dreischritt einteilen: Zustand/Ausgangssituation, in der der Vertrag erarbeitet und geschlossen wird - Vertrag(sinhalt) - Umsetzung des Vertrags in die Realität. Bspw. beim Hobbesschen staatsphilosophischen Kontraktualismus besteht die Argumentation dann aus einem „anarchische[n] Naturzustand - Vertrag - Gesellschaft/Staat“ (Kersting 2005: 104).
2. Arten des Kontraktualismus
Dass es unterschiedliche Ausführungen des Kontraktualismus gibt, klang bereits mehrfach an. Im nächsten Schritt soll nun in den staatsphilosophischen Kontraktualismus von Thomas Hobbes und den „modernen“ Kontraktualismus von John Rawls eingeführt werden, bevor dann konkrete Aspekte der Theorien miteinander verglichen werden.
2.1 Hobbes auf der Suche nach Rechtfertigung für Staatsmacht
Im Jahr 1651 endete der englische Bürgerkrieg, und Thomas Hobbes Hauptwerk „Leviathan“, das von jenen Ereignissen stark geprägt ist, erschien. Der „Leviathan“ besteht aus vier Büchern. die das Verhältnis der Individuen untereinander und zum Staat und des Staats zur Kirche behandeln (vgl. Llanque 2016: 44). Beeinflusst durch die Unsicherheit des Bürgerkrieges (vgl. Herzog 2019: 94-95), war es Hobbes Argumentationsziel, eine Legitimation für die Übertragung des Gewaltmonopols an einen omnipotenten Staat zu liefern (vgl. Herzog 2019: 98). Hobbes ist damit der Begründer des klassischen staatsphilosophischen Kontraktualismus. Der Dreischritt lautet dann wie folgt: Die Vertragsparteien leben in einem Naturzustand ohne verbindliche Regeln - es herrscht ein „Krieg eines jeden gegen jeden“ (Herzog 2019: 97). „Mitbewerbung, Verteidigung und Ruhm“ (Hobbes 1970: 115) bzw. nach Kerstings Analyse „konstitutiver Egoismus“, „knappheitsbedingte Konkurrenz“, „konkurrenzbedingte Verfeindung“, die „Rationalität des offensiven Misstrauens“ sowie die „natürliche Gleichheit“ seien die Hauptursachen für den kriegerischen Charakter des Naturzustands (vgl. Kersting 2016: 39-40). Der Mensch würde also aufgrund seines Charakters einen regellosen Naturzustand in einen Zustand des Krieges verwandeln. Zwar gebe es durchaus „Naturgesetze“, diese seien allerdings im Naturzustand nicht von Relevanz, da es keine Instanz gebe, die diese durchsetze und für alle garantieren würde (vgl. Herzog 2019: 97). Ein für alle geltendes „Naturrecht auf alles“ (Llanque 2016: 45) sei ohne einen Machtapparat ein „Recht auf nichts“ (Höffe 2016: 219), da man sich nicht drauf verlassen könne. Neben den drei Konfliktursachen Konkurrenz, Misstrauen und Ruhmsucht gebe es allerdings auch drei Leidenschaften, die in Verbindung mit einer Vernunft den Ausweg aus dem inakzeptablen Naturzustand bereiten (vgl. Höffe 2016: 217-219): Höffe bezeichnet diese als „die Todesfurcht, das Verlangen nach Dingen, die es zu einem angenehmen Leben braucht, und die Hoffnung, sie durch eigene Anstrengung zu erreichen“ (Höffe 2016: 219). In einem Vertrag legen die Naturzustandsbewohner dann eine Instanz fest, die das absolute Gewaltmonopol innehat (vgl. Herzog 2016: 97), denn die „Vergesellschaftung rationaler Egoisten ist nur möglich bei gleichzeitiger Etablierung einer gesellschaftsbeaufsichtigenden, mit unwiderstehlichen Machtmitteln ausgestatteten Herrschaftsordnung, die als Vertragsgarantiemacht fungiert.“ (Kersting 2005: 106). Aufgrund der vorher angesprochenen Legitimität des Prozesses der Vertragsschließung ist der begründete Staat auch legitim. Hobbes hat sein Argumentationsziel - die Legitimierung eines starken Staates - erreicht. Nach Hobbes zieht es der Mensch also vor, in einem System mit mächtigem Staat, aber klaren Gesetzen zu Eigentum und Rechten zu leben, als in einem Naturzustand, in dem ein „Recht auf alles und nichts“ herrscht (vgl. Kersting 2005: 98). Die Macht müsse allerdings nicht in einer Person konzentriert sein, sondern könne auch durch bspw. ein Parlament ausgeübt werden (vgl. Llangque 2016: 48).
2.2 Rawls auf der Suche nach Gerechtigkeit
1971 veröffentlichte John Rawls das Buch „Eine Theorie der Gerechtigkeit“, in dem er sich mit grundsätzlichen Fragen der Gerechtigkeit in einer Gesellschaft befasst und die Theorie der „Gerechtigkeit als Fairness“ aufstellt. Genauer bezieht er sich auf die Gerechtigkeitsvorstellungen, die die „Grundstruktur der Gesellschaft“ (Rawls 2021: 23) betreffen. Als „Grundstruktur“ bezeichnet Rawls bspw. die „Verfassung und die wichtigsten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse“ (Rawls 2021: 23) und wie diese die Verteilung von „Grundrechte[n] und -pflichten“ und die durch die Zusammenarbeit entstehenden Gewinne jeglicher Art regeln. Rawls kommt am Ende seiner Überlegungen auf zwei Grundsätze:
Erster Grundsatz Jedermann hat gleiches Recht auf das umfangreichste Gesamtsystem gleicher Grundfreiheiten, das für alle möglich ist.
Zweiter Grundsatz Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten müssen folgendermaßen beschaffen sein: (a) sie müssen [...] den am wenigsten Begünstigten den größtmöglichen Vorteil bringen, und (b) sie müssen mit Ämtern und Positionen verbunden sein, die allen gemäß fairer Chancengleichheit offenstehen. (Rawls 2021: 336)
[...]
- Arbeit zitieren
- Florin Drechsler (Autor:in), 2023, Die kontraktualistischen Theorien von Hobbes und Rawls. Ein allgemeiner Vergleich mit speziellem Fokus auf die Vernunft, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/1363715